Cover-Bild Kleine Fluchten
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19,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Zsolnay, Paul
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 144
  • Ersterscheinung: 15.03.2021
  • ISBN: 9783552072268
Carole Fives

Kleine Fluchten

Roman
Anne Braun (Übersetzer)

Zärtlichkeit, Wut, Liebe, Verzweiflung – eine Mutter zwischen Fürsorge und Freiheit. Nach „Eine Frau am Telefon“ der neue Roman von Carole Fives

Ihr kleiner Sohn ist hübsch, blondgelockt, von allen bewundert. Doch er lässt seiner Mutter keine freie Minute. Der Vater ist abgehauen, die junge Frau hat weder Familie noch Freunde, die sie unterstützen könnten. Auch die Nachbarn, er ist Polizist, sie scheint nicht zu arbeiten, wollen nichts mit ihr zu tun haben. Wenn der Kleine endlich schläft, gönnt sich die junge Mutter kleine Fluchten. Sie verlässt die Wohnung, erst nur ganz kurz, dann immer länger. Bis sie einmal eine ganze Nacht lang wegbleibt, das Kind allein zurück in der Wohnung lässt … Carole Fives’ neuer Roman ist ein unheimliches Leseerlebnis, dem man sich nicht entziehen kann, und er zeigt zugleich, wie schwierig und ausweglos die Lage alleinerziehender Frauen sein kann.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.07.2021

Das Leben einer alleinerziehenden Mutter

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Dieses Buch richtet sich nicht nur an alleinerziehende Mütter, wie die namenlose Protagonistin eine ist. Es zeigt ein allgemein gültiges gesellschaftliches Phänomen auf, nämlich die Vereinbarkeit von Mutterschaft ...

Dieses Buch richtet sich nicht nur an alleinerziehende Mütter, wie die namenlose Protagonistin eine ist. Es zeigt ein allgemein gültiges gesellschaftliches Phänomen auf, nämlich die Vereinbarkeit von Mutterschaft mit Berufstätigkeit und dem Wunsch auf ein eigenes Leben außerhalb von Kind und Haushalt. Drastischer darstellen lassen sich die Probleme natürlich anhand einer Frau, die wie die Erzählerin ihr Kleinkind ohne den Vater aufzieht, der sang- und klanglos aus ihrem Leben verschwunden ist. Ihr täglicher Spagat, es allen, vor allem ihrem Kind gerecht zu machen und dennoch langsam und sicher sozial abzusteigen und sich selbst zu verlieren, wird absolut realistisch dargestellt. Eigentlich kann man es ihr nicht verdenken, wenn sie sich nachts während des Schlafs ihres Kindes für immer länger werdenden Intervalle aus der Wohnung schleicht, um Einblicke auf das an ihr vorbeiziehende Leben zu erhaschen. Dass solche Freiräume von der Gesellschaft, die den Frauen nötige Hilfen verweigert, an den Pranger gestellt werden und diese auch sonst gnadenlos mit einer Alleinerziehenden abrechnet, die sich doch „nur“ richtig zu organisieren habe, um Kind und sonstiges Leben unter einen Hut zu bekommen, versteht sich von selbst. Das Ende der Geschichte ist hervorragend gelöst. Alles sieht danach aus, als ob während der nächtlichen Abwesenheit der Frau etwas Tragisches mit ihrem Kind passiert ist. Aber weit gefehlt … Doch das muss einfach jeder selbst lesen, indem er zu diesem nur zu empfehlenden Buch greift.

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Veröffentlicht am 15.03.2021

Carole Fives - Kleine Fluchten

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Wenn man sie sieht, mit ihrem kleinen Sohn, kann man nur neidisch werden, so hübsch das Kind, sicherlich ein Wunschkind, das die Eltern glücklich macht. Doch hinter der verschlossenen Wohnungstür ist gar ...

Wenn man sie sieht, mit ihrem kleinen Sohn, kann man nur neidisch werden, so hübsch das Kind, sicherlich ein Wunschkind, das die Eltern glücklich macht. Doch hinter der verschlossenen Wohnungstür ist gar nichts glücklich. Der Kindsvater schon seit über einem Jahr spurlos verschwunden und die Mutter am Ende ihrer Kräfte. Alles muss sie alleine managen, keine freie Minute bleibt ihr, der Junge tyrannisiert sie rund um die Uhr. Ihren Job als freiberufliche Grafikerin kann sie schon lange nicht mehr ausüben, keine Zeit, denn immer will das Kind etwas, fordert ihre Aufmerksamkeit ein. Das Geld wird knapp, die Sorgen größer, noch nicht einmal in der Anonymität des Internets kann sie Trost finden. Einzig kleine Fluchten, die sie sich zunehmend erlaubt, schenken ihr die Illusion von einer anderen Möglichkeit, einem anderen Leben als dem ihren.

„Kleine Fluchten“ ist Carole Fives vierter Roman, der zweite, der in deutscher Übersetzung erschienen ist. Die Autorin thematisiert in diesem ein gesellschaftliches Tabu, mit dem ihre Protagonistin allein gelassen wird und das sie an den Rand ihrer Kräfte bringt. Die alleinerziehende Mutter, die sich ausgelaugt und erschöpft fühlt und keineswegs mehr die große Freude über die Mutterschaft empfinden kann, die man von ihr erwartet. Tapfer bemüht sie sich die Rolle der aufopferungsvollen Versorgerin zu spielen, die sich nicht beklagt. Dass sie selbst dabei auf der Strecke bleibt, schein irrelevant.

Die namenlose Protagonistin, die erst am Ende als Madame Leroy einmal identifiziert wird, ist unsichtbar für die Außenwelt. Sie wird über ihre Funktion als Mutter wahrgenommen und hat irgendwann selbst schon den Eindruck, dass der Buggy fast zu ihrem Körper gehört. Sie beugt sich dem gesellschaftlichen Druck, will die Erwartungen erfüllen, um nicht als Problemfall zu gelten, obwohl sie im Hausflur deutlich zu spüren bekommt, dass man mit ihr nichts zu tun haben möchte. Die ausstehenden Mieten, das unerzogene Kind – wer sonst hat dies zu verantworten als die Mutter?

Nachts, wenn der Junge endlich schläft, schleicht sie sich aus der Wohnung, geht zum Fluss, um sich wieder als Mensch zu fühlen, der sie einmal war. Nur wenige Minuten erlaubt sie sich. Dann etwas mehr, es kann ja eigentlich nichts geschehen, wenn der Junge schlafend im Bett liegt. Doch immer schmerzlicher wird ihr dabei auch bewusst, was sie alles nicht mehr ist. Sie hat keine Freunde, keine Kollegen, denn in ihrem Beruf kann man keine Rücksicht auf ihr Muttersein nehmen, warum kann sie sich aber auch nicht besser organisieren?

Nach dem Vater fragt niemand. Auch in den anonymen Foren, die sie immer wieder aufsucht, erleben Frauen, die von ihren Sorgen berichten, Ablehnung und Hass. Statt Solidarität treffen sie auf jene Supermütter, denen scheinbar alles locker gelingt und die sie noch tiefer in den Abgrund stürzen, in den sie eh schon fallen. Immer müssen sie sich rechtfertigen, im Job, auf den Ämtern, man schreibt ihnen allein die Schuld für ihre prekäre Situation zu und für jede Trotzreaktion des Kindes in der Öffentlichkeit ernten sie missbilligende Blicke.

Man spürt, wie sich die Protagonistin einem kritischen Punkt nähert. Bang antizipiert man, wozu sie bereit sein könnte, um diesem Leben, das sie zu erdrücken droht, ein Ende zu setzen. Carole Fives schildert die unschönen Seiten der Elternschaft, schonungslos legt sie offen, wie es zunehmend schwerer wird, den tagtäglichen Kampf zu gewinnen und zu überleben. Die Verzweiflung und Erschöpfung springen einem aus jeder Zeile an und machen den Roman zu einem emotional intensiven Leseerlebnis. Zwei ganz essentielle Fragen resultieren aus der Geschichte: wo sind die Väter? Und warum sind wir nicht ehrlich und reden darüber, dass Kinder und deren Erziehung nicht immer nur eitler Sonnenschein sind.