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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.06.2022

Authentisch und berührend

Die Lüge
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Was für ein starker Debütroman des jungen Autors Mikita Franko. Der Klappentext verrät eigentlich schon das Wichtigste.
Ein Interview bei queer.de besagt, dass der Autor mit diesem Roman ein wenig seine ...

Was für ein starker Debütroman des jungen Autors Mikita Franko. Der Klappentext verrät eigentlich schon das Wichtigste.
Ein Interview bei queer.de besagt, dass der Autor mit diesem Roman ein wenig seine Vergangenheit verarbeiten wollte - ein trans Junge in Russland. Wie wir aus mittlerweile unzähligen Dokumentationen wissen, hebt sich Russland ganz besonders durch trans- und homophobe Politik hervor.
In diesem Buch erzählt rückblickend der Protagonist Mikita davon, wie er als Kind nach dem Tod seiner Mutter von seinem Onkel aufgenommen wird, der in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt.
Dementsprechend gestaltet sich auch der Schreibstil, man erlebt die Geschichte seiner Entwicklung aus der Sicht eines Kindes und später eines Teenagers und das fühlt sich ungemein authentisch an.
Dieses Buch beschönigt nichts, überdramatisiert meines Erachtens aber auch nicht. Man ist gefangen in der Erzählung über eine grausame Gesellschaft, Liebe innerhalb der Familie, Alltagsprobleme und Probleme in der Pubertät... und zu keinem Zeitpunkt fragt man sich: "Was geht das mich an?"
Denn blicken wir den Tatsachen ins Auge: Homo- und Transphobie und Probleme der sexuellen Selbstfindung während der Pubertät sind leider keine russlandspezifischen Probleme.
Ein extrem berührender und sehr empfehlenswerter Roman, übersetzt von Maria Rajer.

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Veröffentlicht am 23.06.2022

Hommage an ein vergessenes Filmsternchen

Ich bin ja heut so glücklich
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Da ich als Kind und als Teenager super gerne die alten Filme aus den 30er und 40er Jahren gesehen habe, die damals Samstag und Sonntag im Nachmittagsprogramm ausgestrahlt wurden, hat mich das Cover sofort ...

Da ich als Kind und als Teenager super gerne die alten Filme aus den 30er und 40er Jahren gesehen habe, die damals Samstag und Sonntag im Nachmittagsprogramm ausgestrahlt wurden, hat mich das Cover sofort angesprochen.
Renate Müller hatte ich nicht mehr auf dem Schirm, obwohl ich den einen oder anderen Film mit ihr tatsächlich gesehen hatte. Sie gehörte auch nicht zu den legendären Schauspielerinnen mit unvergleichlichem Können. Sie hatte das nette Mädel von nebenan verkörpert.
Dank Charlotte Roth rückt sie aber nochmal in den Fokus, das Buch soll weniger als Biografie denn als Hommage verstanden werden.
Ein trauriges Schicksal, eines von vielen, das dem Naziregime zum Opfer fiel.
Charlotte Roth schafft es, die Zeit der 20er und 30er Jahre wiederauferstehen zu lassen, beim Lesen kann man gut in diese Epoche eintauchen. Schreibstil und Erzählweise sind sehr stimmig.
Wer Bücher über diese Zeit mag ud ein wenig in die Anfänge des Deutschen Films eintauchen möchte, dem kann ich dieses Buch ans Herz legen.

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Veröffentlicht am 20.06.2022

Virginia - ein wunderbares Porträt

Die Liebenden von Bloomsbury – Virginia und die neue Zeit
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"Virginia und die neue Zeit" ist der Auftakt der Saga "Die Liebenden von Bloomsbury" und ist den frühen Jahren Virginia Woolfs gewidmet.

Die sogenannten "Bloomsberries" waren eine Gruppierung junger Engländer, ...

"Virginia und die neue Zeit" ist der Auftakt der Saga "Die Liebenden von Bloomsbury" und ist den frühen Jahren Virginia Woolfs gewidmet.

Die sogenannten "Bloomsberries" waren eine Gruppierung junger Engländer, die, interessiert an Kunst, Philosophie und Wissenschaft, sich regelmässig zusammenfanden und nicht nur angeregt diskutierten, sondern sich auch über die konservativen Zwänge der englischen Gesellschaft hinweg setzten. Mitbegründerinnen waren die Schwestern Vanessa und Virginia Stephens, später bekannt als Vanessa Bell und Virginia Woolf, die nach dem Tod ihrer Eltern zusammen mit zwei ihrer Brüder in einer Wohngemeinschaft lebten und somit ihren Künsten nachgehen konnten. Eine alleinstehende junge Frau, alleine wohnend - das war damals so gut wie undenkbar.

Stefanie H. Martin fängt gekonnt die Stimmung des beginnenden 20. Jahrhunderts ein, ganz allein durch den stimmigen Schreibstil, ohne ständige Requisitenplatzierung wie es leider einige neuere AutorInnen heutzutage praktizieren. Man taucht in diese Zeit einfach ein und hat ganz klare Bilder vor Augen.
Es ist ein unaufgeregter, gewissenhaft recherchierter und sehr intelligenter Gesellschaftsroman, der eindringlich die Probleme zeigt, die gerade junge Frauen hatten, wenn sie selbständig leben und wirken wollten. Die Dialoge zwischen den "Bloomsberries" während ihrer Treffen sind nicht nur intellektuell, sondern durchaus witzig.

Wer in diesem Buch eine wissenschaftliche Analyse der Woolfschen Literatur sucht wird sicher nicht fündig, aber dafür gibt es ja auch Sachbücher... wer aber ein einfühlsames Porträt der jungen Virginia Woolf und der aufkeimenden Moderne erleben möchte, der wird mit diesem Band seine helle Freude haben. Mit dem Hintergrundwissen habe ich große Lust bekommen eines ihrer Werke zu lesen.
Ich habe die ersten Jahre der jungen Leute im Londoner Stadtteil Bloomsbury sehr genossen und geliebt und freue mich schon auf den zweiten Band, der im Herbst erscheint und der Vanessa Bell gewidmet ist.

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Veröffentlicht am 18.06.2022

Vom Leben, vom Sterben und dem ganzen Rest

Von hier betrachtet sieht das scheiße aus
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Der Titel hat mich sofort angsprochen und der Klappentext war vielversprechend, zugegeben die Idee ist nicht ganz so neu, man findet sie auch schon bei Jules Verne (Die Leiden eines Chinesen in Chna) und ...

Der Titel hat mich sofort angsprochen und der Klappentext war vielversprechend, zugegeben die Idee ist nicht ganz so neu, man findet sie auch schon bei Jules Verne (Die Leiden eines Chinesen in Chna) und Aki Kaurismäki (I hired a contract killer).
Ben Schneider ist 29 und hat von seinem Leben - ein typisches Hamsterrad - die Nase gestrichen voll. Er beschließt über seinen Dealer einen Auftragskiller via Darknet zu buchen, da er für einen klassischen Selbstmord einfach nicht mutig genug ist. Er hat 50 Tage Zeit bis ihn der Auftragskiller erwischen kann.
Wir ahnen natürlich was passiert.... aber wie alles passiert ist mehr als lesenswert.
Max Osswald ist Comedian, aber ein Buch schreiben kann er ganz offensichtlich auch. Den Comedian merkt man, allerdings kommt der Humor nicht pointenhaft rüber, sondern ist gekonnt gesetzt ohne dem doch recht ernsten Thema Depression und Lebensmüdigkeit respektlos gegenüber zu treten.
Der Leser taucht von Anfang an tief in die Gedanken Bens ein und man spürt ganz deutlich diese Leere, diese Sinnlosigkeit. Man kann sich mit Ben identifizieren, seine Gedankengänge gut nachvollziehen und jubelt bei vielen bissigen Seitenhieben gegen die kaputte Gesellschaft innerlich mit.
Unaufdringlich philosophiert Ben, entweder alleine in seinen Gedanken oder zusammen mit Emma, die er zufällig kennenlernt, die seine Sicht auf das Leben nochmal gehörig verändert.

Ein wirklich gelungener Debütroman, der meines Erachtens alles erfüllt, das man sich als Leser wünscht: Humor, Intelligenz, einen sympathischen Protagonisten und gute kurzweilige Unterhaltung.
Ich jedenfalls nehme etwas nach dem Lesen mit: Lebe immer so, als hättest du nur noch 50 Tage zu leben.

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Veröffentlicht am 16.06.2022

Bewegende Biografie

Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit
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Ich bin Schnellleserin, aber dieses Buch musste ich in kleinen wohlportionierten Happen konsumieren, weil es mir die Luft abgedrückt hat. Alltagsrassismus in Deutschland ist mir nicht fremd, ich weiß dass ...

Ich bin Schnellleserin, aber dieses Buch musste ich in kleinen wohlportionierten Happen konsumieren, weil es mir die Luft abgedrückt hat. Alltagsrassismus in Deutschland ist mir nicht fremd, ich weiß dass er existiert, ich weiß das nicht aus eigener Erfahrung, aber ich erlebe es durch meine PoC Freunde mit. Wie stark allerdings Romnja und Sintizze auch heute noch mit strukturellem Rassismus konfrontiert sind - also durch Landesverbände, Behörden, Schulen, Ärzte - ist eine Schande und hat mich tief betroffen gemacht.
Aber Gianni Jovanovic klagt nicht jammernd an, er schüttet kein Pech und Schwefel über die Täter aus, er belehrt nicht unangenehm mit erhobenem Zeigefinger... er berichtet charmant und mit viel Humor. Er ist eine starke und selbstbewusste Persönlichkeit und hat seinen Weg (beruflich wie persönlich) gemacht - raus aus der beengenden und bestimmenden Familie, raus aus der Sonderschule, raus aus allen Konventionen.
Sein Humor und seine versöhnende Art sind es, die mir das Lesen über all die schrecklichen Dinge leichter gemacht hat, er richtet seinen Humor auch durchaus gegen sich selbst und das macht ihn umso sympathischer.
Nicht nur erzählt er seine bewegende Biografie als homosexueller Rom, aufgewachsen in einem sehr traditionellen Familienverband, sondern auch viel über die Lebensweise der Romnja und Sintizze, über das Leid das das menschenverachtende Regime des sogenannten Dritten Reichs über sein Volk gebracht hat und das bis ins Jetzt nachwirkt und tiefe Spuren hinterlassen hat.
Ganz wunderbar zu Papier gebracht hat das alles seine gute Freundin und Mitaktvistin Oyindamola Alashe.
Mich hat das Buch - auch aus persönlichen Gründen - enorm bereichert und ich möchte es jedem offenen Menschen sehr ans Herz legen.

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