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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.07.2023

Tiefe, schmerzliche Einblicke in ein fremdes Leben

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
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Doris Knecht kenne ich von ihren Romanen Die Nachricht und Gruber geht, gerade las ich, dass ihr Roman Wald verfilmt wurde, also eine nicht ganz unbekannte österreichische Autorin in Norddeutschland, deren ...

Doris Knecht kenne ich von ihren Romanen Die Nachricht und Gruber geht, gerade las ich, dass ihr Roman Wald verfilmt wurde, also eine nicht ganz unbekannte österreichische Autorin in Norddeutschland, deren neuer Roman jetzt im Sommer 2023 herausgebracht wird. Mich hat nicht nur ihr Name, sondern auch der Titel angezogen, ich war gespannt, was eine Frau so alles vergessen kann.
Ja, die Protagonistin dieses Romans vergisst viel über die Jahre, aber eigentlich ist es das Viele, an das sie sich fortwährend erinnert fühlt. Sie ist Mitte 50, die beiden Kinder (Zwillinge, Max und Mila) ziehen aus und sie macht aus der Not eine Tugend und zieht in ihre kleine, ehemalige sogenannte (Schreib-)Werkstatt. Dass sie aus der Tochter Luzi kurzerhand einen Max macht, weil Luzi nicht im Buch auftauchen will, ist ein sehr gekonnter Kunstgriff. Max lässt sich als der sensible Junge offensichtlich besser beschreiben als eine widerspenstige Tochter.
Ich will hier nicht aufzählen, was man als Frau im Laufe der Zeit so alles vergessen kann, aber einige Ideen sind schon zum Lachen, Sonnenbrillen, die gleich mehrfach verloren gehen, ebenso wie die Farbe der Teppiche oder die echten Erinnerungen an die Kinder, als sie klein waren. Doris Knecht beschreibt also nicht nur ihre materiellen, sondern auch ihre ideellen Verluste, bisweilen für meinen Geschmack etwas zu ausführlich, aber sie fängt sich immer wieder selbst ein. Beginnt mit einer neuen Überschrift einen neuen Gedanken.
Eine der schönsten Szenen spielt im Kapitel Spinnweben, die alten Eltern (die aufgebrezelte Mutter würde hier wohl das Jugendrennen gewinnen) besuchen die neue Miniwohnung und versuchen sich am Auseinandernehmen der Backofentür, in der die Mutter Spinnweben entdeckt. Wunderbar, weil so vollkommen realistisch. Trotzdem liebevoll.
Wenn Max und Mila zu Besuch sind, ist da immer etwas Hintergründiges, ich glaube, Max trifft den Seelenzustand seiner Mutter genau, als er meint, sie könne wenigstens verbergen, dass sie sich freut, wenn sie wieder allein ist und ihre Ruhe hat.
Ja, dann ist da auch noch ein Hund, an dem die beiden Kinder wohl noch mehr hängen als an der Mutter. Der fährt nicht gerne Auto. aber das ist schon wieder eine andere Story.
Mit hat dieser Roman trotzdem nur teilweise sehr gut gefallen, was mich etwas gestört hat, waren die unzähligen Jammersätze, dass die große Wohnung zu teuer wäre und nun keine schöne, neue, bezahlbare mehr zu finden sei. Da spürte ich plötzlich, dass Österreich doch gar nicht so weit weg von Deutschland ist, zumindest mental, wenn man so dem ÖRR da wie dort zuhört, wo solche Jammerorgien an der Tagesordnung sind. Immerhin hat ja die jammernde Hauptperson noch ein Häuschen, das sie nun mit dem Hund im Schlepptau anpeilen kann.
Fazit: Eine Lebensgeschichte, die dem Leser eine Frau nahebringt, die nicht mehr jung, noch nicht alt, alleinstehend, und doch nicht allein ist. Sie hat ihre Kinder in der Nähe, sie hat einen Hund, sie hat Arbeit, sie hat Freunde, sie hat sich selbst, ihre Erinnerungen und alles das, was sie meinte, vergessen zu haben, das hat sie auch noch. Kein Grund zum Traurigsein, auch wenn man mitunter ein bisschen Mitleid mit ihr verspürt.

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Veröffentlicht am 01.08.2022

Sag mir, wo die Spiegel sind, wo sind sie geblieben?

Die Kommissarin und die blutigen Spiegel
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Die Krimireihe war mir bisher nicht bekannt, so dass ich Antje Servatius, ihr Team und auch die Tochter Kira nicht kannte. Aus meiner Sicht wäre das Lesen des ersten Bandes vielleicht hilfreich gewesen, ...

Die Krimireihe war mir bisher nicht bekannt, so dass ich Antje Servatius, ihr Team und auch die Tochter Kira nicht kannte. Aus meiner Sicht wäre das Lesen des ersten Bandes vielleicht hilfreich gewesen, um sich in die Figuren hineinversetzen bzw. sie wiedererkennen zu können. So rätselt man am Anfang doch ein bisschen viel herum. Die Tochter Kira leidet an Zerebralparese, war das Leben für sie beschwerlich macht und die Mutter Antje doch sehr fordert. Dass es da einen Vater Kirill gibt, der sich mit der Situation nicht anfreunden konnte und sang- und klanglos verschwand, wird im Laufe der Geschichte klar. Er taucht dann unvermittelt auf und nimmt Kontakt zu Kira auf, was die Beziehung zwischen Mutter und 14jähriger Tochter belastet. Das alles liest man zwischen den brutalen Mordschilderungen und den Ermittlungsbemühungen der Kriminalisten. Es geschehen in kurzem zeitlichen Abstand nämlich zwei Morde unterschiedlichster Art. Eine Frau wird regelrecht „geschlachtet“, bei einer zweiten wird zuerst Suizid vermutet, aber auch sie fiel einem einfallsreichen Mörder zum Opfer. Es gibt ausreichend Verdächtige und die Ermittlungen treffen auf ähnliche Verbrechen in der Vergangenheit. Copy kill? Warum? Da die recht spannenden Ermittlungen durch die privaten Probleme von Antje Servatius immer wieder in den Hintergrund rücken, fand ich den Fortgang ab und an etwas schleppend und langatmig. Diese Art, Persönliches der Ermittler in den Vordergrund zu stellen, kenne ich zu Genüge von skandinavischen Krimis. Das kann man gut finden, muss man aber nicht. Hier in diesem Buch hat es mich jedenfalls beim „Ermitteln“ etwas gestört.
Die Story bekommt ein ordentliches Finale mit jeder Menge Schockmomente. Der Mörder war zwar nicht der Gärtner, aber einer der am Anfang verdächtigten Männer war es auch nicht.
Mit dem Titel des Buches konnte ich nicht viel anfangen, vielleicht habe ich den entscheidenden Hinweis auf die blutigen Spiegel auch einfach überlesen.
Für Krimifans ein gut lesbares Buch, ein angenehmer, nicht abgehobener Stil. Sehr unterschiedliche Charaktere in Form von Ermittlern und Verdächtigen werden dem Leser präsentiert, die Geschichte bleibt bis zum Schluss recht spannend, die brutale Phantasie ist schon ziemlich heftig. Das Finale tröstet über ein paar langweilige Passagen gut hinweg.

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Veröffentlicht am 03.03.2024

Weltgeschichte to go

Kurztrip Weltgeschichte
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Sebastian Steffen rast mit Raketengeschwindigkeit durch die Weltgeschichte, kurzweilig und interessant zusammengefasste Episoden. Beginnend beim Urknall fliegt der Leser durch die Jahrtausende, später ...

Sebastian Steffen rast mit Raketengeschwindigkeit durch die Weltgeschichte, kurzweilig und interessant zusammengefasste Episoden. Beginnend beim Urknall fliegt der Leser durch die Jahrtausende, später Jahrhunderte. Dass in einem so schmalen Band nicht alles berücksichtigt und ausgewalzt werden kann, muss jedem klar sein, der das Buch zur Hand nimmt. Der ironisch distanzierte Schreibstil brachte mich teilweise zum Schmunzeln, die den Kapiteln vorangestellten Sprüche von Berühmten und Anonymen auch. Manchmal fand ich die Sprüche aber zu gewaltig für den folgenden Text.

Eine Frage stellte ich mir beim Lesen, warum werden die römischen Zahlen bei den Herrschernamen ohne Punkt geschrieben? Beispiel: Ludwig der XIV — ausgesprochen wird es doch „der Vierzehnte“. Da macht jeder eigentlich nach der XIV einen Punkt.

Fazit: Ein unterhaltsames Buch zur Weltgeschichte. Wer mehr wissen will, muss woanders weiterlesen.

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Veröffentlicht am 24.01.2024

Künstlerleben aus erster Hand

Mit Herz und Mund und Tat und Leben
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Jürgen Flimm ist mir seit über 30 Jahren ein Begriff, vor der Wende in der DDR habe ich ihn nicht gekannt. Schauspieler, Regisseur, Produzent, immer mit neuen Ideen und immer überzeugt von sich und seiner ...

Jürgen Flimm ist mir seit über 30 Jahren ein Begriff, vor der Wende in der DDR habe ich ihn nicht gekannt. Schauspieler, Regisseur, Produzent, immer mit neuen Ideen und immer überzeugt von sich und seiner Arbeit. Flimm hatte eigentlich den passenden Namen fürs Geschäft, er flimmerte! Und das ganz wunderbar und überzeugend. Dass mir seine unvollendete Autobiographie dann doch nicht so gut gefiel wie seine Theaterarbeit, hat verschiedene Gründe. Einerseits bin ich mit seinem Schreib-/Erzählstil nicht so gut zurechtgekommen, wie erhofft, andererseits waren mir die vielen persönlichen "Abrechnungen" etwas zu viel. Ich behalte ihn deshalb am liebsten als den Intendanten meiner heimatlichen Berliner Staatsoper Unter den Linden im Gedächtnis, ohne das ganze Drumherum seiner Erlebnisse.
Fazit: interessanter und tiefer, sehr persönlicher Einblick in ein vollendetes Künstlerleben.

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Veröffentlicht am 16.11.2023

Gedanken, Fantasien, Schreibversuche

Vom Kopf aufs Blatt
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Der junge Autor wagt sich mit seinem kleinen Buch in die Welt. Noch sind es seine Gedanken und Fantasien, die er bei Schreibübungen und Schreibversuchen aufs Papier bringt. Noch ist der Stil nicht ausgereift, ...

Der junge Autor wagt sich mit seinem kleinen Buch in die Welt. Noch sind es seine Gedanken und Fantasien, die er bei Schreibübungen und Schreibversuchen aufs Papier bringt. Noch ist der Stil nicht ausgereift, er will fürs Erste vielleicht ein bisschen zu viel erreichen. Da sind die Worte manchmal störrisch, manchmal lassen sie sich nicht in Formulierungen einhüllen. Aber das macht nichts, denken, fühlen und schreiben sind allemal besser als nichts zu tun. Und so habe ich diese kurzen und ganz kurzen Geschichten gern gelesen. Dass mich besonders eine längere Geschichte interessiert hat, liegt an meiner eigenen Lebensgeschichte. Dachau, ein Ort des Grauens, Niklas Gentner beschreibt seinen Besuch und die innere Aufruhr, die ihn erfasst hat angesichts des Unsagbaren. Wie schreibt man darüber? Er nutzt die Worte, um seine Leser zum Nachdenken zu bringen. Angesichts der gerade herrschenden inneren und äußeren Aufruhr der Gedanken nach dem Massaker der Hamas finde ich seine Worte sehr passend.

Fazit: Niklas Gentner schreibt: "Zukunft. Wie wird sie aussehen?" Ich würde ihm gern Mut machen. Es wäre spannend zu erfahren, was er in zehn Jahren darüber schreibt.

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