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Veröffentlicht am 20.04.2024

DDR - Flair

Das Schweigen des Wassers
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Mecklenburg, 1991: Hauptkommissar Grothe wird aus Hamburg zurückbeordert in seine Heimat und versieht als Aufbauhelfer Ost nun seinen Dienst in der Polizeiwache Wechtershagen. Der Bootsverleiher Siegmar ...

Mecklenburg, 1991: Hauptkommissar Grothe wird aus Hamburg zurückbeordert in seine Heimat und versieht als Aufbauhelfer Ost nun seinen Dienst in der Polizeiwache Wechtershagen. Der Bootsverleiher Siegmar Eck beklagt sich, verfolgt zu werden, zwei Tage später wird er tot am örtlichen See gefunden. Ertrunken, lautet die rasche Lösung des Falles, aber die Tatsache, dass Eck ein hervorragender Schwimmer war, lässt Grothes Bauchgefühl anderes vermelden. Rasch ist der Kommissar verstrickt in ein Netz aus Schweigen und Intrigen.

Hervorragend fängt Susanne Tägder das Flair der ehemaligen DDR ein, mit Frau Schulte, einer Tüte Schrippen, Plastebeutel und Nierentisch findet man sich als Leser sofort im Osten der beginnenden 1990er-Jahre wieder, in der Zeit kurz nach der Wiedervereinigung, welche geprägt ist von Entwurzelung, Misstrauen und Verunsicherung. Durch kluge Charakterisierung zeigen sich diese Merkmale in den handelnden Figuren, wodurch eine gewisse Düsternis und Fremdheit in der eigenen Heimat entsteht. Wie nebenbei fließt der Kriminalfall ins Geschehen ein, basierend auf einer wahren Begebenheit im Jahre 1979 in einem mecklenburgischen Dorf. Die Ermittlungen sind höchst interessant, fast noch faszinierender sind jedoch die Informationen zu Politik und persönlichen Schicksalen, welche nicht nur Hauptkommissar Grothe prägen. Ohne große Ausschweifungen konzentriert sich Tägder auf Wesentliches, beschreibt Gefühle und Stimmungen kurz und prägnant, ja beschränkt sich teilweise überhaupt nur auf Andeutungen, die die Hintergründe knapp ausleuchten. Die exakte Recherche zu Örtlichkeit und Zeit spürt man in jeder Zeile der Autorin, dass ihre Familie aus der Gegend des fiktiven Krimis stammt, trägt nicht unwesentlich zur Authentizität bei. Diesbezüglich gefällt mir das Interview mit Susanne Tägder zu Beginn des Buches sehr gut, es passt perfekt als Einstimmung.

Als Erzählzeit wird das Präsens gewählt, wodurch eine ganz besondere Atmosphäre entsteht, der Leser spürt die Enge des Ostens, eine gewisse Bedrücktheit und Distanziertheit, die sich auch auf die Ermittlungstätigkeit erstreckt. Ohne Grothes Hartnäckigkeit wäre der Tod des Bootsverleihers längst als Unfall zu den Akten gewandert, so jedoch entwickeln sich interessante, wenn auch eher träge dahin dümpelde Nachforschungen, die schlussendlich auch zu einem logischen Ergebnis führen.

Fazit: ein Kriminalroman, der vor allem durch den Schreibstil und durch die atmosphärischen Szenen punkten kann.

Veröffentlicht am 18.04.2024

Flower

Der Traum der Lady Flower
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Im Schottischen Hochland, 1485: Lady Flower ist die älteste Tochter von Clanführer Gregor MacKay und soll demnächst verheiratet werden. Durch ungünstige Umstände fällt es Cailan Sinclair zu, auf einer ...

Im Schottischen Hochland, 1485: Lady Flower ist die älteste Tochter von Clanführer Gregor MacKay und soll demnächst verheiratet werden. Durch ungünstige Umstände fällt es Cailan Sinclair zu, auf einer bevorstehenden Hochzeit einen passenden Kandidaten auszuwählen. Dabei ist gerade er selbst die heimliche Jugendliebe von Flower. Bald steckt die junge Dame in einem Dilemma, denn während sie im Sinne ihres Clans Freundschaften und Ländereien erweitern soll, möchte sie selbst nichts lieber als eine Ausbildung zur Heilerin absolvieren.

Bildreich und detailgetreu zeichnet Kristin MacIver die anschaulichen Szenen in diesem Buch. Anfangs dauert es vielleicht ein wenig, bis man sich mit den vielen keltischen Namen zurechtfindet, dann aber kann man perfekt eintauchen in die damalige Zeit, mitfeiern bei ausgelassenen Festen und Ruhe finden im Pferdestall. Recht eindrücklich sind die Figuren charakterisiert, allen voran natürlich Lady Flower mit ihrer Willensstärke und ihrer Liebe zu allen Tieren sowie Lord Sinclair, der als ordentlicher Schürzenjäger bekannt ist, aber auch eine schwere Last mit sich trägt. Etliche Wendungen und Überraschungen erwarten den Leser und sorgen für beste Unterhaltung mit der Atmosphäre einer längst zurückliegenden Zeit, welche sehr gut eingefangen worden ist.

Fazit: hinter dem wunderschönen Titelbild verbirgt sich eine lesenswerte Geschichte, welche nun neugierig werden lässt auf die Fortsetzung, in der es um Flowers jüngere Schwester River gehen wird. Ich freue mich schon darauf!

Veröffentlicht am 12.04.2024

Der Anfang

Bist du nicht willig
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Beim Harburger Tageblatt lernen Reporter Jan Fischer und Fotografin Charlotte Sander einander kennen. Fünf Jahre zuvor ist eine bekannte Sängerin verschwunden, der Chefredakteur erwartet sich von den beiden ...

Beim Harburger Tageblatt lernen Reporter Jan Fischer und Fotografin Charlotte Sander einander kennen. Fünf Jahre zuvor ist eine bekannte Sängerin verschwunden, der Chefredakteur erwartet sich von den beiden eine aktuelle Sicht auf die Dinge und schlagzeilenträchtige Neuigkeiten. Bei der Recherche stoßen Charlotte und Jan auf einen pfiffigen Frauenfänger, geraten aber selbst zugleich in Gefahr.

Der Schreibstil zu Beginn ist mit seinen kurzen, abgehackten Sätzen gewöhnungsbedürftig, obwohl man die Aufregung hinter den Zeilen dadurch natürlich gut nachvollziehen kann. In den folgenden Kapiteln verbessert sich der Lesefluss deutlich, die Handlung wird viel ruhiger, während man als Leser die Figuren aus dem Buch näher kennenlernt. Unterschiedliche Szenen wechseln einander in eher kurzen Kapiteln ab, sodass Neugierde geweckt wird, durchaus humorvolle Betrachtungen runden das Ganze gut ab. Insbesondere Charlotte und Jan kann ich mir bald gut vorstellen, auch die anderen Personen sind entsprechend gut charakterisiert. Während in der ersten Hälfte alles eher gemächlich dahinplätschert und nur einzelne Szenen den Thriller widerspiegeln, so steigert sich das Tempo alsdann deutlich und einige überraschende Wendungen sorgen für angehaltenen Atem. Das Ende ist schlüssig und dieses Prequel gleichzeitig der Beginn der gesamten Reihe rund um Jan und Charlotte, welche bereits veröffentlicht ist.

Während ich besonders zu Beginn mit dem Schreibstil hadere, so ist die Handlung selbst umso fesselnder, je mehr die Geschichte voranschreitet und man genauer hinter die Kulissen blicken kann. Ich bin jetzt natürlich gespannt, was Charlotte und Jan in den anderen Bänden der Serie erleben.

Veröffentlicht am 04.04.2024

Nomadenschule

Die Zeit im Sommerlicht
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Else-Maj wächst in den 1950er-Jahren in Nordschweden auf, in einem Sami-Dorf, gemeinsam mit ihren Nachbarn und den Rentieren. Traditionelle Kleidung und Gesänge sowie eine eigene Sprache unterscheiden ...

Else-Maj wächst in den 1950er-Jahren in Nordschweden auf, in einem Sami-Dorf, gemeinsam mit ihren Nachbarn und den Rentieren. Traditionelle Kleidung und Gesänge sowie eine eigene Sprache unterscheiden die Samen von den Schweden. Das aber soll den Nomadenkindern bald ausgetrieben werden – in einem Internat unter der gestrengen – und ungerechten – Leitung von Rita Olsson, der „Hexe“. Als auch noch die empathische Erzieherin Anna verschwindet, verliert so mancher Zögling im Heim die Hoffnung auf Gerechtigkeit, noch etwa dreißig Jahre später verfolgen die ehemaligen Schüler schreckliche Erinnerungen an diese Zeit.

Warmherzig und voller Empathie schildert Autorin Ann-Helén Laestadius diese interessante, aber traurige Geschichte in zwei Zeitebenen. Während der 1950er-Jahre erleben wir Elsa-Maj, Marge, Jon-Ante und einige andere Sami-Kinder im Internat. Dort werden sie gedrillt, Schwedisch zu lernen und ihre eigene Sprache, die „Sprache des Herzens“, zu verleugnen. Selbst ihre Namen werden ins Schwedische übertragen. Kein Wunder, dass unter der verbitterten, alten Direktorin keine Freude und kein Lachen in den kindlichen Gesichtern zu sehen sind. Die traumatischen Erfahrungen dauern über Jahrzehnte an und beeinflussen auch noch weite Bereiche ihres Erwachsenenlebens, welches Mitte der 1980er-Jahre abgebildet wird. Besonders erschreckend an all den Szenen ist die Tatsache, dass wahre Begebenheiten ihre Grundlage darstellen und nicht etwa gut ausgedacht sind. Aus erster Hand kennt Ann-Helén Laestadius Zeugenberichte, waren doch sehr nahe Verwandte von den geschilderten Zuständen betroffen.

Weniger naturnah als in „Das Leuchten der Rentiere“, dennoch überaus beeindruckend und glaubwürdig erzählt die Autorin über samische Sitten, den Zusammenhalt im Dorf und das allgegenwärtige Gefühl von Schuld und Opfer-Sein. Obwohl beide Zeitebenen überaus authentisch sind, kommt es da und dort zu etwas langatmigen Stellen, am Ende jedoch schließt sich der Kreis und lässt eine gewisse Versöhnung mit der Vergangenheit zu.

Interessante Einblicke in das Leben der Samen, bildreiche, gut vorstellbare Szenen und eine sehr angenehme, ruhige Erzählweise lassen auch dieses Buch von Ann-Helén Laestadius zu einem Erlebnis werden, welches ich gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 02.04.2024

Verloren

Ein Blick zurück zu dir
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In den 1960er-Jahren setzen sich Judith und James gemeinsam mit etlichen anderen Aktivisten gegen die Atomkraft ein. Während James infolge einer Razzia verhaftet wird, bleibt Judith allein und schwanger ...

In den 1960er-Jahren setzen sich Judith und James gemeinsam mit etlichen anderen Aktivisten gegen die Atomkraft ein. Während James infolge einer Razzia verhaftet wird, bleibt Judith allein und schwanger zurück. Von ihren Eltern wird sie gezwungen, das Neugeborene zur Adoption freizugeben, wie es zur damaligen Zeit in England und Schottland gang und gäbe war, der Kindsvater weiß von nichts und scheint seine Freundin vergessen zu haben. Mehr als fünfzig Jahre später kreuzen einander die Wege der beiden wieder. Was haben sie im Laufe ihrer Leben verloren, was bleibt bestehen?

Judith betreibt auch nach dem Tod ihrer Lebenspartnerin einen kleinen Laden, der für gemeinnützige Zwecke Reparaturen durchführt und wo gerne mit den Kunden geplaudert und Kaffee getrunken wird. Beschaulich beschreibt Anstey Harris liebenswerte Szenen, welche sich hier abspielen, bis eines Tages ein Paar blauer Augen zur Tür hereinblickt. Ohne deutliche Abgrenzung verschwimmen von nun an Bilder aus dem Jetzt und dem Damals, Stück für Stück kann sich der Leser mithilfe unterschiedlicher Blickwinkel herantasten an das, was wirklich passiert ist, denn jede der Figuren im Buch kennt natürlich nur ihre eigene Wahrheit. Dass diese von verschiedenen Faktoren abhängig ist, zeigt sich im Laufe der Kapitel deutlich und so wird auch die zweite Buchhälfte viel besser verständlich als das anfängliche Hin und Her zwischen den Zeiten. Durch ihre ganz persönliche Familiengeschichte inspiriert, ist es für die Autorin gewiss nicht einfach, eine solch realitätsnahe und glaubwürdige Erzählung zu Papier zu bringen, sind die Nachforschungen doch bestimmt von sehr starken Emotionen geprägt.

Dieser Roman über Verlust und Verständnis, basierend auf realen Episoden, bietet bewegende Lesestunden. Ich empfehle ihn gerne weiter.