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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.11.2017

Bewegend, fordernd, eindringlich

Alles, was wir geben mussten
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„Alles, was wir geben mussten“ von Kazuo Ishiguro ist ein Roman, der mich bewegt und nachdenklich gestimmt hat. Ein Roman, über den ich reden und diskutieren, den ich weiterempfehlen will! Doch das ist ...

„Alles, was wir geben mussten“ von Kazuo Ishiguro ist ein Roman, der mich bewegt und nachdenklich gestimmt hat. Ein Roman, über den ich reden und diskutieren, den ich weiterempfehlen will! Doch das ist gar nicht so leicht, ohne den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte zu verraten, der für all das unbeschreibliche Entsetzen verantwortlich ist, das einen während des Lesens beschleicht.

Kurzum: „Alles, was wir geben mussten“ ist eine Dystopie. Keine der leichten, unterhaltsamen Sorte, sondern eine anspruchsvolle, fordernde, die ihrem Leser nicht einfach ein paar vergnügsame Lesestunden beschweren will. Kazuo Ishiguro erzählt eine Geschichte, die sich mit (scheinbar) dystopischen Elementen beschäftigt, allerdings in der Vergangenheit angesiedelt ist und in den 70er Jahren beginnt. Die Handlung zieht sich durch die Jahrzehnte bis in die Gegenwart, was für ein ganz ungutes Gefühl sorgt: Könnte das, was Kazuo Ishiguro beschreibt, in unserer Zeit, unserer Welt tatsächlich geschehen?

Erzählt wird die Geschichte von Protagonistin Kathy, die mit ihren 31 Jahren als Betreuerin arbeitet. Sie berichtet in Rückblenden von ihrem Leben: ihrer Kindheit und Jugend in dem wohlsituierten und angesehenem Halisham, in dem besonders viel Wert auf die Kollegialität und die Kreativität der Schüler gelegt wird, und ihrer Zeit danach als junge und freie Erwachsene, bis Kathy schließlich von ihrem beruflichen Werdegang und ihren Erfahrungen erzählt. Passend dazu ist der Roman in drei Abschnitte unterteilt.

Schon nach wenigen Seiten wird einem klar: Irgendetwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Obwohl man die Einzelheiten, wie zum Beispiel der sonderliche Umgang, die Andeutungen Kathys und die Unterhaltungen zwischen den Kollegiaten, ohne den Blick über das große Ganze nicht versteht, spürt man den grausig-schaurigen Unterton der Geschichte deutlich. Je weiter man in der Handlung voranschreitet, desto deutlicher wird, worum es in „Alles, was wir geben mussten“ tatsächlich geht. Dass Kazuo Ishiguro Themen behandelt, die man lange geahnt, aber nicht wahrhaben wollte. Und dennoch trifft es einen mitten in der Magengrube, wenn die Wahrheit im zweiten Teil des Romans endlich ausgesprochen wird.

Was Kazuo Ishiguros Geschichte so besonders, so speziell und vor allem einzigartig macht, ist die stille und harmlose Atmosphäre, die zwischen den Buchdeckeln extrem präsent ist. Sie steht im starken Kontrast zur Handlung und sorgt damit für ein Gänsehaut-Feeling, das es in sich hat. Vor allem Kathy will mit ihrer ruhigen Art nicht in die Geschichte passen – oder besser: Man möchte es als Leser selbst nicht, dass sie es tut. Sie sollte schreien, weinen, um sich schlagen! Stattdessen prügelt sie mit ihrer perfekt passenden Art, ihrem Realitätsbezug, der einem selbst beinahe verloren geht, den Lesern ein Gefühl unter die Haut, das einen noch lange beschäftigt. Kombiniert mit Ishiguros emotionslosem Schreibstil verschlägt einem „Alles, was wir geben mussten“ wahrlich die Sprache.

Fazit:
„Alles, was wir geben mussten“ ist eine Dystopie, die nicht einfach unterhalten, sondern zum Nachdenken bewegen, fordern, aufwühlen will. Kazuo Ishiguro hat einen bedrückenden und eindringlichen Roman geschrieben, der mich in jeglicher Hinsicht begeistert hat. Schon während des Lesens wollte ich über die Geschichte diskutieren, in sie abtauchen und schreien, die Charaktere an den Schultern rütteln! Doch Ishiguros eiskalter Schreibstil und seine einzigartige Art, eine schrecklich realistische Geschichte auf brutal ehrliche Weise zu erzählen, hat mich immer wieder erstarren lassen und mich sprachlos gemacht. „Alles, was wir geben mussten“ von Kazuo Ishiguro ist mehr als lesenswert. Eine Dystopie mit Anspruch, die genau deshalb nachdenklich stimmt, weil sie nicht völlig abwegig ist.

Veröffentlicht am 01.09.2017

Zeitlos und märchenhaft

Nachtvogel oder Die Geheimnisse von Sidwell
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Ein altmodisches Städtchen, in dem jeder jeden kennt, eine eingesessene Gemeinde, die an ein unheimliches geflügeltes Ungeheuer glaubt, und ein Familienfluch, der mit einer längst vergessenen Liebe zusammenhängt ...

Ein altmodisches Städtchen, in dem jeder jeden kennt, eine eingesessene Gemeinde, die an ein unheimliches geflügeltes Ungeheuer glaubt, und ein Familienfluch, der mit einer längst vergessenen Liebe zusammenhängt – was braucht eine fantastische Erzählung mehr? Aus diesen Elementen und einem wilden Haufen an bunten Charakteren hat Alice Hoffman ihren Roman "Nachtvogel oder Das Geheimnis von Sidwell" geschaffen, der seine Leser – ganz egal, ob Jung oder Junggeblieben! – schon nach der ersten Seite gefangen nimmt.

"Nachtvogel" steckt voller Magie – und damit ist nicht bloß das tatsächlich Übersinnliche der Geschichte gemeint. Auch wenn der Fluch der Fowler-Familie den Dreh- und Angelpunkt der Handlung ausmacht, erzählt Alice Hoffman in ihrem Buch von so viel mehr. Die Magie der Liebe, die einen an das Unmögliche glauben lässt, und der Zauber der Freundschaft, der einem in den dunkelsten Zeiten Mut und Hoffnung schenkt, spielen eine ebenso große Rolle. Das mag kitschig klingen, liest sich allerdings authentisch und herzerwärmend. "Nachtvogel" vermittelt viele wichtige Werte und zeigt, dass man mit seiner Familie und seinen Freunden alles erreichen kann.

Teresa Jane Fowler, von allen nur "Twig" genannt, nimmt den Leser als Erzählerin bei der Hand und führt ihn auf ihre besondere Art durch die Geschichte. Für ihre jungen 12 Jahre ist sie eine äußerst besonnene Protagonistin, und das kommt nicht von ungefähr: Schon früh musste Twig lernen, sich von anderen abzugrenzen und Geheimnisse zu wahren, denn jeder noch so kleine Fehler könnte ihre Familie um Kopf und Kragen bringen. Sie ist ein aufgewecktes, loyales und kluges Mädchen, das Jung und Alt mit seinem ehrlichen Blick auf die Welt begeistern wird.

Mit "Nachtvogel oder Die Geheimnisse von Sidwell" hat Alice Hoffman einen zauberhaften Roman geschrieben, dessen Magie man sich nicht entziehen kann. Ein atmosphärisches Städtchen voller Geheimnisse, ein uralter Fluch und der starke Glaube an ein geflügeltes Ungeheuer machen das Buch für junge Leser spannend und mitreißend, während die längst aus der Altersempfehlung herausgewachsenen Leser von Alice Hoffmans poetischem und bildstarkem Schreibstil begeistert sein werden. "Nachtvogel" steckt voller großartiger und einzigartiger Charaktere und vermittelt tolle Werte, die das Herz erwärmen und zum Nachdenken bewegen. Für mich ist dieser Roman etwas ganz besonderes, eine magische und doch äußerst ehrliche Erzählung, die ich nur bedingungslos weiterempfehlen kann.

Veröffentlicht am 01.08.2017

Guten Abend, gut' Nacht, mit Rosen bedacht ...

Mit Rosen bedacht
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Es war alles perfekt: In wenigen Tagen wollte Wanda ihren Verlobten Karim heiraten. Mit ihm zusammen die neue gemeinsame Wohnung beziehen. Den Rest ihres Lebens glücklich an seiner Seite verbringen. Doch ...

Es war alles perfekt: In wenigen Tagen wollte Wanda ihren Verlobten Karim heiraten. Mit ihm zusammen die neue gemeinsame Wohnung beziehen. Den Rest ihres Lebens glücklich an seiner Seite verbringen. Doch dann geschah der Unfall – und nun liegt Wandas Welt in Trümmern. Karim wurde schwer verletzt und liegt im Koma. Die Ärzte geben ihm kaum noch Chancen, jemals wieder aufzuwachen. Als Wanda sich darum bemüht, Karims Angelegenheiten zu klären, stößt sie auf unerwartet viele Fragen und Ungereimtheiten. Seine persönlichen Unterlagen fehlen und sowohl Karims Vermieterin als auch sein Chef konfrontieren Wanda mit Daten, die unmöglich stimmen können – oder? Hat ihr Verlobter ihr etwa die ganze Zeit etwas vorgemacht? Sein wahres Ich hinter einem dichten Netz aus Lügen verborgen? Aber warum? Wanda kommt Karims Geheimnis gefährlich nah – und bringt damit einen Stein ins Rollen, der sie selbst zu überwältigen droht.

Mit „Mit Rosen bedacht“ wagt sich die talentierte Autorin Jennifer Benkau in neue Gefilde: Hierbei handelt es sich keinesfalls um ein Jugendbuch, sondern um einen spannenden Psychothriller! Und Frau Benkau beweist mit Leichtigkeit und schonungsloser Ehrlichkeit, dass ihr Schreibtalent sich nicht auf ein Genre festsetzen lässt. „Mit Rosen bedacht“ ist anders als ihre anderen Bücher, ganz klar, aber auf ihre einzigartige Magie hat die Autorin keinesfalls verzichtet. Jennifer Benkau fesselt ihre Leser mit jedem Kapitel mehr an ihre Seiten und bietet ihnen eine mitreißende, emotionale und erschreckend ehrliche Suche nach der Wahrheit. Eine ganz klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 02.05.2017

Ein brummtastisches Leseabenteuer für Jung und Alt

Der Hummelreiter Friedrich Löwenmaul
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Auf Friedrich Löwenmauls Schultern lastet eine schwere Bürde: Er ist der letzte Spross der berühmtesten Hummelreiter-Familie. Die unzähligen Pokale und Auszeichnungen seiner Verwandten erinnern Friedrich ...

Auf Friedrich Löwenmauls Schultern lastet eine schwere Bürde: Er ist der letzte Spross der berühmtesten Hummelreiter-Familie. Die unzähligen Pokale und Auszeichnungen seiner Verwandten erinnern Friedrich tagtäglich daran, dass er selbst nicht das Talent seiner Familie geerbt hat und dem bekannten Namen Löwenmaul nicht gerecht wird. Doch als eines Tages die goldene Hummel Hieronymus Brumsel auf seinem Balkon sitzt und mit ihm spricht – ja, wirklich spricht! – lässt sich Friedrich von ihr überreden, etwas zu wagen. So schnell er auf Brumsels Rücken sitzt, so schnell bereut Friedrich jedoch seinen Übermut, denn die Hummel hat ihn unter Vortäuschung falscher Tatsachen auf ihren Rücken gelockt! Hieronymus reiste im Auftrag von Königin Ophrys an, die Friedrich als Spion in den Norden des Landes schicken will. Im weit entfernten Skarnland, das ebenso sonderbar wie kurios ist, brodelt es und es liegt allein in Friedrich Löwenmauls Händen, einen gewaltigen Krieg zu verhindern. Worauf hat er sich da nur eingelassen?

„Der Hummelreiter Friedrich Löwenmaul“ von Verena Reinhardt ist ein wundervoller, sonderbarer und einzigartiger Roman aus deutscher Feder, der mich mit seinen originellen Ideen überrascht und begeistert hat. Reinhardt hat herrlich skurrile und facettenreiche Charaktere geschaffen, die in einer ungewöhnlichen Welt ein noch viel außergewöhnlicheres Abenteuer erleben. Sie nimmt ihre Leser mit auf eine fantastische Reise, bunt, speziell und ungewöhnlich, und schafft mit ihrem tollen Schreibstil ein Leseerlebnis, das mit viel Spannung, Mut und Freundschaft glänzt. „Der Hummelreiter Friedrich Löwenmaul“ ist ein Must-Read für jeden, der ein Herz für zeitlose Geschichten hat. An dieses Buch erinnert man sich auch noch nach Jahren mit einem Lächeln auf den Lippen – da bin ich mir sicher.

Veröffentlicht am 02.05.2017

Eine Achterbahnfahrt der Gefühle!

All die verdammt perfekten Tage
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Seit sie in einen furchtbaren Autounfall verwickelt war, leidet die 17-jährige Violet Markey unter extremen Schuldgefühlen. Denn während sie ohne körperlichen Folgeschäden davongekommen ist, ist ihre geliebte ...

Seit sie in einen furchtbaren Autounfall verwickelt war, leidet die 17-jährige Violet Markey unter extremen Schuldgefühlen. Denn während sie ohne körperlichen Folgeschäden davongekommen ist, ist ihre geliebte Schwester tödlich verunglückt. Als sie auf dem Dach der Schule an der Brüstung steht und dem lockenden Abgrund von ihren Füßen entgegenblickt, ist es ausgerechnet Theodore Finch, der sie von einem Sprung in die Tiefe abhält. Finch, der Freak der Schule, der mit seiner sonderbaren Art den Ärger stets anzuziehen scheint – und der es sich nun zur Aufgabe gemacht hat, Violet wieder an die Freuden des Lebens zu erinnern. Sie an das Leben zu erinnern. Doch auch Finch stand an jenem Tag nicht ohne Grund an der Brüstung des Daches …

Bedrückend, erfreulich, beklemmend, ermutigend, grausam und wunderschön – „All die verdammt perfekten Tage“ von Jennifer Niven ist all das und noch mehr, abwechselnd und zugleich. Zwischen den optisch herrlichen Buchdeckeln steckt eine eindringliche Geschichte, die zwischen Extremen wankt und ihre Leser auf intensive, brutale und ehrliche Weise beschäftigt, noch lange über die letzte Seite hinaus. Violet Markey und Theodore Finch sind ein Protagonistenpärchen, das den Glauben an die Schönheit des Lebens aus ganz unterschiedlichen Gründen verloren hat und nun gemeinsam neuen Mut, neue Kraft und neuen Lebenswillen fassen will. Sie auf diesem Weg zu begleiten, treibt Leser ebenso an persönliche Grenzen wie die Protagonisten selbst. Leichte, fluffige Lektüre erwartet einen in „All die verdammt perfekten Tage“ nicht, im Gegenteil: Es ist ein ergreifender, bewegender Roman, der mich lachen und weinen ließ, der mich zu Boden stieß und mir wieder auf die Beine half. Für mich ein absolutes Lesehighlight!