Chauvinismus im Amt - Die Kriminalistinnen ermitteln wieder
Du weißt, du bist alt, wenn historische Romane zu deinen Lebzeiten spielen! Lucia Specht und ihre Kolleginnen ermitteln wieder. Mittlerweile haben die 70er Jahre begonnen, und der Flair der Zeit ist auf ...
Du weißt, du bist alt, wenn historische Romane zu deinen Lebzeiten spielen! Lucia Specht und ihre Kolleginnen ermitteln wieder. Mittlerweile haben die 70er Jahre begonnen, und der Flair der Zeit ist auf jeder Seite spürbar - im Positiven wie im Negativen. Wie schon Band 1 ist auch hier alles stimmig und super recherchiert. Man fühlt sich zurückversetzt in eine Zeit, in der Chauvinismus und Homophobie noch salonfähig waren, alte Nazis mit ihren Seilschaften fest im Sattel saßen und zugleich ein neuer Wind Einzug hält. Lucia Specht absolviert einen Ausbildungsabschnitt bei der Sittenpolizei. Das allein böte schon genug Stoff für eine ganze Romanreihe, denn 1970 waren noch Dinge strafbar, die heute völlig alltäglich sind. Wie gut, dass sich die Zeiten geändert haben. Während viele "moralische" Grenzen sehr eng gesteckt waren, entwickelte ich andererseits eine neue Freizügigkeit. In diesem Spannungsfeld ist auch der Kriminalfall angesiedelt, in dem Lucia ermittelt.
Auch das Innenleben der Polizei wird ausführlich beleuchtet. Für jüngere Leserinnen und Leser wird dadurch vielleicht deutlich, dass Frauenrechte - und nicht nur diese - nicht vom Himmel gefallen sind, sondern hart erkämpft werden mussten. Auch die Ausbildung von Lucia, Petra, Renate, Mieze, Lillie und Ruth läuft weiterhin unter der Bezeichnung "Experiment".
Das gesamte Setting wäre schon ohne Lucias private Ermittlungen zum Todesfall ihrer Mutter unglaublich spannend, aber auch dieser Strang wird großartig weiterverfolgt. Ebenso wie ein Teil der Lebensgeschichten der anderen Frauen.
Den besonderen Charme des Buches macht aber die Beschreibung der gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten aus. Mode, Kultur und Musik im hippen Düsseldorf im Gegensatz zum Kohlenpott, der damals seinen Namen noch zu recht trug. Das Aufbegehren der Jugend, gerne mit einem revolutionärem Hauch, gegen das Establishment. Das alles bringt Mathias Berg auf "nur" 317 Seiten unter, die ich gerne mit einer aufrichtigen Leseempfehlung versehe. Ich wurde großartig unterhalten und freue mich auf die Fortsetzung der Serie um die Kriminalistinnen.