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Veröffentlicht am 18.09.2020

Ein Buch mit Persönlichkeit

Das Buch eines Sommers
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Nicolas erlebt einen Horror-Sommer. Seine Freundin macht Schluss, düst ab nach Australien und er sitzt da nach dem Abi im grenzenlosen Fatalismus des ersten richtigen Liebeskummers gefangen. Onkel Valentin ...

Nicolas erlebt einen Horror-Sommer. Seine Freundin macht Schluss, düst ab nach Australien und er sitzt da nach dem Abi im grenzenlosen Fatalismus des ersten richtigen Liebeskummers gefangen. Onkel Valentin steht plötzlich vor der Tür, der etwas abgedrehte Schriftsteller, Exzentriker, Lebemann, Porschefahrer – und seine Rettung. Mit einer Menge PS und einem offenen Ohr holt er Nicolas aus seinem Kaninchenloch und beschert ihm einen Sommer, der unvergesslich scheint, im Gegensatz zur treulosen Freundin. Viele Jahre danach ist der Sommer längst Geschichte und auch das Lebensgefühl, das Nicolas damals empfand. Doch in die Fußstapfen des Vaters und das Pharmazieunternehmen der Familie eingetreten, führt er ein stressiges Workaholic-Dasein, bei dem nicht nur die Familie zu kurz kommt. Er hastet von Termin zu Termin, pendelt zwischen Labor und Konferenzraum, und ist definitiv zu spät bei der Schulaufführung. Ein Anruf ändert alles und bringt das Gefüge und Nicolas Gedanken ins Wanken. Valentin ist tot. Nach Jahren kommt er zurück an den Ort, an dem er den glücklichsten Sommer verbrachte, den er je hatte, verbringt zum ersten Mal wieder mehr Zeit mit Frau und Sohn und vor allem auch sich selbst, seinen Gefühlen und Wünschen. Langsam beginnt eine Fassade zu bröckeln, ein Bild von ihm, das im Laufe der Jahre entstand. Der Sommer von damals, Valentin und sein Charakter beginnen wieder Einfluss zu nehmen. Nicolas Tage und Nächte sind auf einmal ganz besonders.
Ich bin begeistert.
Bas Kast hat ein Buch mit Persönlichkeit und Charakter geschrieben über Persönlichkeit und Charakter. Übers Geschichten erzählen, über Fantastereien und Quatschgeschichten, über Neuro-Wissenschaft und Pharmazeutik, über Bücher schreiben und über Bücher erleben, über sich verlieren und sich finden, über Einsamkeit und Gemeinsamkeit, über Trauer und Liebe. Dies alles tut er in einer sehr ruhigen, poetischen Erzählsprache und mit einer gekonnten Verschachtelung, oder einem Kniff am Ende, dessen Grundsatz ich zwar irgendwann tendenziell ahnte, aber in die letzte Seite ist trotzdem noch einmal ein herrliches Detail und passender Einfall.
Fazit: Mich hat das alles sehr erreicht und bewegt. Ich kenne kein einziges Sachbuch von Bas Kast. Ein weiterer belletristischer Wurf würde sofort bei mir einziehen. Ein ganz besonderes „Buch eines Sommers“ (tja, welcher Sommer war denn nun der entscheidende???) und definitiv ein Lesehighlight 2020 für mich. Absolute Leseempfehlung. Der Untertitel liest sich ja schon fast wie ein Titel eines Sachbuches, aber es ist alles andere als das. Es ist ein wunderbares kleines Stück Literatur, das man genießen kann und das zum Nachdenken anregt, vielleicht mehr als jeder Ratgeber über Quality Time oder ererbte und angeborene Charaktereigenschaften es (bei mir) jemals könnte.

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Veröffentlicht am 10.08.2020

Zufallstreffer beim Raubzug

Bluthölle (Ein Hunter-und-Garcia-Thriller 11)
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Eine Taschendiebin mit Ehre möchte einem unfreundlichen Menschen eine Lektion erteilen und traut ihren Augen kaum. Offensichtlich hat sie die Aufzeichnungen einen Serienkillers erwischt, der eine akribische ...

Eine Taschendiebin mit Ehre möchte einem unfreundlichen Menschen eine Lektion erteilen und traut ihren Augen kaum. Offensichtlich hat sie die Aufzeichnungen einen Serienkillers erwischt, der eine akribische Buchführung sein Eigen nennt.
Kurz darauf erfahren Robert Hunter und Carlos Garcia von der Ultraviolent-Abteilung des LAPD von dem grausigen Text, der an Details nicht spart – inklusive Geokoordinaten, die zum Fundort der ersten Leiche führen und eine großangelegte Untersuchung in Gang setzen. Wer ist der Verfasser? Ein Psychopath – alles deutet daraufhin, handelt er doch im Auftrag von „Stimmen“ – oder steckt doch etwas anderes dahinter, etwas viel perfideres? Schnell wird eines klar: der Täter ist offensichtlich sehr intelligent, weiß wie die Polizei arbeitet, kennt Strukturen und Wege und ist in der Lage, den Weg seines Buches aufzuspüren und damit auch den der Diebin und der Ermittler – plötzlich sind die Rollen Jäger und Gejagter nicht mehr so klar verteilt.
Ein Carter wie er sein muss. Gewohnt starke Ermittler, gewohnt grausamer Fall mit hinreichend blutigen Details und einem perfiden Täter. Der Spannungsbogen ist wie immer gleichbleibend hoch und auch dieser Band der Reihe für mich ein Pageturner, den man in zwei Tagen so weg liest. Für mich hat diese Reihe einfach keine Schwächen und bietet alles, was ich von einem harten Thriller erwarte, daher bin ich auch dieses Mal wieder begeistert und hoffe, dass der Autor noch weitere Ideen für Täter und Ermittler hat. Widmung und Nachwort sind dieses Mal sehr persönlich, und ich freue mich, dass Carter geschrieben hat und es auch hoffentlich weiterhin tun wird.
Ansonsten finde ich durchaus, dass dieser Band, obwohl es der mittlerweile schon elfte der Reihe ist, auch gut als Einzelband gelesen werden kann, dieses Mal gab es so wenig Rahmenhandlung, da fehlt einem quasi nichts, wenn man die Vorgänger nicht kennt.
Fazit: Carter ist immer empfehlenswert, wenn es um „richtige“ Thriller geht, dieser Band stellt keine Ausnahme in der starken Reihe dar.

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Veröffentlicht am 03.08.2020

Tiefer Fall

Verschollen in Palma
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Man möchte nicht in der Haut von Tim und Rebecka Blanck stecken: erlaubt man einer 17-jährigen einen Partyurlaub in Mallorca mit ihren Freundinnen? Man will Vertrauen haben, nicht die spießigen Spaßverderber-Eltern ...

Man möchte nicht in der Haut von Tim und Rebecka Blanck stecken: erlaubt man einer 17-jährigen einen Partyurlaub in Mallorca mit ihren Freundinnen? Man will Vertrauen haben, nicht die spießigen Spaßverderber-Eltern sein – und erlaubt es. Mit Bauchschmerzen, aber irgendwann ist es eben soweit. Und Emme fliegt in den Süden, mit Julia und Sofia, nach Magaluf, in diesen Party-Moloch voller Alkohol, Nachclubs, Sex und Drogen. Dan geschieht das Schlimmste, sie verschwindet und ihre Eltern fallen in einen Abgrund. Ihr Vater kann auch drei Jahre später nicht akzeptieren, dass seine Tochter nicht gefunden wurde, sammelt weiter kleinste Hinweise und lässt nicht los. Seine Tochter nicht, die Balearen-Insel nicht. Die Ehe ist zerbrochen, seine Frau hat einen neuen Mann und er eine (etwas zweifelhafte) neue Existenz in Palma de Mallorca als Privatermittler. Zwischen High Society und Slum bewegt sich sein Alltag. Als aus einem alltäglichen Auftrag – Beschattung einer mutmaßlich untreuen Ehefrau – plötzlich ein wahrer Strudel an Verwicklungen, Betrug und Verbrechen wird und zugleich in diesem Zusammenhang auch plötzlich konkrete Hinweise zum Verschwinden seiner Tochter Emme auftauchen, verbeißt sich Tim Blanck tief in diesen Fall und handelt eigentlich nur noch aus persönlichem Antrieb und deckt nebenbei einen gigantischen Betrugsskandal auf, der das ganze Ausmaß an Korruption, Vetternwirtschaft und Skrupellosigkeit derer beinhaltet, die die Macht haben, die Geschicke einer Stadt, einer Region, einer Insel nach ihren Wünschen zu lenken.
Mons Kallentoft schreibt Bücher, wie kein anderer. Er formuliert anders, er unterbricht anders, er lässt den Leser anders auf seine Protagonisten und deren Innenleben blicken als andere Autoren. Er schreibt, mitunter wie der Mensch denkt, wie er fühlt, wie er schwankt, neu ansetzt und fällt. Kurz, sprunghaft, in Fetzen, mit Unterbrechungen, in Erinnerungen, im Moment. Dieser Stil ist sicherlich für manchen Leser zu holprig, zu ungeschmeidig – ich kenne es von ihm und schätze es sehr. Das Tempo ist hoch, die Spannung fast durchgängig sehr groß, nur das Ende konnte mich nicht 100%ig überzeugen, da ist einfach der Zufall ein wenig zu arg beansprucht für meinen Geschmack.
Es steckt tatsächlich eine unglaublich große Menge Mallorca in diesem Buch, ohne dass es sich hier um einen allzu seichten Urlaubs-Lektüre-Roman handelt, wie der Untertitel „ein Mallorca-Krimi“ vorgaukeln könnte. Eine Menge an geografischen Örtlichkeiten tauchen auf, die dem Urlauber, der sich aus seiner Hotelanlage wagt (was man unbedingt tun sollte) geläufig sind: angefangen vom neuen Kongresszentrum in Palma, dem Strand in Portals Vells, den Wasserreservoirs und vieles andere, was man unzählige Mal vielleicht auch nur auf den Schildern der Autobahn las, wie die Industriegebiete rund um Palma, oder die wirklich unschönen Hochhausbauten in den weniger ansehnlichen Stadtvierteln der Inselhauptstadt. Dem gegenüber steht ein genauso facettenreicher Querschnitt mallorquinischer Bevölkerung jenseits des Touristenalltags, vom Baulöwen bis hin zur chinesischen Immigrantin, ebenfalls mit allen Zwischenstufen, die denkbar sind. Kallentoft zeichnet ein Bild Mallorcas aus bekannten Örtlichkeiten und teils unvorstellbaren vor allem menschlichen Abgründen, die der Tochter des Protagonisten letztlich zum Verhängnis werden. „U watch me Dad, me do da jump“. Und wie so oft beim Sprung, von oben ist der Boden nicht wirklich zu erkennen und erst der Aufprall bringt die Wahrheit.
Fazit: wer bereit ist sich auf den Stil einzulassen oder ihn kennt, wird Spaß dran haben.

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Veröffentlicht am 07.07.2020

Rechtfertigt das Ziel die Mittel?

Schwarzer August
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Lost ist nicht nur in Fuseta, sondern auch mächtig „in love“. Für den nun-nicht-mehr-nur-Austausch-Kommissar an der portugiesischen Algarve öffnet sich eine ganz neue Welt in der Beziehung mit Soraia, ...

Lost ist nicht nur in Fuseta, sondern auch mächtig „in love“. Für den nun-nicht-mehr-nur-Austausch-Kommissar an der portugiesischen Algarve öffnet sich eine ganz neue Welt in der Beziehung mit Soraia, der Schwester seiner Kollegin Graciana. Wie in jeder neuen Beziehung gibt es ein paar Missverständnisse, die jetzt gar nicht so Asperger-spezifisch, aber durch Leanders besondere Art der Kommunikation und des Verstehens geprägt sind. Aus dieser entspannten Idylle werden er und seine Kollegen durch einen Bombenanschlag auf eine Bankfiliale gerissen. Terrorismus an der Algarve? Aber warum an einem Sonntag, warum eine Filiale, die vollkommen alleine im Hinterland liegt, warum wurde nichts gestohlen? Als auch ein Fischerei-Unternehmen Opfer eines weiteren Anschlags wird, beginnt sich ein Muster heraus zu schälen, das nicht zuletzt durch Losts spezielle Kombinationsgabe klar umrissen werden kann: hier geht es irgendjemandem nicht um das Töten von Menschen, nicht um Religion, hier steht keine Ideologie dahinter sondern Idealismus. Und die Kommissare beginnen zu erkennen, dass der Täter bereit ist, seine Mittel anzupassen, aus Enttäuschung, Frustration und die Lage spitzt sich zu, die Gefährdung wächst für alle Beteiligten und schließlich finden sich Leander und Carlos in einer äußerst prekären Situation wieder.

Lost in Fuseta ist für mich eigentlich gar kein Regionalkrimi. Es ist eine Krimireihe, die nun mal in Portugal spielt. Mit einem deutschen Kommissar zwar, der auch oft die Lösung präsentieren darf, aber sonst erinnert nichts an die seichten „Urlaubs-Fälle“ zwischen gekühltem Wein, gegrilltem Fisch und schöner Landschaft. Gil Ribeiro wählt auch keine 08/15-Fälle, sondern findet immer etwas mit mehr Relevanz, mehr Sinn, mehr Tiefe, was mir außerordentlich gut gefällt. Es ist auch äußerst interessant, Leanders Entwicklung im Laufe der Zeit zu beobachten, eventuell zum ersten mal in seinem Leben angekommen zu sein, in einem Umfeld, dass ihn und seine Besonderheiten einfach so annimmt, ihn nicht ausschließt sondern akzeptiert und aufnimmt. Das ist der Grund weshalb ich auch empfehlen würde, falls jemand die Vorgänger-Bücher nicht kennt, die Reihe in der richtigen Reihenfolge zu lesen. Ich denke, dies ist für den Zugang zu den Protagonisten und ihrer Dynamik von großem Vorteil.
Fazit: ich bin wieder sehr begeistert vom neuen „Lost“ und hoffe, der Autor sieht noch sehr viel für seinen Protagonisten und seine Kollegen an der Algarve. Abseits der jeweiligen – wirklich interessant erdachten und außergewöhnlich gewählten Kriminalfälle – ist die Geschichte drumherum noch lange nicht auserzählt und bietet einen absolut ebenbürtigen Grund, diese Reihe zu lesen.

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Veröffentlicht am 27.06.2020

Krimi mit Thriller-Tendenz

Dunkles Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 6)
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In Lavandou ist eigentlich alles wie immer. Die Sonne scheint, das Meer ist blau, der Rosé kalt. Die Boule-Spieler originell-knorrig, die Touristen je Tagesform nervig oder gern gesehen, die Polizei zwischen ...

In Lavandou ist eigentlich alles wie immer. Die Sonne scheint, das Meer ist blau, der Rosé kalt. Die Boule-Spieler originell-knorrig, die Touristen je Tagesform nervig oder gern gesehen, die Polizei zwischen Bagatell-Fällen und „Betreuung“ der Lokalveranstaltungen schwer beschäftigt und der Rechtsmediziner sehr glücklich mit seinem inzwischen nicht mehr ganz so neuen Leben in der Provence. Leon Ritter scheint zwar irgendwie die so gar nicht zur Kleinstadtidylle am Mittelmeer passenden unglaublichen Todesfälle und Mordserien anzuziehen wie das Licht die Motten, aber er hilft ja bei der Aufklärung auch immer tatkräftig mit, mit seinem speziellen Gefühl, seinen zunächst abwegigen Ideen, die seine Freundin Capitain Isabell Morell oft auf die Spur des Täters führen, auch wenn es deren Vorgesetzten Zerna nicht so gut gefällt, dass ausgerechnet der deutsche Docteur wieder mal den richtigen Riecher hatte.
Diesem mittlerweile bewährten Schema folgt auch der neueste Fall von Leon Ritter. Zunächst will niemand wahrhaben, dass es sich bei den Todesfällen junger Frauen tatsächlich um Opfer eines Serientäters handelt, doch als Leon dann auch noch mit dem Thema Okkultismus und Exorzismus argumentiert, auf Kröten, Nadeln, Schwefel und Pentagramme stößt, wird ihm einmal mehr mit Ungläubigkeit begegnet. Mit Nachdruck und Akribie verfolgt er weiter seine Spuren, manchmal parallel, manchmal gegenläufig zur Auffassung der Gendarmerie national – und letztendlich natürlich erfolgreich, damit verrät man nun nicht zu viel.
Ich erwähnte es ja bereits, natürlich folgen die Bände um Leon Ritter in Lavandou einem gewissen Schema. Ein außergewöhnlicher Fall, Ritters Instinkte für das Verbrechen eine Prise Komplikation im Privatleben und ein kleiner Querschnitt aus Folklore, Bevölkerung und Geographie – aber es trägt. In diesem Fall fand ich den Krimi sehr spannend, das Thema und die Ausgestaltung teilweise durchaus einem (blutigeren) Thriller würdig, als es normalerweise in den etwas ruhigeren Krimis aus dem sonnigen Süden der Fall ist. Das fand ich sehr gut, und auch besser als in den letzten Fällen rund um Ritter. Das, und die Tatsache, dass es nicht in jedem dritten Absatz um Essen und Trinken geht, hebt die Reihe dann für mich ein bisschen von der sonstigen Masse der zahlreichen und austauschbaren Regionalkrimis ab und macht sie zu mehr als nur leichter Urlaubs-Lektüre.
Fazit: ein sehr guter Band der Reihe, die insgesamt empfehlenswert ist.

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