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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.09.2017

Ohne Vergangenheit keine Zukunft

In einem anderen Licht
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Miriam ist Journalistin beim angesehenen Frauenmagazin Anabel. Sie verantwortet die Organisation der Preisverleihung für Zivilcourage, eines Preises den die angesehene Hamburger Reedereierbin Dorothea ...

Miriam ist Journalistin beim angesehenen Frauenmagazin Anabel. Sie verantwortet die Organisation der Preisverleihung für Zivilcourage, eines Preises den die angesehene Hamburger Reedereierbin Dorothea Sartorius gestiftet hat. Frau Sartorius ist eine medienscheue Mäzenin, die sich bisher jedem Interview verweigert hat. Nun bekommt Miriam tatsächlich die Chance zu einem persönlichen Gespräch und gleichzeitig erhält sie seltsame Mails, die sie auffordern Dorothea nach einer „Marguerite“ zu fragen.
Das große Geheimnis von Dorothea Sartorius wird im Klappentext schon angedeutet, als Leserin ahnte ich also schon, in welche Richtung Miriams Recherchen führen werden. Trotzdem bleibt die große Neugierde erhalten. Wie wurde aus einer engagierten, vielleicht fehlgeleiteten junger Frau aus der Terrorszene, eine zurückhaltende Hamburger Bürgerin? Stimmen die Andeutungen vielleicht gar nicht? Die Briefeschreiberin bleibt in ihren Anschuldigungen vage und was bedeutet in diesem Zusammenhang der Vorwurf, Dorothea wäre eine Verräterin?
Miriam wird immer mehr in ihre Recherchen hineingezogen, vor allem, da Dorothea nicht leugnet, sondern ihr sogar rät, die Wahrheit zu suchen. Diese Suche lenkt Miriam auch von ihrer persönlichen, sehr traurigen Situation ab. Sie hat ihren Mann, einen Kriegsberichterstatter verloren und danach eine Fehlgeburt erlitten. Auch Max, ihr fünfjähriger Sohn kommt mit der Trauer um den toten Vater nicht gut zurecht und stellt emotionale Ansprüche an sie, die sie fast überfordern.
Ein Roman, der zwei weibliche Protagonisten zwingt, sich mit der jüngeren deutschen Geschichte auseinanderzusetzen – das ist ein interessanter Ansatz, von dem ich mir allerdings mehr versprochen hatte. In manchen Passagen wurde mir der Schreibstil zu rührselig und in den Recherchen gab es zu viele Zufälle, die immer dann bemüht wurden, wenn die Geschichte ins Stocken geriet. Die Liebesgeschichte um die Journalistin Miriam bringt zusätzlich einen neuen Erzählstrang und Ton in das Buch.
Nichts desto trotz ist es ein spannender Roman um die Frage, wie sich ein Mensch verändern kann, was die Zeit und die gelebte Vergangenheit bedeutet und wie man damit umgeht. Das Thema RAF in einem Roman aufzugreifen und in eine Lebensgeschichte einzubauen, fand ich mutig.

Veröffentlicht am 29.08.2017

Subtiler Thrill

Dann schlaf auch du
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Myriam und Paul sind ein Elternpaar wie aus dem Bilderbuch. Die Kinder waren Wunschkinder, aber der Alltag holt die Familie ein. Myriam fühlt sich allein in der Mutterrolle unterfordert und als sie ein ...

Myriam und Paul sind ein Elternpaar wie aus dem Bilderbuch. Die Kinder waren Wunschkinder, aber der Alltag holt die Familie ein. Myriam fühlt sich allein in der Mutterrolle unterfordert und als sie ein attraktives Angebot ihrer Kanzlei erhält, wird der Wunsch wieder als Anwältin zu arbeiten übermächtig. Auch Paul steht vor einem Karrieresprung. Sie entscheiden sich, eine Nanny ins Haus zu holen.
Die Entscheidung wird sorgfältig abgewogen, sie wählen mit Louise eine Frau aus, die sympathisch und verantwortungsvoll erscheint. Die Nounou, wie sie genannt wird, nimmt ganz allmählich die Fäden in die Hand.
Das Buch beginnt mit einem Paukenschlag, die Kinder sind tot. Erst nach und nach wird in wechselnden Perspektiven von Myriam und Louise und in kleinen Rückblenden, das Ausmaß des Dramas sichtbar. War es vorhersehbar? Da ich als Leserin gleich zu Beginn mit dem Tod der Kinder konfrontiert werde, sind mir die feinen Risse in Louises Leben sichtbar. Wie sie allmählich in die Familie drängt und ihre Regeln festlegt. Wie Myriam und Paul ihr Missbehagen zwar wahrnehmen aber nicht aussprechen wollen, um die Versorgung der Kinder nicht zu gefährden – und vor allem auch ihre berufliche Situation nicht zu ändern. Wie weit sie auch Louise entgegenkommen, der Abstand bleibt. Louise selbst fühlt sich ausgeschlossen, eine Angestellte, die sich in ihre innere Einsamkeit zurückzieht, ihr Verhalten lässt sich nicht ignorieren, weist allmählich bedrohliche Züge auf, doch die Eltern schweigen. Zu bequem ist die Rundumversorgung, zu wichtig ihr berufliches Fortkommen. Die Frage nach der Vereinbarkeit von Elternschaft und Karriere, von Emanzipation und gesellschaftlichen Erwartungen stehen im Raum.
Die Atmosphäre, die dieses Buch durchzieht, lässt mich frösteln, ein Psychodrama, das mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagt. So subtil, so fein beobachtet, wie die Autorin dieses Drama beschreibt, die Hauptfiguren entwickelt und die Unausweichlichkeit der Tat angekündigt, kann kein Thriller mithalten.
Die Autorin wurde in Frankreich mit dem berühmten Prix Goncourt ausgezeichnet. Eine sehr gute Entscheidung der Jury.

Veröffentlicht am 14.08.2017

Literarische Schnitzeljagd

Die Kapitel meines Herzens
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Bevor Samantha Whipple als junge Literaturstudentin nach Oxford kam, hat sie noch kein normales Leben geführt. Ihr Vater, ein berühmter amerikanischer Schriftsteller und letzter Nachfahre der Brontë-Familie, ...

Bevor Samantha Whipple als junge Literaturstudentin nach Oxford kam, hat sie noch kein normales Leben geführt. Ihr Vater, ein berühmter amerikanischer Schriftsteller und letzter Nachfahre der Brontë-Familie, unterrichtete sie selbst im Haus und formte sie durch seine Erziehung ganz nach seinen Wünschen. Lange schon gibt es das Gerücht um einen Schatz der Brontës, der im Besitz der Whipples sein soll. Als Sam nach Vaters Tod seinen Wunsch erfüllt und in Oxford am Old College ihr Studium aufnimmt, wird ihr auch das Erbe des Vaters übergeben: eine kryptische Nachricht und ein Lesezeichen. Damit beginnt eine Art Schnitzeljagd und über seinen Tod hinaus, bestimmt der Vater ihr Leben.

Wenn sie ihre Referate und Aufgaben mit ihrem Tutor diskutiert, entwickelt sich meist ein Streitgespräch, die auf Sams Familie hinausläuft, denn auch Dr. Orville ist von den Brontë-Schwestern nahezu besessen. Dann findet Samantha plötzlich ein Buch aus dem Besitz ihres Vaters vor ihrer Tür, das eigentlich gar nicht existieren dürfte, denn seine komplette Bibliothek ist verbrannt. Es bleibt nicht das einzige Buch und Sam scheint sich fast in Verfolgungswahn zu verlieren.

In diesem Roman ist vieles enthalten: eine abenteuerliche Schatzsuche – eine Geschichte vom Erwachsenwerden – ein Ausflug in die Literatur und nicht zuletzt eine Liebesgeschichte. Das hat mich ausgesprochen gut unterhalten, mir gefielen die Exkurse und die Diskussionen über die Romane der Brontëschwestern, die ich selbst vor vielen Jahren alle gelesen habe. Es war auch eine Anregung die Bücher mal wieder in die Hand zu nehmen. Manchmal waren mir einige Vergleiche zu dramatisch, wenn zum Beispiel von „Augen wie schmauchende Pistolen“ gesprochen wird, aber das tut dem Gesamtbild keinen Abbruch. Das altehrwürdige Oxford als Hintergrund eines Romans ist mir immer ein Pluspunkt, auch wenn hier nicht sehr viel von der Atmosphäre der Stadt und ihrer Colleges zum Tragen kommt.

Ich habe den Roman sehr gern gelesen, es ist gute Unterhaltung mit Niveau.

Veröffentlicht am 28.07.2017

Die Einsamkeit des Dichters

Der Dichter der Familie
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Seit ihm als Kind ein kleiner Reim gelungen ist, wird Édouard von seinen Eltern und Großeltern als Dichter der Familie vergöttert. Man wartet auf jedes Wort von ihm und dass, obwohl in der Familie eine ...

Seit ihm als Kind ein kleiner Reim gelungen ist, wird Édouard von seinen Eltern und Großeltern als Dichter der Familie vergöttert. Man wartet auf jedes Wort von ihm und dass, obwohl in der Familie eine seltsame Sprachlosigkeit herrscht. Die Eltern schweigen sich an, der kleine Bruder ist völlig verstummt und nur in Nebensätzen erfährt der Leser vom Aufenthalt des Großvaters in Mauthausen oder von Dingen die der Vater im Algerienkrieg erleben musste. Die Ehe der Eltern ist brüchig und Édouard weiß nicht, wie er Vater und Mutter seine Liebe zeigen kann.
Fast unausweichlich schlittert er in eine lieblose Ehe. Monique war sicher nicht seine erste Wahl, aber er ist es gewohnt sich mit dem nächstbesten zufrieden zu geben. Monique erlag auch dem Irrtum, dass Édouard ein Schriftsteller wird und sieht sich schon als Schauspielerin in der Titelrolle seines Buches, das er nie schreiben wird können.
Tristesse durchzieht das Leben des Protagonisten genau wie das Buch, aber es ist eine Melancholie die den Blick auf die Figuren schärft. Warum können sie sich nicht daraus befreien, wann werden sie das Leben annehmen und gestalten? Es waren die Andeutungen, die in meinem Kopf die unausgesprochenen Sätze bildeten, die mir die Personen nahebrachten.
Ich kannte den Autor von seinen späteren Romanen, die leichtfüßiger und eingängiger erscheinen. Hier in seinem Debüt, das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt, präsentiert sich ein anderer Stil, nachdenklicher und noch suchend. Mit einem Hoffnungsschimmer für Édouard endet das Buch, das mich darüber hinaus noch lange in Gedanken beschäftigte.

Veröffentlicht am 21.07.2017

Das Spukhaus

Schritte im Dunkeln
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Die Geschwister Celia, Margaret und Peter haben ein altes Landhaus geerbt. Die „Priory“ hat die besten Tage hinter sich, jahrzehntelang war das Haus unbewohnt. Aber seinem Charme sind sie sofort verfallen, ...

Die Geschwister Celia, Margaret und Peter haben ein altes Landhaus geerbt. Die „Priory“ hat die besten Tage hinter sich, jahrzehntelang war das Haus unbewohnt. Aber seinem Charme sind sie sofort verfallen, lediglich Charles Malcolm, der Ehemann von Celia äußert Bedenken, als sie dort einziehen wollen. Das Haus hat im Dorf keinen guten Ruf, es soll dort spuken, ein geheimnisvoller schwarzer Mönch wird immer mal wieder gesehen. Daran scheiterten auch alle Versuche, das Haus zu vermieten. Aber die Vier lassen sich von solchem Gerede nicht abschrecken, als moderne, aufgeklärte Menschen geben sie nichts auf den Aberglauben der Dörfler.
Allerdings wird auch ihnen bald klar, dass es im Haus nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Sie hören Schritte, beobachten nachts im Park herumschleichende Gestalten. Als auch noch ein Bild von der Wand fällt und ein verstecktes Kämmerchen mit einem Skelett freigibt, wollen sie dem Geheimnis des Hauses auf die Spur kommen. Sie sind sich sicher, dass dahinter ganz reale Machenschaften stecken.
Geheimnisvolle Fremde, ein liebenswert trotteliger Dorfbobby, eine schrecklich neugierige Pfarrersfrau, der unvermeidliche Kolonialoffizier im Ruhestand und ein jovialer Wirt runden das Ensemble ab. Die Geschwister samt Ehemann sind begierig auf das Abenteuer und wirkten auf mich ein wenig wie Enid Blytons Protagonisten im Erwachsenenalter .
„Schritte im Dunkeln“ von Georgette Heyer kann man fast als den Urahn der englischen Landhauskrimis bezeichnen. 1932 zum ersten Mal erschienen, ist er nun neu aufgelegt worden. Aber ähnlich wie die ewig frischen Agatha Christies Krimis, ist der Krimi auch heute noch unterhaltsam.
An den Sprachstil, der für unseren heutigen Sprachgebrauch manchmal etwas umständlich und auf wohltuende Weise altmodisch klingt, hat man sich schnell gewöhnt. Ich war sogar amüsiert, wenn es ganz selbstverständlich ist, dass man zum Telefonieren ins Postamt oder den örtlichen Pub geht, dass das heiße Wasser für ein Bad im Boiler erhitzt wird und grade mal für eine Person reicht oder dass das Fehlen einer Heizung nicht als Manko gilt. Die kleine Liebesgeschichte am Rande ist zeitgemäß sehr keusch. „Schritte im Dunkeln“ ist ein Krimi, der „very british“ und „very oldfashioned“ daherkommt und dabei sehr unterhaltsam ist.