Cover-Bild Der Scheiterhaufen
24,95
inkl. MwSt
  • Verlag: Suhrkamp
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 494
  • Ersterscheinung: 06.10.2015
  • ISBN: 9783518424988
György Dragomán

Der Scheiterhaufen

Roman
Laszlo Kornitzer (Übersetzer)

Rumänien nach dem Sturz des Diktators. Emma, eine dreizehnjährige Vollwaise, wächst im Internat auf. Ihre Eltern sollen bei einem Autounfall ums Leben gekommen sein. Eines Tages erscheint eine Unbekannte, die sich als ihre Großmutter ausgibt. Widerstrebend folgt Emma ihr in eine fremde Stadt.

In der Schule wird Emma nicht nur gehänselt, sondern auch bedroht, denn ihre Großmutter gilt als Spitzel und Geisteskranke. Tapfer erträgt sie die Peinigungen, zugleich aber wächst das Misstrauen gegen die alte Frau. Als sie sich über das Verbot, den Holzschuppen im Garten zu betreten, hinwegsetzt, macht sie eine verstörende Entdeckung.

Die Geschichte, die nun beginnt, zieht Emma den Boden unter den Füßen weg: Stückweise kommt die Wahrheit über ihre Familie ans Licht – und über eine Gesellschaft, in der das gewaltsame Ende vieler ihrer Bürger nie verfolgt wurde.
Die mutige Heldin dieses Entwicklungsromans handelt so radikal wie der Protagonist des Weißen Königs. Bei Dragomán sind es die Kinder, die mit ihrem unbestechlichen Sinn für Gerechtigkeit das Netz aus Lüge, Gemeinheit und Brutalität zerreißen. Eine knappe, einfache Sprache steht in spannungsvollem Kontrast zur doppelbödigen Realität und zur Mehrdeutigkeit des Wahrgenommenen. Das Unheimliche, Phantastische ist das Element, in dem Emma nach Klarheit sucht.

»György Dragomán ist das herausragende Talent der jungen ungarischen Literatur.« György Konrád

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.02.2017

Ein Buch wie ein Sog in die Nach-Wendezeit Rumäniens, magisch, vielschichtig, mitreißend

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Die junge Ich-Erzählerin bleibt lange namenlos getreu eines Satzes im Buch, dass man die schmerzvollsten Geschichten nur so erzählen könne, dass der, der zuhört, das Gefühl hat, dass sie ihm selbst widerfahren. ...

Die junge Ich-Erzählerin bleibt lange namenlos getreu eines Satzes im Buch, dass man die schmerzvollsten Geschichten nur so erzählen könne, dass der, der zuhört, das Gefühl hat, dass sie ihm selbst widerfahren. Das junge Mädchen muss mehrfach mit einer völlig veränderten Situation umgehen, erst sind die Eltern bei einem Autounfall gestorben, dann lebt sie im Internat, währenddessen endet das Ceaușescu-Regime, dann erhält sie Besuch von ihrer Großmutter, von deren Existenz sie bislang nichts wusste und die sie mitnehmen will. Doch ihre Großmutter bringt auch etwas anderes mit in ihr Leben, sie erzählt von der Vergangenheit, gibt Mut für Gegenwart und Zukunft – und bei allem schleicht sich durch sie, mit ihr eine zweite Ebene ein, eine magische, phantasievolle, und die gesamte Familiengeschichte spannt sich auf.

In anderen Rezensionen wird Dragomán daher verglichen mit Isabel Allende und „Das Geisterhaus“, die Richtung ist sicherlich nicht falsch, jedoch trifft sie nach meiner Meinung nur zum Teil: Beim Geisterhaus ist das Auftauchen der Verstorbenen für die handelnden Personen die Realität ebenso wie die durch Gedankenkraft verschobenen Gegenstände, bei „Der Scheiterhaufen“ erscheint der verstorbene Großvater nur beim Blinzeln, im dahingestreuten Mehl, oder etwas war vielleicht auch nur ein Traum – der Autor spielt geschickt mit der Grenzlinie zwischen Phantasie, bloßem Hoffen nach großen Verlusten und der Magie der Situation. Ebenso virtuos steigert er seine Beschreibung dabei, überfordert den Leser nicht – der Einstieg in den magischen Bereich beim Kaffeesatzlesen mag natürlich auch einfacher Aberglaube sein oder ein alter dörflicher Brauch. Er lässt seine Geschichte mal zügig, mal gemächlich voranschreiten und schafft es, Rückblenden vorzunehmen, ohne dass man den Zeitbezug verliert. Die jüngere Geschichte Rumäniens wird in einen noch viel weiteren Bezug gestellt, gut herausgearbeitet sind die Brüche in der Gesellschaft durch ein Nebeneinander von neuen Möglichkeiten und althergebrachten Vorstellungen, von Schuld und Schuldgefühl, von Rache und Gerechtigkeit.
Der Roman ist dabei „Coming-of-age“ sowohl der jungen Protagonistin als auch der jungen rumänischen Demokratie, wobei beiden die wohl dafür unvermeidlichen harten Landungen auf dem Boden der Realität widerfahren. Dragomán schafft es, mit dem Ende seiner Geschichte vieles dabei in der Schwebe zu halten, viele offene Fragen aufzuwerfen, ohne dadurch unversöhnlich zu werden.

Weiterführend:
Ich hatte nach der Lektüre von Andrei Mihailescus „Guter Mann im Mittelfeld“ nach einem weiteren Roman gesucht, der mir das bis dahin unbekannte Rumänien näherbringen würde, mein Bild erweitern sollte – und habe mit diesem Buch für mich einen Glücksgriff getan, den ich fast in einem Zug gelesen habe.
Dragomán verläßt sich hauptsächlich auf die Geschichte und die Kraft der Bilder, dabei mag dem Leser einiges an Hintergrundwissen zum Verständnis fehlen; so erinnern das Moralverständnis oder die schulischen Erziehungsmethoden einen deutschen Leser eher an das Deutschland der fünfziger oder sechziger Jahre. Auch erklären sich manche Befindlichkeiten der Personen im Roman nur aus den Besonderheiten des rumänischen Systems inklusive Personenkult und sehr rigider gesellschaftlicher Kontrolle. Wer hier tiefer gehen möchte, dem sei das erwähnte Buch von Mihailescu ans Herz gelegt. Beide Autoren nähern sich der Thematik auf verschiedene Art - während man dem Scheiterhaufen vorwerfen mag, zu beschreiben, was nicht jeder Leser gleichermaßen zu deuten vermag, wurde Mihailescu vorgeworfen, die Anforderung an zu viel Sachbuch im Roman erfüllen zu wollen. In dieser Weise ergänzen beide einander: Wer nach aktueller Literatur aus Rumänien sucht, merkt, dass diese stark in der Auseinandersetzung mit besonders der jüngsten Geschichte fußt, stärker, als man sich dies als Deutscher mit der Erfahrung zur DDR vorstellt. Wer nach aktueller rumänischer Literatur sucht, wird merken, wie sehr diese um die jüngere Geschichte kreist und sich an ihr reibt. Zu einem Verständnis UND zu tieferen Leseerlebnissen sollten beide genannten Werke beitragen.