Profilbild von uli123

uli123

Lesejury Star
offline

uli123 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit uli123 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.04.2022

Flucht vor der Familiengeschichte

Schallplattensommer
0

Aus Alina Bronskys Feder stammen schon einige schöne Jugendromane, und ich würde auch den vorliegenden in diese Gruppe klassifizieren, wenngleich er sich gut von Lesern aller Altersklassen lesen lässt. ...

Aus Alina Bronskys Feder stammen schon einige schöne Jugendromane, und ich würde auch den vorliegenden in diese Gruppe klassifizieren, wenngleich er sich gut von Lesern aller Altersklassen lesen lässt.
Protagonistin ist die fast siebzehnjährige Maserati, die mit ihrer Oma einen heruntergewirtschafteten Gasthof in einem Dorf vermutlich im Brandenburgischen betreibt. An diesen Ort hat sie sich in selbst gewählte Isolation begeben, um sich und die demente Oma vor der Mutter zu schützen. Die konkrete Familiensituation bleibt mysteriös. Es werden allerdings genug Andeutungen gemacht, um sie sich als Leser zusammenfügen zu können. Und das ist gerade typisch für die Autorin, dass sie den Leser mit manchem allein lässt. So dürfte Maseratis Mutter als ganz junge Frau Sängerin gewesen sein und dann den Fuß in die Welt der Schickeria gesetzt haben. Wegen Vernachlässigung ihrer Kinder wurden ihr diese weggenommen. Maserati selbst scheint ebenso den jungen Männern den Kopf zu verdrehen, einem ehemaligen tauben Mitschüler und zwei frisch zugezogenen Cousins aus reichem Hause. So ziehen sich die Andeutungen über Maseratis Familie und das Gefühlschaos in Maserati wegen der jungen Männer durch das Buch. Viele Situationen beruhen auf Missverständnissen. Die Dialoge sind oft lakonisch. Sehr vielfältig sind die vielfältigen Vornamen, mit denen Maserati von dem einen Cousin belegt wird und die allesamt Namen von Autoherstellern sind.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.04.2022

Fesselnde japanische Lektüre über einen mysteriösen Identitätstausch

Das Leben eines Anderen
0

Japanliteratur, soweit ich sie gelegentlich immer mal wieder gelesen habe, wirkt auf den westeuropäischen Leser oft etwas schwermütig, behandelt aber durchweg sehr interessante Themen. Beides trifft auf ...

Japanliteratur, soweit ich sie gelegentlich immer mal wieder gelesen habe, wirkt auf den westeuropäischen Leser oft etwas schwermütig, behandelt aber durchweg sehr interessante Themen. Beides trifft auf den vorliegenden Roman zu, der aus der Feder eines japanischen Bestsellerautors stammt und sein erster ins Deutsche übersetzte ist.
Schwermütig und grüblerisch ist auch der Protagonist, ein renommierter Zivilrechtsanwalt aus Yokohama. Im Auftrag einer früher von ihm vertretenen Mandantin stellt er Ermittlungen über deren zweiten Ehemann an, der, wie sich nach dessen Tod herausstellt, aus in seiner Vergangenheit liegenden Gründen unter einer anderen Identität als der von ihm vorgegebenen lebte. Akribisch und nach Art eines Detektives ergründet Kido dessen Leben und findet Puzzleteil um Puzzleteil. Dabei deckt er ein komplexes Netz von Identitätstauschen auf. Es handelt sich um eine höchst interessante und spannende Geschichte, die da zu Tage befördert wird. Den nicht japanischen Leser wie mich verwirrt sie allerdings angesichts der vielen kaum unterscheidbaren japanischen Namen von involvierten Personen und von Orten in Japan. Hier wäre ein kleines Glossar von Hilfe gewesen. Zusätzlich fasziniert der Roman dadurch, dass Kido anlässlich seiner Recherchen mit dem eigenen Schicksal als Angehöriger einer Minderheit in Japan und dem dort zunehmenden Rassismus hadert und nachdenkenswerte Überlegungen dazu anstellt, wie es wäre, wenn auch er sich das Leben eines Anderen aneignen würde. Wer noch nicht japankundig ist, wird viele interessante Aspekte zum Land und zur Gesellschaft finden, die dann zum Weiterstöbern animieren.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 06.04.2022

Von verpassten Chancen

Boy meets Girl
0

Protagonistin ist die etwa 50jährige Paartherapeutin Nora, die mit ihrem eigenen Beziehungsleben so gar nicht zurechtkommt. Immer wieder von ihrem Ehemann betrogen, bringt eine letzte Untreue das Fass ...

Protagonistin ist die etwa 50jährige Paartherapeutin Nora, die mit ihrem eigenen Beziehungsleben so gar nicht zurechtkommt. Immer wieder von ihrem Ehemann betrogen, bringt eine letzte Untreue das Fass zum Überlaufen und es kommt zur Trennung. Ersatz findet sie schnell in dem jüngeren Englischreferendar Gregory und ihrem besten Freund Yann, den sie zufällig wiedertrifft. So recht weiß sie nicht, was und wen der beiden sie will. Sie hat hohe Ansprüche und möchte für einen Partner die Frau des Lebens sein. Verpassten Chancen mit Yann trauert sie hinterher. Außer diesen drei Personen spielen am Rande eigentlich nur noch eine Rolle Noras beste Freundin und ihre betagten, kranken Eltern, während der Noch-Ehemann und ihre erwachsene Tochter sich rarmachen.
Um eine Liebesgeschichte im klassischen Sinne handelt es sich nicht. Es werden sehr viele Reflektionen von Nora über ihr Leben wiedergegeben. Ihr ständiges Hin- und Hergerissensein wird nach meinem Eindruck zu sehr in die Länge gezogen und die Handlung tritt auf der Stelle. Der ruhige Erzählton lässt sich angenehm lesen.
Alles in allem ein schönes Buch.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.03.2022

Über eine Flucht aus dem Irak - sehr aktuell

Der Erinnerungsfälscher
0

Vieles von dem, was der Autor seinen Protagonisten Said erzählen lässt, ist wohl biografisch. Denn beide sind als junge Männer aus dem Irak über mehrere Stationen in verschiedenen Ländern nach Deutschland ...

Vieles von dem, was der Autor seinen Protagonisten Said erzählen lässt, ist wohl biografisch. Denn beide sind als junge Männer aus dem Irak über mehrere Stationen in verschiedenen Ländern nach Deutschland geflohen, um hier nach vielen Hürden Literatur zu studieren und letztlich Bücher zu schreiben. Said, inzwischen etwa 40 Jahre alt, begibt sich nach einem Anruf seines Bruders Hals über Kopf nach Bagdad, um noch einmal seine im Sterben liegende Mutter zu sehen. Auf der Reise gehen seine Gedanken immer wieder zurück an sein früheres Leben im Irak und die Stationen seiner späteren Flucht. Das eigentlich Faszinierende an den fragmentarischen Schilderungen ist, dass stets ungewiss bleibt, ob Saids Erinnerungen so tatsächlich zutreffen. Denn er leidet an einer Erinnerungsschwäche, der er mit einer Erinnerungsverfälschung entgegentritt. Doch egal, ob Said sich des fiktiven Ergänzens, des beliebigen Ausschmückens oder des unabsichtlichen Veränderns eigener bestehender Gedächtnisinhalte bemächtigt, herausgekommen ist auf jeden Fall ein packendes Schicksal eines Flüchtlings.
Sehr lesenswert gerade aktuell mit neuerlichen Flüchtlingsströmen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.03.2022

Faszinierender Roman mit merkwürdigen Erzählperspektiven

Wir sind das Licht
0

Ein bisschen Krimi, ganz viel Gesellschaftsroman – und herausgekommen ist ein sehr moderner, faszinierender Roman. Krimiartig ist, dass die Polizei gegen drei Bewohner einer Wohngruppe ermittelt, weil ...

Ein bisschen Krimi, ganz viel Gesellschaftsroman – und herausgekommen ist ein sehr moderner, faszinierender Roman. Krimiartig ist, dass die Polizei gegen drei Bewohner einer Wohngruppe ermittelt, weil eine vierte Bewohnerin dort vor ihren Augen an Unterernährung gestorben ist. Vorrangig aber geht es um eine merkwürdig anmutende Kommune, deren manipulative und dominante Anführerin einer Bewegung anhängt, die gebietet, mit der Nahrungsaufnahme aufzuhören und stattdessen von Licht zu leben sowie zu meditieren und gemeinsam zu musizieren. Das Besondere ist die Erzählweise. Die Geschichte wird aus zahlreichen Perspektiven erzählt, wobei es sich hier nur wenige Male um die von Menschen (z.B. der Eltern, Nachbarn) handelt, und überwiegend um die von Sachen (z.B. Kugelschreiber, Entsafter).
Eine interessante Leseerfahrung, auch wenn man mit der dargestellten Lehre wenig anfangen kann.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere