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Veröffentlicht am 20.10.2017

Ora et labora

Harte Jahre - starke Frauen
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„Bete und arbeite“ - so lautet das Credo der fünf Frauen, aus deren Leben in diesem Buch berichtet wird. Die beiden Autorinnen geben den Bäuerinnen Josefine, Toia, Kathi, Augusta und Margareth eine ...

„Bete und arbeite“ - so lautet das Credo der fünf Frauen, aus deren Leben in diesem Buch berichtet wird. Die beiden Autorinnen geben den Bäuerinnen Josefine, Toia, Kathi, Augusta und Margareth eine Stimme; sie haben die Erzählungen gesammelt und so behutsam ins Hochdeutsche geschrieben, dass sie authentisch bleiben.
Geboren zwischen 1894 und 1943, haben die fünf Tirolerinnen politisch und wirtschaftlich schwierige Zeiten erlebt. Sie wuchsen in ärmlichen Verhältnissen auf und mussten schon als Kinder einen großen Teil der Arbeit in Haus und Hof übernehmen. Häufig wurden sie in entfernte Orte auf Bauernhöfe oder in Haushalte geschickt, um dort zu arbeiten. Der Schulbesuch war für diese schwer arbeitenden Kinder Nebensache und währte nur kurze Zeit. Auch in der Ehe erwartete die Frauen oft ein hartes Schicksal. Ihr Lebensinhalt bestand aus Pflichterfüllung - Kindergebären, arbeiten und beten. Welche Erwartungen hatten sie eigentlich an ihr Leben?
Widerspruch wagte keine der Frauen. Gesellschaft und Kirche erwarteten von ihnen strikte Unterordnung: „Wir waren zu Gehorsam erzogen worden, in jeder Lebenslage, und wir waren dafür vorgesehen, zu helfen und zu dienen“ erklärt Augusta (Jahrgang 1933). Dennoch bezeichnen sich die Frauen trotz aller Widrigkeiten und Härten in ihrem Leben als zufrieden. Was macht sie so ausgeglichen?
Auch das Foto, welches das Buchcover ziert, lässt sehr eindrucksvoll die Lebensbedingungen der weiblichen Landbevölkerung erahnen. Trotz Not und schwerer Arbeit lächelt das junge Mädchen bereitwillig in die Kamera, sie wirkt nicht bedrückt oder unglücklich.
Schlicht und dabei sehr eindrücklich lesen sich die Lebensberichte der fünf Tiroler Bäuerinnen, die stellvertretend für viele Frauen ihrer Generation und ihres gesellschaftlichen Standes von ihren Schicksalen erzählen.

Veröffentlicht am 20.10.2017

"Du weißt nie, was morgen passiert..."

Mein Russland
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… lautet das Fazit des jungen Unternehmerehepaares Marjucha aus Moskau. Die Marjuchas erscheinen in einem der insgesamt elf Porträts, die ORF Korrespondentin Carola Schneider für dieses Buch zusammengestellt ...

… lautet das Fazit des jungen Unternehmerehepaares Marjucha aus Moskau. Die Marjuchas erscheinen in einem der insgesamt elf Porträts, die ORF Korrespondentin Carola Schneider für dieses Buch zusammengestellt hat. Die Stimmen, die sie zu Wort kommen lässt, stammen aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten und Berufen: Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Künstler, Rentner, Bauern. Einige sind Regimegegner, einige pro Putin, andere wiederum wollen in erster Linie in Ruhe ihr privates Dasein leben. Also scheint es auf den ersten Blick nicht viel anders als in anderen Staaten zu sein. Was macht Russland und seine Bewohner so besonders bzw. so widersprüchlich, wie es der Titel formuliert?
Thematisiert werden u.a. die aktuelle Politik, der Einfluss der Kirche, Kultur, ökonomische Möglichkeiten - wobei jeder der Interviewten seine eigene Geschichte und Sichtweise äußert. Allen gemeinsam ist jedoch, dass sie ihre Heimat nicht verlassen möchten und ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft setzen.
Der gegenwärtige Alltag ist für die meisten nicht einfach; wirtschaftliche und politische Krisen beherrschen das Leben der Menschen. Es scheint, als ob viele Russen ihr Selbstbewusstsein aus der Vergangenheit ziehen, aus dem Beitrag Russlands zu dem gewonnenen Weltkrieg. „Wir müssen herausfinden, wer wir sind … für uns und für die Welt“, erklärt der Pro-Putin-Propagandist Wichljanzew und wünscht sich zukunftsweisende Ideen: „Vielleicht rühren die vielen Krisen und Konflikte daher, dass wir keine großen Ideen mehr haben.“
Das Buch ist lebendig und für jedermann verständlich geschrieben. Fotos vermitteln dem Leser noch mehr Nähe zu den Menschen, die hinter den Lebensberichten stehen. Die hier ausgewählten Reportagen sind sicher nicht repräsentativ, geben aber doch einen guten Querschnitt an Meinungen wieder.

Veröffentlicht am 20.10.2017

Boy in a white room

Boy in a White Room
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Wo bin ich? Wer bin ich?
Das sind die ersten Fragen, mit denen sich der Junge, der in einem weißen Raum zu sich kommt, auseinandersetzt. Und sie begleiten ihn den ganzen Roman hindurch, während er sich ...

Wo bin ich? Wer bin ich?
Das sind die ersten Fragen, mit denen sich der Junge, der in einem weißen Raum zu sich kommt, auseinandersetzt. Und sie begleiten ihn den ganzen Roman hindurch, während er sich schrittweise seiner Identität zu nähern versucht. Mit Hilfe des Internets und eines Computerhilfsprogramms namens ALICE gelingt es ihm, sich immer besser in seiner virtuellen Umgebung zurechtzufinden, nach Erklärungen und Erinnerungen zu suchen. So besteht seine Realität anscheinend darin, als Manuel, dem schwer verletzten Opfer einer Entführung, bewegungsunfähig im Koma zu liegen, während sein Gehirn jedoch weiterhin mit Hilfe modernster wissenschaftlicher Methoden in virtuellen Räumen funktionieren und mit der Außenwelt kommunizieren kann. Oder gibt es andere Erklärungen?
Was ist Realität? Was bedeutet Identität? Diesen Themen geht Karl Olsberg auf seine Art nach: auf spannende und trotzdem nachdenkliche Weise verpackt er sie in einen mitreißenden Jugendroman. Die jungen Leser - die meisten von ihnen vertraut mit Computersimulationen - erleben die Ereignisse ganz aus Manuels Sicht und fühlen sich in unterschiedliche virtuelle Welten hineingezogen. Hier ist nichts so einfach, wie es scheint; unvermutete Wendungen sorgen für Überraschungen. Täuschung, Erkennen und Denken stellen große Herausforderungen an Manuel - und sorgen auch bei den Lesern für Nachdenklichkeit.

Veröffentlicht am 05.09.2017

Gelungene Komposition aus Realität und Fantasie

Palast der Finsternis
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Ein unterirdischer Palast und seine Geheimnisse: Fünf Jugendliche sind für die Teilnahme an der Erforschung des „Palais du Papillon“ in Frankreich ausgewählt worden. Erbaut von Frédéric de Bessancourt, ...


Ein unterirdischer Palast und seine Geheimnisse: Fünf Jugendliche sind für die Teilnahme an der Erforschung des „Palais du Papillon“ in Frankreich ausgewählt worden. Erbaut von Frédéric de Bessancourt, sollte der Schmetterlingspalast während der französischen Revolution als Zufluchtsort des in Péronne lebenden Adels dienen, der vor der Guillotine floh. Weder Anouk noch Will, Lilly, Hayden oder Jules ahnt, was ihnen bevorsteht, als sie auf Einladung der „Sapani Corporation“ im Château du Bessancourt eintreffen. Aber noch bevor sie sich richtig kennenlernen und auf ihre Expedition vorbereiten können, müssen die fünf jungen Leute sich bereits unerklärlichen, gefährlichen Ereignissen stellen, viele Meter unterhalb der Erdoberfläche im Palais du Papillon - allein auf sich gestellt und aufeinander angewiesen.
Parallel zu dem Abenteuer der Teenager, das anschaulich und sehr packend aus der Sicht der Protagonistin Anouk dargestellt wird, erzählt der Autor die Geschichte der jungen Adligen Aurélie zur Zeit der französischen Revolution. In geschickten Einschüben schildert er ihre Erlebnisse stets passend zur Entwicklung der aktuellen Erlebnisse Anouks. Mit seiner angenehmen Schreibweise und einem ansprechendem Stil schafft es Stefan Bachmann, die Spannung, die seinen Roman durchzieht, bis zum Schluss aufrecht zu erhalten und den Leser über einen längeren Zeitraum über eine mögliche Lösung im Ungewissen zu lassen.
Mit „Palast der Finsternis“ ist dem erst 24 Jahre alten Schriftsteller eine geschickte Komposition aus Vergangenheit und Gegenwart, aus Realität und Fantasie mit Gruselfaktor gelungen. Das Buch bietet spannungsreiche Unterhaltung für alle Freunde der Contemporary Fantasy-Literatur

Veröffentlicht am 27.08.2017

Lebendige Geschichte

Die Geschichte der getrennten Wege
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Hier wird Geschichte lebendig! Ebenso anschaulich wie in ihren Vorgängerromanen spiegelt Elena Ferrante gesellschaftliche und politische Gegebenheiten und Veränderungen in den Schicksalen zweier neapolitanischer ...


Hier wird Geschichte lebendig! Ebenso anschaulich wie in ihren Vorgängerromanen spiegelt Elena Ferrante gesellschaftliche und politische Gegebenheiten und Veränderungen in den Schicksalen zweier neapolitanischer Freundinnen.
Im dritten Teil der „Neapel-Saga“ stehen die turbulenten Siebziger Jahre im Fokus. Lenù und ihre „geniale Freundin“ Lila sind erwachsen geworden und glauben, ihren Platz im Leben gefunden zu haben. Ruhe kehrt in ihre Lebensläufe dennoch nicht ein. Lila, die zunächst als alleinerziehende Mutter mit harter Arbeit in einer Wurstfabrik ihren Lebensunterhalt verdienen muss, nutzt die Chancen der neu aufkommenden Computertechnologie, um sich beruflich neu zu orientieren. Elena hingegen scheint auf ein erfolgreiches Leben als Schriftstellerin hin zu steuern. Ihre Ehe mit dem klugen, jungen Universitätsprofessor Pietro verspricht eine sorglose Zukunft - bis eines Tages Nino, ein Freund aus Jugendtagen, wieder in ihr Leben tritt. Die Wege der Freundinnen trennen sich, sie werden einander fremder.
Wird ihre Freundschaft auf Dauer halten?
Eingebettet in die politischen Unruhen und gewalttätigen Auseinandersetzungen der Siebziger Jahre gibt die Autorin die wechselhafte Geschichte um das Erwachsenwerden zweier Mädchen aus dem Rione, dem Armenviertel Neapels, wieder. Aus der Sicht Lenùs lässt Ferrante den Leser intensiv am Schicksal der beiden Frauen teilnehmen. Wie bereits in den ersten beiden Bänden erzählt sie mit schlichten Worten, scheinbar leicht; doch ihre Erzählung ist bildhaft und kraftvoll. Ihre Schilderungen lassen den Leser förmlich das lautstarke Leben und Treiben im Rione „hören“.
Zum besseren Verständnis gibt die Autorin zu Beginn ihres Romans eine kurze Personen- und Handlungsübersicht als Einstiegs- bzw. Erinnerungshilfe. Aber meines Erachtens wäre es vorteilhafter, auch die ersten Bände gelesen zu haben; denn als Sechzigjährige verschwindet Lila, und die Frage nach ihrem Verbleib zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Bände.