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Veröffentlicht am 03.10.2017

Wie eine klassische Gothic Novel

Grandhotel Angst
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Der Klappentext zu diesem Buch hat mich sehr neugierig gemacht, doch obwohl eigentlich deutlich zu lesen war, was mich erwarten würde, hat mich das Buch doch überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, ...

Der Klappentext zu diesem Buch hat mich sehr neugierig gemacht, doch obwohl eigentlich deutlich zu lesen war, was mich erwarten würde, hat mich das Buch doch überrascht. Ich hatte nicht damit gerechnet, eine echte Gothic Novel vorzufinden. Dieses Genre, das bei dem weiblichen Publikum des 18. und 19. Jahrhunderts sehr beliebt war, scheint heute beinahe ausgestorben, doch mit „Grandhotel Angst“ legt die Autorin einen Roman vor, der sich perfekt in diese Tradition einreiht.



Die typischen Charaktere einer Gothic Novel

Mit Nell haben wir die typische Protagonistin einer Gothic Novel: Sie ist hübsch, liebenswürdig, intelligent, aber gleichzeitig auch naiv. Ihre familiären Umstände haben dazu geführt, dass sie wenig von der Welt weiß, so dass sie dem viel reisenden, älteren Gentleman ohne weiteres verfällt. Auch ihr Ehemann Oliver ist eine klassische Figur aus diesem Genre: eigentlich sehr zuvorkommend und voller Liebe, doch geplagt von einem Geheimnis, das er lieber vor seiner Ehefrau geheim halten will.

Ein weiterer wichtiger Protagonist in den klassischen Gothic Novels ist auch immer das Haus: Ein prunkvoller, aber düsterer Bau, den die empfindsame weibliche Hauptfigur zunächst beeindruckend, dann jedoch zunehmend furchteinflößend findet. Das Gemäuer steht selbst meist unter einem Fluch und scheint wie eine handelnde Person in das Geschehen einzugreifen. So auch in diesem Fall, denn schon bald nach ihrem Eintreffen blickt Nell in einen Spiegel, durch den eine übernatürliche Kraft zu ihr Kontakt aufzunehmen scheint.

Die übrigen Personen um sie herum scheinen alle deutlich mehr über ihren Ehemann zu wissen, doch anstatt dass ihr jemand die ganze Wahrheit erzählt, beschränken sich die einen lediglich auf Andeutungen, während andere finstere Drohungen ausstoßen, um sie zu verschrecken. Auch hier folgt die Geschichte einem typischen Plot-Muster der Gothic Novels. Interessant ist allerdings, dass die Rolle von Oliver nicht ganz eindeutig ist. Denn bis zum Schluss kann sich der Leser nicht sicher sein, ob Oliver die große romantische Liebe ist, für die die unschuldige Nell ihr Leben riskieren sollte, oder ob er in Wirklichkeit der böse Antagonist ist, vor dem Nell sich besser verstecken sollte. Das ist geschickt gemacht und gelingt vor allem, weil das Buch vollständig aus ihrer Perspektive erzählt ist.



Ein klug gewählter Schreibstil, der trotzdem Schwächen hat

Generell steht in diesem Buch der Schreibstil vollständig im Dienste der Geschichte. Wenn wir die Geschehnisse nicht vollständig aus der Perspektive von Nell erleben würden, wäre es uns als Lesern vermutlich zu schnell möglich, die Wahrheit zu erkennen. So aber bleiben wir gefangen in dem Zweifel, ob nicht doch übernatürliche Kräfte am Wirken sind, ob nicht doch ein Fluch über dem Hotel oder über einzelnen Personen des Hotels liegt.

Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass der Schreibstil ein wenig weniger dramatisch gewesen wäre. Wir erleben einen großen Teil der Geschichte in reflektierenden Rückblenden, die immer wieder durchsetzt sind von der klischeehaften Formulierung „Damals konnte ich ja noch nicht wissen“ oder „Wie naiv ich doch war“. Das ist ein durchaus übliches Stilmittel, das in dieser Form der Erzählung auch seinen Platz hat, doch es wurde ein wenig zu häufig für meinen Geschmack eingesetzt.



Für heutige Thriller-Leser vielleicht gewöhnungsbedürftig

Der Plot selbst ergibt am Ende tatsächlich einen Sinn, doch dafür muss man es als Leser zunächst aushalten, von einer Lücke in die nächste zu stolpern. Immer wieder finden wir uns desorientiert an Handlungsorten wieder, ohne recht zu verstehen, warum wir da sind, warum die anderen Personen da sind und was das eigentlich mit der Geschichte selbst zu tun haben soll. Ich musste mir zwischendurch ins Gedächtnis rufen, dass das Absicht ist, ansonsten hätte ich wohl schnell das Interesse an der Geschichte verloren. Wenn man jedoch durchhält, kann man rückblickend einen interessanten Plot entdecken, dessen einzelne Stationen Sinn ergeben und meisterhaft verwoben erscheinen.

Wenn man sich mit dem Wissen, dass dies eine sehr klassische Gothic Novel ist, auf den Roman einlässt, kann man wundervoll in die Welt am Ende des 19. Jahrhunderts eintauchen. Die historischen Umstände sind ebenso lebhaft wie bedrückend, die typischen Elemente werden eindrucksvoll in Szene gesetzt und man fiebert mit der Hauptperson mit. Für den Thriller-Leser der heutigen Zeit mag die Spannung nicht stark genug gewesen sein, doch mit der richtigen Erwartung ist das Buch trotzdem ein Genuss.



Fazit:

Der Roman „Grandhotel Angst“ von Emma Garnier ist eine gekonnte Wiederbelebung des romantischen Genres der Gothic Novels. Die klassischen Elemente dieser Geschichten werden von der Autorin meisterhaft zu einer spannenden Geschichte verwoben, bei der bis zum Schluss unklar ist, wer nun eigentlich der Bösewicht ist. Der Schreibstil ist passend, wenn auch manchmal zu sehr auf Dramatik ausgelegt. Für einen normalen Thriller fehlt eventuell die richtige Spannung, doch als Gothic Novel funktioniert das Buch wunderbar. Wer dieses alte Genre mag oder generell an historischen Romanen mit einem Hauch des Übernatürlichen Interesse hat, der sollte unbedingt bei diesem Buch zugreifen.

Veröffentlicht am 02.10.2017

Ich will noch mehr über Alessa lesen!

Das blaue Medaillon
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Martha Sophie Marcus versteht ihr Handwerk. Obwohl dies der erste historische Roman ist, den ich von ihr lese, haben wenige Zeilen ausgereicht, um mich von ihrem Schreibstil zu überzeugen. Sie benutzt ...

Martha Sophie Marcus versteht ihr Handwerk. Obwohl dies der erste historische Roman ist, den ich von ihr lese, haben wenige Zeilen ausgereicht, um mich von ihrem Schreibstil zu überzeugen. Sie benutzt der Zeit angemessenes Vokabular, ohne dass es einem an die heutige Zeit gewöhnten Leser negativ auffällt, im Gegenteil, es trägt zum Charme ihrer Bücher bei.



Ein realistisches, farbenfrohes Gemälde der Zeit

Nach einem turbulenten Auftakt begleiten wir die Hauptfigur Alessa auf einer Reise nach Celle, dich mich persönlich lebhaft an eines meiner ersten großen Rollenspiel-Abenteuer erinnert hat, in welchem ich undercover mit der Gauklertruppe Saltatio Mortis in die Dunkellande gereist bin, um dort heimlich am Hofe Nachforschungen anzustellen. Die Auftritte der Schauspieltruppe sind lebhaft beschrieben, man sieht die Harlekins förmlich vor sich durch die Luft wirbeln. Immer wieder wird das Schauspiel zum Mittelpunkt der Handlung, und immer wieder unterhält uns die Autorin damit auf fantastische Weise.

Auch am Hofe selbst, wo man vielleicht höherwertiges Theater kennt, kommt die Truppe gut an. Es ist schon zu sehen, wie erwachsene, adelige Menschen sich im Angesicht von heiterer, alberner Unterhaltung gehen lassen können. Die Anziehungskraft von einfachen Schauspielern ist mit den Händen zu greifen. Generell ist die Darstellung der höfischen Personen ebenso gelungen wie die von Alessa und ihrer Truppe. Dass wir es hier mit echten historischen Persönlichkeiten zu tun haben, deren Ränkespiele in der Realität ganz ähnlich abgelaufen sind, trägt dazu bei, dass der Roman authentisch und realistisch wirkt.



Spannende, lebensnah wirkende Charaktere

Alessa ist eine sympathische Heldin, auch wenn sie manchmal ein wenig zu überlegen wirkt. Sie spricht mehrere Sprachen, ist eine Meisterdiebin und klug genug, in den codierten Konversationen der Adeligen nicht unterzugehen. Ein klein wenig mehr Schwäche hätte ihr vielleicht gut getan, dennoch ist sie gerade so nicht zu einer Mary Sue geworden und man sorgt sich bisweilen doch um ihr Wohlergehen.

Dass sie einen Love-Interest bekommt, hat mich persönlich überrascht, doch es passte zu der Geschichte und die Romanze hat glücklicherweise den eigentlichen Plot nicht überschattet. Stattdessen hat die Liebe für beide Seiten eine angenehme Komplikation hinzugefügt, und den großen Gegenspieler von Alessa menschlich wirken lassen. Auch dieser Mann ist nahe an der Perfektion, er ist von einfacher Geburt, aber dennoch gebildet und im höchsten Maße loyal gegenüber dem Herzog. In Rollenspielterminologie wäre er wohl rechtschaffend-gut, doch glücklicherweise hat er das Herz am rechten Fleck, so dass er kein blinder Gesetzesdiener ist.

Eine der interessantesten Figuren ist der Auftragsmörder, vor dem Alessa flieht. Einige Szenen werden aus seiner Sicht geschildert und hier lernen wir einen Menschen kennen, der generell eiskalt, kalkulierend und intelligent ist, aber genauso schnell auch von heißem, loderndem Hass verschlungen werden kann. Es ist wirklich schade, dass wir nicht mehr von diesem Mann erfahren. Generell habe ich mir am Ende des Buches gewünscht, dass es sich um den Auftakt einer Reihe handelt, denn so viele Charaktere haben das Potential, ihre eigene Geschichte erzählen zu können. Gerne würde ich lesen, wie aus dem Mann Mezzanotte der berüchtigte Auftragsmörder wurde.



Fazit:

Der historische Roman "Das blaue Medaillon" von Martha Sophie Marcus überzeugt mit einem angenehmen Schreibstil und spannenden Charakteren. Die Geschichte um Alessa, die alles versucht, um ihr Medaillon zu beschützen, ist rasant und in den bunten Bildern einer Schauspieler-Truppe erzählt. Die historischen Umstände werden realitätsnah erzählt, ohne den Leser zu langweilen. Ein wenig übertrieben wirkt manchmal das Können der Hauptperson, doch abgesehen davon ist dieser Roman eine runde Sache.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Figuren
  • Atmosphäre
  • Spannung
  • Thema
Veröffentlicht am 01.10.2017

Eine realistische Dystopie

Die Optimierer
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Dystopien werden derzeit so gerne gelesen wie nie zuvor. Im Anschluss an „Die Tribute von Panem“ hat sich ein eigenes Genre entwickelt, in dem junge Frauen gegen ein diktatorisches System kämpfen, um der ...

Dystopien werden derzeit so gerne gelesen wie nie zuvor. Im Anschluss an „Die Tribute von Panem“ hat sich ein eigenes Genre entwickelt, in dem junge Frauen gegen ein diktatorisches System kämpfen, um der Menschheit ihre Freiheit wiederzugeben. In vielen Spielarten finden sich diese Geschichten auf dem Buchmarkt. Die Optimierer hingegen geht einen Schritt zurück und ist viel näher an der wohl bekanntesten Dystopie, George Orwells „1984“. Mir gefällt diese Rückbesinnung sehr.



Die Naivität der Hauptperson

In der heutigen Zeit ist die Angst davor, was das Internet und die moderne Technik bald alles können wird, beinahe allgegenwärtig. Der gläserne Mensch, die Überwachung der Menschheit durch Roboter, all das sind keine neuen Ideen. Das Buch „The Circle“, welches gerade mit Emma Watson in der Hauptrolle verfilmt wurde, greift dieselbe Idee auf: Wenn alle jederzeit überwacht werden und dazu angeregt werden, sich mit anderen zu vernetzen, gibt es das absolute Wissen, nichts kann mehr in Vergessenheit geraten und die bösen Menschen werden schneller bestraft. Dass Rezept dieser Art von Dystopie besteht darin, dass dem Leser das System zunächst als gut und fortschrittlich präsentiert werden muss, damit die Schattenseiten umso offensichtlicher und drastischer geschildert werden können. Damit man aber ein eigentlich schlechtes System gut darstellen kann, benötigt man eine Hauptfigur, die zumindest in einem gewissen Umfang naiv ist. Dies war bei der Protagonistin aus „The Circle“ der Fall, weswegen ich das Buch entnervt abgebrochen habe – es war nicht zum Aushalten.

Samson Freitag, die Hauptperson in diesem Roman, ist ebenfalls naiv und deswegen treuer Staatsdiener. Aber seine Naivität ist gänzlich anders, weswegen er als Person so viel besser funktioniert. Er glaubt aus tiefstem Herzen an das System, geht mit seiner absoluten Korrektheit manchmal sogar seinen Kollegen von der Lebensberatung auf die Nerven. Er steht kurz vor der Beförderung, da er eine bestimmte Menge an Beratungsgesprächen durchgeführt hat und zudem beinahe 1000 Sozialpunkte erreicht hat. Sein Alltag dreht sich beinahe vollständig darum, Sozialpunkte zu sammeln. Überall sieht er Verbesserungspotential im System, informiert die zuständigen Behörden darüber, und nebenher begeht er regelmäßig wohltätige Handlungen. Er ist ein perfekt funktionierendes Rädchen.



Das realistische Grauen des Systems

Als sich sein Leben jedoch, wie im Klappentext erwähnt, urplötzlich zum Schlechteren wendet, sehen wir hinter seiner Naivität noch etwas anderes: Egoismus. Seine Hingabe zum System gründet sich nicht darin, dass er das System an und für sich gut findet, sondern vielmehr weiß er, wie er selbst Potential daraus schlagen kann, wie er am schnellsten Sozialpunkte sammeln kann, wie er steil Karriere machen kann. Jeder an seinem Platz lautet die Formel in dieser Gesellschaft und Samson weiß exakt, was er tun muss, um an seinen Platz zu gelangen. Deswegen glaubt er an das System.

Entsprechend schnell kann er sich auch mit Hass und Aggressionen gegen jene richten, die ebenfalls dem System dienen, als es bei ihm plötzlich bergab geht. Gerade weil er nicht aus Hingabe zur Gesellschaft, sondern nur für sich selbst wohltätig und systemkonform war, sieht er nach seinem Absturz überall nur noch, wie das System gegen ihn arbeitet. Er ist weiterhin naiv genug zu glauben, dass er nur wieder genügend Sozialpunkte sammeln muss, um in sein altes Leben zurückkehren zu können. Echte Verantwortung für die eigenen Taten, echte Reflexion findet nicht statt.

Es fällt schwer, Samson sympathisch zu finden. Genau das ist der Clou dieses Buches: Der Protagonist ist ein so widerwärtiger Mitläufer, er steht so sehr für all das, was an einer optimierten Gesellschaft nicht stimmt, dass das System selbst eine bedrohliche Authentizität erhält. Man kennt aus dem eigenen Leben diese Bürokraten, die penibel den Regeln folgen und genau deswegen allen anderen das Leben schwer machen. Durch die Linse von Samson erscheint es plötzlich nicht mehr unrealistisch, dass so ein dystopisches Regime wirklich entsteht.



Ein paar Schwächen bleiben

Auch die Auflösung am Ende passt in diese Vorstellung. Wieder begegnen wir der Naivität, wieder sehen wir, wie sehr diese Naivität der Gesellschaft insgesamt schaden kann. Der Glaube daran, das Richtige zu tun, ist sehr gefährlich.

Trotzdem hat das Buch auch einige Schwächen. Immer wieder beobachten wir zwischendurch Traum-Sequenzen von Samson, und ich gebe ehrlich zu: So sehr ich mich auch selbst für Träume interessiere, diese Abschnitte haben mich ratlos zurückgelassen, da ich die Symbolik nicht recht entschlüsseln konnte. Obwohl das Buch nur knapp 300 Seiten lang ist, fühlten sich einige Passagen doch ein wenig langgezogen an, ein wenig Raffung wäre hier und da nicht schlecht gewesen. Dennoch ist der Schreibstil über weite Strecken unterhaltsam, man lacht herzlich, bis einem zum Schluss das Lachen im Halse stecken bleibt.



Fazit:

Der Science-Fiction-Roman „Die Optimierer“ von Theresa Hannig ist eine angenehm düstere Dystopie, die nicht davor zurückschreckt, mit einem unsympathischen Hauptcharakter zu arbeiten. Die Mischung aus Naivität und Egoismus führt dem Leser deutlich vor Augen, wie leicht aus der Hölle der Bürokratie ein Regime wie dieses entsteigen könnte. Obwohl die Warnung vor den Möglichkeiten der Technik natürlich auch hier vorhanden ist, steht doch viel stärker eine andere Botschaft im Mittelpunkt: die Gefahr, die von dem Glauben an das absolut Richtige ausgeht. Nicht jeder Abschnitt des Buches konnte vollständig überzeugen, dennoch kann ich eine klare Kaufempfehlung aussprechen.

Veröffentlicht am 26.09.2017

Tolle Charaktere zum Mitfiebern

Die Lieferantin
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Endlich wieder ein klassischer Schreibstil

Eines der ersten Dinge, die mir an diesem Buch positiv aufgefallen ist, war, dass die Autorin offensichtlich den Mut besitzt, auf ganz herkömmliche Art und Weise ...

Endlich wieder ein klassischer Schreibstil

Eines der ersten Dinge, die mir an diesem Buch positiv aufgefallen ist, war, dass die Autorin offensichtlich den Mut besitzt, auf ganz herkömmliche Art und Weise zu erzählen: Dritte Person, Vergangenheit, wenige wechselnde Perspektiven. Es betrübt mich als Anhängerin dieses Stils, dass das heutzutage eine Seltenheit ist. Genau dieser Schreibstil ermöglicht es mir nämlich, in eine Geschichte abzutauchen und dabei zu vergessen, dass ich lese. Er ist unauffällig, lässt mich nicht stolpern und bringt auf eloquente Weise die Personen zum Leben.

Wie in einem Thriller üblich, haben wir hier Szenen aus verschiedenen Genre gemischt: mal spannend, mal actiongeladen, mal einfach nur Informationslieferanten. Sogar romantische Anklänge finden sich, wenn auch eher als Rückblick und nicht für den eigentlichen Plot relevant. Das alles bringt dieser Schreibstil gekonnt an den Leser, ohne dass sich der Stil jemals ändern muss. Es ist ein Fluss, eine runde Sache.



Spannende Charaktere, denen man Erfolg wünscht

Das Buch ist hochaktuell und entsprechend liest man eine politische Botschaft deutlich heraus. Die wichtigsten Personen sind Frauen, die durch Intelligenz und Stärke auffallen, ohne dabei ihre Weiblichkeit zu verlieren. Am Rande streifen wir die Problematik der Hautfarbe, denn in dem politischen Klima nach dem Brexit scheinen die Engländer in diesem Buch Menschen mit nicht weißer Hautfarbe sehr negativ gegenüber eingestellt zu sein. Eine erschreckend realistische Entwicklung, wie man auch nach den jüngsten Wahlen in Deutschland feststellen muss.

Die Männer, die zumeist in der Rolle der Antagonisten oder Bösewichte auftreten, hängen noch alten Rollenbildern an, mit all den Vorurteilen. Dass hinter dem geschlechtslosen Pseudonym "TheSupplier" eine Frau steckt, kommt ihnen lange nicht in den Sinn, ebenso wie sogar ein eiskalter Drogenboss kurzes Zögern zeigt, ehe er den Mord an einer Frau in Auftrag gibt.

Ellie, die hinter der Lieferantin steckt, sowie ihre Anwältin und ihre engste Mitarbeiterin sind mir von Anfang an sympathisch. Wir haben es hier mit echten Menschen zu tun, die zwar zusammen arbeiten und an dieselbe Sache glauben, sich aber dennoch deutlich voneinander unterscheiden und kontrovers über Mittel und Zweck diskutieren. Sie alle haben ihre Probleme, ihre löchrigen Lebensläufe, aber die tragischen Vorgeschichten wirken nicht, wie leider so oft, aufgesetzt, sondern als realistische Motivationen für ihre Handlungen. Genau deswegen ist das Buch auch tatsächlich spannend: Man weiß, dass alle Welt, insbesondere die Männer aus Drogenbanden und Politik, gegen die Frauen arbeiten, sie tot sehen wollen, und man weiß nicht, ob diese Frauen am Ende gewinnen. Ihr Wohlergehen liegt mir als Leserin sehr am Herzen.



Ein holpriger Plot

Die Geschichte selbst ist ebenfalls interessant und spannend, aber nicht ganz so gradlinig erzählt, wie ich es mir wünschen würde. Wie bei "Der Informant" haben wir es auch hier mit Szenen verschiedener Figuren zu tun, doch relativ schnell kann man stets einordnen, wer das ist und warum das wichtig für den Plot ist. Jede Szene ergänzt auf ihre Art ein kleines Puzzlestück, um sich zu einem großen Ganzen zusammenzufügen.

Leider ist dieses große Ganze in meinen Augen ein wenig zu groß. Die Brexit-Diskussion, der Kampf um Drogenlegalisierung, die rechtsgesinnten Nationalen - all das ist ein politischer Mix, der zwar hochinteressant ist, aber ein klein wenig zu viel. Für einen Roman, der in einer sehr nahen Zukunft spielt und städtische Probleme einfangen soll, sind natürlich Probleme um Hautfarbe, Drogenmissbrauch und wirtschaftlicher Absturz wichtig. Trotzdem gehen einige Figuren in dieser Masse manchmal unter und wir müssen viele Seiten Hintergrundinformationen lesen, die zwar von Charakteren geliefert werden, aber trotzdem etwas ungelenk wirken. Ein wenig mehr Konzentration auf einige wenige Problematiken hätte eventuell die Spannung noch erhöht. 



Fazit:

Der Thriller "Die Lieferantin" von Zoë Beck ist eine spannende Reise durch die Welt von Drongenbanden, Bestechung und politisch aufgeheizten Zeiten in Englands Metropole. Die Frauen rund um Hauptperson Ellie sind authentische Menschen, mit denen man mitfiebert, um die man Angst hat, für die man hofft. Die vielen politischen Probleme, die der Roman anspricht, sind zwar durchaus interessant dargestellt, lassen aber leider manchmal den eigentlichen Plot und die Hauptpersonen so stark in den Hintergrund rücken, dass man sich als Leser etwas verloren fühlt. Dennoch ist dieser Thriller ein Genuss, er liest sich flott und weiß, Spannung aufzubauen. Jedem Fan des Genres kann ich den Kauf nur empfehlen!

Veröffentlicht am 07.09.2017

Die Faszination des Bösen

Targa - Der Moment, bevor du stirbst
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Barbara und Christian Schiller versprechen mit Targa, eine neue Reihe um eine etwas andere Ermittlerin aufzubauen – und in meinen Augen ist das tatsächlich gelungen. Ich liebe Bücher, die sich mit dem ...

Barbara und Christian Schiller versprechen mit Targa, eine neue Reihe um eine etwas andere Ermittlerin aufzubauen – und in meinen Augen ist das tatsächlich gelungen. Ich liebe Bücher, die sich mit dem Abgründigen und Abseitigen der menschlichen Psyche beschäftigen, so dass die Prämisse dieses neuen Thrillers mich sofort angesprochen hat.



> Stimmige Charaktere mit spannender Dynamik

Sowohl Falk Sandmann als auch die titelgebende Targa Hendricks werden schnell eingeführt und es ist von Beginn an klar, dass beide besondere Menschen sind. Bei Targa ist es offensichtlicher, sie hat Zwangsstörungen und gibt unumwunden zu, dass sie wenig Emotionen verspürt, insbesondere Liebe ist ihr fremd. In vielen Büchern sind es männliche Charaktere, die diesen speziellen psychischen Defekt erhalten, hier aber haben sich die Autoren eine Frau ausgesucht und es funktioniert wunderbar. Besonders gefällt mir, wie mühelos die Autoren ihre Emotionslosigkeit darstellen, während man gleichzeitig aus dem Subtext heraus liest, dass Targa sehr wohl Gefühle hat und menschlich reagiert. Das macht sie nur noch interessanter, da man ahnt, dass sie früher oder später einen Zusammenbruch erleiden wird. Als Hauptfigur war sie mir von Beginn an sympathisch, auch wenn sie nicht zur Identifikation taugt. Sie ist cool, ohne übermenschlich gut in ihrem Job zu sein. Ich bin mir sicher, dass auch weitere Romane über sie Anklang finden werden.

Auf der anderen Seite steht Sandmann, ein gutaussehender und charismatischer Mann, der genau weiß, wie man Frauen verführt und hörig macht. Seine Faszination mit jenem Moment, in dem ein Mensch stirbt, ist genau jene Art von psychischem Abgrund, die ich bei Serienmördern in Thrillern liebe. Er lebt seine Bösartigkeit aus, ohne sich zu verstellen. Der Tod durch Ersticken ist extrem grausam, gleichzeitig ist Strangulation ein recht klassischen Element von Fetisch-Sex, das zumindest mir schon öfter über den Weg gelaufen ist. Das Gefühl, dem Tod nahe zu kommen, kann in sonst eher apathischen Menschen ungekannte Lebendigkeit auslösen – weswegen sich Targa augenblicklich von ihm angezogen fühlt. Die Dynamik stimmt. Er lässt sie fühlen. Er sieht in ihr eine verwandte Seele. Sie ist interessant, das wichtigste Merkmal an Frauen, wenn es nach Sandmann geht. Ich war beim Lesen begeistert, nicht nur zwei stimmige Charaktere zu haben, sondern auch eine passende Dynamik in ihrer Beziehung vorzufinden.



> Handwerkliche Schwierigkeiten im Schreibstil

Der Plot selbst ist stringent aufgebaut und temporeich erzählt. Ehe man es merkt, sind die 400 Seiten auch schon wieder vorbei. Einige Szenen mit Figuren, die man nicht einordnen kann, sind trotzdem spannend und am Ende versteht man, was man da über wen gelesen hat. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Sandmann und Targa macht Spaß, auch wenn die Auflösung am Ende vergleichsweise zu actionlastig war und ich nicht in jedem Absatz verstanden habe, was genau gerade geschieht.

Was mich auch zu meinem Kritikpunkt führt: So flüssig der Schreibstil sich auch liest, handwerklich ist hier nicht alles im Reinen. Wir haben verschiedene Charaktere, aus deren Perspektive wir die Geschichte verfolgen. In manchen Szenen ist aber überhaupt nicht klar, wessen Perspektive wir gerade verfolgen, was aber gerade bei diesem Thriller wichtig ist, da die Einschätzung kleiner Details je nach Figur verschieden ist und Spannung erzeugen kann. Oft genug dachte ich, dass ich gerade etwas durch die Augen von Sandmann verfolge, weil die Autoren Formulierungen wie „die Frau“ benutzen, wenn sie über Targa sprechen. So würde aber Targa auch in der dritten Person nicht über sich sprechen. Es sind Kleinigkeiten, die anderen Lesern vielleicht gar nicht auffallen, mich aber doch immer wieder massiv gestört haben. Wenn ich von Absatz zu Absatz verwirrt bin, wessen Perspektive ich gerade verfolge und ob ich nervös sein sollte, dass Sandmann gerade intime Einblicke in Targas Leben erhält, reißt mich das aus dem Fluss heraus. Gleichzeitig macht es besonders die Actionszenen unübersichtlich, weil kein richtiger Fokus herrscht und man zwischen Wasser und Blut verloren geht.



> Ein Cliffhanger, der es spannend macht

Trotz der Schwierigkeiten im Schreibstil gerade zum Ende hin hat mir der Abschluss gefallen. Die Geschichte um Sandmann findet ein Ende, insofern ist der Roman abgeschlossen, doch die Hintergrundgeschichte um Targa geht weiter, in der Hinsicht ist das Ende offen. Ich war davon zunächst ein wenig überrascht, weil ich beim Lesen tatsächlich vergessen hatte, dass es nur der Auftakt zu einer Reihe ist, doch wenn man daran denkt, ergibt dieses Ende sehr viel Sinn und ist ein guter Cliffhanger.

Vor dem Hintergrund hoffe ich auch, dass einige der anderen Figuren, die wir hier kennengelernt haben, auch in den künftigen Bänden wieder auftreten werden. Auch, wenn einige davon nur kurze Auftritte hatten, sind sie doch spannend genug, dass ich mehr von ihnen lesen will. Auch das spricht für die Kunst der Autoren, gute Charaktere zu erschaffen.


FAZIT:

Der Thriller „Targa – Der Moment, bevor du stirbst“ von B. C. Schiller ist ein sehr gelungener Auftakt zu einer Reihe rund um die titelgebende Heldin Targa Hendricks. Sowohl sie als auch der Serienmörder Falk Sandmann, um den es in diesem Band geht, sind spannende Charaktere, die in ihrer Andersartigkeit faszinierend zu beobachten sind. Der Schreibstil lässt sich flüssig lesen, auch wenn handwerkliche Schwächen manchmal zu Unübersichtlichkeit führen. Plastische Darstellungen des Erstickens und die funktionierende Dynamik zwischen Ermittlerin und Mörder machen diesen Thriller trotzdem zu einem großen Lesevergnügen.