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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.04.2021

Kein leichter Tobak

Der Abstinent
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Dieses Buch hat mir einen bitteren Geschmack hinterlassen. Es ist spannend geschrieben, die grausamsten Szenen werden ausgespart, man erfährt nur hinterher wie die Menschen umgebracht wurden. Die Morde ...

Dieses Buch hat mir einen bitteren Geschmack hinterlassen. Es ist spannend geschrieben, die grausamsten Szenen werden ausgespart, man erfährt nur hinterher wie die Menschen umgebracht wurden. Die Morde werden nicht detailgetreu wiedergegeben. Aber es ist der ganze Hintergrund, der einen voller Bitterkeit zurückblicken lässt. Was heißt hier zurück? Das Grundthema des Buches ist noch lange nicht abgearbeitet und bewältigt. Noch heute sind die Nordiren die Prügelknaben der Engländer. So wie bei uns die Ostfriesenwitze sind in England die Nordirenwitze, nur brutaler, rücksichtsloser. Wenn bei uns die Nordfriesenwitze Humor haben und man sie mit einem Augenzwinkern erzählt, denn wir alle wissen, dass auch die Ostfriesen die Bäume mit dem Grünen nach oben einpflanzen, sind englische Witze über die Nordiren gnadenlos, voll Schadenfreude. Bei uns hat Otto Waalkes die Ostfriesen geadelt und überall willkommen gemacht.
Doch zurück zum Buch. Die Handlung spielt mitten im viktorianischen Zeitalter. Da war die Not der Iren am größten. Zugegeben, den meisten Engländern und anderweitigen Untertanen Ihrer Majestät ging es auch nicht viel besser. Immerhin wütete 1888 in London Jack the Ripper. Aber keine Hungersnot wie die Große Hungersnot in Irland, während der in den Jahren 1845 – 1851 zwei Millionen Menschen an den Folgen starben. Sie starben während Schiffe voller Getreide Irland Richtung England verließen. Die Getreideernte gehörte den englischen Großgrundbesitzern.
Der Roman beginnt 1867 mit der Hinrichtung von drei irischen Rebellen in Manchester. Nach der großen Hungersnot mussten viele Iren auswandern, in die USA, Australien, Kanada, aber auch nach England. Zu dieser Zeit werden alle Iren von den Engländern pauschal als Aufständische, Rebellen, nutzlose Taugenichtse abgestuft. Sie werden alle über einen Kamm geschert, egal ob sie Mitglieder der Fenian Brotherhood sind oder nicht. Allein ihre Abstammung macht sie schuldig. Ein irischer Polizist wird nach Manchester versetzt, um die hiesige Polizei zu unterstützen. Doch keiner hört auf ihn, im Gegenteil, er ist ständig den bösen Zungen der Kollegen ausgesetzt, man blickt auf ihn herab, sein Wort gilt nichts. Die Überheblichkeit der Engländer kennt keine Grenzen. Nach einer mehrere Monate dauernden Einkerkerung die James O’Connor unschuldig erleiden muss, entschließt er sich auszuwandern, er geht nach Amerika, um den Mörder seines Neffen zu suchen. Doch nicht einmal hier, in der „freien Welt“ greift irgendeine ausgleichende Gerechtigkeit ein. Gerade als er beschlossen hat, den Mörder den er gefunden hat, nicht aufzusuchen und ihn zur Rechenschaft zu ziehen, weil all das Töten und die Gedanken der Rache ein Ende haben müssen, gerade als er den Rückweg angetreten hat und ein Lied singt, da findet der Mörder ihn. Ein Ire. Denn die Engländer verstehen es meisterhaft, die Iren zu entzweien, um sie besser beherrschen zu können. Auch hier, im entfernten Amerika, weit weg von England und Irland wirken die alten Strukturen noch fort. Ein Entkomme ist unmöglich. Wie in einer antiken Tragödie nimmt das Schicksal seinen Lauf. Und hinterlässt beim Leser einen bitteren Geschmack. Wenigstens ist James O’Connor nicht als Mörder gestorben.

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Veröffentlicht am 25.03.2021

!Die Roaring Twenties in Berlin

Polizeiärztin Magda Fuchs – Das Leben, ein ewiger Traum
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Hoch interessanter Roman über die erste Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als die Weimarer Republik sich gerade etablierte. Hunger und Not haben Berlin fest im Griff, die Polizei kommt mit der Verbrechensaufklärung ...

Hoch interessanter Roman über die erste Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als die Weimarer Republik sich gerade etablierte. Hunger und Not haben Berlin fest im Griff, die Polizei kommt mit der Verbrechensaufklärung kaum nach.
Im Laufe des Romans werden wir unterschiedliche Frauen kennenlernen. Zuerst Magda Fuchs, die Hildesheim verlässt um in Berlin Polizeiärztin zu werden. Wenn an Tatorten auch Kinder angetroffen werden, untersucht Magda sie und lässt sie in ein Krankenhaus überweisen. Celia von Liebenau wurde von ihrer Mutter zwangsverheiratet, um eine gute Partie zu machen und weil die Mutter der Meinung ist, die Bestimmung einer Frau ist die Familie: Ehemann und Kinder. Ruth Jessen ist Rechtsanwältin und setzt sich für die Gleichberechtigung der Frauen ein. Ina Dietrich betreut die sozial schwach gestellten, Familien und Kinder. Doris Kaufmann ist das typische junge Mädchen vom Lande, das auf Männer reinfällt und eigentlich immer mehr in die Prostitution abdriftet. Die letzte in diesem Reigen ist Erika Hausner, die Journalistin, die erst mit Artikeln wie wir sie aus der Bild kennen ihr Glück versucht, dann aber mit Hilfe Magda Fuchs Gutes mit ihren Artikeln bewirkt.
Jede dieser Frauen muss sich dem Leben stellen, manche findet ihr privates Glück, andere hingegen erleiden dramatisch Schiffbruch.
Interessant ist, wie die Arbeit der ermittelnden Polizei abläuft. Immer wieder muss Kommissar Wagner feststellen, dass Polizisten, die zuerst am Tatort erscheinen erst mal aufräumen, Tatwaffen abwischen, usw. Damit kann Wagner den Tatort nicht mehr richtig in Augenschein nehmen, falsche Anschuldigungen und Verdächtigungen sind an der Tagesordnung. Dabei verfolgt Wagner das Ziel, die Polizeiarbeit „von oben“ zu verändern. Wenn es oft genug zu fehlerhaften Ermittlungen kommt, muss der Polizeipräsident von Berlin reagieren. Per Arbeitsanweisung wird er den gesamten Polizeiapparat umkrempeln und dabei Polizisten instruieren Tatorte nicht mehr zu verunreinigen oder zu verändern. Interessante Vorgehensweise, außer für die falsch Verdächtigten.
Die Autoren haben den Unterschied zwischen dem beschaulichen, ruhigen und idyllischen Hildesheim und dem hektischen atemberaubenden, rasanten Berlin, wo man kaum zum Luft holen kommt, perfekt eingefangen.
Der Schreibstil ist angenehm flüssig, das "Bärlinerisch " kommt herrlich rüber, die berühmte Berliner Schnauze ist unschlagbar. „aba nu sacht Zerkowski: „Weeßte Dicke“ – so hat er mir jenannt, ick hatte ja imma wat uffe Rippen -, det Gör wird vakooft“ (S. 235). OK, der Inhalt des Satzes lässt einen gruseln, aber die Aussprache! Die Aussprache!

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Veröffentlicht am 18.03.2021

Ein neuer leuchtenden Stern am südamerikanischen Literaturhimmel

Das Flüstern der Bienen
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Woran erkennt man gute Bücher? Dass sie uns von der ersten Seite an fesseln? Das tut jeder halbwegs gut gemachte Thriller auch. Dass sie ein wahres Mosaik des Lebens in all seinen Facetten vor uns ausbreiten? ...

Woran erkennt man gute Bücher? Dass sie uns von der ersten Seite an fesseln? Das tut jeder halbwegs gut gemachte Thriller auch. Dass sie ein wahres Mosaik des Lebens in all seinen Facetten vor uns ausbreiten? Ja, das auch. Dass die Gestalten, die darin vorkommen, zu aus dem Leben gegriffenen Menschen werden und wir mit ihnen leiden, lieben, leben? Auf jeden Fall. Dass die Handlung uns gebannt die Seiten wenden lässt, auch wenn es kein Thriller ist? Mit Sicherheit ist das auch ein Merkmal eines guten Buches. Dass die Sprache (egal ob im Original oder in einer guten Übersetzung gelesen – an dieser Stelle ein großer Dank und Lob an Kirsten Brandt - ) also die Sprache des guten Buches unverkennbar, atmosphärisch dicht und Land und Leute und Zeit des Buches gerecht wird? Oh ja, unbedingt. Dass auf guten Büchern so etwas wie ein Zauber liegt, der uns gefangen nimmt und uns auf der letzten Seite zurück ins Hier und Jetzt mit großem Bedauern entlässt? Darauf vermag ich nicht zu antworten, ich weigere mich aus manchen Büchern entlassen zu werden.
All diese Kriterien stimmen in meinen Augen auf Sofia Segovias Das Flüstern der Bienen zu.
Erzählt wird das Buch in der sogenannten Legendenzeit und dadurch allgemeine Gültigkeit und Glaubwürdigkeit erreicht, auch wenn magische Elemente in der Handlung mit verwoben werden. Wir wissen, dass Herr der Ringe oder Harry Potter oder Alice im Wunderland moderne Kunstmärchen sind und akzeptieren sie als solche. In Das Flüstern der Bienen oder Das Geisterhaus oder Hundert Jahre Einsamkeit oder Bittersüße Schokolade, da glauben wir den magischen Elementen des Buches, die Magie wird immanenter Teil der Handlung, ohne ihr wäre das Erzählte gar nicht möglich. Wenn die Magie in den Fantasy-Romanen permanent präsent ist, ist sie in den zuletzt genannten Werken nur latent da, um punktuell in Erscheinung zu treten und ihre Wirkung zu entfalten. Und trotzdem sind wir überzeugt, die Handlung dieser Bücher kann sich so und nur so abgespielt haben.
Zugleich möchte ich Sofia Segovia als würdige und ebenbürtige Nachfolgerin der großen Autoren des südamerikanischen Magischen Realismus nennen, wie da wären Gabriel Garcia Márquez, Mario Vargas Llosa, Isabel Allende (das Frühwerk nur) oder Laura Esquivel, die Autorin von Bittersüßer Schokolade.

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Veröffentlicht am 15.03.2021

Damals, im wilden Osten

Blütengrab
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Sehr vielversprechender und gruseliger Prolog, der einige Jahre vor der Wende in der ehemaligen DDR spielt. Die eigentliche Handlung spielt in Mecklenburg-Vorpommern, 1993. Viele haben die Gegend schon ...

Sehr vielversprechender und gruseliger Prolog, der einige Jahre vor der Wende in der ehemaligen DDR spielt. Die eigentliche Handlung spielt in Mecklenburg-Vorpommern, 1993. Viele haben die Gegend schon verlassen, hohe Arbeitslosigkeit, Tristesse, marode Häuser Mutlosigkeit allerorten. Wir lernen die Hauptpersonen kennen, manche sind uns sofort sympathisch, für andere können wir Verständnis aufbringen, andere hingegen (den altteutonischen Vater z.B.) könnte ich sofort in seine eigene Walhalla befördern. Die wenigen Westdeutschen, die es hierher verschlägt, sind entweder aufrichtig daran interessiert, hier ihre Arbeit ehrlich und ohne Hintergedanken zu verrichten, oder um dem altgermanischen Gedankengut zu frönen, ohne von Ausländern dabei gestört zu werden; oder um auf der Karriereleiter aufzusteigen und es den „dummen Ossis“ zu zeigen. Von diesen drei Kategorien lernen wir je einen Vertreter kennen im Laufe des Romans.
Die vorherrschende Atmosphäre der Mutlosigkeit und Niedergeschlagenheit, die in Ostdeutschland in den ersten Jahren nach der Wende herrschte fand ich sehr treffend eingefangen. Weshalb sich um einen Job bemühen, wenn es eh nur schlecht bezahlte langweilige Arbeit handelt mit kleinen Chefs, die sich aber wie Napoleon aufführen. Erschreckend fand ich, wie schnell sich das braune Gedankengut da ausbreitete. Wobei „Gedankengut“ wohl der falsche Begriff ist, denn gut ist nichts daran. Da wird ein verletztes weinendes Mädchen von der Tür abgewiesen, bloß weil sie nicht deutsch kann. Oder, um die germanische Sache zu finanzieren, wird mit Zigaretten und Mädchen geschmuggelt. Aber auch die Überheblichkeit und Besserwisserei mancher Wessis wird hier bloßgelegt. Um alte Verstrickungen in Devisengeschäften zwischen Ost und West zu vertuschen werden Mordopfer heimlich beseitigt, verschwinden mal Akte, werden eigene Mitarbeiter um die Ecke gebracht. Damals, vor der Wende und 1993 immer noch.
Die beiden Hauptermittler, Ossi und Wessi raufen sich verhältnismäßig schnell zusammen, ergänzen sich bald hervorragend und ohne viele Worte zu verlieren, eine echt gute Zusammenarbeit bahnt sich an. Hoffen wir, dass Ada Fink diese Reihe fortsetzen wird.
Zügig und flott geschrieben, liest sich der Krimi in einem Rutsch.
Das Titelbild ist sehr stimmungsvoll - fast schon depressiv, aber passend zum Buchtitel.
Fazit: lesenswert.

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Veröffentlicht am 14.03.2021

Was ist Heimat?

Die lustlosen Touristen
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Es ist gar nicht so einfach, einem anderen Menschen die eigene Heimat zu zeigen. Vor allem, wenn sie so dermaßen mit Schuld beladen Aber wer und was ist Heimat? Klar, es ist der Ort, die Gegend, die Region, ...

Es ist gar nicht so einfach, einem anderen Menschen die eigene Heimat zu zeigen. Vor allem, wenn sie so dermaßen mit Schuld beladen Aber wer und was ist Heimat? Klar, es ist der Ort, die Gegend, die Region, in der man geboren wurde. Steine, Flüsse, Bäume haben kein Schuldbewusstsein. Aber was ist mit den Menschen? Klar gehören sie zur Heimat, besser gesagt zum Heimatgefühl. Familie, Nachbarn, Freunde, all jene, die die gleiche Sprache sprechen, mit denen man gemeinsam aufgewachsen sind, die den gleichen geschichtlichen Hintergrund haben. Kann man sich mit all diesen Menschen identifizieren? Normalerweise ja. Aber ohne eine Differenzierung müsste man mit dem Tod von 830 Menschen einverstanden sein, die bei den vielen Attentaten der ETA umkamen. Darf man Gewalt gutheißen? Heiligt der Zweck wirklich die Mittel? Können wir mit der „Michael Kohlhaas Attitüde“ leben? Ist sein Wahlspruch „Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe auch die Welt daran zugrunde“ noch annehmbar? Die ETA hat auch Basken getötet, nicht nur spanische Politiker oder Polizisten. Die ETA hat von allen, Spanier und Basken gleichermaßen Schutzgelder und Lösegelder erpresst. Was für eine Gerechtigkeit ist das dann? In diesem Buch kommt die Tochter eines solchen ETA Attentäters zu Wort. Sie wusste das nicht, Mariluz, ihre Mutter hat es ihr erst vor Kurzem erzählt. Unter diesem Eindruck macht sie sich auf, eine Reise durch die spanisch-baskische Heimat und sucht immer wieder den richtigen Moment, es ihrem Mann zu erzählen, zu erklären. Ihr Mann ist Spanier. Wird er es verstehen?
Während der Reise taucht immer wieder eine Journalistin auf, Sarah Blagrove. Die Journalistin hat schon einige ablehnende Artikel über die ETA und ihre Anhänger veröffentlicht. Ulia, die Ich-Erzählerin, hat das Gefühl, Sarah hat sie nun auf den Kieker und will sie über ihren Vater ausfragen. Dabei hat Ulia sich geweigert ihren physischen Vater im Gefängnis zu besuchen. Sie kennt ihn nicht, sie ist mit seinen politischen Gewalttaten nicht einverstanden. Was also könnte sie Sarah erzählen, im Falle eines Interviews. Nur stellt es sich heraus, Sarah ist gar nicht an ihr interessiert. Jemand anderer ist Sarahs Zielperson, Und nicht aus beruflichen Gründen.
Das Buch schlägt oft einen ironischen Ton an, leicht distanziert. Als ob dies für Ulia die einzige Möglichkeit wäre, die nötige Entfernung zu ihrem Leben und zu ihrer Heimat zu finden. Denn die Menschen ihrer Heimat haben Schuld auf sich geladen, unter ihnen auch ihr Vater.
Anfangs hatte ich leichte Schwierigkeiten, herauszufinden, wann von Ulia und wann von Mariluz berichtet wurde. Als ich beschloss, mich nicht auf den Unterschied zu konzentrieren, sondern die Seiten auf mich zukommen zu lassen, wie sie von Agirre geschrieben wurden, fiel es mir leichter. Mutter und Tochter haben einiges gemeinsam, auch wenn Ulia das so nicht empfindet.
Fazit: ein interessantes Buch, auch wenn der Zugang nicht leicht ist.

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