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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.07.2017

Lebenslügen

Endstation Nordsee
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Aenne lebt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter auf Amrum. Sie führt ein harmonisches Leben und könnte sich nie vorstellen, woanders zu leben. Ihre heile Welt bekommt jäh einen Sprung als ihr Vater ...

Aenne lebt mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter auf Amrum. Sie führt ein harmonisches Leben und könnte sich nie vorstellen, woanders zu leben. Ihre heile Welt bekommt jäh einen Sprung als ihr Vater erschossen in den Dünen aufgefunden wird.
Aenne und ihr Vater waren eine Einheit, zu ihm hat sie immer aufgesehen, er war ihr Fels. Das Verhältnis zur Mutter blieb immer etwas distanziert und unterkühlt. Dieser Mord reißt ihr den Boden unter den Füßen weg, sie kann sich nicht vorstellen, wer ihren Vater gehasst haben könnte.
Endstation Nordsee ist ein ganz besonderer Krimi. Er kommt fast ganz ohne Ermittlerarbeit und Spurensuche aus. Das Buch ist eher ein Psychogramm der handelnden Personen und die sind wunderbar feinsinnig und lebensecht gezeichnet. Allein die Beschreibung von Aennes Verzweiflung und ihr Umgang mit der Trauer haben mich tief berührt und lange nicht losgelassen. Wie sich langsam die Wahrheit enthüllt und Aenne sich der Realität stellt, ist ausgezeichnet beschrieben. Natürlich ist es auch ein spannendes Buch, aber für mich ging die Faszination an diesem Krimi stärker von den Personen und ihrer Geschichte aus.
Nebenbei ist der Schauplatz Amrum auch kenntnisreich beschreiben, man kann sich in Gedanken bestens in die Schauplätze hineinversetzen und mit Aenne die Bohlenwege über die Dünen spazieren.

Veröffentlicht am 22.12.2021

Keine Friedhofsruhe für Violet

Violet und Bones Band 1 - Der lebende Tote von Seven Gates
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Violet wächst im viktorianischen England in einer ganz besonderen Umgebung auf: ihr Vater ist Bestatter und die Familie lebt mit und im Friedhof. Der Tod birgt also keinerlei Schrecken für Violet, ganz ...

Violet wächst im viktorianischen England in einer ganz besonderen Umgebung auf: ihr Vater ist Bestatter und die Familie lebt mit und im Friedhof. Der Tod birgt also keinerlei Schrecken für Violet, ganz im Gegenteil.

Doch eines Tages geschehen seltsame Dinge, der Leichnam eines jungen, unbekannten Toten verschwindet und gleichzeitig bemerkt Violet seltsame Vorgänge auf dem Friedhof, sie sieht den Toten zwischen den Gräbern. Gut, dass sie ihren treuen Hund Bones an ihrer Seite hat, denn schnell wird klar, es ist kein Gespenst. Oliver, so heißt der Junge, ist aus dem Koma erwacht und wollte natürlich so schnell wie möglich verschwinden. Aber er ist zu schwer verletzt, offensichtlich hat ihn jemand niedergeschlagen und für tot gehalten, genau wie es Violets Vater dachte.

Diesem Geheimnis wollen Violet und Oliver auf die Spur kommen, vor allem weil Violets Vater nun selbst unter Verdacht gerät für den Überfall und andere ungeklärte Mordfälle verantwortlich zu sein.

Ich hatte bei der Auswahl dieses Titels nicht darauf geachtet, dass es als Jugendbuch gelistet ist. Deshalb hat mich anfangs der Sprachstil verwundert. Aber als Jugendbuch passt es sehr gut. Es hat genau die richtige Portion viktorianischen Grusel und die Gewitztheit einer jugendlichen Detektivin, die es leid ist, als Mädchen immer nur ein Viertel der Freiheit von Jungen zu haben. Das ist ganz witzig und spannend gestaltet und ich kann mir gut vorstellen, dass die Autorin damit genau den Nerv von jungen LeserInnen trifft.

Eine spannende Geschichte und ein gelungener Reihenauftakt.

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Veröffentlicht am 13.12.2021

Blick über den Stacheldraht

Die Dorfschullehrerin
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Helene nimmt 1961 eine Stelle als Lehrerin in einem kleinen nordhessischen Dorf an. Unweit davon die Grenze und die ganze Gegend als Zonenrandgebiet abgehängt. In der Schule herrschen schlimme Zustände, ...

Helene nimmt 1961 eine Stelle als Lehrerin in einem kleinen nordhessischen Dorf an. Unweit davon die Grenze und die ganze Gegend als Zonenrandgebiet abgehängt. In der Schule herrschen schlimme Zustände, große Klassen, unfähige Lehrer und ständiger Personalwechsel haben die Kinder verunsichert. Mit großer Empathie geht Helene die Aufgabe an und gewinnt bald nicht nur die Herzen der Kinder, sondern auch den Respekt der Dorfbewohner. Auch der Arzt Tobias fühlt sich sehr zur Lehrerin seines Sohnes hingezogen. Aber niemand ahnt die wahren Gründe von Helene, sich ausgerechnet an diesen Ort versetzen zu lassen.

Helene wollte mit ihrem Mann und ihrer Tochter aus der DDR fliehen, doch der Versuch ging schief. Die Tochter wird ihnen weggenommen und sie kommen in Haft, die Helenes Mann nicht überlebt. Mit dieser Wunde lebt Helene und sie sucht wenigstens eine räumliche Nähe zu ihrem Kind, auch wenn die Grenze dazwischen ist.

Die Autorin fängt das Jahr 1961 sehr lebendig ein. Da ist auf der einen Seite das westdeutsche Wirtschaftswunder und damit verbunden die etwas „von oben herab“ Sicht auf die Brüder und Schwestern im Osten. So bekommt Helene auch nur eine befristete Aushilfsstelle, denn ihr Studium wird nicht anerkannt. Gleichzeitig spürt man aber besonders in den Grenzgebieten die Angst vor dem kalten Krieg und der Eskalation. Es gibt Spitzel auf beiden Seiten.

Die Hauptfigur, Helene Werner, ist eine unglaublich sympathische Person. Sie vereinigt alle guten Charaktereigenschaften und sieht dazu noch sehr nett aus. Ihr Umgang mit den Schulkindern lassen ihr die Herzen zufliegen. Da fehlt nur noch ein Heiligenscheinchen. Die Zeichnung der Figuren hätten vielleicht ein paar Facetten mehr verdient, so wirkte es mir zu sehr schwarz und weiß – gut oder böse ohne Zwischentöne. Aber es ist ein Roman, der unterhalten will und seine LeserInnen fesseln und das ist der Autorin auch außerordentlich gut gelungen. Sie schreibt mit Verve und die eingestreuten hessischen Dialektpassagen geben der Geschichte Bodenhaftung und Authentizität.

Ich habe die Geschichte verschlungen und mich von ihrer Emotionalität rühren lassen.

Es ist eine Fortsetzung geplant und darauf freue ich mich schon.

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Veröffentlicht am 30.11.2021

Die chinesischen Jahre der Emily Hahn

Sehnsucht nach Shanghai
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„Wann immer sich mir die Gelegenheit bot, habe ich unbewusst den Weg eingeschlagen, der ins Ungewisse führte.“

Dieses Zitat der amerikanischen Journalistin Emily Hahn beschreibt ihr Lebensmotto. Eine ...

„Wann immer sich mir die Gelegenheit bot, habe ich unbewusst den Weg eingeschlagen, der ins Ungewisse führte.“

Dieses Zitat der amerikanischen Journalistin Emily Hahn beschreibt ihr Lebensmotto. Eine selbstbewusste, Abenteuer liebende Frau, neugierig auf fremde Kulturen und Menschen ist. Das Shanghai der 30ger Jahre ist das Ziel einer Reise, die sie mit ihrer Schwester Helen unternimmt. Shanghai hatte zu dieser Zeit den Beinamen „Paris des Ostens“ trägt. Luxuriöse Einkaufsmeilen und Hotels locken die Reichen aus dem Westen an. Eine Landmarke ist das Cathay Hotel, in dem die beiden Damen die erste Zeit logieren und Emily mit dem Besitzer Victor Sassoon eine besondere Verbindung haben wird.

Aber schon bald möchte Emily das wahre Shanghai kennenlernen und sucht sich eine Wohnung inmitten der Stadt. Sie hat inzwischen den chinesischen Verleger und Schriftsteller Zau Sinmay kennengelernt und sich in den verheirateten Mann verliebt. Als Helen in die Staaten zurückkehrt, bleibt Emily in Shanghai und beginnt ihre Reportagenreihe für das amerikanische Magazin „The New Yorker“. Sie wird eine Institution in der Stadt, immer mit ihren kleinen Gibbons unterwegs, sieht man sie auf den angesagten Festen. Ihre Affäre mit Zau Sinmay verleiht ihr einen verruchten Nimbus. Ihr Wunsch nach einem gemeinsamen Kind bleibt unerfüllt. Selbst als die Situation in Shanghai durch den Überfall der Japaner bedrohlich wird, harrt sie dort aus und steht der Familie Sinmays zur Seite.

Die Romanbiografie der Schriftstellerin Luo Lingyuan hat mich mit dieser außergewöhnlichen Frau bekannt gemacht. Das wird von der Autorin sehr bildhaft in inszeniert. Obwohl ich anfangs nicht viel Sympathie für Emily Hahn entwickelt habe, fand ich diesen Roman eines Lebens spannend und mitreißend erzählt. Shanghai ist eine prächtige Kulisse und die Beschreibungen der Stadt sind großartig. Sehr informativ waren die Beschreibungen der unterschiedlichen Kulturen, die in der Stadt aufeinander prallen. Die Denkweise der Chinesen die sich komplett von den westlichen, meist amerikanischen Bewohnern unterscheiden und Emily als Grenzgängerin mittendrin.

Eine farbige und lebhafte Schilderung, bei der ich viel über den chinesisch-japanischen Konflikt erfahren habe und den Beginn der chinesischen Revolution. Da hätte ich sogar gerne noch mehr erfahren.

Ein fundiertes Nachwort hat mich angeregt mehr über Emily Hahn und ihre Zeit zu erfahren.

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Veröffentlicht am 26.11.2021

Die Neue

Das Geschenk
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Schlechtes Gewissen, Mitleid – es nicht ganz klar, wieso Kathrin die Weihnachtseinladung von Klaus annimmt. Sie waren befreundet, hatten Kinder im gleichen Alter und damals viel gemeinsam unternommen. ...

Schlechtes Gewissen, Mitleid – es nicht ganz klar, wieso Kathrin die Weihnachtseinladung von Klaus annimmt. Sie waren befreundet, hatten Kinder im gleichen Alter und damals viel gemeinsam unternommen. Aber seit Almut vor vier Jahren verstarb, haben sie keinen Kontakt mehr gepflegt. Es war mehr eine Freundschaft zwischen Kathrin und Almut, die die Paare verband.

Nun eben keine stillen Weihnachtstage ohne die erwachsenen Kinder an der Nordsee. Statt dessen ein kleines Kaff in Nordhessen in einem etwas heruntergekommenen Ferienhaus. Aber es sollte alles anders werden. Schon als die Tür geöffnet wird und Sharon, eine Blondine mit rosa Strähnen und Handtaschenhündchen im Arm dasteht, sind geschockt. Noch mehr, als sich Sharon als recht einfach gestrickte Person herausstellt. Für Kathrin ist es fast ein Sakrileg, dass ihre belesene, kluge Freundin Almut durch diese Frau ersetzt wurde.

Wie immer versteht es die Autorin Alina Bronsky ihre Figuren mit wenigen Worten zu beschreiben und zu sezieren. Sie dringt schnell unter die Oberfläche und legt die Schwächen, Ängste und Vorurteile ihrer Protagonisten bloß. Dazu genügen ihr einige pointierte Dialoge und Beschreibungen. Bronsky ist eine Meisterin der hintergründigen Beobachtungen.

Ich habe diese kurze Erzählung mit Vergnügen gelesen, sie hätte für mich auch noch bissiger sein können. Die Verlagsankündigung von schwarzem Humor hat die Geschichte nicht ganz erfüllt.

Es war eine Weihnachtsgeschichte der anderen Art, so ganz ohne Lichterglanz, auch wenn Sharon in ihrer Dekorationswut keine Geschmackslosigkeit ausließ. Und zum Schluss sieht man alle Beteiligten in einem anderen Licht.

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