Digitaler Fußabdruck
Die Ich-Erzählerin Mila Meyring, 34 Jahre, promovierte Kulturwissenschaftlerin wünscht sich ein Real Life Reset.
Als mein Bruder nach meinen Beweggründen fragte, sagte ich, ich wolle online nicht ...
Die Ich-Erzählerin Mila Meyring, 34 Jahre, promovierte Kulturwissenschaftlerin wünscht sich ein Real Life Reset.
Als mein Bruder nach meinen Beweggründen fragte, sagte ich, ich wolle online nicht mehr gesehen werden, Leute nicht mehr online sehen, mich nicht mehr darüber abfucken, warum Nicki mein Selfie nicht geliked hatte, jemand ein Buch publizierte, heiratete, ein Kind bekam, auf die Malediven flog oder darüber, dass ich meine Skin-Care-Routine nicht einhielt. S. 13
Trotz Tinder, Okcupid und Co. hat Mila sich schon länger nicht mehr daten lassen, seit Nicki und sie nicht mehr zusammen sind. Ihre Accounts bei Facebook, Instagram und TicTok hat sie längst gelöscht. Sie entwickelt die Angst in einem digitalen Inferno gelyncht zu werden. Ebenso hat sie Angst die Kontrolle zu verlieren, in ihrer Real Time Life Balance zu kurz zu kommen und auch das Urteil anderer fürchtet sie zunehmend. Nach und nach schaltet Mila alles ab, was sie beeinflussen könnte. Das Fenster zur Welt schließt sich. Es erstaunt sie, dass sie scheinbar nicht vermisst wird. Einzig zu vier Menschen hält sie noch Kontakt. Sie schreiben sich SMS, oder Email, um sich zu verabreden, telefonieren aber selten.
Ein wenig verunsichert ist Mila schon, dass sie von Putin und der Ukraine kaum etwas mitbekommt, Einen atomaren Krieg kann sie sich vorstellen. Die Anbieter von Satellitenfernsehen hat sie gekündigt, einen Blick in den viralen Äther erlaubt sie sich nur noch selten. Die Erhöhung der Nebenkosten lässt sie schier verzweifeln, denn sie hat ihren Job gekündigt, weil die ihr Mitarbeiterinnenprofil ins Netz gestellt haben.
Mila versucht ihre digitalen Fußabdrücke zu löschen und stresst sich dabei zunehmend. Ihre Befürchtungen nehmen schizoide Züge an und führen zu irrationalen Vermeidungsstrategien. Sie steigert sich rein, alles dreht sich nur noch um sie, Selbstbezogenheit breitet sich aus. Die Kontrolle, die sie glaubte im viralen Dasein zu verlieren, verliert sie jetzt offline über sich selbst, ihren Körper, ihren Geist. Mila wird zum einsamen mentalen Wrack.
Fazit: Eine intelligent geschriebene Geschichte über unsere digitale Gegenwart, mit erfrischenden Abstechern in die Popkultur Berlins, in der Mila aufgewachsen ist.
Ich kam mir vor wie die Protagonistin eines Drop-out-Channels oder das verhüllte Gesicht eines NosurfPRStunts. S 170
Der Roman ist in drei Teile gegliedert, wärend derer, Milas Obsession sich der Welt zu entziehen sich steigert. Die Wahrnehmung der Protagonistin hat mich mitgerissen. Milas Selbstbezogenheit war zwischenzeitlich nervig, aber das liegt eher daran, dass ich das von mir selbst kenne und tut der Intention der Geschichte keinen Abbruch.
Der Haupttenor der Geschichte war für mich: “Sobald du dich dafür interessierst was andere über dich denken, fangen deine Probleme an.”