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Veröffentlicht am 15.09.2016

Elfen? Gibt's doch gar nicht ...

Silfur - Die Nacht der silbernen Augen
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Fabio und Tom sind zwei Brüder, die sich ähnlicher kaum sein könnten, obwohl sie keine Zwillinge sind. Und doch unterscheiden sie sich in fast jeder Hinsicht. Tom ist hochbegabt, sportlich, wächst wie ...

Fabio und Tom sind zwei Brüder, die sich ähnlicher kaum sein könnten, obwohl sie keine Zwillinge sind. Und doch unterscheiden sie sich in fast jeder Hinsicht. Tom ist hochbegabt, sportlich, wächst wie ein Riesenbambus und hat einen schnellen Draht zu allen anderen. Fabio hingegen, obwohl der Ältere von beiden, scheint gar nicht wachsen zu wollen, er hat Probleme in der Schule und hängt am liebsten vorm Rechner. Sie begleiten ihre Eltern nach Island, als ihr Vater dort Arbeit bekommt, und lernen sofort Elin kennen, die Tochter ihrer Vermieterin. Elin ist anders als alle anderen Mädchen, wild, ungestüm, mit verrückten Einfällen. Tom und sie sind fast sofort Freunde, während Fabio sich ausgegrenzt fühlt. Das wird auch nicht besser, als er anfängt, Kinder zu sehen, die kein anderer zu sehen vermag, und sich plötzlich die Katastrophen um ihn herum häufen. Er begreift, dass er elfensichtig ist und kommt einem ungeheuerlichen Geheimnis auf die Spur - doch um den Fluch, der mit diesem Geheimnis verbunden ist, zu lösen, braucht er die Hilfe seines Bruders, Elins und ja - auch der Elfen.

Ich weiß, dass einigen der Einstieg in das Buch zu langatmig war, dass mehr Action gefordert wurde oder zu wenig Elfiges auftauchte. Für mich war das Tempo genau richtig, denn so konnte ich ausgiebig die beiden Jungs, ihre Eltern, die Isländer inklusive Elin kennen- und nach einiger Zeit auch schätzenlernen. Blazon hat die Gabe, Leute zu zeichnen, die gleichzeitig menschlich fehlerhaft und doch extrem sympathisch sind, selbst die anfangs nur aggressiv wirkenden Elfen gehören dazu. Mit ihrer Originalität und verrückten Einfällen hat sich mich echt begeistern können - zum Beispiel mit der Elfencam oder dem geheimen Elfennetz. Richtig großartig war die Beziehung zwischen den Brüdern, das neidisch sein auf die Fähigkeiten des anderen, und doch die unverbrüchliche Freundschaft zwischen den beiden.

In diesem Buch gibt es kein Liebesgeschnulze (wäre auch ein bisschen arg zeitig), aber es geht um Vertrauen, das Überwinden von Vorurteilen, die Stärke von Freundschaft und dass es manchmal auch ein Happy End gibt. Starkes Kinderbuch, das problemlos auch Erwachsenen gefällt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Wenn dein Land plötzlich nicht mehr dein ist

Ein endloser Albtraum (Doppelband: Morgen war Krieg / Die Toten der Nacht)
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Das ist mal ein Buch, das ich immer wieder lesen kann, obwohl es eigentlich ein Jugendbuch ist. Eigentlich deshalb, weil es zwar um eine Gruppe von Jugendlichen geht, diese aber von einem Tag auf den anderen ...

Das ist mal ein Buch, das ich immer wieder lesen kann, obwohl es eigentlich ein Jugendbuch ist. Eigentlich deshalb, weil es zwar um eine Gruppe von Jugendlichen geht, diese aber von einem Tag auf den anderen erwachsen werden müssen.

Elli, die Ich-Erzählerin, und ihre Freunde leben im australischen Outback. Für diese Jugendlichen ist Traktor fahren oder Wurzeln sprengen so normal wie für unsere Großstadtkids das Skaten. In den Ferien beschließen sie, weit in die Berge zu fahren und dort zu campen. Zuerst ist alles so, wie es sich gehört. Lagerfeuer, Romantik, Spiele, Abenteuer. Doch dann hört Elli eines Nachts Flugzeuge über sie hinwegdröhnen, und als sie morgens aufwachen, ist das nicht mehr ihr Land. Eine fremde Nation (die nie genauer beschrieben wird, was ich sehr cool finde, denn eigentlich ist es doch egal, wer einen anderen überfällt) ist gewaltsam und kriegerisch in Australien eingedrungen und hat das Land übernommen. Sie töten, sie rauben, sie sperren die Menschen in Konzentrationslager. Für Elli und ihre Freunde beginnt ein gnadenloser Kampf ums reine Überleben, und sie haben nur einen Vorteil auf ihrer Seite: Sie kennen sich hier aus und sie wissen, dass man aus den einfachsten Dingen die mörderischsten Waffen bauen kann.

Der Schreibstil ist einfach nur klasse. Marsden, der ja ein Mann ist, bringt die Figur der Elli so überzeugend rüber, dass man keine Sekunde an ihr zweifelt. Ihre Freunde sind - ohne Klischees zu übermäßig zu bedienen - die üblichen Jugendlichen von nebenan. Der Coole, die Schüchterne, die Frau, die nicht mal in den Busch ohne ihr Make-up gehen kann. Trotzdem sind sie so lebendig, als würden sie tatsächlich irgendwo um die Ecke wohnen. Der Krieg ist grausam, und das wird auch so beschrieben. Die Acht sind keine Superheldentruppe, sie töten, sie werden verletzt, sie bluten, sind dreckig. Die Beschreibungen sind so eindringlich, dass man selbst die Fliegen summen hören kann, wenn wieder einmal Tote gefunden werden.

Ich finde, dieses Buch sollte Schullektüre werden. Erstens hätte dann mal einer Spaß dabei, zweitens lernt man auch was. Krieg hat nichts mit Helden zu tun - es geht immer um wirtschaftliche Interessen, und es gibt niemals Sieger, nur Verlierer.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Hinterkaifeck als Kammerspiel

Tannöd
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Tannöd - einen besseren Titel hätte die Autorin für dieses Buch nicht finden und verwenden können. Denn dort, abgeschieden von der Dorfgemeinschaft, lebt die Familie Danner, eine seltsame Familie, die ...

Tannöd - einen besseren Titel hätte die Autorin für dieses Buch nicht finden und verwenden können. Denn dort, abgeschieden von der Dorfgemeinschaft, lebt die Familie Danner, eine seltsame Familie, die kaum jemand wirklich kennt und über die höchstens Gerüchte im Umlauf sind, samt deren Magd. Doch eines Tages sind sie tot, alle miteinander, selbst die kleinen Kinder wurden auf brutalste Weise erschlagen. Wer könnte für diese grausame Tat infrage kommen? Jemand aus dem Dorf? Ein Fremder, der zufällig vorbei kam? Mehrere Täter? Hier kommt die Interviewerin ins Spiel, welche ins Dorf kommt und einfach die Menschen befragt. Nachbarn (im Sinne von denjenigen, die am nächsten wohnen, denn Tannöd ist außerhalb der Dorfgemeinschaft), der Priester, Klassenkameradinnen der Tochter.

Sie kommen alle zu Wort, und das Geniale daran ist, dass damit jeder seine eigene Stimme bekommt, seine eigene Art zu sprechen, zu denken. Während die Befragten ihren Monolog über die Ermordeten halten, lernt man nicht nur die Opfer dieses Verbrechen kennen, sondern auch den Sprecher, die Dörfler, die Umgebung, ja, selbst die Beziehungen untereinander in der Gemeinschaft. Was die Geschichte so authentisch wirken lässt, ist, dass tatsächlich ein Hauch von Authenzität besteht, denn die Autorin hat sich an dem realen Mordfall Hinterkaifeck orientiert, der offiziell nie aufgeklärt wurde. Ich weiß, dass viele Leser diese Art von Schreibstil und vor allem die Gebete dazwischen nervig fanden, mich hat es einfach nur reingezogen in die Geschichte und mitgenommen in eine Zeit und Welt, die zwar immer noch existiert, aber von den meisten von uns auf diese Weise gar nicht wahrgenommen wird. Klasse Debüt, gut umgesetzt.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Die Normalität des Bösen

Der Tod ist mein Beruf
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Dieses Buch ist Fiktion, doch gleichzeitig ist es ein historisches Dokument, denn Merle hat geradezu akribisch die tatsächlichen Berichte und Tagebücher eines Monsters aufgearbeit und in eine literarische ...

Dieses Buch ist Fiktion, doch gleichzeitig ist es ein historisches Dokument, denn Merle hat geradezu akribisch die tatsächlichen Berichte und Tagebücher eines Monsters aufgearbeit und in eine literarische Form gebracht. Es geht um den Lagerkommandanten Rudolf Höß, der hier Rudolf Lang genannt wird.

Wir lernen ihn 1913 kennen, als einen durchaus sympathischen Jungen, der unter der Fuchtel seines übermächtigen und vor allem drillenden Vaters steht. Dieser Vater verlangt Perfektion in allem, eine Leistung, derer niemand fähig ist. Minderwertigkeitskomplexe sind die logische Folge, ganz besonders, als der Vater von ihm verlangt, dass er Priester wird - der Sohn soll Priester werden, um für die Sünden des Vaters zu büßen. Rudolf ist von Anfang an fasziniert vom Militär, so sehr, dass er sich nach dem Tod des Vaters sogar freiwillig und noch sehr jung für den ersten Weltkrieg meldet.

Das Militär wird ihn auch nie wieder loslassen, vor allem, da sich immer wieder Männer finden, die ihm geben, was er von seinem Vater gewohnt ist: Härte, Unnachgiebigkeit, Disziplin und eine Aufgabe im Leben. Er gehorcht, und er gehorcht gern. Das Militär fordert und fördert ihn, und er ist einer der Ersten, die dem Nationalsozialismus folgen. So wird er irgendwann Leiter von Ausschwitz und er betreibt die Ermordung der Juden mit so viel Effizienz und deutscher Gründlichkeit, dass einem beim Lesen geradezu schlecht werden kann, nein, muss. Das Schlimme ist, dass Rudolf trotz allem nicht einmal unbedingt unsympathisch ist. Manchmal ist er so normal wie der Nachbar von nebenan, und diese Normalität lässt einen frösteln, vermittelt aber ein sehr gutes Bild davon, wie es sein konnte, dass sich so viele und vor allem so gewöhnliche, nicht psychopathische Menschen einer so unmenschlichen Diktatur anschlossen und sie zum Teil auch begeistert unterstützten.

Ein extrem wichtiges Buch, das eigentlich in Schulen gelesen werden sollte.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Auf der Jagd nach dem magischen Ripper

Die Toten im Schnee
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Dubric Byerly ist nicht nur ein Adliger und "Sicherheitschef" im Schloss Faldorrah. Er ist außerdem über siebzig Jahre alt, was in einem mittelalterlichen Setting schon einmal für Probleme sorgt, denn ...

Dubric Byerly ist nicht nur ein Adliger und "Sicherheitschef" im Schloss Faldorrah. Er ist außerdem über siebzig Jahre alt, was in einem mittelalterlichen Setting schon einmal für Probleme sorgt, denn Physiotherapeuten oder gescheite Ärzte haben die da jedenfalls nicht. Doch das sind nicht die einzigen Sorgen, die er hat. Er ist außerdem verflucht: Wird jemand im Schloss ermordet, sieht er dessen Geist. Und die Geister der Ermordeten nehmen es nicht einfach hin, wenn der Täter nicht sofort gefasst ist. Obwohl Dubric der Einzige ist, der sie sehen kann, werden sie ihm gegenüber auch gerne einmal gewaltätig. Richtig schlimm wird es, als ein Serienkiller im Schloss umgeht, der anscheinend selbst wie ein Geist umgehen und morden kann.

Was für ein Wahnsinnsdebüt! Was für tolle Charaktere! Selten habe ich so gut ausgearbeitete Protagonisten in einem Fantasyroman (oder jedem anderen Buch, was das angeht) gesehen, Leute, die tatsächlich "lebendig" wirken. Da ist nicht nur Dubric, der einem ratzfatz nahe steht, auch seine Untergebenen und Assistenten sind Männer und Jungen, für die man durchs Feuer gehen würde. Ab und zu gibt uns die Autorin sogar Einblick in die Gedankenwelt des Mörders - ob das notwendig ist, vermag ich nicht zu beurteilen, stören tut es jedoch sicherlich nicht. Der Schreibstil fesselt, hält fest und lässt nicht mehr los, bis die letzte Seite umgeblättert ist und dann sitzt man da und denkt "Ach, Menno!" Keine Panik, es gibt noch zwei Sequels!

Also: Wer intelligente Fantasy mit sympathischen Protagonisten und einem verdammt guten Setting sucht, ist hier absolut an der richtigen Stelle!