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Veröffentlicht am 03.08.2024

Ein schwieriges Thema leicht erzählt

Der Bademeister ohne Himmel
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REZENSION - „Ich brauchte nicht viel zu recherchieren, da ich erlebt habe, was es bedeutet, wenn Betroffene sich selbst verlieren, Angehörige Unterstützung brauchen und Pflegende überfordert sind. Das ...

REZENSION - „Ich brauchte nicht viel zu recherchieren, da ich erlebt habe, was es bedeutet, wenn Betroffene sich selbst verlieren, Angehörige Unterstützung brauchen und Pflegende überfordert sind. Das alles hat das Schreiben über Demenz bestimmt erleichtert“, erzählt die österreichische Autorin Petra Pellini (54), die als diplomierte Krankenschwester selbst viele Jahre in der Pflege demenzkranker Menschen tätig war, im Interview zu ihrem im Juli beim Kindler Verlag veröffentlichten Debütroman „Der Bademeister ohne Himmel“. Für einen ersten Auszug daraus war sie bereits 2021 völlig zu Recht mit dem Vorarlberger Literaturpreis ausgezeichnet worden.
Dank ihrer fachlichen Erfahrung sowie ihren vielfältigen Erlebnissen mit Demenzkranken und deren Angehörigen ist es Pellini gelungen, einen herzerwärmenden Roman zu schreiben, der es trotz dieses schwierigen Themas in seinem lockeren und humorvollen Stil seinen Lesern erleichtert, sich mit der in unserer zunehmend alternden Gesellschaft immer häufiger verbreiteten Krankheit zu beschäftigen. Im Roman erleben wir die ungewöhnliche Freundschaft und fürsorgliche Hingabe der 15-jährigen Schülerin Linda zu dem 86-jährigen an Demenz erkrankten Hubert.
Die pubertierende Linda kommt mit ihrer Mutter nicht klar, leidet unter dem Fehlen ihres Vaters, der die beiden nach vielen Streitigkeiten vor acht Jahren verließ, hat die gerade in der Pubertät häufigen Sorgen in der Schule und denkt deshalb darüber nach, „vor ein Auto zu laufen“. Hubert, der in seiner jetzigen geistigen Verfassung schon mal Karotten toastet und oft auf seine Frau wartet, die vor sieben Jahren gestorben ist, war sein Leben lang als Bademeister im nahen Strandbad unter freiem Himmel tätig. Seit seiner zunehmenden Demenz ist sein Lebensraum auf seine Wohnung – im Haus zwei Etagen über Lindas Wohnung – beschränkt, ganztägig umsorgt von der polnischen Pflegerin Ewa. Dreimal wöchentlich verbringt Linda nun den Nachmittag bei Hubert, um die Pflegerin zu entlasten, und leistet dem Senior Gesellschaft.
Pellini gelingt es nicht nur meisterhaft, die fortschreitende Erkrankung und das für Außenstehende unverständliche Handeln des 86-Jährigen in einzelnen Situationen beispielhaft, plausibel und berührend zu schildern, sondern auch die Reaktionen der in seinem und Lindas Umfeld lebenden Personen. So ist Huberts Tochter – neben ihrer beruflichen Tätigkeit und ihrer eigenen Familie – mit der zusätzlichen Belastung der Pflegebedürftigkeit ihres Vaters in ihrem Verantwortungsbewusstsein emotional und nervlich überfordert. Überfordert, wenn auch auf ganz andere Art, ist auch Ewa, die in ihrer fachkundigen Pflege und liebevollen Fürsorge für den 86-Jährigen aufgeht, dabei aber ihr eigenes Privatleben und ihre persönlichen Bedürfnisse vernachlässigt.
Die interessanteste Figur des Romans ist die erst 15-jährigen Linda, die durch ihre regelmäßige Begleitung des 86-Jährigen, den sie unbedingt im Leben halten will, und ihre Beobachtung seines langsamen Entgleitens die wahren Werte des Leben erkennt und zu schätzen lernt und ihre eigenen Probleme im Vergleich dazu als unwichtig verdrängt. Sie lernt Verantwortung zu übernehmen – nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst.
Die Meinung über Pellinis Debütroman „Bademeister ohne Himmel“ mag unterschiedlich ausfallen: Betroffenen, die einen an Demenz Erkrankten zu umsorgen haben, mag der leichte, oft humorvolle Erzählton vielleicht dem ernsten Thema unangepasst erscheinen. Doch ist es genau die Absicht der als Krankenschwester erfahrenen Autorin, die Notwendigkeit zu zeigen, mit dem zu pflegenden Angehörigen nicht ständig wie mit einem Kranken und Siechen umzugehen, sondern seine „Macken“ gelassener hinzunehmen, ihn dennoch als vollwertigen Menschen zu akzeptieren und ihm vor allem seine Würde zu wahren. Genau dies schafft im Roman die 15-Jährige, die – frei von jeder persönlichen Verantwortung und anderweitigen Verpflichtung – dem Senior die notwendige Zuneigung geben und ihre Stunden mit ihm seinen Bedürfnissen anpassen kann. Die Autorin schildert nicht die Begegnung einer Minderjährigen mit einem Senior, sondern eine enge Beziehung zweier Menschen auf Augenhöhe.
Die 15-jährige Linda spricht mit dem 86-Jährigen in ihrem Alter angepassten, stellenweise schnoddrigem, manchmal witzigem Ton. Genau dieser lockere, unbeschwerte Umgang mit dem Kranken beschert nicht nur ihm kleine Glücksmomente. Dieser humorvolle Ton ist es auch, der diesen empathischen Roman über den Umgang mit Demenz-Kranken von psychischer Last befreit, ihn trotz aller Problematik so leicht und warmherzig erscheinen lässt und deshalb so lesenswert macht. Dieses Buch wird auch noch nach der Lektüre seine Leserinnen und Leser beschäftigen, ohne sie aber emotional zu bedrücken.

Veröffentlicht am 19.06.2024

Humorvoll und doch spannend

Mord stand nicht im Drehbuch
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REZENSION - „Alex-Rider-Autor unter Mordverdacht verhaftet!“ Was als Schlagzeile in den realen Medien international für Aufregung sorgen würde, ist zum Glück nur eine Zeile im neuen Krimi „Mord stand nicht ...

REZENSION - „Alex-Rider-Autor unter Mordverdacht verhaftet!“ Was als Schlagzeile in den realen Medien international für Aufregung sorgen würde, ist zum Glück nur eine Zeile im neuen Krimi „Mord stand nicht im Drehbuch“ des britischen Schriftstellers und Drehbuch-Autors Anthony Horowitz (69), dem im Mai vom Insel Verlag veröffentlichten vierten Band seiner Romanreihe um Privatdetektiv Daniel Hawthorne. Zugleich zeigt aber diese Schlagzeile das Ungewöhnliche und vor allem Absurde dieser erfolgreichen Serie voll britischen Humors, in der sich der in realer Welt tatsächlich durch seine Alex-Rider-Jugendbücher in Deutschland bekannt gewordene Autor mit echtem Namen selbst zu einem seiner Protagonisten macht und im Laufe der fiktiven Romanhandlung immer wieder konkrete Anspielungen auf seine bisherigen Veröffentlichungen einfügt – ob es nun die Jugendbücher um Alex Rider sind, seine eigenen Sherlock-Holmes-Romane oder seine Drehbücher zur TV-Serie „Inspector Barnaby“.
In den bisherigen drei Bänden war der Kriminalschriftsteller Horowitz – oder doch eher sein Alter Ego – vom geltungsbedürftigen Privatdetektiv Hawthorne als Autor verpflichtet worden, wenn auch Zu Horowitz' Enttäuschung nur als „zweite Wahl“. Hawthorne, der einst aus dem Polizeidienst geworfen worden war und seinen Lebensunterhalt jetzt als Privatermittler verdient, leidet unter dem Minderwertigkeitskomplex, in den Augen der Öffentlichkeit leider nur „der zweitbeste Detektiv Englands nach Sherlock Holmes“ zu sein. Horowitz' Aufgabe ist es deshalb, – wie Doktor Watson bei Holmes – Hawthornes Ermittlungserfolge in Romanform als Heldentaten der Nachwelt zu verkünden.
Doch nach drei Romanen ist es Horowitz leid, immer nur hinter Hawthorne herzulaufen, ohne von diesem in die Ermittlungen selbst eingebunden zu werden, dafür aber statt seiner die Prügel einstecken und ins Krankenhaus kommen zu müssen. „Tut mir leid, Hawthorne. Aber die Antwort ist nein“, erklärt deshalb der frustrierte Autor in aller Entschiedenheit die Zusammenarbeit mit Hawthorne für beendet. Einen vierten Roman soll es nicht mehr geben, zumal Horowitz gerade mit der Vorbereitung zur Londoner Premiere seines Theaterstücks „Mindgame“ beschäftigt ist [Anmerkung: „Mindgame“ von Anthony Horowitz hatte tatsächlich im Jahr 2000 seine Premiere in London].
Doch natürlich – wir Leser wissen es besser, halten wir doch den vierten Band gerade in der Hand – kommt es anders. Am Morgen nach der Premiere wird die von allen gefürchtete Theaterkritikerin der Sunday Times, die noch am selben Abend die Aufführung und vor allem das Stück selbst total verrissen hatte, in ihrem Haus ermordet aufgefunden – erstochen mit jenem Dolch, den Horowitz gerade am Premierenabend vom Produzenten als Geschenk erhalten hatte. Statt wie in den drei ersten Bänden mit Hawthorne gemeinsam auf Verbrecherjagd zu gehen, wird in diesem vierten Band Horowitz selbst als Mörder verdächtigt und kommt in Untersuchungshaft. Jetzt kann ihm nur noch einer helfen – Daniel Hawthorne!
„Mord stand nicht im Drehbuch“ überrascht also durch den Perspektivwechsel, indem der bisherige „Assistent“ des Detektivs diesmal selbst zum vermeintlichen Mörder wird. Doch ansonsten behält Anthony Horowitz das Erfolgsrezept seiner Krimireihe bei – die ständige Verflechtung von Realität und Fiktion, gewürzt mit jenem hintergründigen Humor, den man speziell den Engländern nachsagt, und angereichert mit einer gehörigen Prise Selbstironie. Jedenfalls ist das Argument Hawthornes zur Verteidigung Horowitz' nicht gerade als Kompliment zu verstehen: „Wenn er alle Kritiker umbringen würde, die was Schlechtes über seine Arbeit sagen, wäre England mit Leichen gepflastert.“
Trotz aller literarischer „Spielereien“ – nicht nur auf seine anderen Werke nimmt Horowitz im neuen Krimi wieder Bezug, sondern auch seine reale Familie bindet er ein – und trotz allen Humors und aller Ironie, ist es dem Autor auch in seinem neuen Hawthorne-Krimi gelungen, durch mehrere Handlungshöhepunkte und überraschende Wendungen die Spannung nicht zu kurz kommen zu lassen.
„Mord stand nicht im Drehbuch“ ist ein gut erzählter, überaus unterhaltsamer, konzeptionell ungewöhnlicher, aber doch wiederum klassischer britischer Krimi, erinnert er doch in seiner Machart stark an die Romane Agatha Christies. Wen wundert es also, dass sich Detektiv Hawthorne abschließend den Spaß erlaubt, alle Verdächtigen auf der Bühne des Theaters zu versammeln und den tatsächlichen Mörder zu entlarven. Horowitz muss nun aus Dankbarkeit doch weiter über die Heldentaten von Daniel Hawthorne schreiben. Wir dürfen uns deshalb auf den fünften Band freuen, der in Großbritannien als „Close to Death“ für September bereits angekündigt ist.

Veröffentlicht am 19.06.2024

Unterhaltung mit britischem Humor

Bretonische Sehnsucht
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REZENSION – Nicht vielen Serienschreibern gelingt es, ihre Leser mit jedem Buch aufs Neue zu überraschen. Kennt man die ersten, meint man, alle zu kennen. Ganz anders ist dies beim Schriftsteller Jörg ...

REZENSION – Nicht vielen Serienschreibern gelingt es, ihre Leser mit jedem Buch aufs Neue zu überraschen. Kennt man die ersten, meint man, alle zu kennen. Ganz anders ist dies beim Schriftsteller Jörg Bong (58), der uns unter französischem Pseudonym Jean-Luc Bannalec seit 2012 in seinen im Jahresrhythmus erscheinenden, spannenden und zugleich amüsanten Romanen nicht nur seinen Commissaire Georges Dupin immer wieder neue Mordfälle aufklären lässt, sondern – und dies ist bei dieser Krimireihe viel interessanter – zugleich uns Lesern jedesmal aufs Neue an wechselnden Orten der Bretagne unter jeweils wechselnden Aspekten in die oft mystisch anmutende Kultur und Geschichte der Region, deren urwüchsige Landschaft und Natur und auch – wie sollte es in Frankreich anders sein – in die schmackhaften Geheimnisse der meist von Meeresfrüchten bestimmten bretonischen Küche einführt.
Muss der einst aus Paris in das Provinzstädtchen Concarneau südöstlich von Quimper im Département Finistère ans „Ende der Welt“ (finis terrae) strafversetzte Kommissar nun schon seit Jahren ermitteln, wird Dupin in dem kürzlich beim Verlag Kiepenheuer & Witsch veröffentlichten 13. Band dieser in der ihr eigenen Faszination nicht nachlassenden Krimireihe vom ständig nervenden Präfekten Locmariaquer sogar noch weiter an den äußersten Rand im Westen der Bretagne geschickt – auf die nur 16 Quadratkilometer kleine Insel Oeussant, auf dem nicht einmal 900 Menschen fern vom Festland als eingeschworene Gemeinschaft leben. Dort wurde ein Musiker an den Strand gespült, der sich zeitlebens mit dem keltischen Ursprung bretonischen Liedguts auf Ouessant befasst hat. War dies Unglücksfall oder doch Mord? Unterstützt von den Inspektoren Riwall und Kadeg macht sich Dupin eher widerwillig an die Arbeit. Denn diese Insel gleicht einer „Anderwelt“. Sie ist „ein entlegener, karger kleiner Granitfelsen im Atlantik, umgeben von Meerjungfrauen, Robben, Delfinen, Orcas, liebenden Leuchttürmen, den Elementen ausgeliefert, … auf dem Dunkles vor sich ging in diesen Tagen.“ Dort bestimmen noch Sirenen und Meerjungfrauen, keltische Druidinnen und Geschichten-Erzählerinnen das tägliche Leben und Denken. „Über Tausende Jahre fest verwurzelte keltisch-druidische Vorstellungen, Legenden, Zeremonien, Traditionen waren von den christlichen Missonaren im fünften, sechsten, siebten Jahrhundert übernommen und christlich umgedeutet worden. Sie waren zu mächtig gewesen, um sie abzuschaffen. Es hätte Revolten gegeben.“ Es ist ein Ort voller Mystik und Magie, der so gar nicht in die Welt des nüchtern analysierenden Kommissars passt.
Auf Ouessant kommt es nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare an, wird Dupin ausdrücklich gewarnt. Doch dann tauchen nacheinander zwei weitere Tote an der Steilküste auf, bei denen der Arzt wieder nur Tod durch Ertrinken feststellt. Drei Unglücksfälle an zwei Tagen? Dupin steht vor einem Rätsel. Er beginnt mit der Ermittlung in einem keltischen Steinkreis, von dem Inspektor Riwall weiß: „Die Stätte ist rund siebentausend Jahre alt. Der älteste Steinkreis, den wir in Europa kennen, und der einzige, der dem Mond gewidmet ist und nicht der Sonne. … Der Kreis hier ist älter als der von Stonehenge.“
Es sind weniger die Mordfälle, die Bannalecs Krimis so interessant und einzigartig machen, sondern seine sehr plastische Schilderung der auf die Kelten zurückreichenden Geschichte, die bis heute in Legenden und im Brauchtum der Bretagne fortlebt. Deren Erzählung lässt Bannalecs neuen Krimi „Bretonische Sehnsucht“ fast zum Fantasy-Roman werden. Doch zum Glück holt der Autor, dem 2016 von der Region Bretagne der Titel »Mécène de Bretagne« (Schutzpatron der Bretagne) verliehen wurde, uns Leser mit seiner begeisternden Beschreibung der urwüchsigen Naturlandschaft auf Ouessant immer wieder aus dieser keltischen Fantasiewelt zurück auf den felsigen Boden der kargen Insel. Vielleicht mag mancher Leser urteilen, dass Bannalec in seinem neuen Band „Bretonische Sehnsucht“ den Kriminalfall etwas hat schleifen lassen, so dass es doch gelegentlich an Spannung mangelt. Aber die „Sehnsucht“, in diese faszinierende Region Frankreichs möglichst bald reisen zu wollen, wird er wie mit den international erfolgreichen zwölf bereits verfilmten Bänden bei seinen Lesern auch mit seinem 13. Band wieder aufs Neue entfachen.

Veröffentlicht am 10.06.2024

Nachhaltige Erzählung

Nebel
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REZENSION – Wie man aus Schicksalsschlägen lernen kann, sich nicht selbst aufzugeben, nicht zu verzweifeln, hat der in der DDR aufgewachsene promovierte Pysiker Stefan Fourier (75) am eigenen Leib erfahren. ...

REZENSION – Wie man aus Schicksalsschlägen lernen kann, sich nicht selbst aufzugeben, nicht zu verzweifeln, hat der in der DDR aufgewachsene promovierte Pysiker Stefan Fourier (75) am eigenen Leib erfahren. Nach seiner Flucht im Jahr 1987 sah er sich gezwungen, im Westen noch einmal ganz von vorn anfangen und sich ein neues Leben aufzubauen. Anfangs arbeitete er als Manager und Unternehmensberater und veröffentlichte entsprechende Sachbücher. Inzwischen ist er als Essayist, Aphoristiker und Romancier tätig, schreibt Fabeln und Kurzgeschichten, „in denen ich Gefühle und Gedanken ausdrücke“ und widmet sich „besonders Themen, die Menschen in ihrem Inneren umtreiben“. Dabei bewegt er sich gern „im Grenzbereich zwischen Fiktion und Wirklichkeit, weil sich das Leben nun mal genau zwischen den 'objektiven Realitäten' und unseren Wahrnehmungen davon abspielt“.
Eine solche Geschichte um „das Wissen über die Unwägbarkeiten des Lebens“ ist Fouriers neues, nur 88 Seiten starkes Büchlein im praktischen A6-Taschenformat, das sich auch als nachhaltiges Geschenk für Angehörige oder gute Freunde eignet: In „Nebel. Hinter der Angst ist das Leben“, im Juni erschienen beim Verlag tredition, berichtet der Ich-Erzähler von seinem schweren Unfall, der ihm von einem Moment auf den anderen jegliche Hoffnung auf ein berufliches und gesellschaftliches Fortkommen nahm. Nur kurz zuvor schwärmte er noch: „Meine Zukunft in der Firma schillert in verlockenden Farben. Demnächst werde ich Partner, denn mein Projekt in Dubai läuft fantastisch. Irgendwann wird der nächste Schritt kommen, in die Geschäftsführung. Ich will nach oben, an die Spitze.“
Doch da geschieht der Auto-Unfall. Thorax-Quetschungen sind die Folge, mehrere komplizierte Frakturen der Beine – es besteht sogar Gefahr, die Beine zu verlieren – und starke Blutungen. Ist jetzt alles aus? Was wird aus den Zukunftsplänen des Erzählers, aus seinem Projekt in Dubai und seinem Fortkommen in Dubai? Ein ambitionierten Kollege wartet doch nur darauf, das lukrative Projekt zu übernehmen. Existenzangst macht sich im Erzähler breit. War's das also? Gibt es für ihn noch eine Zukunft? Oder ist er schon Teil der Vergangenheit?
Wie gehen wir mit unseren Ängsten um, die aus der Ungewissheit auf uns eindringen? In seiner kurzen Erzählung lässt Stefan Fourier seinen Protagonisten und damit uns Leser über die Abhängigkeiten von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nachdenken. Wo beginnt unsere Zukunft? Können wir sie selbst aktiv beeinflussen und gestalten? Fourier macht sich in der Person seines Ich-Erzählers Gedanken über die oft unerwarteten Wendungen des Schicksals, über unsere Ängste und den Umgang mit ihnen. Selbstaufgabe ist der falsche Weg! Schmerz und Leid muss man auszuhalten lernen, denn – wie die Ärztin am Krankenbett des Erzählers sagt – „wo Schmerz ist, da ist Leben.“
Probleme müssen gelöst, Ängste überwunden werden. Denn erst „wenn die Angst schwindet und sich der Nebel lichtet, gelingt der Blick auf das Leben“. Auch wenn der Nebel sich noch nicht völlig aufgelöst hat, lohnt es sich, Schritt für Schritt einen vielleicht noch unsicheren, weil unbekannten Weg in eine andere, eine neue Zukunft zu wagen. Man darf keine Angst vor einem falschen Schritt haben, meint Fourier: „Das Leben zu meistern, heißt nicht immer alles richtig zu machen oder immer Erfolg zu haben“, schreibt er im Epilog seines Büchleins. Wichtiger ist, „das Leben auszuhalten, und in dem Moment, in dem die Zukunft in der Gegenwart erscheint, das zu tun, was man für richtig hält. Und dabei frohen Mutes zu sein.“ Es gilt nach Meinung des Autors also, aus dem „Wissen über die Unwägbarkeiten des Lebens Mut und Zuversicht zu schöpfen. Stefan Fouriers kurze Erzählung „Nebel. Hinter der Angst ist das Leben“ ist eine sinnstiftende Lektüre für eine ruhige Stunde der Besinnung.

Veröffentlicht am 04.05.2024

Historisch interessanter Unterhaltungsroman

Der falsche Vermeer
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REZENSION – Vom vielleicht größten Kunstskandal aller Zeiten handelt der im März beim Pendragon Verlag veröffentlichte Debütroman „Der falsche Vermeer“ des Journalisten Patrick van Odijk, der bereits im ...

REZENSION – Vom vielleicht größten Kunstskandal aller Zeiten handelt der im März beim Pendragon Verlag veröffentlichte Debütroman „Der falsche Vermeer“ des Journalisten Patrick van Odijk, der bereits im Vorjahr auf Holländisch erschien. Die Handlung basiert auf den historischen Fakten um den niederländischen Maler und Kunsthändler Han van Meegeren (1889 bis 1947). Im Mai 1945 hatten die Amerikaner unter den in einem Salzburger Bergstollen versteckten Kunstschätzen Hermann Görings das angeblich vom holländischen Barockmaler Jan Vermeer stammende, aber bislang unbekannte biblische Gemälde „Christus und die Ehebrecherin“ entdeckt, das Göring im Jahr 1942 nachweislich für 1,65 Millionen Gulden im Tausch gegen 200 zuvor von den Nazis in den Niederlanden geraubte Bilder erworben hatte. Als Händler wurde der bis dahin unbedeutende Maler Han van Meegeren ausgemacht, der nun wegen Kollaboration mit den Nazis in Haft kam. Dort sagte er aus, das angebliche Vermeer-Gemälde selbst gemalt zu haben. Zum Beweis schuf er in der Haft vor den Augen von Zeugen das Bild „Jesus unter den Schriftgelehrten“ im Stile Vermeers. Zudem bestätigten chemische Untersuchungen aller von Han van Meegeren als eigene Fälschungen benannten „Vermeer-Gemälde“, die in den Jahren zuvor, von namhaften Kunstexperten als echt bezeichnet, für viele Millionen Gulden an Museen und Privatsammler verkauft worden waren und den Fälscher zum Multimillionär gemacht hatten, die Richtigkeit seiner Aussage. Statt als bedeutender Maler anerkannt zu werden, was er sich zeitlebens gewünscht hatte, wurde Han van Meegeren nun kurz vor seinem Tod als genialster Kunstfälscher des 20. Jahrhunderts berühmt. Diesen Fall beschrieb übrigens auch schon der italienische Schriftsteller Luigi Guarnieri im Jahr 2005 in seinem Roman „Das Doppelleben des Vermeer“.
In Odijks Roman ist Jan van Aelst der talentierte Kunstfälscher, dem die junge Reporterin Meg van Hettema auf der Suche nach der „Story ihres Lebens“ gegenübersteht. Sie muss sich gegen missliebige Kollegen, zum entscheidenden Zeitpunkt sogar gegen ihren Mentor und Verleger durchsetzen, um den wahren Charakter des zwielichtigen Kunstfälschers und die Wahrheit um das Gemälde aufzudecken. Der Autor nutzt seinen Roman um diesen realen Kunstskandal bei enger Anlehnung an die historischen Fakten zur Schilderung der schwierigen politischen Situation unmittelbar nach Ende der deutschen Besatzung und den in der niederländischen Bevölkerung damals weit verbreiteten und von der Übergangsregierung nur schwer kontrollierbaren Hass auf tatsächliche oder auch nur vermeintliche Nazi-Kollaborateure. Gleichzeitig zeigt uns Odijk, wie politische und gesellschaftliche Stimmungen von Medien aufgegriffen und zur Steigerung der eigenen Auflage gelegentlich missbraucht und angefeuert werden, und wie schwierig es gelegentlich ist, an der Wahrheit festzuhalten, wenn sie doch niemand hören will. Nicht zuletzt gibt uns der Autor auch einen intensiven Einblick in die Welt der Malerei und den erbitterten Streit der zeitgenössischen Maler der Moderne mit den Anhängern des „Goldenen Zeitalters“ und macht uns mit den vielfältigen, wissenschaftlich fundierten Tricks talentierter Kunstfälscher vertraut.
Zu Beginn wirkt „Der falsche Vermeer“ noch etwas langatmig, stellenweise sogar oberflächlich, da die Reporterin anfangs allzu naiv dargestellt wird und auch später ihre Liebesaffäre mit dem kanadischen Sergeant doch viel Platz einnimmt. In der zweiten Hälfte des Buches nimmt die Handlung dann allerdings Fahrt auf: Wir erleben, wie die Volksmeinung wechseln kann: Erst ist Kunstfälscher Jan van Aelst ein gefeierter Held, der Obernazi Göring betrogen hat, dann ist er plötzlich ein verhassrter Kollaborateur, den man sofort ins Lager stecken, wenn nicht sogar hängen sollte. Besonders interessant wird der Roman schließlich durch die in allen Einzelheiten beschriebene, dennoch auch für Laien spannende Schilderung der sorgsamen Aufklärung des Fälscherskandals. So ist „Der falsche Vermeer“ ein durchaus gelungenes Debüt,historisch interessant – gewiss nicht nur für Freunde der Malerei – und insgesamt ein gut zu lesender, in der zweiten Hälfte auch spannender Unterhaltungsroman.