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Veröffentlicht am 10.09.2022

Der BBC-Kochwettbewerb

Die Köchinnen von Fenley
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"Die Köchinnen von Fenley" von Jennifer Ryan wird im Oktober 2022 (brosch, 504 S.) im Verlag Kiepenheuer & Witsch verlegt: Ich hatte das Vergnügen, diesen sehr herzerwärmenden und atmosphärischen Roman ...

"Die Köchinnen von Fenley" von Jennifer Ryan wird im Oktober 2022 (brosch, 504 S.) im Verlag Kiepenheuer & Witsch verlegt: Ich hatte das Vergnügen, diesen sehr herzerwärmenden und atmosphärischen Roman vorab lesen zu dürfen.

England, 1942, Dorf Fenley:

Um die Moral der Menschen in Kriegszeiten zu stärken, in der die Bevölkerung mit Rationierungen der Lebensmittel auskommen musste, soll Ambrose Hart, der BBC-Moderator der Radiobeiträge "Kitchen Front", einen Wettbewerb ausrufen, um einen weiblichen Co-Moderation zu gewinnen. Diesem Kochwettbewerb stellen sich 4 sehr unterschiedliche Frauen, die allesamt von einem neuen und vor allem besseren Leben träumen. Wer der Ladys wird den Wettbewerb gewinnen?

Meine Meinung:

Wir lernen hier vier sehr liebenswürdige junge Frauen kennen wie auch ihre familiären Hintergründe (gut, eine der Frauen ist anfangs alles andere als liebenswürdig; wandelt sich jedoch im Laufe der Handlung, so dass immer mehr Verständnis und auch Sympathie aufkommt). Zwei sehr ungleiche Schwestern bewerben sich: Audrey und Gwendoline: Erstere verlor ihren Mann Matthew im Krieg und hat drei Söhne durchzubringen sowie die Angst auszuhalten, ihr Haus zu verlieren, das ohnehin sanierungsbedürftig ist. Gwen hat es da gut getroffen: Sie hat Sir Strickland, einen sehr reichen und ebenso ehrgeizigen und an Aufstieg bedachten Mann geheiratet, hilft Audrey finanziell, lässt diese jedoch spüren, dass "sie es bereits schaffte" und auch den Kochwettbewerb mit Selbstverständlichkeit gewinnen will: Dabei greift sie auch auf unerlaubte Unterstützung durch einen Chefkoch, der wiederum bereits im Leben von Zelda Dupont (ihr eigentlicher Name lautet anders) Spuren hinterlassen hat. Als Quartiersmeisterin bringt Gwen eine schwangere Evakuierte bei Audrey unter, die ihrerseits bereits mehr als ausgelastet ist, zumal sie ihr Zubrot durch Backen und Kochen damit verdient, bis in die Nacht hinein in ihrer Küche zu stehen (u.a. versorgt sie Fenley Hall, das Gwen mit Sir Strickland bewohnt, mit diversen Köstlichkeiten aus ihrem Garten). Zelda arbeitet als Chefin in der Küchenbrigade der Fabrik und legt als gelernte Köchin ("Haute Cuisine") viel Wert auf Qualität - in Zeiten des Krieges allerdings mehr als schwierig, wie sich herausstellen sollte. Auch sie ist ehrgeizig und will ein selbständiges Leben führen, in einem sehr guten Restaurant arbeiten wie zuvor in London. Die vierte im Bunde ist Nell Brown, ein Küchenmädchen von Fenley Hall, einst im Waisenhaus aufgewachsen, unsicher mit wenig Selbstwertgefühl, allerdings sehr talentiert und kreativ in der Küche, die sie mit ihrer Mentorin, Mrs. Quince, der alten Köchin von Fenley Hall, teilt: Besonders diese Figur geht aus ihrer anfänglichen Schüchternheit heraus und wird selbstsicherer, um ihres italienischen Freundes willen und besonders für Mrs. Quince! So begleiten wir die Frauen, die sich immer mehr annähern und feststellen, dass Solidarität in schwierigen Zeiten unerlässlich ist für das persönliche Glück und Weiterkommen, durch die 3 Teile des Wettbewerbs, die stilistisch für die drei Romanteile stehen: Die Vorspeise, das Hauptgericht und - das Dessert.

Wie im Romanvorgänger (Der Frauenchor von Chilbury) versteht es Jennifer Ryan auch hier, sehr viel Atmosphäre in die Handlung zu bringen; die Figuren sehr gut und detailliert auszuleuchten und es zu ermöglichen, Sympathie beim Lesen für jede Frau zu empfinden, die sich durch Stärke, Freundschaft und Zusammenhalt in Kriegszeiten auszeichnen. Zudem hervorragende Köchinnen sind und sich dem Wettbewerb stellen.

Fazit:

Eine gelungene Hymne an die Freundschaft und den Zusammenhalt sowie Solidarität, zu der Frauen gerade in schwierigen Zeiten wie hier dem 2. Weltkrieg, fähig sind: EngländerInnen lieben Wettbewerbe und die Radiosendung "Kitchen Front" hat es in der Tat bei BBC gegeben, wurde ab 1942 ausgestrahlt. Die Basis dieses Romans waren Gespräche mit Zeitzeugen und ist eine Hymne auf die menschliche Stärke in schweren Zeiten sowie Solidarität! Da zudem ein hoher Unterhaltungsfaktor hinzukommt, gebe ich die volle Punktzahl und empfehle den Roman sehr gerne weiter!

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Veröffentlicht am 01.06.2022

Sturm über den Highlands

Sturm über den Highlands
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"Sturm über den Highlands" von Sybille Baecker erschien (TB) 2022 im emons-Verlag, Ich kannte diese talentierte Autorin noch nicht bisher und würde mich auf jeden Fall über eine mögliche Fortsetzung freuen!


Inhalt:


Douglas ...

"Sturm über den Highlands" von Sybille Baecker erschien (TB) 2022 im emons-Verlag, Ich kannte diese talentierte Autorin noch nicht bisher und würde mich auf jeden Fall über eine mögliche Fortsetzung freuen!


Inhalt:


Douglas MacKeith macht auf seiner Farm in Caithness eine schreckliche Entdeckung: Einige seiner Schafe wurden brutal getötet. Alison Dexter, private Ermittlerin aus Inverness und Freundin der Familie, reist in die nördlichen Highlands, um vor Ort zu recherchieren. Unterwegs nimmt sie die Backpackerin Kimberly mit, nicht ahnend, dass sie mit der jungen Frau noch mehr Unruhe in ihr einstiges Heimatdorf bringen wird. Dann erschüttert ein weiteres Verbrechen die Dorfbewohner - doch dieses Mal hat es der Täter nicht auf Schafe abgesehen.... (Quelle: Buchrückentext)


Mit viel Spannung und Lokalkolorit entführt uns Sybille Baecker in die mystischen und wilden nördlichen Highlands von Schottland: Da ich bisher (nur) im Süden war, gefiel mir dieser Kriminalroman nicht nur inhaltlich sehr, sondern auch durch seine Verortung: Es gibt viele reale Plätze und Orte, die einen näheren Blick lohnen (z.B. das Castle of Mey oder John O'Groats).


Diesen Kriminalroman "bevölkern" teils sehr sympathische Charaktere (der alte Douglas mit seinem schottischen Sturkopf; Marley, sein Sohn, der seit langer Zeit eine problematische Vater-Sohn-Beziehung zu ihm unterhält und seine Gründe hat, weshalb er die Schaffarm seines Vaters nicht weiterführen will; Alison, die kriminalistische Fähigkeiten besitzt, die noch andernorts geschätzt werden sollten und ihr Herz ebenso wie Marley auf dem rechten Fleck hat; Kimberly, über deren Vergangenheit man lange rätselt - fast so lange, wie man auch jeder gelegten Fährte nachgeht, die eventuell zum Mörder führen könnten). Inspector Campbell macht eine wenig gute Figur hier; während Alison ein Puzzleteil nach dem anderen aufspürt - wenn auch zuweilen mit unlauteren Mitteln, die jedoch den Zweck heiligen: Was geht in dem sonst so friedlichen Dörfchen vor und wer steckt hinter dem Brandanschlag auf die Farm von Douglas? Hat der Alkoholiker Conor Greenless, Mitarbeiter von Douglas, damit zu tun?


Der Stil der Autorin ist flüssig zu lesen; sehr atmosphärisch und macht neugierig auf die Hintergründe der Figuren, was bis zum Ende auch so bleibt. Auch die Spannung wird gehalten und es gibt sehr Interessantes über Schottland zu lesen, z.B. dem Wegerecht und auch zur Haltung zu Schafen, was mir zusätzlich sehr gut gefallen hat. Auch Sozialkritik klingt an; z.B. häusliche Gewalt und skrupellose Immobilienhaie. Der Plot ist schlüssig und man freut sich, dass nach ziemlich viel "Schlamassel" im Dorf auch positive Entwicklungen eintreten: Das Ende des Kriminalromans lechzt förmlich nach einer Fortsetzung, da man so manche ProtagonistInnen und deren weitere Entwicklung (incl. spannender Kriminalfälle) gerne wieder treffen würde. Von mir eine absolute Leseempfehlung für Krimi- und auch für Schottlandfans (und für solche, die beides werden wollen^^) und 4,5* am Krimifirmament.

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Veröffentlicht am 29.05.2022

Welche Zutaten braucht ein gutes Leben? u.a. den Mut zur Veränderung!

Der Geschichtenbäcker
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"Der Geschichtenbäcker" von Carsten Henn; der Nachfolger zum "Buchspazierer" sozusagen, dem wir auch anfangs kurz in diesem warmherzigen und berührenden Roman begegnen, erschien (HC, geb., 2022) im Piper ...

"Der Geschichtenbäcker" von Carsten Henn; der Nachfolger zum "Buchspazierer" sozusagen, dem wir auch anfangs kurz in diesem warmherzigen und berührenden Roman begegnen, erschien (HC, geb., 2022) im Piper Verlag. Dieses Mal begleiten wir eine frühere Tänzerin auf ihrem Weg, sich selbst so lieben und annehmen zu können, wie sie ist:


"Brot backen ist fast wie ein Tanz. Teig wird rhythmisch geknetet, die Drehung der Hände, der Schwung der Hüfte geben ihm Geschmeidigkeit. Fasziniert beobachtet die ehemalige Tänzerin Sofie den italienischen Bäcker Giacomo bei seiner Arbeit. Eigentlich wollte sie den Aushilfsjob in der Dorfbackstube gleich wieder kündigen. Zu sehr hat das Ende ihrer Karriere ihr Leben aus der Bahn geworfen. Wer ist sie, wenn sie nicht tanzt? Doch überraschend findet Sofie in er kleinen Bäckerei viel mehr als nur eine Beschäftigung: die Weisheit eines einfachen Mannes, das Glück der kleinen Dinge und den Mut zur Veränderung".

(Quelle: Buchrückentext des Verlages)


So einige sehr sympathische Figuren "bevölkern" diesen Roman von Carsten Henn, der es stilistisch zauberhaft versteht, seine Leser schon zu Beginn in seine Geschichte; hier dem kleinen Dorfbäckerladen, literarisch zu "entführen". Nicht ohne Grund, denn 'unterwegs' gibt es Vergleiche und Weisheiten zu entdecken, über die man staunt - und auch gelegentlich schmunzelt:

Giacomo Botura, aus Kalabrien stammend, sehnt sich nach seiner Heimat (besonders wenn er Orangen aus dem nahegelegenen Hofladen riecht) und braucht dringend Verstärkung: Als Aushilfe verdingt sich die seit Kurzem arbeitslose frühere Tänzerin Sofie, die nach Meinung Giacomo's Rhythmus hat (was der Teig mag) und so beginnt Sofie ihren nächtlichen Dienst in der Backstube, wobei sie denkt, dass sie wohl nach drei Tagen wieder kündigen wird - doch es sollte anders kommen.


Florian, Choreograf und Ehemann von Sofie, merkt, wie sich seine Frau von ihm entfernt und hat Angst, sie zu verlieren: Er hatte sich nicht in ihren Tanz verliebt (sie war die Beste), sondern in ihre dunkelbraunen Augen. Marie, Nachbarin der beiden und seit Langem in Florian verliebt, nutzt die Gunst der Stunde und versucht, Florian für sich zu gewinnen. Sehr nahe steht Sofie Franziska, ihre Schwester und deren kleine Tochter Anouk, die nicht nur ihre Tante davon überzeugt, dass sie Maria ist und daher alles 'segnen' muss, was ihr begegnet (Menschen, Pflanzen und Tiere). Eines Tages benötigt Franziska eine Kinderfrau und Sofie nimmt sie kurzerhand mit in die kleine Bäckerei, wo sie der griesgrämigen Elsa im Verkauf helfen darf - unter der Voraussetzung, dass sie nicht alle Kunden segnen sollte.... Wie durch ein Wunder (Freude war schon lange nicht mehr im Leben von Elsa) bringt das kleine Mädchen Elsa zum Lachen...


So geschieht Wundersames und im Vordergrund stehen immer Giacomo, sein liebevoll gebackenes Brot (incl. Geheimzutat, die Sofie dann doch unbedingt herausfinden möchte), Sofie und ihr Scheitern sowie ihr Wieder-Aufstehen: Sie schafft es in einem gelungen beschriebenen Prozess, ihr altes Leben abzulegen und sich in ihrem neuen Leben wohlzufühlen! Dies ist auch das Hauptthema des Buches: Veränderungen anzunehmen; Altem nicht hinterherzuhängen und Neues positiv aufzunehmen, denn das ganze Leben ist Veränderung und Menschen sollten sich nicht alleine durch ihren Beruf definieren: Genial fand ich die Vergleiche zwischen dem Zubereiten des Teiges und Menschen in ihrer Entwicklung:


Für gutes Brot und auch für eine positive Entwicklung eines Menschen benötigt man (fast) das Gleiche: Gutes Mehl und Zeit und Liebe!


Fazit:


Eine wunderschön choreografierte "Wohlfühlgeschichte" mit Tiefgang; die Wandlungen, Entwicklungen, Veränderungen (im Leben und auch in Beziehungen) zum Thema hat; aber auch andere menschliche Themen nicht ausspart; für Toleranz wirbt und das Annehmen der eigenen Persönlichkeit. Denn nicht nur Katzen haben 7 Leben, wie es heißt, sondern auch wir Menschen; wenn wir es erkennen - und es annehmen! Eine absolute Empfehlung dieses warmherzigen und gefühlvoll, sensibel geschriebenen Romans nicht nur für TänzerInnen und BäckerInnen. 4,5 *

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Veröffentlicht am 07.05.2022

Wertvolle Anregungen zum Selberbacken

Selber backen statt kaufen
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"Selber backen statt kaufen" ist (Paperback, 2022) im smarticular-Verlag erschienen und enthält 77 einfache Rezepte für Brote, Brötchen, Kuchen und mehr, so der Untertitel: Mich begeistert die Vielfalt ...

"Selber backen statt kaufen" ist (Paperback, 2022) im smarticular-Verlag erschienen und enthält 77 einfache Rezepte für Brote, Brötchen, Kuchen und mehr, so der Untertitel: Mich begeistert die Vielfalt und die Anregungen für's (unkomplizierte) Selberbacken - versehen mit sehr gut beschriebenen Anleitungen und Fotos der Backwaren. Selbst Ungeübtere werden angeregt, selbst zur Tat zu schreiten, statt die Produkte (für viel Geld, Tendenz derzeit steigend) zu kaufen! Vor allen Dingen weiß man, was im Brot oder den Brötchen drin ist: Nämlich NUR das, was man selbst hineingetan hat!

Die vielfältigen und tollen Backideen sind das Ergebnis des Ideenportals smarticular.net, das Tipps und Anleitungen rund um ein einfacheres und nachhaltiges Leben gibt, bei denen viele Fans ihre Ideen und ihre Erfahrungen einbrachten. Dieses tolle und nachhaltige Backbuch bündelt sie!

Gegliedert ist das Sachbuch in 8 Kapitel (Brot, Brötchen, Kuchen, Gebäck, Kekse, Süße und herzhafte Knabbereien, Herzhaftes aus dem Backofen und Backen ohne Backen). Für Veganer ist dieses Buch ebenso empfehlenswert, da es Erklärungen liefert, was z.B. ein Hühnerei ersetzen kann und auch in Sachen Gesundheit Alternativen zu Zucker aufzeigt. Ebenso werden die Mehlsorten und deren Verwendungsoptionen bestens erklärt.

Uns hat das Fladen- und Olivenbrot sehr gemundet - es ließ sich fantastisch nachbacken und ist nicht schwer in der Zubereitung. Bärlauchbrot (hmmm...) wird noch getestet; das Pesto ist bereits vorhanden. Auch die bunten Burgerbrötchen finde ich sehr gelungen, z.B. für ein Gartenfest ein eyecatcher! Der österliche Rüblikuchen war ebenfalls ein Gedicht und einige Plätzchen werde ich in der Weihnachtsbäckerei testen. Besonders angetan hat es mir auch die türkische Pizza (hier vegan), die ich schon lange sehr mag, aber noch nie selbst produziert habe.

Fazit:

Eine handliche Sammlung köstlicher, vielfältiger und nachhaltiger Backrezepte, versehen mit tollen Fotos, die zum Nachbacken anregen und sehr gut umzusetzen sind. Auch für VeganerInnen und ungeübtere BäckerInnen sehr empfehlenswert! Ein "Antrieb" in Sachen gesunde und preiswerte Ideen zum Selberbacken vs. Kaufen. Von mir gibt es dafür 5*

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Veröffentlicht am 05.05.2022

Überflutungen....

Das versunkene Dorf
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Die Leiterin der Pariser Drogenfahndung, Noémie Chastain, wird bei der geplanten Festnahme eines Dealers in dessen Wohnung schwer verletzt: Eine Salve aus dem Jagdgewehr des Kriminellen trifft sie "mitten ...

Die Leiterin der Pariser Drogenfahndung, Noémie Chastain, wird bei der geplanten Festnahme eines Dealers in dessen Wohnung schwer verletzt: Eine Salve aus dem Jagdgewehr des Kriminellen trifft sie "mitten ins Gesicht", wie auch der erste (von vier) Teilen dieses spannenden Kriminalromans untertitelt ist. Sie überlebt den Angriff, ist jedoch trotz mehrstündiger OP in einer Gesichtshälfte für ihr weiteres Leben entstellt. Adriel, ihr Assistent und Lebensgefährte, schafft es nicht, an ihrer Seite zu bleiben. Nur Melchior, der erfahrene Psychologe, hilft ihr mit seiner Ausdauer, seinem Sarkasmus, mit Geduld und Fürsorge, ihr neues Leben anzunehmen.


Die Vorgesetzten Noémies, die baldmöglichst in den Polizeidienst zurück möchte, schieben sie in die Provinz ab: Noémie soll einen Monat im südfranzösischen Département Aveyron, genauer gesagt in Decazeville, eine ruhige Kugel schieben (und nebenbei herausfinden, ob das dortige Kommissariat geschlossen werden kann: Sparmaßnahmen stehen an!).

So trifft sie auf ihre zukünftigen Kollegen, für Paris "Dorfpolizisten", für den Leser wird jedoch schnell klar, dass auch im französischen Hinterland kriminalistischer Spürsinn vorhanden ist. Bousquet, Milk und Romain Valant sowie der dortige Commandant Roze, der kurz vor seiner Pensionierung steht, freuen sich, eine solch gestandene Polizistin aus Paris in ihren Reihen zu wissen, sichert dies doch die weitere Existenz ihrer Jobs und des Kommissariats in Decazeville; wenn auch Kriminalfälle sehr selten sind.


Doch ein Fischer findet eine Plastiktonne im Stausee, den es seit der Überflutung des alten Avalone seit 1994 gibt: Über den Inhalt erbricht er sich im nächsten Gebüsch: Ein zersetzter Leichnam, vermutlich der eines Kindes, findet sich im Inneren der Tonne, die in der Forensik untersucht wird: Handelt es sich etwa um eines der damals entführten drei Kinder, die seither spurlos verschwunden sind?


Da Noémie ihrem Beruf mit Leidenschaft und Herz nachgeht, rollt sie mit ihrem neuen Team Bousquet, Milk und Romain, der durch sein sonniges Gemüt besonders positiv auffällt, den "Cold Case" neu auf: Was hat es mit den verschwundenen Kindern auf sich? Was passierte damals während der Bauarbeiten des Stausees und kurz vor der Überflutung des alten Avalone, das entsprechend in der Nähe wieder aufgebaut wurde, die Menschen umgesiedelt wurden? Hat der Entführer Fortin die drei Kinder auf dem Gewissen, der dann ebenfalls spurlos verschwand?


Meine Meinung:


Olivier Norek hat einen sehr flüssigen, gut zu lesenden Schreibstil, der den Leser gleich abholt: Noémie, deren Verletztheit (physisch wie auch psychisch) während des ganzen Kriminalromans gefangen nimmt und die mit Hilfe eines Psychologen versucht, ihre Persönlichkeit so anzunehmen, wie sie jetzt ist, sich selbst zu mögen, trotz des entstellten Gesichts, hat mich zutiefst beeindruckt. Die Dialoge mit Melchior haben mich trotz der Schwere ihrer Verletzungen zuweilen sehr zum Schmunzeln gebracht, wie es auch an anderen Stellen nicht an Humor mangelte (entfernt erinnerte mich "la facon d'écrire" - der Schreibstil von Norek an meine Lieblingskrimiautorin, die ebenfalls Französin ist: Fred Vargas). Die Figuren und Hintergründe werden authentisch und nachvollziehbar beschrieben, besonders Noémie charakterlich sehr gut ausgeleuchtet: Sie ist lieber Kämpferin als Opfer und arbeitet daran, den Cold Case mit Erfolg abzuschließen, um Schlimmeres zu vermeiden (ihre Tätigkeit bei der Polizei ist ihr absolut wichtig) und evtl. sogar degradiert zu werden. Der "Fall" um das Verschwinden von Alex, Cyril und Elsa legt auch offen, durch welche Hölle Eltern gehen, deren Kind spurlos verschwunden ist oder entführt wurde. Wir lernen die Familien Dorin, Madame Saulnier und die Familie Casteran kennen, deren Leben auf die eine oder andere Weise im Jahre 1994 endete und die noch heute von dem Verlust und der Ungewissheit gezeichnet sind. Da auch die hinzugerufene Flussbrigade aus Paris unter dem erfahrenen Taucher Hugo Massey keine weiteren eindeutigen Beweise zutage fördert, trotz lebensgefährlicher Tauchgänge im See, wird der Stausee auf Weisung der Staatsanwaltschaft geleert: Nun wird sich zeigen, ob der See weitere Kinderleichen birgt - und auch, wer hier Blut an den Händen hat: Da Noémie, starrsinnig, stur und sehr vorsichtig in ihrem Job, in der weiteren Ermittlung niemandem trauen kann (es wurden mehrere Anschläge auf sie verübt), hält sie wichtige Informationen zunächst zurück, bis es zum shut down kommt, der absolut nicht vorhersehbar für mich war und mich überraschte.


Viele sozialkritische Aspekte habe ich in dem Krimi gefunden (z.B. wie ausländische Arbeitnehmer als Billigkräfte zum Hungerlohn schuften, Sékour war mit die tragischste Figur in diesem Krimi!; aber auch Rassismus, Ausgrenzung und auch Vorurteile der Städter gegenüber der Provinz: Trottel gibt es auch (in allen Diensten, nicht nur bei der Polizei) in Haupt- und Großstädten! Insofern ist der spannende, im Plot stimmige und sehr unterhaltsame Kriminalroman aus der Feder von Olivier Norek auch eine Hommage an das Aveyron im Herzen Frankreichs: Der Autor ist selbst dort aufgewachsen und daher "ortskundig". "Das versunkene Dorf" weckt in mir das Bedürfnis, diesen schönen französischen Landstrich, der mir selbst unbekannt ist, auch einmal sehen zu wollen!


Fazit:


Spannend, sozialkritisch, psychologisch raffiniert und auch humorvoll. Norek gelingt es, den Spannungsbogen bis zum Schluss zu halten; ein sehr lesenswerter Kriminalroman, dessen knifflige Lösung bis zum Schluss den Leser in Spannung hält. Gelungen! Kleiner Kritikpunkt: Ich bin sicher, dass Noémie (oder eine andere Person) viel längere Zeit benötigt, um nach einer Gesichtsentstellung wieder zu sich selbst zu finden. Ja stärker aus der Verletzung hervorzugehen, sich selbst wieder annehmen und lieben zu können, wie sie dies zuvor konnte. Dennoch eine Empfehlung und 4,5 Sterne am Krimifirmament!

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