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Veröffentlicht am 02.12.2024

Phyllida Brights dritter Fall oder "Wie man mit Hilfe des Vac-Tric(k)s Täter entlarvt"

Der Krimidinnermord
7

Mit dem Roman „Der Krimidinnermord“ legt Colleen Cambridge nach „Die Dreitagemordgesellschaft“ und „Der Cocktailmörderclub“ den bereits dritten Band ihrer Serie um die Hobbyermittlerin Phyllida Bright ...

Mit dem Roman „Der Krimidinnermord“ legt Colleen Cambridge nach „Die Dreitagemordgesellschaft“ und „Der Cocktailmörderclub“ den bereits dritten Band ihrer Serie um die Hobbyermittlerin Phyllida Bright vor. Letztere ist nicht nur eine Meisterdetektivin im Lösen von Kriminalfällen, sondern auch die äußerst gewissenhafte Haushälterin auf Mallowan Hall - dem Anwesen der ‚Queen of Crime‘ Agatha Christie - wo sie penibel für Ordnung sorgt. Dabei gerät sie immer wieder in humorvolle und teils hitzige Auseinandersetzungen mit dem Butler Mr. Dobble sowie dem Chauffeur Bradford und dessen Hündin Myrtle. Im aktuellen Band gesellen sich zudem weitere Konkurrenten dazu, die um die Gunst von Mrs. Bright buhlen.
Wie in den vorherigen Bänden ist auch der Plot von „Der Krimidinnermord“ gleichermaßen drollig, spannend und hochinteressant. Alles beginnt mit einer kleinen Auseinandersetzung zwischen Küchenmädchen Molly und Hausmädchen Ginny, zwei von Phyllida Brights Lieblingsangestellten, bei der die beiden auf eine ungeschickte, aber niedliche Weise Tropfspuren und Aschewölkchen hinterlassen – zum Leidwesen der Haushälterin, die diese sowohl auf dem Teppich als auch in ihren Haaren wiederfindet. Natürlich hat Mr. Dobble hierbei seine Finger im Spiel.
Im Anschluss an eine Einladung der neuen Nachbarn, die mit dem sybillinischen Motto ‚Heute Abend wird in Beecham House ein Mord geschehen‘ locken, geht es dann nach einem Telefonat mit Agatha Christie – die derzeit mit ihrem Mann in London weilt - direkt in die Nachbarschaft von Mallowan Hall zum „Krimidinnermord“. Doch statt eines echten Mordes handelt es sich lediglich um ein Rollenspiel, bei dem der Gastgeber mit Begeisterung den ‚Ermordeten‘ mimt. Doch ehe sich der Leser und der Hausherr Wokesley versehen, ist der Gastgeber tatsächlich tot – erstochen mit einem spitzen Dolch. Anfänglich noch etwas gelangweilt von dem inszenierten Mord, wird der Tod des reichen Industriellen für Phyllida Bright nun der perfekte Einstieg in ihren neuen Fall. Eine Vielzahl an rätselhaften Personen kommt als Täter in Frage, und jede von ihnen hat ein überzeugendes Motiv.

Wie es typisch für das Cosy-Crime-Genre ist, versteht es die Autorin auch hier glänzend, die Protagonisten des Plots intensiv und charakterstark zu zeichnen – gepaart mit hervorragend dosiertem, ironischem Humor. Mit ihrem lockeren, leichten und dennoch ausdrucksstarken Schreibstil gelingt es Colleen Cambridge die jeweilige Kulisse stets lebendig vor den Augen der Leser*innen zu entwerfen und sie unmittelbar ins Geschehen hinein zu ziehen. Der Spannungsbogen bleibt kontinuierlich erhalten und das Buch entwickelt sich zu einem flotten Pageturner, welcher in einem rasanten, vielleicht etwas zu actionreichen Showdown gipfelt.
Trotz der gelungenen Kombination von Spannung und Humor bleibt der Wunsch zum ausgiebigen Miträtseln zumindest phasenweise unerfüllt. An einigen kriminalistischen Stellen wirkt die Story zudem etwas zu konstruiert. Dies steht im Gegensatz zu den beiden Vorgängerbänden, in denen sowohl das Mitraten, als auch Phyllidas brillanter Ermittler- und Kombinationsgabe einen entscheidenden Teil des Lesevergnügens ausmachten. Hier konnte man jederzeit mit falschen Fährten und unerwarteten Wendungen rechnen. In „Der Krimidinnermord“ jedoch scheint unsere Hobbyermittlerin wiedeholt etwas unaufmerksam und übersieht Details, die der Leserschaft sofort ins Auge springen. Manche Passagen wirken zudem eine Spur zu vorhersehbar, sodass das „Cosy“ an einigen Stellen das „Crime“ zu dominieren scheint.

Dessen ungeachtet weiß der „Krimidinnermord“ insbesondere auf der atmosphärischen Ebene mehr als nur zu überzeugen: Alle handelnden Personen besitzen ausreichend viel Tiefe sowie authentische Verstrickungen untereinander. Auch das Lokalkolorit wird wunderbar eingefangen. Darüber hinaus erfahren wir im aktuellen Band etwas mehr über Gefühle, Hintergründe und die Vergangenheit einiger Protagonisten, und es bleibt spannend, wie sich diese Entwicklungen in den kommenden Bänden in Bezug auf Beziehungen und Romantik aber auch Enttäuschungen entfalten werden. Zudem gibt es erste Andeutungen zu Phyllida Brights eigener Vergangenheit, die Potenzial für weitere Enthüllungen in Band 4 bietet. Kulisse, Lebensstil und -kultur der 1930‘er werden historisch korrekt wiedergegeben und und wir dürfen humorvoll erleben, wie die Menschen dieser Zeit ihre ersten Bekanntschaften mit modernen Geräten wie dem neuen Vac-Tric Staubsauger machten.

Das Cover, das vorwiegend in den Farben Rot, Blau und Schwarz mit weißen Schriftzügen gehalten ist, folgt dem Stil der Vorgängerbände und trägt so zu einem hohen Wiedererkennungswert bei. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass es – wie schon bei den beiden vorigen Bänden – bei genauerem Hinsehen einiges über den Täter verraten könnte. Dies wurde im englischen Original deutlich besser gelöst.

Fazit: Insgesamt ist „Der Krimidinnermord“ ein weiterer gelungener Band in Colleen Cambridges Cosy-Crime-Serie um Phyllida Bright, in dem Spannung, Humor, Atmosphäre sowie Lokalkolorit auf ausgewogene Weise miteinander verknüpft werden und der im Rahmen des Genres in jeglicher Hinsicht zu gefallen weiß. Lediglich der Wunsch zum ausgiebigen Miträtseln bei den Ermittlungen kommt etwas zu kurz. Obwohl „Der Krimidinnermord“ völlig unabhängig von den beiden Vorgängerbänden gelesen werden kann, ist es für Leser, die bereits Band 1 und 2 kennen, besonders erfreulich, vertraute Figuren wiederzutreffen. Für Fans der Phyllida Bright Reihe ist dieser Band ein absolutes Muss, und auch Anhänger von Agatha Christies Serien rund um Miss Marple und Hercule Poirot finden hier eine erfrischend neue und empfehlenswerte Alternative. Der vierte Band „Murder Takes the Stage (A Phyllida Bright Mystery Book 4)“ ist im englischen Original bereits seit Oktober 2024 erhältlich, und wir dürfen der deutschen Übersetzung im kommenden Jahr entgegen fiebern. Persönlich freue ich mich bereits jetzt schon sehr darauf ihn dann lesen und genießen zu dürfen.

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Veröffentlicht am 15.05.2022

Jazz-Variante der bekannten Kindergeschichte

Peterchens Mondfahrt
3

Klappenetxt: »Sumsemann hieß der dicke Maikäfer, der im Frühling auf einer Kastanie im Garten von Peterchens und Annelieses Eltern hauste, nicht weit von der großen Wiese mit den vielen Sternblumen ...« ...

Klappenetxt: »Sumsemann hieß der dicke Maikäfer, der im Frühling auf einer Kastanie im Garten von Peterchens und Annelieses Eltern hauste, nicht weit von der großen Wiese mit den vielen Sternblumen ...« – So beginnt die phantastische Geschichte des berühmten kleinen Maikäfers, der sich mit Hilfe zweier Kinder auf eine abenteuerliche Reise begibt, um sein verlorenes sechstes Beinchen wiederzuholen.
Diesen Klassiker der deutschen Kinderliteratur haben Vibraphonist Volker Heuken mit seiner Band und Schauspieler Stefan Kaminsky behutsam adaptiert, verjüngt und das geschriebene Wort in ganz neuer Interpretation zum jazzigen Hörerlebnis gemacht. »Fly me to the moon« summt die Nachtfee, und Musik und gelebte Sprache vermischen sich zu etwas Neuem, Ungehörtem: Einem zeitlos musikalisch-literarischen Cross-Over, das zum Phantasieren und Mitreisen einlädt.

Die „Jazz für Kids“-Variante von Gerdt von Bassewitz‘ „Peterchens Mondfahrt“ ist eine recht interessante und moderne Variante seiner Ursprungsfassung, kindergerecht aufbereitet und wunderbar mit einfacher Jazz-Musik untermalt. Die Fassung scheint im Vergleich zum Original ein wenig gekürzt, aber alle Elemente rund um den dicken, Geige-spielenden Maikäfer Sumsemann und die braven Kinder Peterchen und Anneliese, das Sandmännchen, die Milchstraße, den großen Bären, die Nachtfee, den Mondmann und alle anderen wichtigen Charaktere sind wunderbar inszeniert.

Mir persönlich hat die hier vorgestellte Variante sehr gut gefallen. Für meine Kinder im besten Teenageralter kommt diese Fassung leider ein wenig zu spät, aber für Kinder bis 8-9 Jahre findet man hier eine ideale Gelegenheit, Kinder dieses Alters mit einer spannenden Geschichte an Jazz-Musik ein wenig heran zu führen und damit vertraut zu machen … und auch für uns Eltern ist es durchaus, beispielsweise bei etwas längeren Autofahrten, mithörbar, wie unser Maikäfer Sumsemann sein seit Generation fehlendes 6. Beinchen wieder zurückbekommt. Darüber hinaus ist das Hörbuch großartig vom deutscher Schauspieler Stefan Kaminsky gesprochen und auch das Buchcover ist grandios gestaltet. Zusätzlich zur überzeugenden musikalischen Untermalung wird auch die Geräuschkulisse recht gut eingesetzt.

Und zuletzt, unbedingt nochmal nachzählen, ob nun auch alle Beinchen wieder dran sind, bevor unser lieber Herr Sunsemann nach seiner Rückkehr von der Mondfahrt - dieses Mal hoffentlich ohne Schnaps zu trinken - weit, weit fort fliegt.

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Veröffentlicht am 11.04.2022

So wird in der modernen Biologie Leben definiert

Was ist Leben?
5

Mit „Was ist Leben?: Die fünf Antworten der Biologie“ hat Paul Nurse ein wunderbares Buch über das Leben oder genauer gesagt darüber, was er darunter versteht, geschrieben. Und mal ganz ehrlich, wer sollte ...

Mit „Was ist Leben?: Die fünf Antworten der Biologie“ hat Paul Nurse ein wunderbares Buch über das Leben oder genauer gesagt darüber, was er darunter versteht, geschrieben. Und mal ganz ehrlich, wer sollte es denn besser wissen, als er, der sogar Nobelpreisträger auf diesem Gebiet ist.

Klappentext: Was ist Leben? Und was bedeutet die Antwort auf diese Frage für die Herausforderungen, denen sich die Menschheit heute gegenübersieht – Klimawandel, Pandemien und Artensterben? Paul Nurse erhielt den Nobelpreis dafür, gezeigt zu haben, wie lebende Zellen funktionieren. In seinem so klar wie elegant verfassten Buch synthetisiert er auf wenigen Seiten sämtliches Wissen darüber, was es heißt, am Leben zu sein. Schritt für Schritt erläutert Nurse die fünf revolutionären Ideen, die der Biologie zugrunde liegen – die Zelle, das Gen, Evolution durch natürliche Selektion, das Leben als Chemie und das Leben als Information.

Der Klappentext gibt dem Leser bereits einen hervorragenden Überblick, um was es im Einzelnen in diesem insgesamt eher kurz gehaltenen Buch geht, in erster Linie also um Zellen, Gene und Evolution. Insgesamt ist das Buch ganz nett geschrieben, an manchen Stellen gehen mir die vermittelten Kenntnisse als Wissenschaftler allerdings nicht tief genug, an anderen fühle ich mich wiederum als der Biologie Fach-fremdem Forscher auch ein wenig überfordert. Im Mittel scheint somit also alles wiederum sehr gut zu stimmen. Am meisten begeistern mich aber die kleinen Anekdoten, die Nurse einfach mal so am Rande erzählt, wie beispielsweise seine Erfahrungen seiner eigenen Studenten-, Doktoranden- oder Post-Doc-Zeit. Hier dürften bei jedem Naturwissenschaftler eigene Erfahrungen wieder erwachen und man ließt diese Abschnitte mit Begeisterung und mehr als einem Schmunzeln auf den Lippen: Aha, selbst solchen beeindruckenden Größen auf ihrem Gebiet erging es so! Besonders interessant finde ich zudem, dass man zum Herausarbeiten, was vielen Lebewesen in den Zelleigenschaften gemeinsam ist, so weit zurückgeht, dass sich als repräsentatives Beispiel die Hefe ergibt – sie taugt also zu weit mehr als nur fürs Bier oder den Kuchen. Und ganz offensichtlich hat das auch bestens funktioniert, wie die Arbeiten und Ergebnisse von Paul Nurse eindrucksvoll beweisen.
Insgesamt also ein sehr interessant, spaßig und lehrreich geschriebenes Buch, das für jeden, der sich dieser Thematik ein wenig fundierter widmen möchte, hilfreich und unterhaltsam sein dürfte. In der Hörbuchvariante wird das Buch im Übrigen sehr eindrucksvoll von Stefan Nass gesprochen.

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Veröffentlicht am 09.03.2022

Glaubhafte Auseinandersetzung mit Mobbing, Erpressung und Vergewaltigung

Vertraute Qualen
6

„Vertraute Qualen“ ist der zweite Band von Kirsten Nähles Kriminalroman-Trilogie und somit Nachfolger ihes Krimi-Debüts „Zwölf Sünden“. Widerum steht das Würzburger Ermittler-Duo Victoria Stahl und Daniel ...

„Vertraute Qualen“ ist der zweite Band von Kirsten Nähles Kriminalroman-Trilogie und somit Nachfolger ihes Krimi-Debüts „Zwölf Sünden“. Widerum steht das Würzburger Ermittler-Duo Victoria Stahl und Daniel Freund im Mittelpunkt des Geschehens. Recht unterhaltsam wird der Leser gleich von Beginn an mitten in die Handlung geworfen und es dauert einen Augenblick bis er sich zu orientieren vermag. Sobald man aber die Protagonisten von den Nebencharakteren zu unterscheiden gelernt hat, lässt sich der Handlung leicht und problemlos folgen.

Gleich zu Beginn befindet sich der 16-jährige Leon angetrunken auf dem Nachhauseweg von einer Party. Den letzten Bus hat er verpasst, seine ein Jahr jüngere Freundin Marie war nicht auf der Party und in der Hoffnung bei ihr übernachten zu dürfen, ruft er sie an. Marie nimmt seinen Telefonanruf allerdings nicht entgegen und so muss er also mit einem längeren Fußmarsch ans andere Ende der Stadt vorlieb nehmen, bis ein Auto anhält und ein ihm bekannter Fahrer vorschlägt ihn heim zu fahren. Leon steigt zögerlich ein und es wird lange dauern bis wir wieder von ihm hören - auf welche Weise sollte an dieser Stelle nicht vorweggenommen werden. Weitere männliche Teenager aus Leons Klasse verschwinden und gleich mehrere Personen, unter ihnen auch die Lehrer der Schüler, geraten als potentielle Täter ins Fadenkreuz der Ermittlungen und stehen unter Verdacht. Besondere Brisanz und Dramatik erhält der Plot dadurch, dass Leons Freundin Marie die Tochter der ermittelnden Oberkommissarin Stahl ist. Zu den Hauptcharakteren hinzu gesellt sich der schüchterne Außenseiter Samuel, der von seinen Mitschülern keinerlei Beachtung findet, gemobbt, erpresst und aufs Übelste erniedrigt wird. Darüber hinaus werden dann als Ausgleich zur spannenden Haupthandlung und zur durchaus sehr kritischen Thematik des Mobbings zum Durchatmen für den Leser die jeweiligen privaten Probleme in Ehe bzw. Beziehung des Ermittlerduos mit eingestreut und es entfaltet sich eine durchaus interessante Kriminalgeschichte, bei welcher der Leser über weite Strecken die Gelegenheit zum Mitermitteln und -rätseln bekommt. Die Handlung folgt dabei einem „Geradeauskurs“ ohne größere Schnörkel und Abschweifungen.

Insgesamt ist der flotte Schreibstil von Kirsten Nähle sprachlich eher einfach gehalten, Sätze sind nur äußerst selten kompliziert aufgebaut. Die einzelnen, kurzen Kapitel aus diversen Perspektiven sind mit den jeweiligen Namen der Protagonisten überschrieben. Die Geschichte wird auch Tempo-reich, recht spannend und schlüssig erzählt, ohne zu viel vorab bereits zu verraten, ist für den Leser auch sehr gefällig geschrieben und ein Spannungsbogen wird zunehmend aufgebaut - ja, bis zu dem Punkt, als sich der Täter dann zufällig, unvorsichtig und völlig unnötigerweise im Prinzip fast schon selbst verrät. Hier gibt es eine etwas enttäuschende Wendung und ab diesem Zeitpunkt ist die Handlung dann äußerst vorhersehbar und leider reißt hier dann auch der zuvor aufgebaute Spannungsbogen zwar nicht komplett, aber dennoch spürbar ab. Trotzdem ist der Krimi weit davon entfernt, ein schlechter Roman zu sein und in einer Hinsicht dann sogar mehr als herausragend: Denn Kirsten Nähle greift einige Probleme der heutigen Gesellschaft auf und thematisiert insbesondere Mobbing, Erpressung, Vergewaltigung und Sex mit Minderjährigen – nicht, dass es das nicht schon immer gegeben hätte, aber diese sehr problematischen Herausforderungen haben in der heutigen Zeit enorm zugenommen und sind bedauerlicherweise bereits zum Alltagsgeschehen geworden. Und in der Auseinandersetzung mit genau dieser Problematik besteht die eigentlich wahre Stärke des Buches. Ohne große Umschweife wird dies hier nicht tabuisiert, sondern in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt, was den Leser zum Nachdenken über sich selbst, seine Kinder oder Enkel ermuntert und die Frage aufwirft, wo habe ich in der Vergangenheit vielleicht selbst jemanden gemobbt, allzu leicht und bequem weggesehen oder möglicherweise zumindest nicht entschieden genug dagegen opponiert. Äußerst sympathisch ist in diesem Zusammenhang ferner, dass das Ermittler-Duo, unterstützt durch weitere Personen in ihrer Einheit bei der Kriminalpolizei, nicht einfach nur seinen Job durchführt, sondern mehrfach auch sich selbst kritisch nach Fehlern und Versäumnissen hinterfragt.

Bis sich dem Leser die Bedeutung des Buchcovers, eine hellblaue Gartenlaube auf einem kleinen Grundstück in einen gelblichen Schimmer getaucht, oder der Buchtitel „Vertraute Qualen“ erschließen, dauert es eine gehörige Weile, final wird ihm der Zusammenhang dann aber nach ca. 2/3 des Buches komplett klar.

Fazit: „Vertraute Qualen“ ist der spannende zweite Band von Kirsten Nähles Kriminalroman-Trilogie, der durchaus zu überzeugen vermag, bei welchem jedoch ab einem gewissen Punkt die Handlung ein wenig zu vorhersehbar wird. Unterm Strich bleibt aber die Spannung dennoch einigermaßen erhalten und seine größte Bedeutung erhält der Kriminalroman durch seine kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Thematik von Mobbing, Erpressung und Vergewaltigung in der heutigen Gesellschaft. Auf dieser Ebene besticht „Vertraute Qualen“ und ragt im Vergleich zu anderen Büchern dieses Genres deutlich heraus. Als Leser dürfen wir nun dem bereits angekündigten dritten und letzten Band der Trilogie „Frische Wunden“ entgegen fiebern, in welchem eine Frau grausam getötet und ein Baby entführt wird. Wir dürfen gespannt sein, wie Victoria Stahl und Daniel Freund in diesem Fall dann ermitteln und ihn lösen werden.

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Veröffentlicht am 11.08.2021

Hochspannung trotz oder wegen totalen Internetausfalls

Systemfehler
4

Das Buch „Systemfehler“ von Wolf Harlander ist ein hoch-spannender, leicht dystopischer Thriller, der sich mit dem interessanten Szenario auseinandersetzt, was bei einem europaweiten Ausfall des Internets ...

Das Buch „Systemfehler“ von Wolf Harlander ist ein hoch-spannender, leicht dystopischer Thriller, der sich mit dem interessanten Szenario auseinandersetzt, was bei einem europaweiten Ausfall des Internets eintreten könnte. Die Fragestellung des „Was wäre, wenn tatsächlich das Internet von einem zum nächsten Moment ausfallen würde?“ wird dabei so authentisch und realitätsnah beschrieben, dass sich der Leser unmittelbar in die Handlung hinein versetzt fühlt und durchweg am Puls dieser Geschichte verbleibt.

Protagonist Daniel Faber ist IT-Experte in einer Spielesoftware-Entwickler-Firma. Als Marketing-Manager hat er Zugriff auf die Spiele-Software bereits lange vor der offiziellen Veröffentlichung. Details zur neuesten Spiele-Entwicklung „Cyber Nation War“ unterliegen allerdings höchster Geheimhaltung und so darf Sohnemann Ben ausnahmsweise dieses Brand-aktuelle Online-Spiel nicht vorab installieren und kennenlernen, wie sonst üblich. Unerlaubt verschafft sich Ben dennoch Zugang zum Spiel und verbreitet vermutlich dadurch ein äußerst übles Virus im Internet. Das verschärft einerseits Daniels Eheprobleme mit seiner Frau Isabelle und kostet ihn seinen Job, andererseits ruft es den BND auf den Plan, der fortan Daniel im Nacken sitzt. Exemplarisch an Daniels Familie - neben Daniel und Ben gehören auch Daniels Frau Isabelle, seine beiden Töchter Carolin und Sophie, seine Schwester Claudia, die Ärztin in einem Hamburger Krankenhaus ist, und seiner Mutter in Nürnberg zu den Protagonisten – demonstriert Wolf Harlander, welche Konsequenzen ein solcher Totalausfall des Internets nach sich zieht. Der BND wird in erster Linie durch die Protagonisten Nelson Carius und seine Kollegin Diana vertreten. Es entspinnt sich ein Horrorszenario, in welchem Flugzeuge abstürzen, Patienten auf Intensivstationen sterben, Wasser- und Lebensmittelversorgung zusammenbrechen, Bus- und Bahnverkehr lahmgelegt sind und vieles mehr. Und natürlich machen sich politische Gruppierungen die Situation zu Nutzen und suchen ihren Vorteil.

Der Schreibstil von Autor Wolf Harlander ist unkompliziert und sehr flott, wodurch der Spannungspegel stets sehr hoch gehalten wird. Auch der ständige Perspektivenwechsel, bei dem die Handlung aus Sicht diverser Protagonisten erzählt wird, trägt erheblich dazu bei, dass beim Leser nie das Gefühl von Langeweile auch nur im Entferntesten aufkeimen könnte. Kleines Manko ist für mich, dass Wolf Harlander wohl die Zahl der Charaktere überschaubar halten wollte und der Plot somit representativ auf Daniels Familie zurecht gezimmert wurde. Hier kommen eine Menge Zufälle natürlich zusammen, sodass alle Familienmitglieder die relevanten Berufe, notwendigen Charakteristika und Interessen haben. Andererseits wäre die Handlung erheblich komplexer geworden und die Anzahl an Charakteren zusammen mit dem Buchumfang immens angestiegen, wenn Wolf Harlander dies auf weitere Charaktere verteilt hätte. Das Cover des Buches ist grandios und fantastisch passend zur Handlung des Buches ausgewählt. Die Hörbuchversion wird hervorragend von Uve Teschner gelesen.

Fazit: Wolf Harlander hat mit seinem Thriller „Systemfehler“ ein zwar hypothetisches, dafür aber überaus realitätsnahes Szenario darüber geschildert, welche katastrophalen Folgen ein Ausfall des Internets in unserer modernen Gesellschaft unmittelbar nach sich ziehen würde. Der Leser befindet sich immer mitten in der Handlung und wird in Zeiten von Hackerangriffen zum darüber nachdenken angeregt, was in solch einer Situation alles passieren könnte und wie abhängig unsere Gesellschaft von der modernen Computerwelt und von einem intakten Internet geworden ist. Viel besser als in „Systemfehler“ lässt sich das kaum vor Augen führen.

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