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Aennie

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Veröffentlicht am 13.10.2021

Familienbande

Die Enkelin
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Birgit hatte ein schweres Päckchen zu tragen. Das war Kaspar immer klar. Ihre Liebe (oder seine Liebe?) war groß, so groß, dass sie in der Lage war, die innerdeutsche Grenze im Jahr 1964 zu überwinden. ...

Birgit hatte ein schweres Päckchen zu tragen. Das war Kaspar immer klar. Ihre Liebe (oder seine Liebe?) war groß, so groß, dass sie in der Lage war, die innerdeutsche Grenze im Jahr 1964 zu überwinden. So groß, dass sie Birgits Suche nach ihrem Weg im Leben getragen und ertragen hat, ihr Scheitern, ihre Neuanfänge, ihre Fluchten in ein mäandrierendes in den Tag hinein leben, schreiben und trinken. Ein Leben als Flucht, deren Ausmaße Kaspar sich erst vollständig offenbaren, als er – genau so still wie er mit ihr gelebt hat – Abschied von Birgit nehmen muss. Er will ihr nah sein, bricht ein Tabu und sieht ihre Unterlagen, ihre Recherchen und ihre Texte durch und findet ein gigantisch großes Geheimnis, das ihm seine Frau ganz neu erklärt. Mit Neugier und sehr großer Akzeptanz für die Sache an sich, geht er dieses alte neue Kapitel seines Lebens an und findet Menschen, die ihm fremd sind, durch die er aber die Verbindung zu seiner Frau spürt und lange Vergangenes nicht einfach ruhen lässt, sondern eine Aufgabe für sich daraus generiert. Er findet „die Enkelin“ Sigrun.
Ein Mädchen, dass in so vielem an seine Birgit erinnert, aber vollkommen anders erzogen und aufgewachsen ist. Eine Haltung zum Leben, zur Politik, zur Geschichte, die er nicht vertritt und weit davon entfernt ist, sie auch nur in Ansätzen gutzuheißen, doch Sigrun ist ihm wichtiger…
Bernhard Schlink zeichnet das Bild eines Protagonisten, der in unvorstellbar großer Akzeptanz und Toleranz einem Umstand begegnet, mit dem die absolute Mehrzahl der Menschen ihre heftigen Probleme haben dürfte. Kaspar versucht nicht, sich einzumischen, er versucht Impulse zu geben, Horizonte zu weiten. Wenn er eingreift, dann auf eine absolut konstruktive Art, nicht unterbindend. Er streitet nicht, aber er stimmt auch nicht zu, er widerspricht, aber belegt dies mit Argumenten. Manche fallen sofort auf fruchtbaren Boden, andere müssen keimen. Diese wertschätzende, altruistische Einstellung hat mich sehr beeindruckt und an das Buch gebunden. Kaspar ist für mich der Prototyp eines leisen Menschen, passend dazu sein Beruf des Buchhändlers. Seine Ruhe ist dabei jederzeit mehr Stoa als Phlegma – was man ja ebenfalls vermuten könnte. Kapsar ergibt sich nicht in Situationen, er nimmt sie an.
Die Schilderung der Beziehung und deren Entwicklung zwischen Sigrun und Kaspar ist gerade in ihrer Unaufgeregtheit fesselnd. Schlink zeigt dabei keinen gerade Weg auf, mahnt nicht mit erhobenem Zeigefinger, maßt sich nicht an, zu behaupten, dass Sigrun „gerettet“ werden muss, ruft dem Leser nicht zu „hier guck an, der Großvater bringt das Mädchen ruckzuck auf den rechten Weg, alles total einfach“. Im Gegenteil agiert er – oder er lässt Kaspar so agieren, wie seinen Erzählstil fließen – bedacht, beharrlich, auch im Wissen, dass ein Scheitern möglich ist und das man auch dieses akzeptieren kann und muss.
Fazit: eine bewegende Geschichte über eine traurige Frau, einen bewundernswert altruistischen Mann, ein Mädchen, dass dachte, sein Weg sei schnurgerade und plötzlich Biegungen und Kreuzungen entdeckt. Lesenswert!

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Veröffentlicht am 23.09.2021

Mhairi McFarlane schreibt einfach bessere Chick-Lit

Du hast mir gerade noch gefehlt
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Mhairi McFarlane ist seit Jahren einer meiner wenigen Ausflüge in das Genre der Chick-Lit – und das in meinen Augen zurecht. Was mir sonst eine Spur zu gewollt, zu flach, zu – sprechen wir es mal aus – ...

Mhairi McFarlane ist seit Jahren einer meiner wenigen Ausflüge in das Genre der Chick-Lit – und das in meinen Augen zurecht. Was mir sonst eine Spur zu gewollt, zu flach, zu – sprechen wir es mal aus – manches mal ganz einfach auch nur dümmlich ist, finde ich hier nicht. Ich finde sympathische Protagonistinnen und Protagonisten, die alle ihre Schwächen haben. Ich finde einen Plot, der auf ein Happy End hinausläuft – und das erwarte ich auch. Ich finde auch jedes Mal eine ausreichend etwas anders gestrickte Geschichte. Die Autorin schreibt darüber hinaus sehr humorvoll. Für mich bedeutet Mhairi McFarlane daher einfach gut gemachte Unterhaltung, wie Popcorn-Kino zum Lesen, die meisten Leute gucken auch nicht immer ausschließlich Arte… Der neueste Roman „Du hast mir gerade noch gefehlt“ wartet darüber hinaus auch noch tatsächlich mit einem wahren Plot-Twist kurz nach Beginn auf, den ich jetzt so gar nicht erwartet hätte und der die weitere Geschichte bestimmt. Protagonistin Eve sieht sich daraufhin in ihren Grundfesten erschüttert, als wäre der Umstand, Brautjungfer auf der Hochzeit ihres besten Freundes, in den sie seit Jahrzehnten heimlich verknallt ist, zu werden, nicht schon genug, um sie tüchtig durcheinander zu bringen. Natürlich spielen alte und aktuelle Verstrickungen wieder eine Rolle, fehlende Kommunikation und unter Verschluss gehaltene Geheimnisse bis sich alles fügt – und das tut es am Ende.
Fazit: Wohlfühl-Lektüre in gewohnter Qualität der Autorin, hier gibt es einfach nichts zu meckern.

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Veröffentlicht am 16.09.2021

So viele Dinge kenne ich schon!

ministeps: Mein erstes großes Wörterbuch
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„Mein erstes großes Wörterbuch“ ist eine gelungene Sammlung rund um alle Dinge die dem Kleinkind begegnen und meist furchtbar spannend sind: Tiere, Fahrzeuge, Aktivitäten, Gegenstände des Alltags und Spielsachen. ...

„Mein erstes großes Wörterbuch“ ist eine gelungene Sammlung rund um alle Dinge die dem Kleinkind begegnen und meist furchtbar spannend sind: Tiere, Fahrzeuge, Aktivitäten, Gegenstände des Alltags und Spielsachen. Ergänzt wird dies durch die vertrauten Orte wie z.B. die Kita, den Supermarkt und natürlich das Zuhause. Je eine Doppelseite widmet sich einem kleinen Ausschnitt der (Er-) Lebenswelt und führt meist mit einem kleinen kurzen Text oder auch nur einem Sätzchen in das Thema ein. Großformatige, klare und einzeln gestaltete Illustrationen benennen dann die wichtigsten Dinge, die mit diesem Kontext verknüpft sein können. Neben der Zeichnung befindet sich jeweils die Wortmarke. Dabei umfasst die Sammlung nicht nur Substantive, sondern auch Verben und Adjektive (z.B. Farben).
Die Gestaltung finde ich sehr gelungen, und das Buch an sich auch sehr umfangreich. Es ist kein kleines Büchlein, sondern wirklich ein Wälzer gemessen an der Größe eines Kindes dieses Alters. Sehr stabil ausgeführt, überlebt es aber auch sicher ein eher aktives Lesen und Umblättern. Ein tolles Buch, das sicherlich oft angesehen werden kann mit Illustrationen, die auch zum Weitererzählen einladen. Sehr gelungen!

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Veröffentlicht am 06.08.2021

Es gibt eine Menge zu tun!

Meine Schiebebahn-Pappe: Fahr mit auf der Baustelle
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Ein neues Haus wird gebaut, und dort gibt es eine Menge zu tun: eine Baugrube wird ausgehoben, Beton wird gegossen, irgendwann ist der Rohbau fertig und ganz zum Schluss steht der Umzug an! Bei jedem Arbeitsschritt ...

Ein neues Haus wird gebaut, und dort gibt es eine Menge zu tun: eine Baugrube wird ausgehoben, Beton wird gegossen, irgendwann ist der Rohbau fertig und ganz zum Schluss steht der Umzug an! Bei jedem Arbeitsschritt werden verschiedene Fahrzeuge eingesetzt – und die bewegen sich durch dieses liebevoll gestaltete Bilderbuch sogar. Auf jeder Doppelseite wird ein Arbeitsschritt gezeigt und es gibt einen Fahrweg, auf dem durch die doppellagige Gestaltung der Seiten eine Scheibe mit dem jeweiligen Fahrzeug verschoben werden kann. Ein Buch, dass zum Entdecken, Mitmachen und Erzählen anregt.
Ich finde die Gestaltung gut gelungen und denke, dass „Fahr mit! Auf der Baustelle!“ immer wieder zum Ansehen und Spielen einlädt und animiert. Durch die vielfältige Gestaltung spricht es sowohl Mädchen als auch Jungen gleichermaßen an. „Am Kind“ wurde das Buch noch nicht getestet, da es ein Geschenk für meine Nichten sein wird, aber mein Mann hat getestet, alle Aufgaben mit Bravour bestanden und für gut befunden! Das Bewegen der Scheiben ist mitunter etwas fummelig, gelingt mit kleinen Kinderfingern aber sicher sehr gut.

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Veröffentlicht am 21.06.2021

Quo vadis Outlaw Duchess?

Von hier bis zum Anfang
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Walk wollte Polizist werden seit er als Jugendlicher in seiner Heimatstadt Cape Haven in Kalifornien bei einer Suche nach einem vermissten Kind dabei war. Heute sorgt er im ruhigen Umfeld der Provinz unaufgeregt ...

Walk wollte Polizist werden seit er als Jugendlicher in seiner Heimatstadt Cape Haven in Kalifornien bei einer Suche nach einem vermissten Kind dabei war. Heute sorgt er im ruhigen Umfeld der Provinz unaufgeregt für Ordnung, falls es denn überhaupt zu einem Zwischenfall kommen sollte. Leider zu häufig muss er zu einem Einsatz bei Star Radley eilen. Die Schwester des damals vermissten Kindes kommt einfach mit ihrem Leben nicht zurecht, Leidtragende sind häufig ihre beiden Kinder Robin und Duchess. Duchess hält die Familie so gut es geht am Laufen, sorgt mit ihren dreizehn Jahren für den Haushalt, das Frühstück für den kleinen Bruder, den Notruf, wenn es mal wieder nötig ist. Der Schicksalsschlag damals hat Cape Haven nachhaltig geprägt und die Familie Radley für immer gezeichnet. Als Walks bester Freund aus Kindertagen, Vincent King, nach Jahrzehnten wieder auftaucht, wird dies abermals zu neuen Verwicklungen, Komplikationen und Ereignissen führen, die Duchess nun schlussendlich auch überfordern müssen, alles was sie bisher ganz gut hinbekommt, gerät ins Wanken und fliegt ihr irgendwann buchstäblich um die Ohren.
Wenn man liest und urteilt, und mit Duchess mitfühlt und manchmal auch ihre Entscheidungen und Handlungen verurteilt, dann vergisst man ganz leicht eine Tatsache: Duchess ist selbst ein Kind, gerade mal ein Teenager. Sie tut nur keine Kinder-Dinge, ihr Leben ist nicht das normale, sorglose einer Jugendlichen, was ja mitunter schon schwierig und verwirrend genug sein kann. Sie ist viel zu erwachsen, hat viel zu viel Erfahrung in der Abwicklung von Dingen, die sie gar nicht kennen sollte. Sie reagiert hochemotional und absolut – wie ein Teenie, aber mit anderen Mitteln, anderen Entscheidungen, weil das Schicksal sie dazu bringt. Das kann den Leser sehr mitnehmen und sehr berühren und macht für mich die Qualität der Erzählung aus. Duchess beginnt ihr Leben nicht erst, sie wurde nicht geboren und entwickelt sich weiter und weiter und wird irgendwann als Erwachsene einmal einen Erfahrungsschatz besitzen, Dinge erlebt haben, die sie das Leben einordnen lassen. Sie ist schon da, wie mit dem Katapult nach oben geschossen, sitzt sie auf einem Berg, auf ihrem „Hier“ und die Frage ist, ob es von diesem „Hier“, ihrer Lebensrealität, eine Option gibt „bis zum Anfang“ zu gehen. All das Erlebte, Erlittene noch einmal auf 0 zu setzen. Das Ende legt nahe, dass Duchess sich dieser Sache bewusst ist. Wie sie damit umgehen wird, ist selbstverständlich spekulativ, doch hat sie es geschafft, genug Empathie beim Leser zu wecken, ihr einen Rückweg zu wünschen.
Fazit: ein mitreißender und bewegender Roman über ein starkes Mädchen, eine tragische Familiengeschichte, eine große Liebe, viele Geheimnisse und Schicksale. Fast könnte dies auch die Schilderung eines kitschigen Liebes- oder Familienromanes sein, aber weit gefehlt, es ist viel mehr Entwicklungsroman als dies, Soziogramm einer Kleinstadt – wer sich darauf einlassen möchte, wird einen tollen Roman lesen.

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