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Veröffentlicht am 29.06.2017

Mindfuck

Chosen 2: Das Erwachen
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Emma ist zurück am Eliteinternat und alles, was sie dachte und glaubte, ist auf den Kopf gestellt. Durch den Kampf an Silvester hat sie alles verloren: ihren Vater, Aidan, den sie noch immer liebt - obwohl ...

Emma ist zurück am Eliteinternat und alles, was sie dachte und glaubte, ist auf den Kopf gestellt. Durch den Kampf an Silvester hat sie alles verloren: ihren Vater, Aidan, den sie noch immer liebt - obwohl er der Mörder ihres Vaters ist. Und obwohl sich Farran, der Schulleiter und ihr Mentor, hinter sie stellt, wird sie gemobbt, doch das ist noch das Geringste ihrer Probleme. Etwas scheint mit ihren Gefühlen nicht zu stimmen, und das ist für einen Emotionentaucher mehr als verwirrend. Immer wieder kommt sie dahinter, dass nichts so ist, wie es scheint, dass Farran ihr einesteils die Welt zu Füßen legt, sie aber andererseits belügt. Und dann erfährt sie etwas über Aidan und ihren Vater. In New York wird sich schließlich nicht nur ihr Schicksal, sondern das aller Raben und Falken entscheiden ... sie muss nur wissen, wem sie mehr trauen kann: ihrem Verstand oder ihrem Gefühl.

Diese Dilogie war mal was echt Anspruchsvolles im Jugendbuchbereich, und die Autorin hat es gut geschafft, sich in diesem zweiten Teil noch zu steigern. Lag der Fokus im ersten Teil noch ziemlich auf dem Liebesgedöns(fast)dreieck, wenn auch angenehm dezent für dieses Genre, so hat sie hier einfach mal die Fesseln der Konventionen gelöst und drauflos fabuliert. Und das macht Spaß, denn das Mindfucking beginnt und endet nicht allein bei Emma, auch wir Leser werden wieder und wieder von den Ereignissen überrascht. Obwohl wir eigentlich wissen, was wirklich passiert ist (oder es glauben), so kann Farran mit seiner Art auch wirklich überzeugend rüberkommen. Er ist ein Meister im Aussprechen von Wahrheiten, die keine sind und mir hat gefallen, dass die Antagonisten nicht nur schwarz-weiß böse sind, ihre Motivationen sind schon ein wenig ausgefeilter als "ha, ich mach's, weil ich's kann". Das Ende mochte ich nicht sonderlich, es war ein wenig konstruiert á la Na, wie bringe ich das Ganze jetzt zu einem endgültigen Abschluss?, aber im Großen und Ganzen ist das richtig gute, teilweise harte Jugendfantasy, die sich lohnt.

Eine Warnung möchte ich jedoch aussprechen: Wer mit mehr als drei Protagonisten überfordert ist, sollte die Finger weglassen. Zu viele Leute spielen eine Rolle und es gibt komplexe Hintergründe, die erfasst werden wollen. Nichts für euch, Prinzessinnen, sorry.

Veröffentlicht am 18.06.2017

Ein feines, böses Buch

Geständnisse
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In einer Mittelschule in Japan stirbt ein kleines Mädchen - ertrunken, ein Unfall, sagt die Polizei. Es handelt sich um die Tochter der Lehrerin Moriguchi, welche am letzten Tag des Semesters verkündet, ...

In einer Mittelschule in Japan stirbt ein kleines Mädchen - ertrunken, ein Unfall, sagt die Polizei. Es handelt sich um die Tochter der Lehrerin Moriguchi, welche am letzten Tag des Semesters verkündet, dass sie aufhört, kündigt. Was sie dann noch sagt, schlägt ein wie eine Bombe. Der Tod ihrer Tochter sei Mord gewesen und zwei Schüler der Klasse wären schuld an ihrem Tod. Wie kann ein Mensch mit diesem Wissen leben? Was tun Moriguchi, die Mörder, die Klassenkameraden, die Eltern?

Mir ist dieses Buch vorher nie aufgefallen, es befand sich in dem Bücherpaket, das ich bei wld gewonnen hatte. Doch ich kann sagen, dass es mich beeindruckt hat. Die Art, indirekt auf die Ereignisse einzugehen und sowohl die Lehrerin, die Mörder, Mitschüler, eine Mutter des Mörders und dessen Schwester zu Wort kommen zu lassen, hat was extrem Intensives. Anfangs dachte ich, dass mir wahrscheinlich die japanische Lebensweise alles schwerer zu verstehen machen würde, aber dem war nicht so. Eigentlich sind diese Menschen nicht anders als wir, höchstens ... ein kleines bisschen böser. Zumindest in diesem Buch. Der Druck, der auf jedem dort lastet, sucht sich Ventile, und bei manchem führen sie dazu, sämtliche Grenzen von Gut und Böse zu überschreiten, einfach um zu wissen, dass sie selbst leben, um sich selbst besser zu fühlen. Fast wie eine Art Kammerspiel führt es den Leser in die Gedankenwelt der Mitwirkenden und hinterlässt am Ende Erschütterung und Ratlosigkeit.

Veröffentlicht am 18.04.2024

Milagritos

Der Vertraute
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Spanien, Ende des 16. Jahrhunderts. Die junge Luzia Cotado arbeitet als Küchenmädchen in einem der ärmeren Stadthäuser von Madrid. Wie Aschenputtel schläft sie in einer schmutzigen Ecke, kassiert Schläge ...

Spanien, Ende des 16. Jahrhunderts. Die junge Luzia Cotado arbeitet als Küchenmädchen in einem der ärmeren Stadthäuser von Madrid. Wie Aschenputtel schläft sie in einer schmutzigen Ecke, kassiert Schläge ihrer Herrin und wenig Respekt von der Köchin. Um ihre harte Arbeit manchmal zu erleichtern, nutzt sie Milagritos, kleine magische Reime. Als sie dabei eines Tages von ihrer Herrin erwischt wird, zwingt diese Luzia, immer wieder ein paar kleine Wunder zu vollbringen. Das geht solange gut, bis ein skrupelloser Edelmann davon hört; er will die Gunst des Königs und Luzia soll seine von Gott gesandte Wunderbringerin sein. Doch die Prüfungen sind hart und der Grat zwischen Wunder und Hexerei äußerst schmal - die Inquisition scharrt allerorten mit den Hufen. Und dann ist da auch noch Santangel, der unheimliche Diener des Edelmanns, der sie trainieren soll. Luzia erkennt, dass ihr Gefahr für Leben und Herz droht.

Ich bin ein großer Fan von Leigh Bardugo. Immer wieder lässt sie sich etwas Neues einfallen, wie sie auch anhand dieses Buches bewiesen hat. Dass es mich am Ende dann doch nicht durchgehend fesseln konnte, obwohl es ein spannendes Thema in einer spannenden Zeit war, ist wohl der Art geschuldet, wie es geschrieben wurde. Einerseits irgendwie märchenhaft, andererseits aber auch nicht. Ich bekam zu eigentlich keinem der Charaktere einen wirklichen Zugang, von der Art her blieben mir alle fremd bis zum Schluss. Nichtsdestotrotz nimmt uns die Autorin in eine spannende Zeit mit und sie lässt den Charakteren Raum, sich zu entwickeln. Als Fazit für mich: Gut zu lesen, aber nicht mein Lieblingsbuch der Autorin.

Veröffentlicht am 16.03.2024

Alientourist

Mein ziemlich seltsamer Freund Walter
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Lisa ist acht, fast neun Jahre alt und sie ist sehr, sehr schlau. Das muss sie auch sein, denn seitdem ihre Eltern arbeitslos (und depressiv) sind, muss sie sich nicht nur allein um sich selbst, sondern ...

Lisa ist acht, fast neun Jahre alt und sie ist sehr, sehr schlau. Das muss sie auch sein, denn seitdem ihre Eltern arbeitslos (und depressiv) sind, muss sie sich nicht nur allein um sich selbst, sondern auch den Haushalt und die Eltern kümmern. Außerdem wird sie auf dem Weg zur Schule regelmäßig von Jugendlichen gequält und in der Schule sowohl von SchülerInnen als auch dem Lehrpersonal gemobbt. Alles in allem sieht es ganz schön grau in Lisas Leben aus. Das Einzige, was sie halbwegs bei Laune hält, ist ihre Begeisterung für Astronomie. Und dann trifft sie eines Tages auf einen Alien mit einem unaussprechlichen Namen, der hier auf der Erde eigentlich Touri sein wollte, den aber seine Reisegruppe vergessen hat. Lisa nennt ihn Walter und nimmt ihn mit nach Hause, denn er kann schließlich in der kalten Nacht nicht allein draußen bleiben. Und deshalb bekommt Walter ihr trauriges, kleines Leben mit. Weil auf Walters Planet viel gekuschelt und liebgehabt wird, hilft er Lisa auch mit ihrem Leben ...

Ich gebe zu, gerade anfangs ist Lisas Leben beinahe unerträglich. Wie sie von allen Seiten einstecken muss - so ein kleines Mädchen, das tut geradezu körperlich weh. Sie hat sogar ihre Spielsachen verkauft, weil sonst kein Geld für Essen da ist. Und wenn man sich überlegt, dass tatsächlich viele Kinder oftmals ohne Nahrung in der Schule sitzen, dass sie gemobbt werden, dass sich niemand um sie kümmert: Ich wollte Lisa so sehr in den Arm nehmen. Und dann kommt Walter und nach und nach bessern sich ihre Verhältnisse, denn Walter ist ein Außerirdischer mit einem anderen Blick auf die Lage.

Einerseits finde ich es natürlich gut, dass sich Lisas Zustände radikal ändern. Andererseits habe ich das Buch mit meinem Vorlesekind (beinahe in Lisas Alter) gelesen/angeschaut und selbst sie legt den Zeigefinger in die Wunde: Das geht aber alles ganz schön einfach! Ja, es wäre natürlich schön, wenn dank eines Außerirdischen alles ein Happy End hätte - und auf gewisse Art ist diese Graphic Novel ein Kinderbuch. Aber dann wiederum nicht. Es sind so ernste Themen, die hier aufgegriffen werden und die ich wichtig und durchaus wunderbar in Szene gesetzt finde, dass es mir lieb wäre, wenn es in der dritten/vierten Klasse Schullektüre werden würde. Aber dennoch sind so einfache Lösungen wohl leider nicht drin. So blöd es sich anhört, mir wäre es lieb gewesen, wenn Walter es mit Lisa zusammen geschafft hätte, mehrere Erwachsene für Lisas Situation zu sensibilisieren und dann eine "richtige" Lösung, ein sich wirklich auch echt und real life tauglicher Abschluss gefunden worden wäre. Trotzdem: Ganz klar eine Leseempfehlung für dieses Buch!

Veröffentlicht am 13.03.2024

Graue Schmiere

Das kleine Buch der großen Risiken
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Das kleine Buch der großen Risiken ist so klein gar nicht - zumindest, was den Informativfaktor angeht. Der Autor, der Think-Tank-Begründer Jakob Thomä, hat sich anhand der 26 Buchstaben des Alphabets ...

Das kleine Buch der großen Risiken ist so klein gar nicht - zumindest, was den Informativfaktor angeht. Der Autor, der Think-Tank-Begründer Jakob Thomä, hat sich anhand der 26 Buchstaben des Alphabets entlanggehangelt, um eine Risikobewertung vorzunehmen. Dabei geht es unter anderem um Atom - und andere wirklich fürchterliche Bomben, künstliche Intelligenz oder die Frage, ob wir Angst vor der Invasion einer außerirdischen Spezies haben müssen. (Kleiner Spoiler zu Letzterem: nicht allzu sehr.)

Er baut es so auf, dass er immer das Risiko in einem Satz vor- und gleich im Anschluss die Frage hintenanstellt: Müssen wir uns Sorgen machen? Um ehrlich zu sein, gab es jede Menge Dinge, die mir tatsächlich Angst bereiten, die hier nicht mal auftauchen, an deren Stelle jedoch interessante Risiken bewertet werden, die ich überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Werde ich irgendwann der Grauen Schmiere zum Opfer fallen? Oder von einem Schwarzen Loch verschluckt? (Spoiler: Die Wahrscheinlichkeit liegt NICHT bei Null.)

Mir war tatsächlich auch nicht bewusst, dass ich mehr Angst vor einem Bevölkerungsrückgang als -zuwachs haben muss. Meistens begründet er seine Argumente recht gut, nur manchmal hatte ich das Gefühl, dass genau das, was beruhigen sollte, eher in eine andere Richtung wies. Könnte natürlich auch an mir liegen, schließlich habe ich keinen Think Tank gegründet. Alles in allem nimmt sich der Autor selbst nicht zu ernst, dabei die möglichen Risiken durchaus, und es war eine durchaus interessante Lektüre, die man gern noch mal vornehmen und eventuell ein paar Dinge selbst recherchieren kann.