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Veröffentlicht am 27.12.2022

Homers Gesänge aus Sicht der Frauen

Elektra, die hell Leuchtende
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Wunderschöne Neuinterpretation eines uralten Stoffes. Bisher kannten wir nur die Abenteuer des Odysseus, Hektor, Patroklos, Ajax, Aeneas, Agamemnon, Menelaos, und wie sie alle hießen, auf der Ebene vor ...

Wunderschöne Neuinterpretation eines uralten Stoffes. Bisher kannten wir nur die Abenteuer des Odysseus, Hektor, Patroklos, Ajax, Aeneas, Agamemnon, Menelaos, und wie sie alle hießen, auf der Ebene vor Troja aus der Sicht Homers. Von den Frauen wussten wir nur, sie waren da, sie wurden nicht gefragt, sie mussten alles mitmachen, erdulden, erleiden.
Und nun, in diesem Roman, erheben die Frauen ihr Wort, sie haben eine eigene Meinung, sie retten das Leben eines kleinen Jungen, sie üben blutige Rache, sie wählen ihre Ehemänner selbst aus. Es kommen zu Wort Klytämnestra, ihre Tochter Elektra, von Mykene und die trojanische Königstochter und Apollopriesterin Kassandra. Alle drei Frauen sind mit einem Fluch belastet.
Kassandra hat zwar von Apollo die Gabe der Prophezeiung erhalten, aber gleichzeitig verflucht, dass ihr nie jemand glauben würde. So wird sie zur Wortlosigkeit verdammt, wozu sprechen, wenn ihr niemand glaubt? All ihre Warnungen, vor Paris, dass er Unglück über Troja bringen würde, dass Hektor fallen würde, dass das hölzerne Pferd den Feind beherbergt, dass Agamemnon in der Stunde seines Triumphs in Mykene sterben wird, all das hat ihr niemand glauben wollen. Ihr Tod ist für Kassandra eine Erlösung.
Durch ihre Heirat mit Agamemnon ist Klytämnestra auch zu einer Attridin geworden, ihre Tochter Elektra ist es durch ihre Geburt. Beide müssen ihren Fluch erfüllen, es gibt kein Entkommen. Im Augenblick ihres Todes nimmt Klytämnestra ihr Schicksal an in der Hoffnung, dadurch den Schmerz ihrer Kinder Elektra und Orest zu lindern. Durch ihren Tod sühnt Klytämnestra den Gattenmord, aber Orest wird nun von den Erinnyen verfolgt, denn Muttermord ist genauso schwerwiegend.
Saint erdenkt sich nicht eine neue Ilias aus, sie ändert nicht das Ende, fabuliert nicht den alten Stoff weiter. Das Ende ist das gleiche: Der Krieg in all seiner Grausamkeit dauert zehn Jahre, Troja geht unter in Blut und Asche, die Überlebenden, die nicht zu fliehen vermochten, und Trojas verbliebener Reichtum werden unter den Siegern aufgeteilt, genau wie Homer es beschrieben hat. Hektor tötet Patroklos, Achill tötet Hektor, Paris verletzt Achill tödlich an der Sehne, das trojanische Pferd wird trotz der Warnung des Laokoon in die Stadt gezogen, Troja fällt, die Frauen werden vergewaltigt und getötet oder in die Sklaverei verschleppt.
Wie in der antiken griechischen Tragödie nimmt das unerbittliche Schicksal seinen Lauf. Rache an Iphigenies Tod führt zum Gattenmord, dieser führt zum Muttermord. Der Fluch, der auf dem Hause der Attriden lastet, wird auch in diesem Buch bis aufs letzte Jota erfüllt. Erst die Reinigung und Sühne vor dem Orakel zu Delphi können den Fluch und den Wahnsinn beenden.
Vor Jahren hatte auch Christa Wolf Homer aus Frauensicht umgedeutet: Kassandra, ein beeindruckendes Buch. Oder Marion Zimmer Bradley, "Die Feuer von Troja". Und etliche Autorinnen mehr. Wir sehen also, Jennifer Saint steht nicht im luftleeren Raum. Homer, der alte Macho, wird es ihr nicht danken. Wir aber schon.

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Veröffentlicht am 27.12.2022

Dschungel bleibt Dschungel

Als Rangerin im Politik-Dschungel
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Ein wild gewordener Politiker kann genauso rabiat werden wie ein wütender Elefant. Da sind in der Tat Parallelen zulässig. Wie war das damals, als Scharping in den Urlaub flog? Mit einem Flugzeug der Luftwaffe? ...

Ein wild gewordener Politiker kann genauso rabiat werden wie ein wütender Elefant. Da sind in der Tat Parallelen zulässig. Wie war das damals, als Scharping in den Urlaub flog? Mit einem Flugzeug der Luftwaffe? Wie oft wurde eigentlich die deutsche Luftwaffe für private Flüge von Politikern mit Familienangehörigen missbraucht? Oder als Gutenberg die Gänsefüsschen in seiner Doktorarbeit wegließ? Da liefen auch die entsprechenden Pressestellen Sturm. Und löste gleich den nächsten Sturm aus, als sämtliche Doktorarbeiten von amtierenden Politikern unter die Lupe genommen wurden und manche dubiosen Doktortítel gleich mit.
Maria Henk hat vollkommen Recht mit ihren Beobachtungen. Politik und Savanne und Dschungel haben viele gemeinsame Züge. Hüben wie drüben gibt es einmal die Big Five, Elefant, Büffel, Löwe, Leopard und Nashorn. Bei uns sind es der/die Kanzler*, Bundespräsident, Minister und Partei- und Fraktionsvorsitzende. Wobei der Bundespräsident fast nur noch repräsentative Funktionen innehat. Sobald er es einmal wagt, Dinge beim Namen zu nennen, muss er gehen, wie es mit Horst Köhler geschah.
Doch sowohl in Afrika als auch in Berlin gibt es nicht nur die Big Five. Es gibt auch die “Zweite Reihe”, wie Henk die weniger spektakulären Tiere nennt, Zebras, Antilopen, Warzenschweine,Stachelschweine, die sich durch Flucht oder durch Angriff auf den jagenden Löwen oder Leoparden sehr effektiv zu wehren wissen. Und in der Politik? Nun, Martin Schulz, Andrea Nahles oder Sigmar Gabriel, sie wurden von den eigenen Parteimitglieder (die “Zweite Reihe”) abserviert und blieben nicht lange an der Spitze der SPD. Das ist wohl die wahre Macht der Demokratie, auch die Großen in ihre Schranken zu setzen oder zu Fall zu bringen. Auch in dem sehr strukturierten und organisierten Termitenbau findet Maria Henk Parallelen zu den Tausenden Mitarbeiter des Berliner Politikapparates, in den Ministerien, im Bundestag und im Bundesrat, in den Parteizentralen.
Sehr treffend fand ich die Parallelen, die Henk zwischen dem Balzverhalten und den sich paarenden Löwen zieht und der Art, wie in Berlin die diversen Koalitionen zustande kommen. Die Ähnlichkeit ist durchaus gegeben.
Auch der Tod eines Elefanten lässt sich in der Politik nachvollziehen. Durch seinen Abgang schafft er Platz für nachfolgende Politiker. Helmut Kohl zog sich zurück, nach dem kurzen Intermezzo mit Gerhard Schröder von der SPD kam Angela Merkel an Kohls Stelle. Auf Trittin und Künast folgen Baerbock und Habeck.Das Leben in der Savanne und in Berlin geht weiter. Um mit den Worten eines Berliner Bürgermeister zu schließen: “Das ist gut so!”

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Veröffentlicht am 19.12.2022

Waliser und Engländer - immer noch eine explosive Kombination

Die letzte Party
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Das dunkle und fast perfekt symmetrische Titelbild passt perfekt zum makabren Ausgang der Silvesterparty. Gleichzeitig weist die Symmetrie des Titelbildes auf eine andere Symmetrie hin, die im Buch vorkommt. ...

Das dunkle und fast perfekt symmetrische Titelbild passt perfekt zum makabren Ausgang der Silvesterparty. Gleichzeitig weist die Symmetrie des Titelbildes auf eine andere Symmetrie hin, die im Buch vorkommt.
Der Humor im Roman hat mich beeindruckt. Herrlich schräg die Szene, in der sich der englische Polizist mit der walisischen Polizistin in der Pathologie treffen, nachdem sie erst wenige Stunden zuvor einen One Night Stand unter falschen Namen hinter sich gebracht haben. Oder wie erleichtert Ffion ist, dass der Opernsänger tot ist: “Rhys Lloyd ist tot. Er ist wirklich tot. Gott sei Dank!” (S. 41)
Der Aufbau des Krimis ist interessant: Die Handlung beginnt mit der Silvesternacht und dem Morgen des Neujahrstags, in denen wir mehrere Personen kennenlernen. Zuerst einmal Ffion Morgan, die walisische Polizistin, die in diesem Fall ermittelt, und Leo Brady, englischer Polizist und One Night Stand Partner von Ffion. Dann wäre dann das Opfer selbst, Rhys Lloyd. Ehrlich? Wenn mir nicht jemand zuvorgekommen wäre, wäre ich selbst in die Seiten des Buches versunken, um Rhys zu töten. Wie viel berechtigter Hass ihm von allen Seiten entgegenschlägt, sei es aus dem walisischen Dorf oder von den Bewohner der Luxuslodges, ist kaum mehr auszuhalten. Die Ehefrau, die Töchter, die eigene Mutter, das halbe Dorf und die Bewohner der Lodges, sie alle haben berechtigte Gründe, Rhys Lloyd umzubringen.
Von dieser einen Nacht und dem Morgen danach geht die Handlung entlang der Zeitachse in beide Richtungen, als ob Silvester die Stunde Null ist. Die Erinnerungen der Familie und Bekannten gehen chronologisch nach hinten zurück, auf der einen Seite und auf der anderen Seite erfolgen die Ermittlungen der Polizisten vorwärts. Fast symmetrisch steigt die Handlung in beide Richtungen voran: So entsprechen die Erinnerungen vom Heiligabend den Ermittlungen vom 8. Januar, jeweils 8 Tage von der Stunde Null. Rückwärts geht die Handlung bis etwa Ende Juli, als immer mehr Personen präsentiert werden, mit einem Mordmotiv an Rhys Lloyd. Und die Handlung endet im Juni des Folgejahres, als Ffion endgültig den Mörder Lloyds stellt. So schießt sich der Kreis. Der symmetrische Aufbau ist nicht offensichtlich. Er agiert eher im Hintergrund und gibt dem Roman dadurch eine gewisse Struktur und macht das Ganze dadurch interessanter.
Manchmal schlägt der Humor der Autorin voll durch. Andere Male ist er verhalten, wird ironisch, öfters Mal sarkastisch. Die meisten Kapitel enden mit einer Aussage, die das vorher gesagte bestätigt, oder relativiert oder gar zurücknimmt. Und manchmal auf eines der nächsten Kapitel verweist. Am geheimnisvollsten sind diese Sätze, wenn sie ein mögliches neues Mordmotiv an Lloyd aufzeigen.
Oh ja, das Buch ist spannend von der ersten bis zur letzten Seite.

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Veröffentlicht am 05.12.2022

Ein etwas anderer Western

Die tausend Verbrechen des Ming Tsu
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In diesem Buch ist der Held weder ein Cowboy, der einsam durch die Prärie reitet und die Viehherde vor sich hertreibt, noch ein Sheriff, der die Stadt gegen die bösen Viehbarone verteidigt. Nein, es ist ...

In diesem Buch ist der Held weder ein Cowboy, der einsam durch die Prärie reitet und die Viehherde vor sich hertreibt, noch ein Sheriff, der die Stadt gegen die bösen Viehbarone verteidigt. Nein, es ist ein Chinese. Chinesen wurden im 19. Jahrhundert zu abertausenden als billige Arbeitskräfte in die USA herangekarrt für den Bau der Eisenbahnen. Sie waren rechtlos, wurden verachtet und wenn sie auch nur andeutungsweise murten, wurden sie kurzerhand erschossen. Auf einen Chinaman mehr oder weniger kam es nicht an. Und nun wird solch ein Underdog zum Helden des Buches. Was seine Widersacher nicht ahnen, Ming Tsu ist ein Auftragskiller. Als eine Gruppe weißer Männer ihm seine weiße Frau rauben und ihn halbtot prügeln, wird Ming Tsu zu seinem eigenen Auftraggeber. Gnadenlos jagt er durch mehrere Staaten die Bande und tötet sie kaltblütig. Unterwegs schließt er sich eier fahrenden Zirkustruppe an. Das ist ein sonderbarer Zirkus, seine Mitglieder können merkwürdige Wunder vollbringen. Da passen Ming Tsu und der alte blinde Chinese genannt “Prophet” dazu. Unterwegs erschießt oder ersticht Ming Tsu noch einige Bandenmitglieder, aber auch andere, die zwar nicht zur Bande gehörten, aber ihren Tod nicht minder verdient haben. Ming Tsu hinterlässt quer durch die USA und durch das Buch eine blutige Spur. Vom großen Salt Lake in Utah durch Nevada bis hinunter nach Sacramento in Kalifornien, wo es zum letzten großen Showdown kommt, in bester Hollywood Manier. Eigentlich zelebriert Tom Lin jeden Mord den Ming Tsu verübt wie einen kleineren oder größeren Showdown.
Das nüchterne, trockene Narrativ nimmt uns gefangen, schon bald zählen wir nicht mehr mit, wie viele Menschen in diesem Buch sterben, es ist, als würde das Motto der weißen Machthaber umgedreht werden: “Auf einen Whiteman mehr oder weniger kommt es nicht an”. Und wir empfinden auch so, denn trotz allem ist Ming Tsu ein Sympathieträger. Und seine Morde sind erklärbar und eigentlich gerechtfertigt. In einem Land und in einer Zeit in der zuerst geschossen wird und danach nach dem Namen gefragt wird, tötet Ming Tsu nur aus Notwehr und Rache. Keine Habsucht, kein Raub-Motiv. In einem Land, in dem Waffenbesitz auch heute noch als Grundrecht aller (weißen) Bürger angesehen wird, wirft dieses Buch Fragen auf. Wie die alten weißen Männer wohl Tom Lins aufgenommen haben?

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Veröffentlicht am 20.11.2022

Langatmig und trotzdem spannend

Die rätselhaften Honjin-Morde
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Ein Closed Room Krimi aus Japan. Schön. Titelbild und Schrift sind hinreißend. Die langatmigen Beschreibungen und Erklärungen unterstreichen den Charme dieses für uns fremden Universums. Das Buch wird ...

Ein Closed Room Krimi aus Japan. Schön. Titelbild und Schrift sind hinreißend. Die langatmigen Beschreibungen und Erklärungen unterstreichen den Charme dieses für uns fremden Universums. Das Buch wird nicht langweilig. Es tauchen immer wieder merkwürdige Hinweise auf. Ob sie von Bedeutung sind oder den Leser nur irreführen wollen, eine falsche Fährte legen, das wird sich noch zeigen. Letzten Endes finden sich für all diese Hinweise eine logische Erklärung. Sei es die tote Katze, die mal beerdigt wird, exhumiert und wieder beerdigt, die Saiten und Stege des traditionellen japanischen Zupfinstruments, das Samurai Schwert im Schnee, die verschlossenen Türen und Fensterläden, der zerlumpte Fremde dem einige Finger an einer Hand fehlen, die Tagebücher Kanzos, die Familienmitglieder, die erst am Tag nach der Hochzeit und nach den Morden eingeladen wurden, alles ist so geheimnisvoll und detailliert beschrieben, dass wir das Buch nicht loslassen, immer weiter lesen. Die Lösung ist logisch, aber wie bei guten Krimis merkt man das erst im Nachhinein, ja klar, das ist die einzig mögliche Erklärung für den geheimnisvollen Doppelmord. Der sympathische Privatermittler Kosuke Kindaichi ist so ganz anders, als sich die japanische Gesellschaft einen Detektiv vorstellt. Er wirkt leicht zerstreut, verfolgt aber gewissenhaft alle Spuren und geht allen Hinweisen nach, seien sie noch so merkwürdig. Kindaichi findet heraus, in diesem Fall wurde nichts, nicht das kleinste Detail außer Acht gelassen. So gelingt ihm die Auflösung dieses spektakulären Falls. Die langatmigen Beschreibungen, das Beharren auf scheinbar belanglosen Einzelheiten, die sich in die Länge hinziehen, machen das Buch auf seine ureigenste ARt und Weise doch anziehend und spannend. In einer Zeit der rasanten Krimis und Thriller zeigt uns Seishi Yokomizo die Schönheit eines “Slow-Krimis”. Genießt es!

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