Platzhalter für Profilbild

Bookworm_BW

Lesejury Star
offline

Bookworm_BW ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Bookworm_BW über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.03.2021

Ein Roman am Puls der Zeit!

Über Menschen
0

Wir lernen die 36-jährige Werbetexterin Dora kennen, die während des Corona-Lockdowns recht überstürzt mit ihrer kleinen Hündin in die alte und heruntergekommene Bruchbude in dem brandenburgischen Dorf ...

Wir lernen die 36-jährige Werbetexterin Dora kennen, die während des Corona-Lockdowns recht überstürzt mit ihrer kleinen Hündin in die alte und heruntergekommene Bruchbude in dem brandenburgischen Dorf Bracken zieht, die sie sich vor kurzem gekauft hat.

Sie hält es einfach nicht mehr länger auf so engem Raum mit ihrem neurotischen Freund Robert, einem Journalisten aus. Er ist ein besserwisserischer, verbissener und selbstgerechter Umwelt-Aktivist, der sich extrem mit der Coronathematik beschäftigt, sich gut damit auskennt, aber auch Angst hat und deshalb anfängt, Dora zu kontrollieren und ihr Vorschriften zu machen.
Darüber hinaus fühlt sich Dora trotz gutem Job und schöner Wohnung schon seit längerem überfordert.
Sie braucht Tapetenwechsel, hier ist alles zu eng.

Vorher in Berlin-Kreuzberg, jetzt also auf dem Land und in der Natur.

Sie will den verwilderten Garten bändigen und ein Gemüsebeet anlegen. Sie will zur Ruhe kommen.

Ähnlich wie in „Unterleuten“ treffen wir in „Über Menschen“ auf Klischees, Bewertungen und Vorurteile, auf ein ostdeutsches Provinzkaff, das nicht Schritt halten konnte, auf rechts Gesinnte und auf linksliberale Städter.

Wir lernen hier unterschiedliche Menschen mit problematischen Biographien und ein abgehängtes Dorf mit aussterbender Infrastruktur kennen. Und das alles vor dem Hintergrund der Corona-Krise, die Juli Zeh in ihrem Roman mit all ihren verschiedenen Auswirkungen differenziert aufarbeitet.

Wir lernen das schwule Paar Steffen und Tom mit dem grünen Daumen kennen sowie Heinrich, dem ständig Witze über Ausländer und die Corona-Krise einfallen.
Doras kahlrasierter Nachbar Gote, ein alleinerziehender und hilfsbereiter Rechtsradikaler mit krimineller Vergangenheit stellt sich ihr ohne Umschweife als Dorfnazi vor.

Kontakte, Bekanntschaften und Freundschaften bahnen sich an. Zugehörigkeitsgefühle und Gefühle von Zuhause und Familie stellen sich ein.
Aber es ist nicht alles einfach, klar und unkompliziert. Vieles ist widersprüchlich und absurd.
Und manches nervt, wie z. B. der Bus, auf den Dora nach dem Einkaufen drei Stunden lang warten muss, weil er nur zweimal am Tag fährt.

Die 1974 in Bonn geborene Juli Zeh ist eine präzise Beobachterin, die uns ihre Figuren sehr nahe bringt und uns Einblicke in ihr Inneres erlaubt.
Sie schreibt knapp, treffend und schnörkellos, psychologisch feinfühlig, unaufgeregt und poetisch und würzt das Ganze mit einer guten Portion Witz und Ironie.
Sie regt, ohne jemals zu bewerten oder zu moralisieren, ihre Leser zum Mit- und Nachdenken an, denn nichts ist so eindeutig und klar, wie es auf den ersten Blick scheint.

Es macht Spaß und ist interessant, in diesen lebendigen und vielschichtigen Mikrokosmos einzutauchen und einen Roman zu lesen, der die Pandemie literarisch anspruchsvoll in den Fokus stellt.

Juli Zeh ist eine der erfolgreichsten deutschen Gegenwartsautorinnen und sie hat mit „Über Menschen“ nach „Unterleuten“ - welch’ hochamüsantes Wortspiel! - einen wunderbaren hochaktuellen Roman am Puls der Zeit geschrieben.

Große Leseempfehlung!


  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.03.2021

Unterhaltsame, eindrückliche und informative Einblicke in einen sozialen Brennpunkt...

Der heilige King Kong
0

Der Roman spielt vor rund 50 Jahren in Brooklyn.

Cuffy Lambkin ist der 71-jährige beliebte Diakon der Five Ends Baptist Church.
Er lebt in einer Sozialwohnung des Causeway Housing Projects, einem Sozialwohnungskomplex ...

Der Roman spielt vor rund 50 Jahren in Brooklyn.

Cuffy Lambkin ist der 71-jährige beliebte Diakon der Five Ends Baptist Church.
Er lebt in einer Sozialwohnung des Causeway Housing Projects, einem Sozialwohnungskomplex in Südbrooklyn.
In diesem armen New Yorker Stadtbezirk treffen wir auf Schwarze, Latinos, Iren und Italiener. Es ist ein Areal, in dem sozial schwächer und niedriger gestellte Menschen Tür an Tür wohnen, aber meist leben die Bewohner desinteressiert und gleichgültig nebeneinander her.

Cuffy Lambkin liebt Hochprozentiges, egal ob Pfefferminzschnaps oder den selbstgebrannten, billigen, starken und titelgebenden „King Kong“ und wird von allen nur „Sportcoat“ genannt.

An einem Nachmittag im September 1969 geht er auf den zentralen Platz des Viertels und schießt auf den 19-jährigen Drogendealer Deems Clemens.
Die Drogenmafia sinnt auf Rache...

Ein Mord zu Beginn bedeutet hier nicht, dass das Buch ein klassischer Krimi oder gar ein Thriller ist.
Es ist aber ein spannendes, fesselndes, interessantes und informatives Buch, das Rätsel stellt und Fragen aufwirft.
Warum hat Sportcoat auf Deems geschossen, der einst sein bester Spieler in der Baseballmannschaft war?
Wo ist das Weihnachtsgeld der Kirchengemeinde Five Ends abgeblieben?
Was hat es mit dem Cheese-Day auf sich?
Welche Rolle spielt die uralte gestohlene „Venus von Willendorf“, die die Gemeinde kurzzeitig so glücklich macht?

Wir bekommen mit dieser Geschichte Einblicke in einen sogenannten sozialen Brennpunkt, in dem Armut, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Kriminalität allgegenwärtig, aber nicht das alleinige Merkmal sind.
Auch Rückhalt, Zusammenhalt und Solidarität spielen hier eine bedeutende Rolle.

Der Autor ist ein begabter und feinfühliger Geschichtenerzähler. Er beschreibt Personen, Orte und Situationen wunderbar anschaulich, lebendig, authentisch und ungeschönt.
Eine gute Portion Komik, Witz und Liebe fehlt bei aller Ernsthaftigkeit jedoch nicht.

Der 1957 geborene US-amerikanischer Schriftsteller, Journalist, Saxofonist und Songwriter James McBride ist einer der bedeutendsten Schriftsteller von Amerika und mit „Der heilige King Kong“ hat er einen Roman geschrieben, der zu einem von Barack Obamas Lieblingsbüchern wurde.

Der vielfach preisgekrönte Roman hat mich wunderbar unterhalten und mir tiefe Einblicke in ein recht fremdes Milieu verschafft.
Ich könnte mir das Buch problemlos verfilmt vorstellen und empfehle es sehr gerne weiter!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.03.2021

Unterhaltsame und tiefgründige Auseinandersetzung mit KI...

Klara und die Sonne
0

In „Klara und die Sonne“ widmet sich der 1954 geborene Kazuo Ishiguro einem brisanten und interessanten Thema: der künstlichen Intelligenz.

In Ishiguros dystopischer Welt, die im ländlichen Amerika spielt, ...

In „Klara und die Sonne“ widmet sich der 1954 geborene Kazuo Ishiguro einem brisanten und interessanten Thema: der künstlichen Intelligenz.

In Ishiguros dystopischer Welt, die im ländlichen Amerika spielt, gibt es künstliche Freunde.
„KFs“ nennt man sie.
Letztlich sind es programmierte menschenähnliche Roboter.

KFs sollen die Aufgaben und Funktionen echter und lebendiger Freunde nachahmen bzw. ersetzen.
Sie sollen Kindern Gesellschaft leisten, ihnen die Zeit vertreiben und sie ins Erwachsenenleben begleiten.

Klara ist eine solche KF.
Sie befindet sich entweder im Hinterraum des Ladens, in dem sie verkauft wird, oder sie wird im Schaufenster ausgestellt, was ihr besonders zusagt, weil sie dort von der Sonne gewärmt wird. Hier wartet sie darauf, auserwählt zu werden.
Von ihrer Position aus beobachtet sie das Geschehen vor dem Fenster, die Passanten, die Autos und die Obdachlosen.

Klara wird schließlich von der 13-jährigen Josy als Begleiterin ausgewählt.
Josy ist oft krank und viel allein. Ihre Eltern haben sich getrennt und ihre Mutter hat vor lauter Arbeiten nur wenig Zeit.
Da kommt so eine KF, die sich eifrig um ihr Mündel kümmert, gerade recht.
Die beiden Mädchen leben von nun mit Josys Mutter und einer Haushälterin in einem recht abgelegen Haus.

Das Interessante ist, dass wir in diesem Roman in Klaras „Haut stecken“.
Wir betrachten die fremdartige und kühle dystopische Welt des Romans durch ihre Augen, also durch die aufmerksamen Augen einer künstlichen Intelligenz, die sehr lernfähig ist und aufgrund ihres letztlich doch begrenzten Wissens Schlüsse zieht, die manchmal irrwitzig und wunderlich anmuten.

Am Anfang sehen und verfolgen wir die Geschehnisse vor dem Schaufenster und nachdem Klara gekauft wurde, beobachten wir die Beziehungen von Josy z. B. zu ihrer vielbeschäftigten Mutter oder zum Nachbarjungen. Andere Interaktionen kommen nur bei aufwendig organisierten Interaktionsmeetings zustande.

Mit der Zeit wird erkennbar, dass Arbeit die Regel, aber zwischenmenschlicher Umgang nicht selbstverständlich ist.
Schule findet nicht mehr als Präsenzunterricht, sondern online statt und der Stellenwert der Natur ist deutlich gesunken.

Der britische Literaturnobelpreisträger Ishiguro erzählt wie immer meisterhaft, gleichermaßen feinfühlig wie neutral-distanziert sowie völlig unaufgeregt.
Er nimmt sich Zeit. Die Geschichte um Klara darf sich entfalten. Manchen mag das zu langweilig sein - ich finde es wunderbar!

Er setzt sich über Klaras kindliches Denken und ihre wissbegierigen Beobachtungen mit tiefgründigen Themen und brisanten Fragen, die mit künstlicher Intelligenz und Mensch-Sein verbunden sind, auseinander.

Letztlich geht es darum, was das Mensch-Sein ausmacht.
Emotionen, Bewusstsein, Denken, ethisches und moralisches Handeln, Identität, Individualität - das sind Schlagwörter, mit denen sich Kazuo Ishiguro in seinem neuen Werk implizit beschäftigt.
Implizit, d. h. zwischen den Zeilen und unaufdringlich. Man kann den Roman also als bloße Science-Fiction-Unterhaltungsliteratur genießen oder ihn auf einer tieferen Ebene als Reflexionsgrundlage sehen und Gedankenanstöße aufgreifen und weiterspinnen.

„Klara und die Sonne“ ist ein brillanter Roman, der zum Nachdenken anregt und bestens unterhält.
Ich habe ihn in zwei Tagen verschlungen und empfehle ihn sehr gerne weiter.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.03.2021

Ein verhängnisvoller Besuch mit unfassbaren Folgen...

Die Lebenden
0

Der 17-jährige Benoît freut sich, als im Mai endlich seine fast 25-jährige Schwester Louise mit ihrem Mann Vincent und ihren beiden Kindern, dem achtjährigen Fabien und dem etwas jüngeren Luc, für ein ...

Der 17-jährige Benoît freut sich, als im Mai endlich seine fast 25-jährige Schwester Louise mit ihrem Mann Vincent und ihren beiden Kindern, dem achtjährigen Fabien und dem etwas jüngeren Luc, für ein paar Tage zu Besuch ins Elternhaus kommen.

Benoît und seine hinreißende und hübsche Schwester, die schon mit 16 Jahren Mutter geworden ist und ihre Söhne liebevoll, geduldig und gutmütig erzieht, haben nach wie vor eine innige emotionale Verbindung, obwohl sie sich nur noch selten sehen.

Mit ihrem Mann Vincent scheint die anspruchslose und nachsichtige, noch sehr unreife Louise nicht das große Los gezogen zu haben. Er ist unzufrieden mit seinem Schicksal, überwiegend schweigsam, herablassend, gereizt und schroff.

Die Mutter von Louise und Benoît, die sich vor ca. 9 Jahren, also kurz vor dem „Schlamassel mit Louises Schwangerschaft“, von ihrem Mann, dem Vater der Geschwister, getrennt hat, hat ihren Unmut über die frühe Schwangerschaft Louises und deren Weigerung, abzutreiben, immer noch nicht begraben, so dass sie auch bei diesem seltenen Besuch der jungen Familie nur gebremst freundlich entgegentritt und wenig zugänglich ist.

Eines Nachmittags machen Benoît und Louise mit den beiden Jungs einen Ausflug zur stillgelegten Kiesgrube.

Während Louise auf einer Wiese ein Sonnenbad nimmt, langweilen sich Benoît, Fabien und Luc.
Die drei „Jungs“ haben schließlich Spaß bei einer Rutschpartie auf den Steinen des Abhangs und als der junge Onkel seinen beiden Neffen vorschlägt, über die Leiter auf eine Verladeplattform zu klettern, sind diese hellauf begeistert.

„... da kam Benoît ... auf die Idee, sie in einer der Seilbahngondeln hinunterfahren zu lassen wie die Tonnen von Kies, die er früher im staubigen Nebel, in dem die Schaufelbagger stocherten und den Hügel aushöhlten, vorüberschweben sah.“ (S. 23)

Er hebt die Jungs also in die kleine Gondel, die direkt über der Platform an einem Seil hängt, das in zwei Metern Abstand vom Boden über die ganze Länge der Kiesgrube und über den Fluss hinweg verläuft und setzt das Gefährt in Bewegung.
Die Talfahrt beginnt und das Unglück nimmt seinen Lauf...

Schon auf den ersten Seiten spürt man das nahende Unheil, man will es verhindern, man würde am liebsten schreien „Nein! Nicht in die Gondel!“...und dann stockt einem der Atem.

Es gelingt Pascale Kramer spielend, die anfangs bedrohliche, später bedrückende und von Aggressivität, Verzweiflung, Ratlosigkeit und Trauer geschwängerte Atmosphäre zu vermitteln.
Ihr Einfall, die Atmosphäre mit der portugiesischen Fadomusik in Verbindung zu bringen bzw. zu vergleichen ist einfach nur brillant!
„Fado“ ist das portugiesische Wort für „Schicksal“ und diese Melodien sind durchdrungen von Melancholie und Sehnsucht.
Nichts für depressive Menschen!

Pascale Kramer ist eine aufmerksame Beobachterin die das Beobachtete psychologisch genau, feinfühlig, und anschaulich formuliert.
Mit ihrer eindringlichen und bildhaften Sprache beschreibt sie ungeschönt die inneren und äußeren Prozesse nach dem Schicksalsschlag.
Viele ihrer Formulierungen gefielen mir so gut, dass ich sie mehrmals gelesen habe.
Hier ein paar Beispiele:

„Benoît konnte allein am Tonfall seiner Mutter, der harsch war vor Angst und Gewissensbissen, ablesen, in welchem Augenblick Luises Aufmerksamkeit nachließ wie ein sich lockerndes Tau.“ (S. 45)

„Es war erstaunlich, wie das Leben in ihr gegen das Unglück kämpfte und wie eindrucksvoll das Unglück dadurch wurde.“ (S. 49)

„Unter der phänomenalen Gesundheit ihres schlanken Körpers, ihrer samtigen Wangen, ging ihre Seele verloren.“ (S. 51)

„... dass er gezwungen war, sich in einem neuen Leben voranzutasten, von dem er weder die Regeln noch den Ausgang kannte und das für ihn gewiss nie mehr würde friedlich sein können.“ (S. 52)

„Vincent und er standen jetzt auf einer Seite, zornig im Unglück und neidisch auf das Glück der Anderen.“ (S. 54)

„Benoît hatte wieder dieses Gefühl, dass sie in sich selbst ertrank und dass ihre Worte Luftblasen waren, die wie durch ein Wunder bis zu Ihnen aufstiegen.“ (S. 55)

... ich könnte noch viele viele weitere solcher literarischer Leckerbissen anführen, aber letztlich möchte ich jedem, der etwas Besonderes lesen möchte, die Lektüre des ca. 170-seitigen Meisterwerks empfehlen.

Die 1961 in Genf geborene Pascale Kramer schreibt über ein unfassbares Drama.
Aus Unbedachtheit, Leichtsinn, Übermut und Sorglosigkeit wird eine Fehlentscheidung getroffen, die das Leben aller Beteiligten grundlegend verändert.
Es geht in ihrem Roman „Die Lebenden“ um Verantwortung, Wahrheit oder Notlüge, Verleugnung, Gewissen, Schuldgefühle, Umgang mit Trauer, Verarbeitung von Schicksalsschlägen und es wird auch die Frage aufgeworfen, ob man nach so einer beispiellosen Katastrophe weiterleben und wieder glücklich sein darf und kann.

Neben meiner Faszination tauchten auch noch andere Gefühle auf: Verwunderung, Fassungslosigkeit und Empörung.
Ich fragte mich irgendwann ständig, warum in dieser Phase der maximalen Überforderung niemand auf den Gedanken kam, professionelle Hilfe ins Boot zu holen. Ausharren, Ablenkung und Betäubungsmittel können einfach nicht die Lösung sein!

Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, warum nicht einmal die Mutter von Benoît und Louise irgendwann auf die Idee kam, psychiatrische und psychotherapeutische Unterstützung einzuholen.
Der Roman erschien 2000 in der französischen Originalausgabe und ich denke, er spielt auch um diese Zeit herum.
Damals wusste man schon um die Sinnhaftigkeit und Notwendikeit therapeutischer Unterstützung.
Die Bevölkerung war schon darüber aufgeklärt.
War es die dörfliche Umgebung? War es der Anspruch, es selbst zu meistern?
War es die Scham vor dem Eingeständnis, es nicht alleine zu bewältigen?
Letztlich kann ich als Psychoanalytikerin nicht wirklich nachvollziehen, warum sich Frau Kramer dafür entschied, Profis bei dieser menschlichen Tragödie außen vor zu lassen.

Nachdem der Roman zu Beginn eine Wucht war und mich wie ein Donnerschlag in seinen Bann zog, ließ meine Begeisterung gegen Ende etwas nach.
Die Gründe?
Die eben erwähnte Unstimmigkeit und das völlig unvorhergesehene, verblüffende, teilweise offene und unbefriedigende Ende.
Aber der zweite Grund ist kein objektiver Makel, das möchte ich betonen! Ich habe mir schlicht einen anderen Ausgang vorgestellt oder gewünscht.

Aber nichtsdestotrotz: Das ist Mäkeln auf hohem Niveau.

Der Roman ist unbedingt lesenswert und weil Pascale Kramer, die 2017 den Schweizer Grand Prix Literatur erhielt, mich mit ihrer Art zu schreiben überzeugt hat, habe ich mir bereits ihren mehrfach preisgekrönten Roman „Die unerbittliche Brutalität des Erwachens“ zugelegt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.03.2021

Wieder ein spannender Fall aus Three Pines...

Bei Sonnenaufgang
0

Wie habe ich mich darauf gefreut, wieder nach Three Pines im französischsprachigen Teil Kanadas zu reisen und dort Armand Gamache, Chief Inspector der Sûreté du Québec wieder zu treffen.

Three Pines, ...

Wie habe ich mich darauf gefreut, wieder nach Three Pines im französischsprachigen Teil Kanadas zu reisen und dort Armand Gamache, Chief Inspector der Sûreté du Québec wieder zu treffen.

Three Pines, das ist ein kleines, abgelegenes, beschauliches, fiktives Dorf zwei Autostunden östlich von Montreal entfernt.
Es liegt tief versteckt in den Wäldern Richtung US-Grenze nach Vermont.

Obwohl Gamache und sein Stellvertreter Jean-Guy Beauvoir ihren letzten Einsatz noch nicht verdaut haben und sowohl ihre Freundschaft als auch jeder für sich noch sehr angeschlagen ist, werden sie wieder gefordert.

Dieses Mal muss der Mord an der berühmt-berüchtigten Kunstkritikerin Lillian Dyson, aufgeklärt werden.
Ihre Leiche wird eines morgens im Blumenbeet der Künstlerin Clara Morrows gefunden.

Die Frage ist natürlich, wer die Frau, die sich zu Lebzeiten einige Feinde gemacht hat, umgebracht hat.
Die Frage ist natürlich auch, warum sie umgebracht wurde.
Die Frage ist aber auch, welche Rolle Clara spielt und ob der Mord etwas mit der Vernissage von Claras Einzelausstellung im berühmten Musée d’art contemporain de Montréal zu tun hat, die am Vortag stattgefunden hat.
Gibt es einen Zusammenhang mit der glamourösen Party, die nach der Vernissage in Three Pines stattgefunden hat?
Auf dieser Party war nämlich neben sämtlichen Berühmtheiten aus der Kunstszene auch die ermordete Lillian Dyson, eine alte Freundin Claras, die den Ruf hatte, eine extrem scharfe Kritikerin zu sein, die nicht selten das Objekt ihrer Kritik gnadenlos verreißt.

Die 1958 in Toronto geborene Louise Penny hat es zum siebten Mal geschafft, mich mit einer mitreißenden Kriminalgeschichte zu fesseln. Ihre Figuren sind authentisch und ihre Sprache ist anschaulich, kraftvoll und lebendig.

Der vorliegende Roman kann zwar bestimmt unabhängig von den anderen gelesen werden, ich empfehle aber, mindestens die beiden Vorgänger, Band 5 und 6, vorab zu lesen.
Die drei gehören meines Erachtens in gewisser Weise zusammen und ich glaube, das Lesevergnügen wird größer, wenn man in 7 gedanklich auf 5 und 6 zurückgreifen kann.

Ich bin begeistert von der Reihe um Chief Inspector Gamache. Es sind allesamt spannende, kurzweilige, bemerkenswerte und außergewöhnliche Kriminalromane.
Auch „Bei Sonnenaufgang“ ist ein großer Wurf und absolut lesenswert!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere