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Veröffentlicht am 24.10.2021

Intelligent, aber nicht todernst

Nichts als Gutes
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REZENSION – Der Tod eines Menschen ist das natürliche Ende eines mehr oder minder aufregenden Lebens. Ebenso nüchtern und mit dem intellektuellen Abstand eines Schriftstellers vergleicht Stefan Slupetzky ...

REZENSION – Der Tod eines Menschen ist das natürliche Ende eines mehr oder minder aufregenden Lebens. Ebenso nüchtern und mit dem intellektuellen Abstand eines Schriftstellers vergleicht Stefan Slupetzky (59) in seiner im September beim Picus Verlag erschienenen Sammlung fiktiver Grabreden unser Leben mit einem Buch. Dessen vorderer Deckel entspricht einer sachlich gehaltenen Geburtsurkunde mit Namen des Neugeborenen (Buchtitel) und Angabe der Eltern (Verfasser, Verlag, ISBN). Nach Abschluss eines Lebens (Handlung) endet das Buch auf seinem hinteren Deckel mit einer kurzen, natürlich positiv klingenden Zusammenfassung des Inhalts, gewissermaßen mit einem Nachruf oder einer Grabrede.
In seiner Sammlung teils längerer, oft nur kurzer, in jedem Fall aber fiktiver Grabreden, was man beim Lesen leicht übersehen könnte, lässt Slupetzky natürlich, wie sollte es auch anders sein, seine Trauerredner die Verstorbenen nur in bestem Licht erscheinen. Dennoch macht er uns dabei voller Raffinesse und Humor sowie gelegentlich mit einer kräftigen Prise Sozialkritik auf unsere unliebsamen Eigenarten, Eitelkeiten und Schwächen aufmerksam. Meistens sind es nicht die Verstorbenen, sondern vielmehr die Trauerredner selbst, die uns mit dem Gesagten mal nachdenklich, sehr oft aber auch amüsiert zurücklassen.
Denn selbst im Tod wie im Falle des beamteten Sachbearbeiters, der so gar keine erkennbaren Spuren auf seinem Lebensweg hinterlassen hat – keine Freunde, keine Hobbys, keine Eigenarten –, findet der Autor eine Spur Komik, wenn er den Grabredner folgern lässt: „Falls er in die Hölle kommen sollte, stehen seine Chancen gut, vom Teufel übersehen zu werden.“ Lebensnah wirkt die Grabrede der Ehefrau, die nach jahrzehntelanger und seine Marotten geduldig ertragener Ehe am Tag der Beisetzung ihres Mannes nicht nachsichtig, sondern zürnend zurückbleibt: „Heute wird keiner schnarchen neben mir, und heut nimmt keiner meine Hand. Nicht heute, wo ich's wirklich brauchen tät.“
Genüsslich liest man Slupetzkys Grabrede – natürlich ebenso fiktiv wie alle anderen! – auf den viel gerühmten und preisgekrönten Autor: Aus jedem Satz eines Schriftstellerkollegen quillt Neid auf den aus dessen Sicht unverdient erfolgreicheren Verstorbenen und tief empfundene Kränkung. Dem Grabredner gelingt es, „den gelobten Menschen …. liebevoll ins Licht [zu] rücken, dass ein paar Lichtstrahlen auch auf ihn, den Lobenden, zurückfallen“, wie Slupetzkys on seiner Vorbemerkung zum Text schreibt, und geschickt die Verdienste des Verstorbenen kritisch zu hinterfragen: „…., dass ich kein Byzantiner bin, der die Gesellschaft der Juroren sucht, um sich bei einem Gläschen Wein lieb Kind zu machen, und so blieb mir dieser – ohnehin weit überschätzte – Preis versagt.“
Mag der Tod eines Menschen für die Trauernden noch so tragisch sein, „Slupetzky findet das Komische im Tragischen“, wie der Verlag sein Buch rühmt – und dies trifft es genau. Manchmal scheint dem Autor beim Schreiben seiner nicht nur philosophisch intelligenten, sondern auch stilistisch beeindruckenden Grabreden förmlich der Schalk im Nacken gesessen zu haben – wie bei der kürzesten Grabrede für den verstorbenen Padre Lorenzo, den der Prior des Schweigeklosters mit „...“ (übersetzt aus dem Italienischen) folgerichtig „totschweigt“. Hier bleibt dem Leser sogar Gelegenheit zur eigenen Deutung des umfänglich Verschwiegenen. Denn ein Schweigen sagt doch mehr als tausend Worte.
„Ob wir ihm [dem Tod] glücklich folgen oder uns dagegen stemmen, macht nicht den geringsten Unterschied. Nur dass das eine viel mehr Spaß macht als das andere“, lässt uns Slupetzky an seinen Schlussgedanken zum Tod teilhaben. Nach der Lektüre seines Buches wünscht man sich ihn als Grabredner. Doch erst viel später. Denn noch sollten wir seiner Erkenntnis aus dem vorher Gesagten folgen: „Trinkt und singt und tanzt, … lebt und liebt.“

Veröffentlicht am 17.10.2021

Spannend nicht nur für Tennis-Fans

Julius oder die Schönheit des Spiels
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REZENSION – Mit seiner Romanbiografie „Julius oder die Schönheit des Spiels“, im August beim List Verlag erschienen, hat Autor Tom Saller (54) ein Buch vorgelegt, das nicht nur für Freunde des Tennissport ...

REZENSION – Mit seiner Romanbiografie „Julius oder die Schönheit des Spiels“, im August beim List Verlag erschienen, hat Autor Tom Saller (54) ein Buch vorgelegt, das nicht nur für Freunde des Tennissport zur Pflichtlektüre werden könnte, sondern auch allen anderen Lesern gefallen dürfte. Eng angelehnt an die reale Biografie des vor allem zu seiner Zeit weltberühmten „Tennis-Barons“ Gottfried Freiherr von Cramm (1909-1976), schildert der Autor und Psychotherapeut, der durch seinen Debüt-Bestseller „Wenn Martha tanzt“ (2018) bekannt wurde, vor allem die psychologischen Aspekte im ruhmreichen Werdegang seines Protagonisten Julius Graf von Berg in den 1920er und 1930er Jahren und dessen seelischen Konflikt als deutscher Spitzensportler, der sich 1937 von den NS-Machthabern politisch missbraucht sieht.
Auf seiner Europa-Reise im Jahr 1984 erinnert sich ein alter Herr im Tenniscourt von Wimbledon an das Finale im Davis Cup des Jahres 1937 gegen den Deutschen Julius von Berg, das er zur eigenen Überraschung gewann. Tatsächlich unterlag damals Gottfried von Cramm auf der Höhe seines Ruhms überraschend dem Amerikaner Donald Budge. Im entscheidenden Spiel steht Sallers Protagonist Julius unter Beobachtung politischer Funktionäre des NS-Regimes. In deren Augen steht Julius für den NS-Staat am Netz. „ …. in erschreckender Klarheit wird mir bewusst: Ich bin auf dem besten Weg, Hitlers Befehl auszuführen“, erkennt Julius. Gewinnt er, gewinnt das NS-Regime; verliert er, verliert auch das Deutsche Reich. Selbstbestimmung oder Mitläufertum? Ruhm oder Schande? Der Spitzensportler steht vor einem scheinbar unlösbaren Gewissenskonflikt.
Zuvor hatte sich Julius nie um Politik gekümmert. Aufgewachsen als Spross einer alten Adelsfamilie, erzogen zu ehrenwerter Haltung und Anstand, muss er nach Jahren unbeschwerten, sorgenfreien Lebens in Berlin allerdings die Missachtung der Nazis aller ihm anerzogenen und in Fleisch und Blut eingegangenen Werte erkennen. Dies bestätigt dem „Ehrenmann und sportsman, .... dass Politik ein eher ungutes Geschäft für eher ungute Menschen ist.“ Doch Julius bleibt seiner Haltung treu: „Manche Dinge unterliegen nun einmal nicht der Mode oder einem Zeitenwandel. Würde, Anstand und Respekt kennen kein Verfallsdatum, und Verantwortung trägt man jederzeit – für sich und den anderen.“
Für den Ehrenmann gibt es auf dem Tennisplatz nur sportliche, nicht aber politische Gegner: „Sobald ich ihn betrat, frohlockte ich innerlich, war eins mit mir, mit dem Ball und meinem Gegner, den ich keine Sekunde lang als solchen empfand.“ In diesem Sinne hatte auch sein Freund Erich Maria Remarque, damals noch Redakteur der Zeitschrift „Sport im Bild“, den Tennissportler zu einem Symbol „für ein geeintes Europa“ gemacht und damit „zur Zielscheibe für die erstarkenden Nationalsozialisten.“
Tom Saller hält in seiner Romanbiografie an die historischen Fakten im Leben des Gottfried von Cramm. Wir erfahren von Freundschaften mit dem gerade durch seinen Roman „Im Westen nichts Neues“ als Schriftsteller berühmt werdenden Erich Maria Remarque (1898-1970), mit der Schauspielerin Marlene Dietrich (1901-1992), die nach ihrem Erfolg mit dem „Blauen Engel“ 1930 nach Hollywood geht, und mit Schwedens König Gustav V. (1858-1950), der sich tatsächlich 1938 persönlich bei den Nazis für die Freilassung von Cramms eingesetzt hat.
Die Romanbiografie „Julius oder die Schönheit des Spiels“ animiert zum unmittelbaren Vergleich und zur weiteren Beschäftigung mit der wahren Biografie des Gottfried von Cramm, weshalb das Buch allein schon deshalb empfehlenswert ist. Kein Geheimnis ist auch von Cramms tatsächliche Niederlage 1937 in Wimbledon. Doch warum diese so überraschend kam, interpretiert Autor und Psychotherapeut Saller auf seine Weise, was seinen Roman zu einer dramaturgisch sich gut entwickelnden und zunehmend spannender werdenden Lektüre macht.

Veröffentlicht am 02.10.2021

Interessant gemachter Krimi

Der Hochsitz
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REZENSION – Mit seinem neuen Roman „Der Hochsitz“, im Juli beim Rowohlt Verlag erschienen, wagt sich der für seine Kriminalromane bereits fünf Mal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnete Schriftsteller ...

REZENSION – Mit seinem neuen Roman „Der Hochsitz“, im Juli beim Rowohlt Verlag erschienen, wagt sich der für seine Kriminalromane bereits fünf Mal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnete Schriftsteller Max Annas (58) in die entlegensten Niederungen westdeutscher Provinz gegen Ende der Siebziger Jahre und widerlegt mit seiner facettenreichen Geschichte die gängige Meinung, auf dem Land sei die Welt noch in Ordnung. Doch dieser Schein trügt: In einem kleinen Eifel-Dorf an der Grenze zu Luxemburg werden Banken ausgeraubt, Drogen geschmuggelt, zwei RAF-Terroristinnen verbergen sich im Wald, ein Deutsch-Amerikaner bietet Bauern für ihre Höfe überhöhte Summen und dann gibt es sogar noch einen Mord. Der Dorfpolizist fühlt sich von Amts wegen nicht zuständig, den Kriminalbeamten aus der Stadt fehlt der nötige Durchblick.
Zum Glück sind gerade Osterferien. So haben die Schülerinnen Sanni und Ulrike viel Zeit, sich neben ihrer Jagd nach Fußballer-Klebebildern fürs selbstgebastelte Sammelalbum – die WM '78 in Argentinien steht bevor – auch noch den Mörder zu jagen. „Wir sind elf Jahre alt. Aber wir sind nicht blöd. Würden sie [die Erwachsenen] uns ernster nehmen, wenn wir Jungs wären? Vielleicht. Wahrscheinlich. Ganz sicher eigentlich.“ Sanni ist die Forschere von beiden und Erzählerin, braucht aber die Besonnene: „Ulrike ist schlau. Sonst wäre sie auch nicht meine beste Freundin.“
Von den Erwachsenen unverstanden, ziehen sie sich in ihre eigene Welt zurück: „Wenn man sich ernsthaft unterhalten will, muss man einen Ort haben, an dem das überhaupt möglich ist. [….] Zum Glück haben wir den Hochsitz. [….] Wir stehen lange auf der Plattform und gucken auf unser Dorf. Einfach so.“ Sanni und Ulrike beobachten im Dorf viel, auch wenn sie nicht alles verstehen. Aber dass der einzige Langhaarige nicht der Bankräuber sein kann, das wissen sie genau, denn ihn haben sie zum Tatzeitpunkt mit einer Blondine im Heuschober beobachtet. Doch den Mörder des Motorradfahrers vom Petershof wollen sie finden. So machen sie sich beim Austragen des Anzeigenblattes bei Abwesenheit der Hausbewohner auf detektivische Suche nach dem schwarzen Anzug, dem Umhang und Schlapphut und vor allem dem Drillingsgewehr des Täters.
Aus Andeutungen bastelt Max Annas ein schillerndes Kaleidoskop des Jahres 1978: Es ist die Zeit des RAF-Terrors, der im Krimi durch zwei junge Frauen in die Provinz vordringt. Wir erfahren von dunklen Machenschaften in der NS-Vergangenheit, die erst jetzt ihren Rächer finden. Schließlich erfahren wir, dass mit dem Drogenschmuggel die organisierte Kriminalität auch in diesem beschaulichen Winkel Westdeutschlands bereits Fuß gefasst hat. Doch all dies verstehen Sanni und Ulrike nicht und sie interessieren sich nicht dafür. Sie schneiden lieber ein paar Fotos aus einem Fahndungsplakat aus und kleben das Porträt des gesuchten Christian Klar neben Rainer Bonhof ins Sammelalbum, weil ihnen noch Bilder deutscher Fußballer fehlen.
„Der Hochsitz“ ist ein ungewöhnlicher, in seinem Aufbau gewöhnungsbedürftiger, aber gerade deshalb interessant gemachter Krimi: Mehrere Handlungsstränge laufen nebeneinander, kreuzen sich gelegentlich. Es scheint anfangs an durchgängiger Handlung zu fehlen. Momentaufnahmen wirken zusammenhanglos. Beobachtungen der beiden Mädchen, von ihnen selbst oft nicht verstanden, kommen hinzu. Was nur scheinbar wie ein „Hanni&Nanni“-Roman für Erwachsene beginnt, entlarvt kaleidoskopartig die bundesdeutsche Provinz und ihre Bewohner als nicht so harmlos, wie man glauben mag.

Veröffentlicht am 24.09.2021

Spannender Umweltthriller

Dürre
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REZENSION – Nicht zuletzt durch seinen vorigen Roman „Leben“ (2020) hat sich der deutsche Schriftsteller Uwe Laub (50) als Autor spannender Umwelt- und Wissenschaftsthriller hervorgetan, was er mit seinem ...

REZENSION – Nicht zuletzt durch seinen vorigen Roman „Leben“ (2020) hat sich der deutsche Schriftsteller Uwe Laub (50) als Autor spannender Umwelt- und Wissenschaftsthriller hervorgetan, was er mit seinem neuen, im September im Heyne Verlag veröffentlichten Thriller „Dürre“ erneut bestätigt. Sein neuer Roman spielt in nicht allzu ferner Zukunft in Deutschland. Bei immer stärker fortschreitendem Klimawandel und über Jahre andauernder Dürre haben Ernteausfälle zugenommen und in ganz Europa für Hungersnot gesorgt. Alle größeren landwirtschaftlichen Betriebe wurden bereits verstaatlicht, den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union werden abhängig von der Höhe ihrer CO²-Emission die Lebensmittel zugeteilt, Einwohner müssen sich ihre Zuteilung auf dem Markt abholen. Um die EU-Bürger zum Umweltschutz zu zwingen und Missbrauch kontrollieren zu können, hat die EU eine von den Informatikstudenten Alex Baumgart und Tom Valcke entwickelte App namens Aequitas zur Messung individueller CO²-Fußabdrücke zwangsweise eingesetzt. Jedem Menschen steht – vergleichbar dem heute schon bekannten Emissionshandel bei Unternehmen – auf seinem Aequitas-Konto ein gewisses Maß an CO²-Credits zu, die bei jeder Fahrt, bei jedem Einkauf, bei jeder emissionsgebundenen Handlung automatisch an den Zentralrechner im Valcke-Tower gemeldet und von seinem Konto abgebucht werden. Spart der EU-Bürger CO²-Emission, darf er überschüssige Credits verkaufen. Verbraucht er übermäßig viel, wird er bestraft. Doch dieses nur in der Theorie gerecht erscheinende System bringt durch allzu knappe Credit-Zuteilung die meisten Bürger in Armut und Hunger, was in Folge zu Betrug und Diebstahl verführt. Die von der EU gegründete Kontrollgesellschaft ACON hat als eine Art Geheimpolizei über die Aequitas-App absoluten Zugriff auf alle persönlichen Daten eines jeden Bürgers und verfolgt Fehlverhalten. Eines Tages steht Oberinspektorin Dane Kilian vor den Geschwistern Julian und Leni Thaler, die den kleinen Hof ihres abwesenden Vaters allein bewirtschaften, und beschuldigt sie des CO²-Betrugs.
Wieder verbindet Autor Uwe Laub auch in „Dürre“ wissenschaftliche Fakten – diesmal zum Klimawandel – mit Fiktion und Vision in einem locker geschriebenen Roman. So macht er es seinen Lesern leicht, sich auf unterhaltsame Weise auch als Laie diesem ernsten Thema zu nähern. Laub gehört nicht zu jenen Autoren, die als „Publikumsbeschimpfer“ ihre Leser für allzu sorgloses Verhalten mit schlechtem Gewissen strafen. Er droht vielmehr mit einer beängstigenden Dystopie, die wir alle nicht Wirklichkeit werden lassen wollen.
Bei etwas kritischerer Betrachtung ist festzustellen, dass sich der erste Teil des Romans von seinem zweiten im Niveau unterscheidet: Ist es anfangs eine durchaus fundierte, anhand von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen – mit einem zehnseitigen Nachwort faktisch unterlegt – logisch aufgebaute Szenerie, die als Vision ernst genommen werden kann, flacht der Roman später zum reinen Actionroman ab, der mit Mord und Totschlag endet. Manches Handeln der Protagonisten, wenn auch der Dramaturgie geschuldet, erscheint dann unlogisch. Statt des romantischen Schlusskapitels wäre ein offenes Ende mit Blick in eine ungewisse Zukunft wirkungsvoller und dem ernsten Thema gerechter gewesen. Doch alles in allem ist „Dürre“ ein packender Umweltthriller, den man nur ungern aus der Hand legt. Nach der Lektüre bleibt es unsere Entscheidung, unsere Lebensweise zu überdenken und notfalls Konsequenzen zu ziehen.

Veröffentlicht am 19.09.2021

Ein lebenskluger und lebensbejahender Roman

Der Junge, der ans Meer glaubte
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REZENSION - „Wir alle sind, jeder auf seine ganz persönliche Weise 'verlorene Gegenstände', aber wir haben immer und überall die Möglichkeit, uns wiederzufinden“, meinte der italienische Schriftsteller ...

REZENSION - „Wir alle sind, jeder auf seine ganz persönliche Weise 'verlorene Gegenstände', aber wir haben immer und überall die Möglichkeit, uns wiederzufinden“, meinte der italienische Schriftsteller Salvatore Basile (66) zum Erscheinen seines ersten Romans „Die wundersame Reise eines verlorenen Gegenstands“ (2017), der von einem allein lebenden 30-Jährigen handelte, den seine Mutter schon als Kind verlassen hatte. Auch in seinem zweiten Roman „Der Junge, der ans Meer glaubte“ - im Juni beim Blanvalet Verlag erschienen - schildert der Autor, der nach eigener Aussage selbst erst im Alter von fast 40 Jahren nach wechselnden Jobs zu sich fand und aus seinem Leben etwas machte, das Schicksal eines als Pflegekind aufgewachsenen jungen Mannes auf der Suche nach sich selbst und dem Glück des Lebens: „Manchmal muss man sich erst selbst verlieren, um wieder zu sich zu finden.“
Allein mit sich und dem beklemmenden Gefühl, auf alle Zeit ein glückloses Leben führen zu müssen, arbeitet der 18-jährige Marco als Reinigungskraft im städtischen Schwimmbad. Nur wenn er abends heimlich vom Springturm ins Wasser eintaucht, empfindet er das Gefühl von Freiheit. Bei einem Ausflug mit Gleichaltrigen, zu dem ihn die von ihm angebetete Virginia eingeladen hat, springt Marco, nur um ihr zu imponieren, von einer Felsklippe ins Meer und verletzt sich dabei schwer. Lähmungserscheinungen lassen ihn im Krankenhaus verzweifeln und resignieren. Doch seine Physiotherapeutin Lara gibt ihm neue Zuversicht. Mit dem Versprechen, ihn vollends heilen zu können, lockt sie den 18-Jährigen in ihren Heimatort Sarcola, wo er die nächsten Wochen mit ihr im Haus ihrer Eltern Giuseppe und Rosa lebt. Dort lernt Marco den zurückgezogen lebenden ehemaligen Fischer Antonio kennen, der ihn auf Laras Bitte hin mit seinem Ruderboot aufs Meer hinaus nimmt. Laras eigentlicher Grund, Marco nach Sarcola einzuladen, war allerdings nicht allein dessen Genesung.
Dieser zweite Roman des italienischen Schriftstellers unterscheidet sich in seiner inhaltlichen Botschaft kaum vom Vorgängerband. Wieder geht es um Menschen, die sich selbst oder einen Partner verloren haben und nun bewusst oder unbewusst auf der Suche nach neuem Lebensglück oder nach sich selbst sind. Der bei wechselnden Pflegeeltern aufgewachsene Marco sucht nach der eigenen Identität. Laras Mutter Rosa hat sich durch ihre Demenz-Erkrankung selbst verloren, wodurch sie auch ihrem Ehemann Giuseppe verloren ging, der vor Jahren bereits von seiner Tochter Lara verlassen worden war. Der frühere Fischer Antonio verlor in jungen Jahren seine innig geliebte Ehefrau durch Leukämie. Obwohl er damals sein altes Leben aufgeben und wegziehen wollte, lebt er immer noch einsam in seinem Haus, als würde er unbewusst auf etwas warten. „Denn es gibt immer einen Moment, in jedem Leben, in dem auch der Knoten des tiefsten Schmerzes schmilzt und endlich zulässt, dass Nostalgie seinen Platz einnimmt.“
„Der Junge, der ans Meer glaubte“ ist trotz psychologischer Tiefgründigkeit und schicksalsbedingter Melancholie ein positiv stimmender, ein Hoffnung machender Roman, dessen Handlung erwartungsgemäß ein glückliches Ende nimmt. Es ist schnell absehbar, wie die Geschichte ausgehen wird. Doch der Reiz des Romans liegt nicht in seiner Dramaturgie, sondern in der für den Autor typischen, atmosphärischen und lebensnahen Erzählweise, die den Leser auf jeder Seite des Buches berührt, ihn mit den Protagonisten in Schmerz und Glück mitfühlen lässt. Es ist ein besinnlicher, ein lebenskluger und lebensbejahender, auch lebensfroher Roman. So liebevoll wie des Autors Sicht auf das Leben trotz seiner tragischen Verstrickungen, so liebevoll und formschön ist seine Sprache, wofür natürlich auch Übersetzerin Elvira Bittner wieder zu danken ist.