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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 31.05.2018

Sehr gelungen

Jenseits auf Rezept
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Nachdem sich Polizeimajor Paul Eigner in die Provinz zurück versetzen ließ, hoffte er eigentlich auf einen geruhsamen Arbeitsalltag. Aber daraus wird nichts. Eine alte Frau stürzte auf der Kellertreppe ...

Nachdem sich Polizeimajor Paul Eigner in die Provinz zurück versetzen ließ, hoffte er eigentlich auf einen geruhsamen Arbeitsalltag. Aber daraus wird nichts. Eine alte Frau stürzte auf der Kellertreppe zu Tode, ein tragischer Unfall, an den die Tochter aber nicht glauben möchte. Also werden die nachbarschaftlichen Beziehungen zu Eigner aktiviert. Aber auch ihm erscheint an diesem Unfall einiges seltsam. Als dann noch eine weitere pflegebedürftiger Senior unter seltsamen Umständen stirbt, beginnt Eigners Misstrauen zu wachsen. Als dann noch die Leiche der schönen Sonja, die Mitarbeiterin eines Therapiezentrum aus der Donau gezogen wird, ist es mit Eigners Ruhe endgültig vorbei.
Lisa Lerchers Wachau-Krimi hat eine ganz besondere Atmosphäre. Die kleinstädtische Umgebung in Klein Dürnsitz ist sehr gemütlich geschildert, die Anwohner typisch im dörflichen Miteinander. So findet Major Eigner sehr viele, sehr genaue Beobachtungen und Spuren, denen er nachgehen kann. Es ist nicht die Aktion, die den Reiz ausmachen – obwohl ich den Krimi auch sehr spannend fand – es ist die gelungene Umsetzung von Regionalität und Kriminalhandlung. Die Wachau bildet den malerischen Hintergrund und die handelnden Figuren sind einfach köstlich portraitiert, wie die kauzigen Einheimischen, deren Dialekteinsprengsel richtig Spaß machten. Es gibt natürlich auch ein Glossar für die österreichischen Ausdrücke.
Die Handlung wurde von der Autorin wendungsreich aufgebaut und mir hat besonders gefallen, dass trotz Regionalität, Sprachwitz und Humor der Krimi nicht zu kurz gekommen ist. Es ist mein zweiter Wachau Krimi der Autorin, auf weitere Folgen freue ich mich schon.

Veröffentlicht am 15.05.2018

Unter Kenias Himmel

Kenia Valley
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Mit 15 kommt Theo mit seiner Familie nach Kenia. Es sind die 20iger Jahre, Engländer haben Kenia als Kolonie annektiert, sie bauen Eisenbahnen, wie Theos Vater oder leben als Gentleman Farmer. Eine schillernde, ...

Mit 15 kommt Theo mit seiner Familie nach Kenia. Es sind die 20iger Jahre, Engländer haben Kenia als Kolonie annektiert, sie bauen Eisenbahnen, wie Theos Vater oder leben als Gentleman Farmer. Eine schillernde, exotische Welt in der alles möglich scheint.

Theo lernt den charmanten, viel älteren englischen Lord Hamilton kennen. Er bewundert Freddie und dessen Geliebte Sylvie. Die frivole Welt der Partys und freizügigen Feste faszinieren ihn, genau wie ihm die Aufmerksamkeit gefällt, die ihm entgegengebracht wird. Immer tiefer rutscht Theo in diese Clique mit ihren Alkohol- und Drogenexzessen und wilden freizügigen Treffen. Ohne Führung der Eltern – der Vater oft abwesend und die Mutter seltsam desinteressiert – verliert sich Theo in dieser Scheinwelt. Theo taumelt ziemlich orientierungslos durch diese Welt und sein innerer Kompass scheint nicht mehr zu funktionieren. Einzig seine jüngere Schwester Maud ist ein Anker für ihn. Als Theo nach einigen Jahren des Studiums in Schottland als junger Mann nach Kenia zurückkehrt, ist es sein sehnlichster Wunsch, wieder dort anzuknüpfen, doch nichts ist mehr so wie es war.

Dieser farbig-exotische Roman erinnerte mich immer wieder an Scott Fitzgerald. Es ist eine dekadente und sterbende Welt, die hier inszeniert wird. Hinter all den Ausschweifungen stehen brüchige Charaktere, die ihre innere Zerrissenheit unter Charme und Freizügigkeit verstecken. Ihre Vergnügungen überdecken nicht die Leere und Hohlheit ihrer Leben. Das Portrait dieser Zeit und dieser Gesellschaftsschicht scheint mir sehr gelungen. Daneben macht es wirklich Vergnügen, in diese Welt abzutauchen. Es wird nie ein kitschiges Afrikabild gezeichnet, doch man spürt die Faszination dieses Landes aus jeder Seite.

Der geschichtliche Hintergrund hat mir sehr gefallen, die überhebliche Haltung der weißen Kolonialmacht, die das Land als endlose, nur zur ihrer Verfügung stehende Ressource begreifen. Die allmählich in Europa beginnende Veränderung und das Erstarken der Widerstandsbewegung der einheimischen Bevölkerung sind Dinge, die nicht mehr auszublenden sind. Es wird deutlich, dass sich der „Kenia Valley Set“ am Ende befindet, auch wenn sie es nicht wahrhaben wollen.

An den Protagonisten konnte ich mich reiben, charmant und intrigant, freundlich und verlogen, großzügig und gierig - aber nie nur schwarz-weiß gezeichnet, wie es eben das Leben vorgibt.
Mir hat der Roman sehr gut gefallen und Klappentext und Cover haben nicht zu viel versprochen. Ein intensives Leseerlebnis hat mich erwartet.

Veröffentlicht am 14.05.2018

Gelungene Fortsetzung

Lost in Fuseta - Spur der Schatten
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Leander Lost ist jetzt ein halbes Jahr in Fuseta. Im Austauschprogramm von Europol hat er seinen Hamburger Arbeitsplatz mit einem Kollegen der portugiesischen Kleinstadt getauscht. Er fühlt sich angenommen, ...

Leander Lost ist jetzt ein halbes Jahr in Fuseta. Im Austauschprogramm von Europol hat er seinen Hamburger Arbeitsplatz mit einem Kollegen der portugiesischen Kleinstadt getauscht. Er fühlt sich angenommen, trotz der Schwierigkeiten in der Kommunikation durch sein Asperger Syndrom. Aber seine Inselfähigkeiten haben schon mehrfach bei der Lösung komplizierter Sachverhalte geholfen und das Verhältnis mit den Kollegen ist besser, als es in Hamburg je war. Außerdem gibt es da noch Soraia, die Schwester von Subinspektorin Graziana Rosada.

Als eine zuverlässige Kollegin nicht zum Schichtwechsel erscheint, wir Subinspektorin Rosada stutzig. Auch in der Wohnung gibt es keine Spur der Kollegin, lediglich ihr Handy liegt dort. Obwohl es noch keine Lösegeldforderung gibt, weist vieles auf eine Entführung hin. Gleichzeitig soll die Dienststelle für die Sicherheit einer Angolanerin sorgen, die für ihre NGO eine Rede vor dem Parlament halten möchte. Als die Tochter der Entführten anreist, ist Lost positiv überrascht, sie haben eine sehr ähnliche Sicht auf die Welt. Bald scheinen die beiden Aufgaben sich zu überschneiden und die Zeit läuft…

Schon vom ersten Band war ich begeistert und es ist schwer mit einem Nachfolger meine hohen Erwartungen zu erfüllen. Gil Ribeiro ist das gut gelungen. Ich habe mich sofort wieder nach Portugal versetzt gefühlt und Leander Lost ist als Anti-Held die ideale Besetzung für diese außergewöhnlichen Krimis.

Mir gefiel der Plot, der temporeich ist, aber trotzdem immer auch Zeit für eine kleine mediterrane Pausen hat. Wenn die Familie Rosada zusammensitzt und Leander sich behaglich und beschützt fühlt. Wenn es um portugiesische Spezialitäten geht, die zu den diversen Mahlzeiten gereicht werden. Kollege Carlos Estevez trifft man sehr selten ohne einen Vorrat kleiner Köstlichkeiten an. Der Fall führt bald in die nicht immer ruhmreiche Geschichte Portugals als Kolonialmacht und die Kollegen der Policia Judicaiaria sind gefordert.

Aber am besten gefällt mir, wie der Asperger Leander Lost dargestellt ist, seine Probleme mit der nonverbaler Kommunikation ergeben immer wieder urkomische Szenen, ohne dass sie auf Kosten dieser Einschränkung gemacht werden. Im Gegenteil: wenn sich Lost auch als Mensch mit Mängeln sieht, wird den Kollegen immer mehr klar, dass das auch Stärken sein können. Seit Lost in einem Antiquariat den Ratgeber „Kompendium sinnloser Sätze“ eines völlig unterschätzten Autors namens Dan B. Tucker gefunden hat, kann er auch jede Situation mit einer Phrase retten. Das „meinen Sie“ oder „was sie nicht sagen“ kommt nun schon sehr flüssig von den Lippen.

Kurz gesagt: Für mich eine absolut gelungene Fortsetzung und ein echter Wohlfühlkrimi, in dem auch Spannung und Tempo sehr hoch bleiben und bei dem mir auch das Hintergrundthema sehr gefallen hat.

Veröffentlicht am 06.05.2018

Bullenbrüder

Bullenbrüder: Tote haben kalte Füße
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Charlie und Holger sind Brüder, sie arbeiten sogar gleichen Metier. Holger als Kommissar schon so weit oben, dass er gar einen Dienstwagen mit Fahrer hat und Charlie eher ganz unten. Er schnüffelt nämlich ...

Charlie und Holger sind Brüder, sie arbeiten sogar gleichen Metier. Holger als Kommissar schon so weit oben, dass er gar einen Dienstwagen mit Fahrer hat und Charlie eher ganz unten. Er schnüffelt nämlich als Privatdetektiv. Und da er von seiner letzten Freundin rausgeworfen wurde, nächtigt er schon seit einiger Zeit auf einer Luftmatratze im Gartenhaus von Holger.
Da bekommt Charlie von seiner Ex einen lukrativen Job, sie hat den Verdacht, dass ihr Ehemann fremdgeht und sucht handfeste Beweise. Nebenbei finden die Besprechungen immer in einem Hotelzimmer statt, denn die Verbindung scheiterte eher an Charlies Phlegma, als an anderen Qualitäten. Holger dagegen bekommt von der Polizeichefin einen heiklen Auftrag, Victoria, eine der berühmten Smooth-Sisters, ist verschwunden. Kurz vor dem lukrativen Verkauf der Firma der viel Geld in die Kassen der Party-Schwestern spülen sollte. Und ohne Victoria gibt es keinen Verkauf. Die Polizeichefin ist mit der Familie befreundet und Holger soll sich ganz diskret mal umhören.
Blöd nur, das sich bald ihre Wege kreuzen. Der fremdgehende Ehemann hatte nämlich einiges mit den Schwestern zu tun.
„Tote haben kalte Füsse“ ist wunderbar lakonisch geschrieben. Knappe Sätze, ironische Statements und dazu die gegensätzlichen Charaktere der beiden Hauptfiguren machen den Reiz des Kriminalromans aus. Wo Holger sich an Vorschriften gebunden und von der Chefin gegängelt sieht, kann Charlie ganz ungeniert mit der Tür ins Haus fallen. Das ist ein temporeicher Krimi mit viel Wortwitz und vielen gekonnten Seitenhieben.
Für mich hätte es da gar nicht den Running Gag mit Mutter Brinks gebraucht, die zum Entsetzen der Brüder einfliegt um sich ihre 5. Hochzeit mit Rodrigo, einem kolumbianischen Cowboy, ausrichten zu lassen. Jeden Tag wird Holger von neuen Vorschlägen der Mutter genervt, die eifrig auf Kosten ihres Sohnes – Charlie kann ja finanziell nichts beisteuern – teures Equipment ordert. Dieser Part, obwohl immer für einen Lacher gut, war mir fast ein wenig zu überzeichnet.
Die Personen sind einfach gelungen ausgedacht, nicht nur die beiden Brüder, die einander in Hass-Liebe verbunden sind. Auch die beiden Celebrity Girls Pam und Eloise, die eigentlich nur halbherzig ihre Schwester vermissen, entfachen Kopfkino. Dazu die kurzen und knappen Dialoge, bei denen jede Pointe sitzt, machen den Krimi zu einem richtigen Vergnügen. Auch die Spannung kommt nicht zu kurz, dafür sorgen schon Charlies Actionszenen.
Ein kleiner, aber feiner Krimi.

Veröffentlicht am 02.05.2018

Lied der Weite

Lied der Weite
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In Kent Harufs Roman „Lied der Weite“ ist die Kleinstadt Holt in Colorado Mittelpunkt und Hauptperson gleichzeitig. Die Geschichte spielt in einer ungenannten Zeit, auf Grund der Beschreibung von Technik ...

In Kent Harufs Roman „Lied der Weite“ ist die Kleinstadt Holt in Colorado Mittelpunkt und Hauptperson gleichzeitig. Die Geschichte spielt in einer ungenannten Zeit, auf Grund der Beschreibung von Technik würde ich die frühen 60iger Jahre annehmen. Es sind wenige Figuren die dieses Buch prägen, in einzelnen den einzelnen Kapiteln werden sie jeweils in den Vordergrund gestellt um dann zum Ende doch zu einem Ganzen zu werden.

Da ist die 17jährige Victoria, die ungewollt schwanger wurde und von ihrer Mutter vor die Tür gesetzt wird. Sie vertraut sich ihrer Lehrerin Maggie Jones an. Die bringt Victoria bei zwei alten Farmerbrüdern, den MacPhersons unter, die unbeeindruckt vom Lauf der Jahre ihr Land bestellen. Sie sind ein wenig eigenbrötlerisch und kauzig, aber von einer anrührenden Menschlichkeit.

Dann gibt es noch Tom Guthrie, Lehrerkollege von Maggie, der mit seinen zwei Söhnen allein lebt. Seine Frau litt schon sehr lange unter Depressionen und hat die Familie verlassen um bei ihrer Schwester zu leben. Tom hilft ab und zu auf der Farm der MacPherson, dort halten sich auch seine zwei Söhne gerne auf. In der Schule hat Tom ziemlich Probleme, denn einer seiner Schüler, der verwöhnte Sohn der Beckmans, spielt gedeckt von seinen einflussreichen Eltern und einer konfliktscheuen Schulleitung übel auf. Mit Maggie verbindet ihn wohl mehr, als nur der gemeinsame Arbeitgeber.
Sicher sind die MacPhersons die Personen, die mir am stärksten im Gedächtnis bleiben werden. Unbeirrt, gütig und wortkarg nehmen sie sich des jungen Mädchens an und verändern sich zu ihrer eigenen Überraschung zu einer Art liebevoller Ersatzonkels für Victoria, der Wohl ihnen bald sehr wichtig wird.

Es gibt keine großen Spannungsbögen in diesem Buch, die Stadt und ihre Menschen mit allen ihren zwischenmenschlichen Problemen werden wie in einer Chronik erzählt. Sehr ruhig, sehr zurückgenommen und immer sehr einfühlsam. Wenn es auf den ersten Blick auch wie eine schlichte Erzählung wirkt, steckt doch so viel Weisheit und Menschenliebe in den Zeilen, dass es mir noch lange im Gedächtnis blieb. Vielleicht hat mich das Buch deshalb so beeindruckt, weil es wie aus der Zeit gefallen scheint und doch zeitlos aktuell ist.

Kent Haruf ist leider schon verstorben, sein Werk deshalb auch überschaubar, aber nicht zu übersehen.