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Veröffentlicht am 02.03.2024

Träume und Realität, Absurdität und Tragik

Wo ich wohne, ist der Mond ganz nah
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Mani wächst in einem armen Viertel von Seoul auf. Ihre größten Wünsche sind eine Spültoilette und Turnen. Sie träumt davon, eines Tages so berühmt und erfolgreich zu sein wie Nadia Comaneci. Ihre Mutter ...

Mani wächst in einem armen Viertel von Seoul auf. Ihre größten Wünsche sind eine Spültoilette und Turnen. Sie träumt davon, eines Tages so berühmt und erfolgreich zu sein wie Nadia Comaneci. Ihre Mutter möchte diesen Traum unterstützen und meldet sie... in einem Aerobicstudio an, weil sie den Unterschied nicht kennt. Jahre später, als Erwachsene, lebt Mani noch immer mit ihren Eltern zusammen, hat gerade ihren Job verloren und dann soll auch noch das Viertel saniert und alle Häuser abgerissen werden.

Das Buch ist oft ziemlich witzig, dabei bin ich mir aber nicht mal sicher, ob es das überhaupt sein will. Denn, wenn man genauer darüber nachdenkt, sind die entsprechenden Szenen alles andere als lustig. Manis Mutter hat eine Lernschwäche und begreift vieles, was sie tut, gar nicht richtig. Der Vater war für mich die spannendste Person, über die ich gerne noch mehr erfahren hätte. Er erträgt relativ geduldig alles, was seine Frau und Tochter verzapfen, nur manchmal bricht es dann umso gewaltiger aus ihm heraus.

Mani wirkt auf mich so, als wäre das ganze Leben eine Nummer zu groß für sie. Sie wird in der Schule erst gemobbt, später ist sie einsam. Allerdings geht auch von ihr nie ein Kontaktversuch aus. Sie würde gerne richtig turnen lernen, aber das liegt für ihre Eltern einfach außerhalb der finanziellen Reichweite. Aus als Erwachsene trauert sie dieser Phase nach und schämt sich dafür, diesen Traum jemals für möglich gehalten zu haben. Sie fühlt sich unzulänglich und strengt sich deshalb auch nicht besonders an.

Dagegen hat Manis Mutter ihren Traum von der Hochhauswohnung nie aufgegeben und unterstützt auch die Schnapsideen ihrer Tochter. Sie treibt Mani dazu an, weiterzumachen und mäkelt deshalb auch an ihr herum, weil sie sich keinen neuen Job sucht. Aufgrund ihrer Lernschwäche verursacht sie oft Schwierigkeiten, weil sie die Tragweite ihres Handelns nicht erkennen kann - aber, sie ist die Einzige in der Familie, die sich für Träume und Verbesserung anstrengt, so absurd das manchmal auch wirken mag.

Insgesamt war es ein interessanter Einblick in das Leben der armen Bevölkerung von Seoul. Oftmals witzig geschrieben, zeigt es doch die Perspektivlosigkeit und den Mangel der Möglichkeiten. Ich habe es aber als schwächer empfunden, als die anderen zwei Bücher der Autorin.

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Veröffentlicht am 01.03.2024

Butter als Metapher

Butter
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Mir hat das Buch gut gefallen! Man lernt einiges über die Frau in der japanischen Gesellschaft und den teils unrealistischen Ansprüchen, denen sie gerecht werden sollen: Erfolgreich und ehrgeizig im Job, ...

Mir hat das Buch gut gefallen! Man lernt einiges über die Frau in der japanischen Gesellschaft und den teils unrealistischen Ansprüchen, denen sie gerecht werden sollen: Erfolgreich und ehrgeizig im Job, möglichst spindeldürr, hervorragende Köchinnen, die sich aufopfernd um ihre Männer kümmern, leise und unterwürfig. Die Männer wiederum sind eigentlich wie kleine Kinder, hilflos ohne Mama oder Ehefrau.

Zu Beginn der Geschichte erfüllt die Protagonistin Rika noch voll und ganz das gewünschte Rollenbild, isst nur Salat und lebt für die Arbeit. Doch dann beginnt sie die mutmaßliche Serienmörderin Manako Kajii im Gefängnis zu interviewen. Die ist genau das Gegenteil: Übergewichtig, sinnlich und verführerisch, unfreundlich und mit einer großen Liebe zu gutem Essen. Um einen besseren Draht zu ihr bekommen, beginnt Rika die Gerichte von Manako nachzukochen und Restaurants zu besuchen - und entdeckt zum ersten Mal in ihrem Leben Freude an Genuss. So kommt sie schließlich dazu, sich zu fragen, was sie eigentlich möchte, und ob sie sich weiterhin von der Gesellschaft in dieses enge Korsett zwingen lassen will.

Butter habe ich hier als sehr passende Metapher für Genuss und Selbstentfaltung empfunden: Zu Beginn herrscht eine Butterknappheit, was dafür stehen könnte, dass die durchschnittliche japanische Frau in ihrem Leben wenig Platz für Genuss und eigene Wünsche und Bedürfnisse hat. Durch den Genuss von Butter blüht die Protagonistin auf, es wird ihr zunehmend egaler was andere von ihr denken. Am Ende schließlich ist die Butterknappheit vorbei und es gibt selbst teure ausländische Markenbutter plötzlich im normalen Supermarkt und ist leicht verfügbar, nachdem sie sich von diesen starren Vorgaben gelöst hat. Es ist möglich, so viel glücklicher zu sein, wenn man selbst über sich und sein Leben bestimmt und dem folgt, was man sich selbst wünscht.

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Veröffentlicht am 01.03.2024

Absurd, witzig und dabei nicht weniger anprangernd!

Ein Ufo, dachte sie
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Silberberg ist ein kleines Dorf im Süden Chinas. Hier leben Bauern, es gibt eine Handvoll Marktstände und einen Fahrradflicker. Doch dann wird das Ufo gesichtet! Und die Ortsvorsteherin nutzt die Aufmerksamkeit, ...

Silberberg ist ein kleines Dorf im Süden Chinas. Hier leben Bauern, es gibt eine Handvoll Marktstände und einen Fahrradflicker. Doch dann wird das Ufo gesichtet! Und die Ortsvorsteherin nutzt die Aufmerksamkeit, um mit Silberberg in die Zukunft aufzubrechen und die Story auszuschlachten bis zum Get No. Der Fortschritt überrollt das kleine Dorf und "verbessert" die Lebensumstände der Menschen - ob sie wollen oder nicht!

Dieses Buch ist sehr besonders. Es besteht nur aus Ermittlungsakten, die den Ufo-Vorfall untersuchen sollen. Das treibende Stilmittel ist hier die schiere Absurdität und Übertreibung, mit der die Autorin dem chinesischen Fortschrittswahn den Spiegel vorhält. Was soll ein kleines Bauerndorf mit einem Tourismuszentrum? Einer Autobahn? Einem Olympia-Schwimmbecken?
Trotzdem zeigt es die Tragik der Geschehnisse: während sich das Leben der Menschen auf dem Papier vielleicht verbessern mag, spüren diese aber vor allem, was sie dabei verlieren: ihre Gewohnheiten, ihre Tradition, ihre Identität und manchmal sogar ihre Würde. Was im kleinen Kosmos des Dorfes eingespielt funktioniert hat, löst sich nach und nach auf und stellt die Menschen vor Probleme, die sie vorher nie hatten.

Dieses Buch schafft den schwierigen Spagat zwischen Witz und Tragik und bringt seine Message deutlich rüber. Dabei macht es die Thematik sehr gut zugänglich. Es prangert die Blindheit und Übertreibung an, mit welcher der sogenannte Fortschritt in China mitunter vorangepeitscht wird und Xiaolu Guo schafft das auf eine sehr eigene, besondere Art und Weise. Ich möchte auf jeden Fall noch mehr von ihr lesen!

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Veröffentlicht am 10.04.2022

Lockerleichte Liebesgeschichte

Als wir Tanzen lernten
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Bis vor Kurzem war Evie noch glühender Fan von Liebesromanen, doch seit ihr Vater die Familie für eine andere Frau verlassen hat, glaubt Evie nicht mehr an die Liebe. Das Schicksal führt sie kurz darauf ...

Bis vor Kurzem war Evie noch glühender Fan von Liebesromanen, doch seit ihr Vater die Familie für eine andere Frau verlassen hat, glaubt Evie nicht mehr an die Liebe. Das Schicksal führt sie kurz darauf in eine Tanzschule, wo sie X kennen lernt. Tanzlehrerin Fifi rekrutiert beide kurzerhand für einen Wettbewerb und so müssen Evie und X gemeinsam tanzen lernen.

Die Atmosphäre in diesem Buch ist typisch für die Bücher für Nicola Yoon: Lockerleicht, beschwingt selbst bei schwierigen Themen und der kalifornische Frühling ist ein wundervolles Setting für diese Geschichte.

Evie und X waren mir sehr sympathisch. Thematisch entwickelt das Buch auch deutlich mehr Tiefgang als erwartet, ohne dabei jedoch düster und tragisch zu werden. Dies liegt aber daran, dass das Buch auch nicht besonders in die Tiefe geht, für ein Jugendbuch finde ich das aber okay.

Etwas schwierig oder schade fand ich, dass die Autorin mit insgesamt drei Handlungs- bzw. Themensträngen jongliert hat und das ist nicht immer so geglückt. Es geht einerseits um Evie und X, um die Tanzstunden (es geht insgesamt erstaunlich wenig ums Tanzen) und Evies Familienleben. Diese drei Stränge konkurrieren miteinander und neigen dazu, sich gegenseitig zu verdrängen. Das war leider nicht so gut ausbalanciert.

Mit Evies Visionen bin ich gut zurechtgekommen, frage mich aber wie realistisch es ist, dass sie fast überall nur Trennungen sieht. Dass sie erstmal gar nicht weiter darauf reagiert, passt total zu ihrem Charakter, denn sie sieht sich davon einfach nur bestätigt in ihrer Ansicht, dass die Liebe nicht existiert oder immer zum Scheitern verurteilt ist. Ganz am Ende jedoch hätte ich erwartet, dass sie aktiv wird und versucht Einfluss zu nehmen auf das, was sie vorhergesehen hat, da sie sich als Charakter entsprechend entwickelt hat.

Insgesamt hat mir dieses Buch wieder sehr gut gefallen, ich empfinde es aber als das schwächste von den drei bisherigen Büchern der Autorin.

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Veröffentlicht am 01.03.2024

Reise zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Wodka mit Grasgeschmack
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In diesem Buch begleiten wir eine Familie nach Schlesien. Die Eltern erlebten als Kinder die Besatzung und anschließende Vertreibung, die beiden Söhne sind bereits erwachsen. Die Reise nach Polen ist zugleich ...

In diesem Buch begleiten wir eine Familie nach Schlesien. Die Eltern erlebten als Kinder die Besatzung und anschließende Vertreibung, die beiden Söhne sind bereits erwachsen. Die Reise nach Polen ist zugleich eine Reise in die Erinnerung, es kommen viele noch nie erzählte Anekdoten an die Oberfläche und ebenso viele philosophische Fragen. Was ist Heimat? Wo ist die Heimat? Und wie geht man damit um, wenn man eigentlich gar keine richtige Heimat hat, da es die alte Heimat nicht mehr gibt und der neue Wohnort niemals Heimat wurde?

Der Schreibstil ist bisweilen poetisch und untermalt alles mit einer gewissen melancholischen Grundstimmung, die sehr gut zum Thema des Buches passt. Die Momente der Erinnerung sind sehr emotional. Allgemein wirkt die ganze Geschichte sehr echt.

Für mich persönlich gibt es ein paar Abzüge in der B-Note: Einmal für das sprunghafte Wechseln von Abschnitten (Ort, Zeit, Personen) auf den ersten 50 Seiten, womit ich leider gar nicht zurecht kam, was dann aber nachlässt. Außerdem ist nicht alles in dem Buch selbsterklärend oder auf Anhieb verständlich und ich habe an ein Buch den Anspruch, dass ich es verstehen kann, ohne parallel nachrecherchieren zu müssen. Vor allem der titelgebende Wodka mit Grasgeschmack kommt nur einmal kurz vor und wird leider nicht näher erklärt, das fand ich schade. Vielleicht wäre "Die Mohmühle" ein passenderer Titel gewesen, denn die ist wirklich in der Familiengeschichte präsent, kommt wiederholt vor und hat eine Bedeutung für die Familie. Insgesamt richtet sich das Buch aus meiner Sicht an eine sehr schmale Zielgruppe, nämlich an Menschen, die ebenfalls Vertriebene aus Schlesien sind oder deren Nachfahren und die daher das Buch mit ihren eigenen Erfahrungen und Erinnerungen komplettieren können. Diese Menschen werden hier sicherlich sehr vieles finden, das ihnen bekannt vorkommt. Menschen wie ich, die bisher noch keine Berührung mit dieser Region und der Geschichte dort hatten, finden diesen Zugang nicht ganz so leicht.

Trotz dieser Kritikpunkte ist es ein sehr gutes Buch, das einem vieles aus der Nachkriegszeit und die Mentalität der Leute damals näherbringen kann. Vieles kann man danach besser nachvollziehen. Insofern ist das Buch eine Empfehlung meinerseits!

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