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Veröffentlicht am 25.04.2022

Schwungvolle Liebeskomödie mit Regency-Nostalgie

Die Ladys von Somerset – Die Liebe, der widerspenstige Ambrose und ich
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„Die Ladys von Somerset“ bietet eine höchst unterhaltsame und kurzweilige Lesereise ins England der Regency-Zeit.

Die Handlung ist temporeich und romantisch. Vom rasanten Einstieg bis zum fulminanten ...

„Die Ladys von Somerset“ bietet eine höchst unterhaltsame und kurzweilige Lesereise ins England der Regency-Zeit.

Die Handlung ist temporeich und romantisch. Vom rasanten Einstieg bis zum fulminanten Finale spannt die versierte Autorin einen dramaturgisch gut durchdachten Handlungsbogen auf. Die Verwicklungen und das – bewusst theaterhafte – Spiel mit Verwechselungen und Missverständnissen sind amüsant und enthalten clevere Anspielungen auf die berühmten Jane Austen Romane. Dabei ist die Liebesgeschichte (zwei Paare) bittersüß wie ein Earl Grey Tee.

Gerne habe ich die facettenreich ausgestalteten Figuren auf ihrem Weg begleitet. Bei der sympathischen Protagonistin Emma mochte ich ihre Weiterentwicklung im Laufe der Romanhandlung.

Der Stil ist nicht kitschig, sondern zeichnet sich durch eine feine ironische Note aus – insbesondere dann, wenn die Autorin gelegentlich aus der personalen Perspektive Emmas heraustritt und das Geschehen als auktoriale Erzählerin kommentiert. Sprachlich raffiniert sind die Wortgefechte zwischen Emma und Ambrose. Insgesamt ist der Stil frisch und zeitgemäß, ein paar eingestreute altmodische Wörter sorgen für das historische Feeling, ohne dass es je angestaubt wirkt.

Allerdings hätte es bei den Beschreibungen der Theaterbühne, der Wohnhäuser und Landschaften für meinen Geschmack noch mehr ins Detail gehen dürfen.

Ich freue mich bereits darauf, demnächst mit Band 2 der Somerset-Reihe erneut an der Seite dieser liebgewonnen Figuren in die Regency-Welt zu reisen.

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Veröffentlicht am 15.11.2021

Schillerndes Portrait einer starken Frau, ein Fest für die Sinne im tropischen Regenwald und geschäftigen Amsterdam um 1700

Frau Merian und die Wunder der Welt
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Was für ein faszinierender Stoff! Auf den Spuren der emanzipierten Malerin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian (*1647 in Frankfurt am Main; † 1717 in Amsterdam) nimmt die Autorin Ruth Kornberger die ...

Was für ein faszinierender Stoff! Auf den Spuren der emanzipierten Malerin und Naturforscherin Maria Sibylla Merian (*1647 in Frankfurt am Main; † 1717 in Amsterdam) nimmt die Autorin Ruth Kornberger die Lesenden mit auf eine Reise voller Freigeist und Sinneseindrücke in den tropischen Regenwald von Südamerika und ins geschäftige Leben von Amsterdam um 1700.

Die Romanbiografie „Frau Merian und die Wunder der Welt“ hebt sich auf erfrischende Weise ab von dem Einerlei der Sagas rund um Familienunternehmen oder die Identitätssuche in der Familiengeschichte, die sich zurzeit auf dem Buchmarkt tummeln. Denn so ungewöhnlich wie das Leben der echten Maria Sibylla Merian war – sie war die erste Frau auf Naturforschungsreise in den Tropen, noch vor Alexander von Humboldt –, so merkenswert ist auch der Inhalt dieses historischen Romans, der sich dicht an der Biografie von Merian orientiert. Hierbei hat die Autorin vorzügliche Recherchearbeit geleistet, sich aber auch einige dichterische Freiheiten bezüglich der Liebesgeschichte genommen, beides tut dem Roman gut.

Handlung und mein Leseerlebnis
Aufbau: Prolog: Surinam 1700. -- Erster Teil: Niederlande, Amsterdam 1691. -- Zweiter Teil: Surinam 1699. -- Dritter Teil: Amsterdam 1702.
Der Roman erzählt die aufregendste Zeit in Maria Merians Leben (im Alter von 38 bis 55 Jahren).

Prolog: Um das Warten auf die Tropen zu verkürzen, steigt die Autorin geschickterweise direkt mit einer schillernden Vorschau-Szene ein, in der ich als Leserin Maria durch den Regenwald von Surinam begleite und die Pracht der Schmetterlinge bestaune, ein Fest für alle Sinne.

Erster Teil: Die Handlung setzt ein, nachdem die 38-jährige Maria ihren Ehemann verlassen und mit ihren beiden Töchtern Unterschlupf in der Gemeinschaft der Labadisten im niederländischen Friesland gefunden hat. Dort verliebt sie sich in den geheimnisvollen Jan de Jong, einen Schmuggler und Freibeuter, der in den nächsten Jahren immer wieder ihren Weg kreuzen und ihr Geliebter werden wird. Um ihren Traum von einer Forschungsreise in die Tropen zu verwirklichen, siedelt Maria einige Jahre später nach Amsterdam über, wo sie den Lebensunterhalt für sich und ihre Töchter als Mallehrerin und mit dem Verkauf ihrer Aquarelle verdient. Als Leserin erlebe ich Amsterdam intensiv und verfolge gespannt den Besuch des russischen Zaren Peter der Große. Wird Maria es schaffen, den Zaren als Sponsor zu gewinnen?

Zweiter Teil: Das Herzstück des Romans ist Marias Aufenthalt in Surinam (niederländische Kolonie in Südamerika), dort lebt sie bei den Labadisten und macht Forschungsexkursionen in den Regenwald. Die Lebensverhältnisse auf den dortigen Zuckerrohrplantagen werden realistisch und eindrücklich beschrieben. Die Autorin bettet die Erkenntnisse der historischen Maria Merian über das ökologische Gleichgewicht und natürliche Schädlingsbekämpfung auf unterhaltsame Weise in die Handlung ein – ebenso Merians Kritik an den profitgierigen Plantagenbesitzern und deren menschenunwürdigem Umgang mit den afrikanischen Sklaven und Indigenen. Als Leserin finde ich hierbei hochaktuelle Bezüge zu Umweltsünden und Ausbeutung der Menschen der dritten Welt durch die Industrienationen.

Dritter Teil: Zurück in Amsterdam. Nach ihrer Reise veröffentlicht Maria Merian ihr Hauptwerk „Metamorphosis insectorum Surinamensium“, das sie als Künstlerin berühmt macht. Die Liebesgeschichte mit Jan de Jong wird zu einem schlüssigen Abschluss geführt, der mich beim Lesen sehr berührt hat.

Erzählweise und Stil des Romans
Kornberger schreibt durchgängig als personale Erzählerin durch die Augen der Protagonistin Maria Merian. Der Wortschatz ist vielfältig, die Sprache modern, nur in den Dialogen werden für den historischen Flair altmodische Formulierungen eingestreut (z. B.: „Eile dich“). Stilistisch: schnörkellos, ohne schwülstige Verzierungen, was zu der geradlinigen Persönlichkeit von Maria passt. Gerade die analytischen Naturbeobachtungen – beschreibend, ohne zu werten – sind das Markenzeichen der echten Merian. Die Autorin verwebt Wissenswertes über damalige Drucktechniken und Malweisen – z. B. Aquarellieren und Merians Erfindung des Abdrucks vom Abdruck – in dynamische Szenen.

Pluspunkte
Eine reife Heldin für Romantik: Ich finde es erfrischend, endlich mal einen Roman zu lesen, in dem auch eine Frau mit Ende 40 ein prickelndes Liebesleben hat. Ein paar Rezensentinnen auf Amazon kritisieren, die Autorin gebe der frei erfundenen Liebesgeschichte zu viel Raum. Ich sehe dies jedoch positiv, denn die Autorin nutzt die Freiräume der Fiktion, um Romantik und Spannung in den Handlungsbogen zu bringen und für die Protagonistin eine Balance zu schaffen zwischen beruflichem Erfolg und privatem Glück. Das macht die Figur anschlussfähig für die heutige Lebenswelt einer Frau, die Beruf, Muttersein und Liebesleben jongliert. Im Roman verfolgt Maria hartnäckig ihren Traum, ist eine clevere Strategin mit kühlem Kopf, aber investiert auch Herzblut und Leidenschaft. Der Roman besticht durch seine sympathische und vielseitige Hauptfigur. Der Freibeuter Jan de Jong ist eine charismatische Figur. Die Anziehungskraft zwischen den beiden ist glaubwürdig. Es gibt einige knisternde Szenen mit erotischen Anbahnungen, die von der Leserin in der Fantasie weiter ausgestaltet werden dürfen. Originell an den Liebesszenen ist, dass sie zu dem künstlerischen und unkonventionellen Naturell von Maria passen.
Die Handlung ist durchgängig fesselnd, wird getragen von der Protagonistin und den reichhaltigen Schauplätzen, die von der Autorin mit vielen gut recherchierten Details (als Amsterdam-Kennerin konnte ich noch Neues erfahren) ausgestattet werden. Kornberger verpackt die Wissensfülle gekonnt szenisch, was ein leichtgängigen Lesevergnügen bewirkt.

Meine Kritikpunkte
Maria Merians beiden Töchter bleiben als Romanfiguren leider beim Lesen (für mich) blass, dabei bietet ihre Biografie Anknüpfungspunkte, denn insbesondere mit der jüngeren Tochter verband Merian eine enge künstlerische Zusammenarbeit. Im Roman wirkt das Verhältnis der Mutter zu ihren Töchtern oft emotional distanziert. Sie ist eine fürsorgliche Erzieherin und berät ihre Älteste besonnen bei deren Eheschließung, aber sie vertraut ihren Töchtern nichts über ihre Liebe zu Jan an. Beim Lesen habe ich mir eine tiefergehende Ausgestaltung der Mutter-Töchter-Beziehungen gewünscht.
Zudem war ich enttäuscht, dass die Indigene Aderi nur durchs Bild huschte. Historisch belegt ist, dass Merian eine pflanzenkundige Indigene aus Surinam mit nach Amsterdam brachte – nicht etwa als Sklavin, sondern als ebenbürtige Expertin und Beraterin bei ihrer Buchveröffentlichung. Ich hätte gerne mehr über Aderi und die Freundschaft der beiden Frauen erfahren.

Fazit
Der Roman entfaltet ein lebendiges und facettenreiches Portrait von Maria Sibylla Merian: Sie ist ganz taffe Strategin und Forscherin, feinsinnige Künstlerin und gleichzeitig ganz feminine und leidenschaftliche Frau. Was an Merians Blick auf die Insektenwelt damals innovativ war – nämlich die Schönheit wertzuschätzen, die biologischen Funktionsweisen zu erforschen und die Balance der Natur zu respektieren – hat heute im Zeitalter der Umweltkrisen mehr Aktualität denn je.

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Veröffentlicht am 15.11.2021

Bittersüße Liebesgeschichte. Gut recherchiertes Portrait von Hamburg 1951, aber die Filmwelt kommt zu kurz. Tipp: direkt mit Band 2 einsteigen

Das Kino am Jungfernstieg - Der Filmpalast
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Vorab: Der Romantitel und Klappentext grenzen an Etikettenschwindel, denn das Kino am Jungfernstieg gibt es in Band 2 gar nicht mehr, es wurde in einen Jazzclub umgewandelt. Ein Filmpalast wird nur erwähnt ...

Vorab: Der Romantitel und Klappentext grenzen an Etikettenschwindel, denn das Kino am Jungfernstieg gibt es in Band 2 gar nicht mehr, es wurde in einen Jazzclub umgewandelt. Ein Filmpalast wird nur erwähnt und nie szenisch gezeigt, lediglich die letzte Szene spielt auf dem roten Teppich einer Filmpremiere. Auf Einblicke in die Filmwelt – z. B. Dreharbeiten, Kinovorstellung, Betreiben eines Kinos – wartete ich als Leserin vergeblich. Die Protagonistin arbeitet zwar als Cutterin bei der Wochenschau, aber ich erfahre nur, dass sie dabei einen weißen Kittel trägt und sonst gar nichts über den handwerklichen und künstlerischen Prozess. Enttäuschend.

Ich hatte Band 1 und 2 der Saga zusammen gekauft und musste mich durch den ersten Band ziemlich durchkämpfen, denn darin nimmt die Autorin mit 359 Seiten langwierig Anlauf (der Stoff ließe sich auf 100 Seiten verdichten), um dann mit einem Cliffhanger Spannung für Band 2 zu schaffen. Auf das Lesen von Band 1 hätte ich gut verzichten können.

Ich empfehle, direkt mit Band 2 einzusteigen, denn man versteht alles auch so und die Handlung kommt erst dann richtig in Schwung. Die Protagonistin Lili leidet seit dem Autounfall (am Ende von Band 1) nämlich unter Gedächtnisverlust und rekonstruiert die Geschehnisse. Durch diesen Kunstgriff der Autorin erfährt man beim Lesen Stück für Stück alles Nötige.

Handlung in Hamburg 1951: Im Zentrum steht Filmschnittmeisterin Lili, die physisch und seelisch von dem Autounfall (vor 4 Jahren) heilen muss, ihre Familiengeschichte recherchiert und sich aus ihrer unglücklichen Ehe befreit, um endlich ihre große Liebe und ihren Erbanteil zu erkämpfen. Die Vernetzung der Figuren untereinander – geheime Verwandtschaftsverhältnisse und ehemalige Liebschaften – wirkte auf mich arg konstruiert, wobei sich der in beiden Bänden immer wieder erwähnte Kriminalfall bei Dreharbeiten vor dem Krieg unspektakulär auflöst. Meine Erwartung, dass die verschollene Filmrolle die Lösung zu Tage fördert, wurde herb enttäuscht. Damit hat die Autorin ein effekthascherisches Drama aufgebaut, das dann einfach sang- und klanglos im Nichts verläuft. Zudem hat es mich genervt, dass sich das Missverständnis, das die Liebenden voneinander trennt, zwei Mal auf ähnliche Weise wiederholt.

Achtung, Falschinformation vom Goldmann Verlag: Auf dem Klappentext und in den Produktbeschreibungen diverser Online-Portale finden sich inhaltliche Fehler: Die Figur Thea von Middendorff ist keine berühmte „Hollywood-Diva“, kein „internationaler Filmstar“, sondern eine abgehalfterter deutsche Schauspielerin der UFA der 1930er Jahre, die seit Jahren im Exil in der Schweiz keinen Film mehr gedreht hat und nun ihr Comeback versucht. Weiterhin heißt es im Teaser: „Auf ihrer Spur befindet sich der britische Journalist John Fontaine, der Thea von Middendorff nun mit einem Interview kompromittiert.“ Solch eine Szene kommt im Roman nicht vor – weder das Interview, noch lüftet John ihr Geheimnis.
Der Kriminalfall, der hier fälschlicherweise ins Zentrum der Handlung gerückt wird, klärt sich auf den letzten Seiten in einem Absatz durch die Erzählung einer Nebenfigur auf: Ein Kollege berichtet John, wie er kürzlich in einer Akte das Geständnis der Täterin gelesen hat – auch hier findet szenisch nichts statt. Anders als der Klappentext es anpreist, hat der Roman nichts über die Filmwelt zu bieten (bis auf Namedropping von ein paar Filmen und Schauspielern aus der damaligen Zeit), auch nichts Konkretes über das Entstehen der Berlinale. Am Ende schreitet Thea im Blitzgewitter über den roten Teppich des Festivals, mehr erfährt man nicht.

Irreführend ist auch das Buchcover (glamouröse Frau), das zwar ästhetisch ansprechend ist, aber den Kerninhalt und die Atmosphäre des Romans (hart arbeitende und erkrankte Frau geht durch die Ehehölle) verfehlt. Das Cover und der reißerische Teaser mit den Glamour und Spannung versprechenden Signalwörtern mögen in der Vermarktung zwar wirkungsvoll sein, führen aber zur Verärgerung beim Lesen, weil die geweckten Erwartungen nicht eingelöst werden.


Charaktere: Die beiden Hauptfiguren – Lili Paal und ihr Geliebter, John Fontaine – kamen mir beim Lesen lebendig und psychologisch rund vor und ich habe für sie mitgefiebert. Lilis Ehemann Albert kommt nur in wenigen Szenen vor und wird glaubwürdig portraitiert als selbstsüchtiger Musiker mit schwachem Charakter, der sich von Intriganten beeinflussen lässt. Es ist abstoßend, wie er seine Ehefrau zum Sex zwingt, sie finanziell ausnutzt, belügt und betrügt. Damit gelingt es der Autorin, bei der Leserin Wut gegen den abscheulichen Ehemann (den Lili überdies schnarchend und nach Schweiß und Alkohol stinkend neben sich im Bett ertragen muss) zu schüren, wobei sie den Frustrationsbogen etwas überspannt: Warum verlässt Lili diesen Ehemann nicht schneller? Die duldsame Lili verursacht der Leserin einiges an Ungeduld und Mitleiden. Hätte die Autorin die Figur des Albert vielschichtiger angelegt, wären Beziehungsgeflecht und Dramaturgie interessanter gewesen.

Kritikwürdig finde ich die Ausarbeitung der weiteren Nebenfiguren: Lilis Halbschwester Hilde und deren fies intrigierender Ehemann Peter Westphal sind ganz simpel die Bösen (gerade bei Hilde wäre Potenzial für Ambivalenz) und die glamouröse, exaltierte und tablettenschluckende Filmdiva Thea von Middendorff ist ein wandelndes Klischee. Die Autorin beschreibt sie aus der emotionalen Distanz einer schaulustigen Beobachterin und gibt die seelischen Nöte der Schauspielerin der Lächerlichkeit preis, wodurch es auch mir als Leserin schwerfällt, einen echten Menschen hinter der dicken Schminke zu erkennen. Was für eine vertane Chance! Hier wäre Raum gewesen, ein facettenreiches Portrait einer Künstlerin zu zeichnen und über diese Figur die Magie des Filmemachens zu entfalten. Aber nein, Derartiges sucht man im Roman vergeblich. Ebenso klischeehaft überzeichnet ist der heißblütige junge Regisseur.

Zwei gute Freunde von Lili, Filmproduzent Roolfs und ihr Wochenschau-Chef Walter, werden nur schemenhaft charakterisiert und sind sich viel zu ähnlich in ihrer Funktion in der Story als Ratgebende.

Leider bleibt Lilis Nichte, die 20-jährige Gesa, nur eine Randfigur, dabei hätte sie mit ihrem Traum, Schauspielerin zu werden, die Handlung interessant bereichern können.


Zeit- und Lokalkolorit sind sehr gut: Ein großer Pluspunkt ist, wie die Autorin ihre gründliche Recherchearbeit über die gesellschaftliche und juristische Stellung der Frau im Deutschland der 1950er Jahre (z. B. Modalitäten bei einer Scheidung, harte Besteuerung von berufstätigen, verheirateten Frauen, Machtposition der Ehemänner) sowie die Gesetzgebung beim Wiederaufbau der zerbombten Stadt in die Handlung verwoben hat. Das Hamburg der Nachkriegszeit wird im Roman anschaulich und facettenreich beschrieben.

Stil: Die Autorin schreibt flüssig lesbar, sprachlich souverän und atmosphärisch dicht. Nur einige Passage, in denen Figuren seitenlang in Gedanken hin und her überlegen strapazieren die Geduld (besonders dann, wenn man als Leser*in bereits einen Wissensvorsprung gegenüber den Figuren hat).

Fazit: Ein unterhaltsamer Historienroman, sofern man sich damit abfindet, nichts Konkretes über die titelgebende Welt des Kinos zu erfahren. Es ist eine romantische, bittersüße Liebesgeschichte, eingebettet in ein faszinierendes Zeitportrait (besonders zu empfehlen für Hamburg-Interessierte), und eine Emanzipationsgeschichte, denn die Protagonistin erwacht schmerzhaft aus ihrer Naivität und kämpft um ihre Rechte.

Es ist kein Wohlfühlroman, denn es kommen schwere Themen vor (z. B. wie Ehefrauen erzwungenen Geschlechtsverkehr erdulden müssen). Demgegenüber ist nicht stimmig, dass ernstzunehmende Themen wie Medikamentenmissbrauch und ein Nervenzusammenbruch bagatellisiert und auf Schlagzeilen in der Boulevardpresse reduziert werden. Tiefgang und Seichtes liegen in diesem Roman dicht nebeneinander.

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Veröffentlicht am 09.11.2021

Langatmiger Anlauf zu Band 2 der Saga ohne Insider-Wissen über das Kino der Nachkriegszeit

Das Kino am Jungfernstieg
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Enttäuschend: große Langeweile statt großes Kino. Als Cineastin und Hamburg-Kennerin war ich begeistert von dem, was der Klappentext (es geht um eine Film-Cutterin 1946 im zerbombten Hamburg) und das Interview ...

Enttäuschend: große Langeweile statt großes Kino. Als Cineastin und Hamburg-Kennerin war ich begeistert von dem, was der Klappentext (es geht um eine Film-Cutterin 1946 im zerbombten Hamburg) und das Interview mit der Autorin – selbst Tochter eines Filmkomponisten in der Ära des Hamburger Nachkriegskinos – versprachen, beim Lesen wurde ich jedoch herb enttäuscht. Dabei wollte ich den Roman so gerne mögen. Es ist sympathisch, was die Autorin im Nachwort über ihren biografischen Bezug und ihre Recherchen schreibt, aber leider ist es ihr nicht gelungen, ihr Insider-Wissen szenisch in den Roman zu einzuarbeiten. Dass ihr Vater Michael Jary mit den Größen des Nachkriegskinos verkehrte und die Autorin als Kind ein Autogramm von Zarah Leander bekam, macht sich als Verkaufsstory für den Roman zwar gut, verhilft dem Roman jedoch leider nicht zu Qualität und inhaltlicher Tiefe.

Auf spannende Details und glamouröse Anekdoten über die damalige Filmwelt wartet man vergeblich. Bis auf Name-Dropping hier und da über Schauspieler und Filme des deutschen Nachkriegskinos, was ebenso in Wikipedia nachzulesen ist, bietet der Roman KEINE Szenen, die Dreharbeiten oder auch die Nachbearbeitung im Schneideraum lebendig und miterlebbar machen. Ja, in zwei Szenen wird ein Dreh bei Nacht in den Trümmern beschrieben, aber alles, was ich lese, ist: Am Set scheinen helle Scheinwerfer, der Pistolenschuss wird aus Sicherheitsgründen von einem britischen Offizier abgeben und dann ruft der Regisseur „Schnitt“. Mehr nicht? Nein, mehr nicht.

Ein paar blutleere Fakten werden über die Tätigkeit der britischen Film Section eingestreut, die für die Entnazifizierung der Filmschaffenden zuständig ist. Diesen Aspekt zeigt die Autorin durch die Figur des britischen Offiziers John Fontaine, der jedoch arg blass bleibt. Einen kritischen Blick – z. B. durch die Augen des Briten – auf die deutsche Filmwelt im Spannungsfeld zwischen Nazi-Ideologie, Mitläufertum und subversiver Gegenströmung sucht man vergeblich.

Besonders enttäuscht war ich von der Protagonistin Lili Paal (25 Jahre), Schnittmeisterin beim Film: Es gibt keine Szene im Schneideraum, in der ich als Leserin miterlebe, wie sie ihren Beruf ausübt und wie der handwerkliche und künstlerische Prozess des Filmschnitts abläuft. Was für ein verschenktes Potenzial! Darüber hinaus hat mich bei Lili die Charakterisierung genervt: Deren Gedankenwelt und Verliebtsein ähnelt zu sehr der zweiten weiblichen Hauptfigur, einem Backfisch von 16 Jahren (Lilis Nichte Gesa). Ständig wiederholt die Autorin die gleichen banalen Gedanken von Lili, in denen sie jede verbotene Berührung mit Fontaine analysiert. Da werden Nichtigkeiten seitenlang ausgewalzt, immer auf die gleiche Art. Die eine große Liebesszene fand ich ungelenk geschrieben, wenig Knistern und Erotik, stattdessen zähe Gespräche und konstruierte Missverständnisse bei der Zigarette danach. Und dann plötzlich ein Autounfall, damit mal was Dramatisches passiert.

Was nur angerissen wird: Lilis Jugend als Hamburger Swing Girl vor dem Krieg, diese Jugendbewegung leistete politischen Widerstand gegen das Nazi-Regime. Das wird nur in ein paar Sätzen angedeutet. Auch dieses vielversprechende Thema lässt die Autorin ungenutzt links liegen.

Der im Klappentext als charismatisch gepriesene Filmregisseur Leon Caspari hat nur drei Auftritte im Roman und wirkt wie ein wandelndes Klischee des heißblütigen Südländers und impulsiven Künstlers.

Holzschnittartig sind auch die weiteren Nebenfiguren, besonders die fiese Halbschwester Hilde und deren Mann werden platt als die Bösen präsentiert, ohne jegliche Ambivalenz.


Und was verspricht der Titel des Romans? Dass ich etwas über das Betreiben des Kinos am Jungfernstieg erfahre. Auch hier Fehlanzeige. Es gibt nur zwei Szenen, die tatsächlich in diesem Kino spielen. Der heruntergekommene Kinosaal wird beschrieben und der Filmvorführer sagt, dass er seine Maschinen gut pflege. Das Publikum bleibe aus, weil das Geld für die Heizung fehle und die gezeigten Filme zwei Jahre alt seien. Das war‘s.

Das größte Problem ist meines Erachtens jedoch, dass Autorin und Verlag für eine bessere Markttauglichkeit aus der Storyidee unbedingt eine Dilogie – Saga über zwei Bände – machen wollten. Dabei hätte die Story viel besser kompakt in 1 Roman von rund 400 Seiten erzählt werden können. Aber stattdessen nimmt die Autorin hier in Band 1 mit 359 Seiten Anlauf (und endet mit einem Cliffhanger) für Band 2, wo es dann erst richtig losgeht. Diese aufgeblähten Banalitäten und Wiederholungen aus Band 1 lassen sich gut auf 100 Seiten einzudampfen.

Sprache und Stil der Autorin sind solide.


Jetzt hat Band 1 meine Geduld schon arg strapaziert. Alle meine Erwartungen, was ich gerne über das Hamburger Nachkriegskino erfahren hätte, sind unerfüllt geblieben und wegen des Cliffhangers hängen alle Storyteile unvollständig in der Luft. Frustrierend. Soll ich nun Band 2 anfangen und der Kino-Saga eine zweite Chance geben, in der Hoffnung, dass doch noch etwas Interessantes kommt?

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Veröffentlicht am 07.09.2021

Ein Mädchen kämpft für seine Selbstbestimmung - schonungslos und kraftvoll erzählt

Das Mädchen mit der lauternen Stimme
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Abi Daré zeichnet in ihrem Roman den beschwerlichen, aber immer hoffnungsvollen Weg vom „Mädchen mit der lauternen Stimme“ nach. Die vierzehnjährige Adunni wird in Nigeria in eine Welt hinein geboren, ...

Abi Daré zeichnet in ihrem Roman den beschwerlichen, aber immer hoffnungsvollen Weg vom „Mädchen mit der lauternen Stimme“ nach. Die vierzehnjährige Adunni wird in Nigeria in eine Welt hinein geboren, in der alleine die Männer das Sagen haben: Frauen haben sich unterzuordnen und haben keinen eigenen Wert, sie haben ihren Vätern und Ehemännern als Arbeitskraft und Gebärmaschinen zu dienen.

So ist auch die junge Protagonistin der Willkür ihres Alkoholiker-Vaters vollkommen ausgeliefert, der sie nach dem Tod der Mutter entgegen seines Versprechens an sie an einen alten Mann verschachert, der schon zwei Frauen hat und das Mädchen rücksichtslos für seine sexuelle Befriedigung missbraucht und von ihr erwartet, ihm einen Sohn zu gebären.

Adunni jedoch hat einen großen Lebenswunsch in sich, der wie ein Feuer brennt und ihr Kraft und Antrieb gibt, sich aus ihrer trostlosen Lage zu befreien: Sie möchte ihren Kopf mit Wissen füllen und Lehrerin werden. Für sie ist Bildung der einzige Ausweg aus ihrer Sackgasse, es ist ihr Schlüssel zur Selbstentfaltung und Selbstbefreiung.

Positiv durch die Geschichte getragen und beeindruckt hat mich die lebensfrohe Natur der Protagonistin, die sich trotz aller Qualen nicht unterkriegen lässt.

Die Autorin schildert das harte Leben der jungen Adunni schonungslos: Mit einer einfachen und dabei sehr authentischen Sprache und einem sympathischen Tonfall, der frei von Selbstmitleid ist, komme ich als Leserin der Protagonistin nahe, fühle mit ihr und teile ihre Hoffnung, sich aus der Unterdrückung befreien zu können.

Der Roman hat mir viele Einsichten in die Welt eines Mädchens in Nigeria eröffnet und auch meinen Blick auf mein eigenes Leben erweitert – im Vergleich zu den abscheulichen Verhältnissen in Nigeria lebe ich in Deutschland vorzüglich – wobei es hier um RECHTE für Mädchen geht, nicht um Privilegien. Jedes Mädchen überall auf der Welt sollte das Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper haben und das Recht auf Bildung und gesellschaftliche wie politische Teilhabe und Mitbestimmung. Leider ist das in vielen Ländern dieser Welt noch ein weiter Weg.

Umso wichtiger ist es, dass es solche Bücher gibt, die uns in unserer europäischen Wohlstandsblase daran erinnern.

Das Cover des Buches mit den starken Farben spricht mich sehr an und passt zu den Kontrasten der Geschichte.

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