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Veröffentlicht am 09.10.2020

Auf der Flucht und eine Suche...

Über allem und nichts
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Die 36-jährige Clara Fink hat es geschafft. Sie konnte ihren Traum vom Fliegen verwirklichen, ist Copilotin einer Billig-Airline und auf dem Weg zum Flugkapitän.

Sich in der knallharten und rücksichtslosen, ...

Die 36-jährige Clara Fink hat es geschafft. Sie konnte ihren Traum vom Fliegen verwirklichen, ist Copilotin einer Billig-Airline und auf dem Weg zum Flugkapitän.

Sich in der knallharten und rücksichtslosen, von Männern dominierten Welt zurechtzufinden, durchzusetzen und zu behaupten, ist eine Herausforderung.

Ihr Flugzeug hat sie im Gegensatz zu ihrem Leben aber voll im Griff und unter Kontrolle.

Eine innere Unruhe und emotionale Ambivalenzen machen sie zur Getriebenen, die rastlos zwischen unbehaglichen Flughäfen, fremden Ländern, anonymen Metropolen und zwei Männern hin- und herpendelt.

Erinnerungen an Missbrauchserfahrungen und unklare Gefühle in Bezug auf diese o. g. zwei Männer beuteln sie, fordern Ablenkung und „zwingen sie zur Dauer-Flucht“...
... bis sie sich, unausgeglichen, überlastet und erschöpft eine zweiwöchige Auszeit auf der Insel Sri Lanka nimmt.
Ihr inneres Gleichgewicht ist destabilisiert...

Die folgende Motorrad-Reise durch das noch immer vom Bürgerkrieg verheerte Land ist gleichsam eine Reise durch ihr Leben und zu sich selbst.
Sie stellt sich den bisher auferlegten Tabus und bricht das Schweigen, indem sie sich mit den Schatten ihrer Vergangenheit auseinandersetzt und innere Zwiesprache hält.

Die Pilotin Clara sucht sich selbst, innere Klarheit und ihr Glück.
All das zu finden wird erst möglich sein, nachdem sie Schwieriges und Traumatisches be- und verarbeitet hat.
Ob ihr das auf Sri Lanka gelingen wird, bleibt hier erstmal ein Geheimnis.

Was ich allerdings gern verraten möchte, ist, dass wir einen tiefen Einblick in die zerbrechliche, verletzte, schmerzhafte und unglückliche Innenwelt der Protagonistin bekommen.
Clara wird dadurch authentisch und in ihrer Zerrissenheit sehr menschlich.

Man liest gebannt und bleibt atemlos zurück
Der Autor schreibt intensiv, wuchtig, feinfühlig, wort- und bildgewaltig.
Er hat eine eindrückliche und geschliffene Sprache, mal poetisch, mal dicht und knapp.
Begeistert haben mich die wundervollen Landschaftsbeschreibungen.

Ich empfehle diesen packenden und tiefgründigen Debutroman, der mir unterhaltsame Lesestunden bescherte, gerne weiter!

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Veröffentlicht am 09.10.2020

Eine gar nicht typische Liebesgeschichte…

Normale Menschen
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Eine Stadt im westlichsten Zipfel Irlands.
Zwei Jugendliche aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten.
Er, Connell, Sohn einer alleinerziehenden Putzfrau, aus armen und einfachen Verhältnissen.
Sie, ...

Eine Stadt im westlichsten Zipfel Irlands.
Zwei Jugendliche aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten.
Er, Connell, Sohn einer alleinerziehenden Putzfrau, aus armen und einfachen Verhältnissen.
Sie, Marianne,Tochter einer Rechtsanwältin, aus einer wohlhabenden Akademikerfamilie.
Er, Connell, beliebt, Mädchenschwarm und Star der Fußballmannschaft.
Sie, Marianne, sonderbar, graue Maus und Außenseiterin.
Beide klug und begabt.
Beide vorbelastet und einigermaßen kompliziert.
Beide voneinander angezogen.

Es geht um Freundschaft, Faszination, Begehren, Leidenschaft, Sex, Liebe, Verbindlichkeit, Selbstzweifel, Ängste, Wunsch nach Anerkennung, Stolz, Abhängigkeit und Macht.

Das klingt abgedroschen und langweilig?
Oder mit Themen überfrachtet?
Ist es aber überhaupt nicht!

All dies sind nunmal die Themen, die zum Erwachsenwerden dazugehören und sie werden in der richtigen Dosierung und Tiefe eingebracht.

Die Autorin ist eine scharfsinnige Beobachterin und brillante Erzählerin mit eigenwilligem Schreibstil (keine wörtlichen Reden, bzw. selbige ohne Satzzeichen), Erzählstil (Zeitsprünge) und Erzählton (kühl und distanziert).

Sie schreibt schnörkellos und ehrlich und zeichnet ihre Figuren in all ihrer Komplexität und Unterschiedlichkeit, wodurch sie greifbar werden und authentisch wirken.

Wir bekommen Einblicke in ihre Gedanken- und Gefühlswelt und erkennen dort Selbstzweifel, Ängste und Unsicherheiten.
Sally Rooney versteht es, uns Lesern die inneren Konflikte ihrer Protagonisten in ihrer ganzen Tragweite und Tiefe nahe zu bringen.

Wir erfahren so Einiges von den Familien der beiden Protagonisten, die in der gleichen Klasse sind und sich am Ende ihrer gemeinsamen Schulzeit anfreunden, diese Freundschaft aber auf Connells Wunsch hin lange geheim halten und wir begleiten sie ins Studium am Trinity College in Dublin, wo sich die Rollen aufgrund ihrer Herkunft verkehren:
Marianne ist nun „unter ihresgleichen“ und wird zum Star. Connell ist die unspektakuläre Landpomeranze, fühlt sich fremd und als Außenseiter.

Was die beiden verbindet, ist eine Art on-off-Beziehung mit Höhen und Tiefen.
Es geht nicht ohne und nicht mit.
Sie kreisen umeinander, sie verletzen sich, sie können nicht ohne einander.
Missverständnisse sind an der Tagesordnung.
Sie lieben sich, schaffen es aber nicht, dieser Liebe eine Verbindlichkeit vor sich selbst und vor Anderen zu geben.

„Normale Menschen“ ist ein großartiges und unterhaltsames Werk mit Sogwirkung.
Es geht in dieser intensiven Geschichte, die gleichermaßen nüchtern wie packend erzählt wird und immer wieder mit philosophischen Gedanken überrascht, um Identitätsfindung und Erwachsenwerden.

Die Autorin geht hier einer spannenden Frage nach:

Gibt es Voraussetzungen und Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit Liebe funktionieren und überleben kann?
Muss es Überlappungen und Gemeinsamkeiten geben?
Wie groß müssen diese Überlappungen und Gemeinsamkeiten sein?

Kann es zwischen dem Sohn einer Putzfrau und der Tochter von wohlhabenden Akademikern zu mehr als einer Affäre kommen?
Kann es zwischen einem beliebten Fußballstar und einem schüchternen Mauerblümchen zu mehr als einer Affäre kommen?

Der Roman ist alles andere als eine typische bzw. klassische Liebesgeschichte und hält Überraschungen bereit.
Manchmal kommt es einfach anders, als man denkt.

Klare Leseempfehlung - auch für Erwachsene


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Veröffentlicht am 07.10.2020

Moderne afrikanische Literatur. Brillant!

Das Meer der Libellen
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Wir begeben uns in eine fremde und exotische Welt.
Nach Ostafrika.
An die Nordküste Kenias.
Auf die die kleine Insel Pate.

Dort treffen wir auf das wissbegierige, pfiffige und eigenwillige Mädchen Ayaana ...

Wir begeben uns in eine fremde und exotische Welt.
Nach Ostafrika.
An die Nordküste Kenias.
Auf die die kleine Insel Pate.

Dort treffen wir auf das wissbegierige, pfiffige und eigenwillige Mädchen Ayaana und ihre Mutter Munira, die von ihrer Familie und der Gesellschaft verstoßen wurde, weil sie ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hat.

Den in die Jahre kommenden Matrosen Muhidin, der viel herumgekommen ist, viel ertragen muss(te) und nun einen Buchladen besitzt, adoptiert sie als Vater.

Drastische und folgenschwere Geschehnisse beeinflussen und verändern den Alltag auf der Insel und Ayaanas Leben tiefgreifend und nachhaltig:
Das Erscheinen undurchsichtiger und fragwürdiger Fremder.
Das Auftauchen religiöser Extremisten.
Chinas Machtbegehren.
Ein Tsunami.

All das bringt die junge Erwachsene Ayaana dazu, eine Einladung nach China und ein Stipendium anzunehmen und sich von den vertrauten Inselbewohnern, dem gewohnten Alltag und der bekannten Umgebung zu verabschieden.
Sie plant, in China zu studieren und begibt sich auf eine gefährliche Schiffsreise, über der die Frage „Nhi shi shei“ (Wer bist du?) schwebt und die als Metapher für eine Reise zu sich selbst betrachtet werden kann.

Yvonne Adhiambo Owuor ist eine genaue Beobachterin, die detailliert und wunderbar bildlich beschreiben kann. Die vielschichtig gezeichneten Protagonisten und Szenen erwachen zum Leben und die Landschaften sieht man förmlich vor dem geistigen Auge.
Man kann sich in den herrlichen Naturbeschreibungen regelrecht verlieren.

Der facetten- und themenreiche, spannende und fesselnde Roman, der relevantes politisches Zeitgeschehen streift, ist letztlich fiktiv, wurde aber von der realen Geschichte einer jungen Frau aus Pate inspiriert, die 2005 aufgrund ihrer chinesischen Wurzeln tatsächlich ein chinesisches Studienstipendium erhalten hat.

„Das Meer der Libellen“ ist ein Stück moderne afrikanische Literatur und erzählt eine intensive Geschichte, die gleichermaßen lebensbejahend, exotisch und stürmisch, wie düster und traurig ist.

Ein herausragender, außergewöhnlicher, wuchtiger und poetischer Roman, der eine bewegende, in Teilen märchenhafte Geschichte von einer jungen Frau erzählt, die ihr Glück, die Liebe und ihren Platz sucht, Verluste verkraften und Sehnsüchte überwinden muss.
Es geht um Heimat, Wurzeln und Heimweh, Gewalt, Verlust und Trauer, Freiheit und Unabhängigkeit sowie um die Machtkämpfe der „Großen und Möchtigen“.

Unbedingt lesen!





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Veröffentlicht am 06.10.2020

Geschichten aus dem Alltag. Tiefgründig, bewegend, philosophisch und poetisch.

Dieses entsetzliche Glück
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Wir begeben uns ins fiktive amerikanische Kleinstädtchen Holbrook in den USA, das der gemeinsame Nenner zwischen den verschiedenen zahlreichen Protagonisten und den 15 verschiedenen Episoden, man könnte ...

Wir begeben uns ins fiktive amerikanische Kleinstädtchen Holbrook in den USA, das der gemeinsame Nenner zwischen den verschiedenen zahlreichen Protagonisten und den 15 verschiedenen Episoden, man könnte sie eigentlich auch Kurzgeschichten nennen, ist.

Es sind keine allgemein spektakulären, aber individuell bedeutsamen Geschichten, die durchaus eine poetische und philosophische Dimension haben.

Wir begegnen ganz alltäglichen Menschen mit ebenso alltäglichen Sorgen und Nöten, Wünschen und Sehnsüchten.

Das wird aber niemals eintönig oder langweilig! Im Gegenteil!
Der Roman ist originell und äußerst ansprechend konstruiert, die Charaktere sind interessant und die Autorin schreibt feinfühlig und unaufgeregt.

Die Personen werden in all ihrer Vielschichtigkeit, Unterschiedlichkeit und Komplexität gezeigt, wodurch sie sehr glaubwürdig und authentisch erscheinen und man einen detaillierten Einblick in ihre Gedanken- und Gefühlswelt bekommt, was mir außerordentlich gut gefällt.

Annette Mingels ist eine gute Beobachterin mit Menschenkenntnis, die noch dazu wunderbar erzählen und beschreiben kann.

Erst mit der Zeit erkennt man zwischen den Figuren Verbindungen, die über den o.g. gemeinsamen Nenner, die Kleinstadt Holbrook, hinausgehen. Man entdeckt familiäre, bekanntschaftliche, freundschaftliche Verbindungen, Liebesbeziehungen oder berufliche Überlappungen.
Eine deutliche Gemeinsamkeit ist auch deren Suche nach Sinn und Glück.

Dadurch, dass jeder Protagonist seine Geschichte selbst erzählt und dann oft später in der Geschichte eines Anderen wieder auftaucht, wird er noch „runder“ und kommt er einem noch näher.
Man lernt ihn sozusagen aus der Perspektive seiner Selbst- und einer Fremdwahrnehmung kennen.
Und dann kommt ja unsere eigene Wahrnehmung noch dazu.
Ein origineller Kunstgriff!

Ich empfehle diesen Episodenroman, der mir mit seinen tiefgründigen Geschichten aus dem Alltag und mit seiner darüber liegenden leichten Schwermütigkeit und melancholischen Stimmung, die aber im Verlauf hoffnungsvoller wird, sehr gerne weiter.

Man kann und sollte ihn nicht „schnell weglesen“, sondern aufmerksam und bedächtig genießen, damit man die Zusammenhänge sowie die vielen Protagonisten und deren Verbindungen gut „verdauen“ und die Lektüre somit bis ins Letzte auskosten kann.

„Dieses entsetzliche Glück“ bereitete mir sehr viel Lesevergnügen!

Unbedingt lesen!

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Veröffentlicht am 03.10.2020

Ein Highlight!

Herzfaden
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Dieser Roman war für mich ein „Muss“, weil ich vom letzten Roman des Autors, „Pfaueninsel“ dermaßen begeistert war.

In „Herzfaden“ geht es wieder um eine historische Geschichte, die aber dieses Mal in ...

Dieser Roman war für mich ein „Muss“, weil ich vom letzten Roman des Autors, „Pfaueninsel“ dermaßen begeistert war.

In „Herzfaden“ geht es wieder um eine historische Geschichte, die aber dieses Mal in Augsburg spielt und von der berühmten Augsburger Puppenkiste und ihren Anfängen handelt.
Wer kennt ihn nicht, den „Urmel aus dem Eis“?
Ich habe ihn unzählige Male im Fernsehen verfolgt und mit meinen Kindern war ich nicht nur einmal in der Puppenkiste.

Das ist also der zweite Grund, warum mich die Geschichte um Walter Oehmichen, einen Schauspieler des Augsburger Stadttheaters, und um seine Tochter, die Puppenschnitzerin Hatü Oehmichen, die als junges Mädchen zusammen mit ihren Freunden in den Trümmern Augsburgs nach dem Krieg die Puppenkiste gründete, interessiert und in seinen Bann gezogen hat.

Was mir besonders gut gefallen hat, war, dass Hatü Oehmichen selbst es ist, die ihre Geschichte einem zwölfjährigen Mädchen erzählt, das nach einer Vorstellung der Puppenkiste ganz im Stil bekannter Märchen durch eine Tür auf den Dachboden gelangt, wo sie von verschiedenen Marionetten und Hatü begrüßt wird.

Der Beginn dieses gegenwärtigen Erzählstrangs ist sehr märchenhaft, aber auf dem Dachboden herrscht nicht nur heile Welt.
Auch im zweiten Erzählstrang, in dem es um die Geschichte der Puppenkiste geht, die gar nicht ohne die grauenhafte Geschichte der Nazizeit erzählbar ist, wechseln sich bezaubernde und düstere Momente ab.
Dem Autor gelingt es bravourös, diese beiden Geschichten miteinander zu verweben.

Hatü zu begleiten, wie sie im Krieg aufwächst, ihre ersten Puppen schnitzt und sich zum ersten Mal verliebt, macht großen Spaß. Sie glaubt an ihren Traum und schafft den Durchbruch. Chapeau!

Der 288-seitige Roman ist in einfacher und poetischer Sprache geschrieben und spielt auf verschiedenen Erzähl- und Zeitebenen, die sich peu à peu aufeinander zubewegen und schließlich raffiniert ineinander übergehen.

Die gleichermaßen berührende, bewegende, wie zauberhafte Geschichte ist zu keinem Zeitpunkt kitschig oder seicht. Sie hat mich fasziniert, gefesselt und begeistert.

Aber nicht nur die Geschichte selbst, sondern auch WIE der Roman von Thomas Hettche komponiert wurde, macht es überaus lohnenswert, zum Buch zu greifen.

Es ist eine Wertschätzung der Frau, die felsenfest an ihren Traum geglaubt und leidenschaftlich und mit Herz ihr Ziel verfolgt hat und es ist eine Hommage an Holzpuppen, denen der Puppenspieler und die Puppenkiste Leben einhaucht.

Nicht umsonst heißt der Roman „Herzfaden“.
Es geht um den emotionalen Faden zwischen Marionette und Zuschauer... um den Draht, den sie zueinander bekommen.

Unbedingt lesen! Ein Highligt!

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