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Veröffentlicht am 04.09.2022

Das Leben kann schlimmer sein als jeder Albtraum. (Stephen King)

Kein Entkommen - Still Missing
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Die Maklerin Annie O’Sullivan lebt mit Freund und Hund ein beschauliches Leben im kanadischen Vancouver Island, das von einer auf die andere Sekunde aus den Fugen gerät. Bei einer Open-House-Besichtigung ...

Die Maklerin Annie O’Sullivan lebt mit Freund und Hund ein beschauliches Leben im kanadischen Vancouver Island, das von einer auf die andere Sekunde aus den Fugen gerät. Bei einer Open-House-Besichtigung wird Annie von einem vermeintlichen Interessenten überfallen, betäubt und in eine Hütte mitten im Wald verschleppt, wo sie dann ein Martyrium aus körperlichem und seelischem Missbrauch erlebt, aus dem sie sich über ein Jahr lang nicht befreien kann. Nach der Befreiung ist es Annie kaum möglich, in ein normales Leben zurückzukehren. Bei der Aufarbeitung der Geschehnisse gemeinsam mit einer Therapeutin kommt erst nach und nach an die Oberfläche, warum es ausgerechnet Annie getroffen hat und wie perfide der Täter vorgegangen ist…
Chevy Stevens hat mit „Kein Entkommen-Still Missing” einen spannenden Psychothriller vorgelegt, der den Leser von der ersten bis zur letzten Seite an den Seiten kleben lässt und ihn dabei gut zu unterhalten weiß. Der flüssige Erzählstil bringt den Leser schnell an die Seite von Annie, wo er gemeinsam mit ihr an den Therapiesitzungen teilnimmt, anhand derer er das ganze Ausmaß des Verbrechens an Annie aus erster Hand geschildert bekommt. Die Autorin hat sich mit ihrer Art, die Handlung an den Leser zu bringen, eines geschickten Tricks bedient. Auch wenn man schon schnell weiß, dass Annie dem Verbrecher entkommen konnte, so erfährt er doch erst durch die laufenden Therapiebesuche nach und nach, wie perfide der Täter agierte und wie sehr er Annie malträtiert hat. Dabei stellt man sich unentwegt die Frage, wer Annie dies angetan hat und vor allem warum. Die Grausamkeiten, die Annie durchleben musste, während sie ihrem Täter über diesen langen Zeitraum ausgeliefert war, sind kaum zu ertragen; der Alptraum lässt beim Leser die Haare zu Berge stehen und das gesamte Gefühlsbarometer durchlaufen, denn ihre Angst, Verzweiflung und Machtlosigkeit sind konstant spürbar. Auch den polizeilichen Ermittlungen wird in der Geschichte Platz eingeräumt und lässt mit Annies Familien- und Freundeskreis eine Riege von Verdächtigen auflaufen. Der Leser rätselt ununterbrochen mit, wer für die Tat in Frage kommt und wird am Schluss doch überrascht.
Die Charaktere sind lebhaft in Szene gesetzt und kommen mit ihren menschlichen Eigenheiten glaubhaft beim Leser an. Annie ist eine junge Frau, die etwas durchleben musste, was sie wohl nie verwinden wird. War sie früher offen, fröhlich und lebensbejahend, so ist sie nun nur noch ein Schatten ihrer selbst und sich selbst fremd. Sie wagt sich kaum noch aus dem Haus und misstraut jedem, was nach so einer Tat völlig verständlich ist. Dabei zeigt sie aber auch Mut durch den Besuch der Therapiesitzungen, denn sie will nicht nur das an ihr begangene Verbrechen verarbeiten, sondern sucht auch nach Antworten auf ihre Fragen. Die Therapeutin Nadine Lavoie ist behutsam und einfühlsam, sie gibt Annie ein Gefühl von Sicherheit. Polizist Gary ist ein hartnäckiger Kerl, der nicht locker lässt und Annie unbedingt helfen will.
„Kein Entkommen-Still Missing” ist von der ersten Minute an rasant und packend. Die dort beschriebenen menschlichen Abgründe lassen den Leser schauern und hoffen, so etwas nie erleben zu müssen. Verdiente Leseempfehlung für spannende Unterhaltung!

Veröffentlicht am 27.08.2022

Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen, man weiß nie, was man kriegt. (Forrest Gump)

Sonnenblumentage
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Mit ihrer Mutter, einer gefragten Künstlerin, hat Floristin Marie jahrelang ein ruheloses Leben geführt, so dass sie sich nach deren Tod in einem kleinen Dorf in der Nähe von Bamberg niedergelassen hat. ...

Mit ihrer Mutter, einer gefragten Künstlerin, hat Floristin Marie jahrelang ein ruheloses Leben geführt, so dass sie sich nach deren Tod in einem kleinen Dorf in der Nähe von Bamberg niedergelassen hat. Dort arbeitet sie gemeinsam mit ihrem Freund Fabian in einer Gärtnerei und führt ein recht beschauliches Leben, doch richtig zufrieden ist sie im Herzen nicht. Sie stellt ihr Leben insgeheim ständig in Frage und weiß selbst nicht so richtig, welche Richtung sie einschlagen soll. Da trifft es sich gut, dass ein gemeinsames Wellness-Wochenende mit ihrer Tante auf dem Plan steht. Marie erhofft sich davon nicht nur körperliche Entspannung, sondern hofft auch darauf, dass ihr Gedankenkarussel endlich Ruhe gibt. Doch dann kommt alles ganz anders, denn Marie muss plötzlich eine Entscheidung treffen, die weitreichende Folgen für ihr zukünftiges Leben haben wird…
Frieda Bergmann hat mit „Sonnenblumentage“ einen unterhaltsamen Roman vorgelegt, der dem Leser oftmals den Spiegel vorhält, während dieser Protagonistin Marie durch die Handlung begleitet. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil holt den Leser sofort ab und stellt ihn Marie an die Seite, deren Gedanken- und Gefühlswelt wie ein offenes Buch sind und den Leser einladen, daran rege teilzuhaben. Über zwei miteinander verknüpfte Handlungsstränge lässt die Autorin den Leser in Maries Welt eintauchen, indem sie parallel mal den einen Entscheidungspfad, mal den anderen aufzeigt. Je nachdem, welchen Weg Marie einschlägt, entwickelt sich daraus auch ein anderes Ergebnis, das dann auch eine andere Tragweite für ihr Leben hat. Während der Leser Maries Talent für farbenprächtige Blumengestecke regelrecht vor dem inneren Auge bewundern kann, sind es vor allem die innere Zerrissenheit von Marie und ihr fehlender Mut zum Risiko, die den Leser bewegen. Sie ist wie ein Krebs – immer zwei Schritte vorwärts, drei zurück –, einerseits wünscht sie sich Veränderung, andererseits fehlt ihr die Courage, diese selbst in die Wege zu leiten aus Angst, sich falsch entschieden zu haben. Ein Richtig und Falsch gibt es nicht, denn man kann nie wissen, wie es anders ausgesehen hätte, womöglich gibt es sogar mehrere Möglichkeiten, die man gar nicht in Erwägung zog und vielleicht zu einem noch besseren Ergebnis geführt hätte. Ketten müssen gesprengt werden, um endlich frei für das Leben zu sein, indem man sich wohlfühlt. Bergmann gestaltet Maries „zweiseitigen“ Werdegang sehr gefühlvoll und nachvollziehbar, wobei sie ihre Protagonistin eine Wandlung durchleben lässt.
Die Charaktere wirken mit ihren Ecken und Kanten lebendig und glaubwürdig. Der Leser folgt ihnen gern auf Schritt und Tritt, um keinen Moment zu verpassen, wobei er vor allem mit Marie hofft und fiebert. Marie ist eine Frau, die den Tod ihrer Mutter noch nicht verarbeitet hat und sich dahinter versteckt. Das unstete Leben hat ihr nie eine Heimat geboten, so dass Marie sich nun in einem biederen Umfeld wiederfindet und sich in der Beständigkeit eingerichtet hat, obwohl sie sich damit nicht wirklich wohl fühlt. Marie ist unsicher, traut sich selbst nicht über den Weg und will kein Risiko eingehen. Fabian ist nicht gerade der ehrgeizige Typ Mann, Sean das genaue Gegenteil, so dass Marie endlich aus ihrem Schneckenhaus heraustritt und mutiger wird. Ebenso wichtig für die Handlung sind die Tanten Hilda und Vee, Lio, Magnus und einige mehr.
„Sonnenblumentage“ ist ein Roman, der nicht nur seine Hauptprotagonistin Marie vor die Wahl ihres Lebens stellt, sondern auch beim Leser das Gedankenkarussel in Gang bringt, während er schöne Lesestunden mit der Lektüre verbringt. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 14.08.2022

Wenn die Wurzeln tief sind, braucht man den Wind nicht zu fürchten. (chin. Weisheit)

Ein unerwartetes Vermächtnis
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Melissa Green lebt im californischen Pasadena und arbeitet dort recht erfolgreich als Innenarchitektin. Als sie einen Brief erhält, der ihr die Erbschaft über Immobilien von ihrer Großmutter in Colorado ...

Melissa Green lebt im californischen Pasadena und arbeitet dort recht erfolgreich als Innenarchitektin. Als sie einen Brief erhält, der ihr die Erbschaft über Immobilien von ihrer Großmutter in Colorado eröffnet, fällt sie aus allen Wolken. Melissa hat ihre Kindheit als Pflegekind in mehreren Familien verbracht und ihre leibliche nie kennengelernt. Um ihr Erbe zu sichten, ihre Neugier zu stillen und endlich etwas über ihre eigene Familie zu erfahren, reist Melissa in den kleinen Ort Jasper Lake, wo sie schon bald vor fünf historischen Häusern steht. Schon bald steckt Melissa mitten in der Spurensuche nach ihrer eigenen Vergangenheit, bei der sie von Bürgermeister Gabriel Brandt tatkräftig unterstützt wird. Wird Melissa ihre Wurzeln finden und sich mit der Vergangenheit versöhnen können?
Carla Laureano hat mit „Ein unerwartetes Vermächtnis“ einen unterhaltsamen Roman vorgelegt, der nicht nur mit einer gefühlvollen Handlung aufwartet, sondern gleichzeitig beim Leser auch mit lebendigen, farbenfrohen Landschaftsbeschreibungen für ein schönes Kopfkino während der Lektüre sorgt. Der flüssige und empathische Erzählstil lässt den Leser schnell in der Geschichte versinken, um sich zu orientieren und die Protagonisten kennenzulernen. Mit ihren geschickt gesetzten Perspektivwechseln erlaubt die Autorin dem Leser, nicht nur Melissa samt ihrer Gedanken- und Gefühlswelt, sondern auch Bürgermeister Gabriel Brandt gut kennenzulernen. Melissa hat an dem Verlust ihrer leiblichen Familie schwer zu knabbern, obwohl sie ihre Kindheit in liebevollen Pflegefamilien verbracht hat. Sie ist geprägt von Verlustängsten und gerade diese stehen ihr immer wieder im Weg. Das Erbe der fünf Häuser gibt ihr die Möglichkeit, nicht nur als Architektin zu wirken, sondern vor allem etwas über ihre Vergangenheit herauszubekommen, um in ihrer geschundenen Seele endlich Frieden zu finden. Gabriel ist als Bürgermeister des kleinen Ortes sehr engagiert und möchte die historischen Gebäude für Jasper Lake erhalten, wobei er viel Unterstützung der Bewohner bekommt. Die Autorin schafft interessante Parallelen in Melissas und Gabriels Vergangenheit in Bezug auf ihre Familien. Die Spannung steigt mit der voranschreitenden Spurensuche von Melissa und dem Schicksal der fünf historischen Häuser. Der christliche Glaube wird unaufdringlich mit der Handlung verbunden und lässt vor allem die Gespräche zwischen Melissa und Gabriel realistisch wirken. Ihre Zweifel und ihre Hoffnungen werden ebenso thematisiert wie ihre Einstellung zum Glauben. Verzeihen, Vergeben und Gottvertrauen spielen dabei eine große Rolle.
Lebendig gezeichnete Charaktere mit menschlichen Eigenheiten können den Leser schnell für sich einnehmen und lassen ihn mithoffen, miträtseln und mitfiebern. Melissa ist nach außen eine starke Frau, die in ihrem Leben bereits viel erreicht hat. Doch innerlich ist sie auf der Suche nach ihren Wurzeln und ihrer Identität, sie hat Verlustängste und fühlt sich ungeliebt. Deshalb schottet sie ihr Herz und ihre Seele von der Außenwelt ab, gibt kaum etwas von sich preis. Gabriel ist ein offener, sympathischer Mann, der mit seinem Optimismus die Menschen mitreißt. Er ist umsichtig, vertrauenswürdig und vor allem empathisch. Melissas Freundin Sophie ist eine Genießerin und voller Lebensfreude. Delia hat das Herz am rechten Fleck und nimmt andere gern unter ihre Fittiche.
„Ein unerwartetes Vermächtnis“ überzeugt nicht nur mit einer spannenden und tiefgründigen Handlung, sondern auch mit stark ausgearbeiteten Charakteren und plakativen Landschaftsbeschreibungen. Die Lektüre spendiert dem Leser ein schönes Kopfkino, in dem es neben Liebe und Vergangenheitsbewältigung auch um das Heilen von Herz und Seele geht. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 14.08.2022

Die heilsame Wirkung von Blüten und Kräutern

Inselblüten und Meer
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Nach dem Tod ihrer geliebten Mutter hat Teresa in Deutschland ihre Zelte abgebrochen und einen Neustart auf der Baleareninsel Mallorca gewagt, wo sie einen kleinen Laden mit ausgesuchten Geschenkideen ...

Nach dem Tod ihrer geliebten Mutter hat Teresa in Deutschland ihre Zelte abgebrochen und einen Neustart auf der Baleareninsel Mallorca gewagt, wo sie einen kleinen Laden mit ausgesuchten Geschenkideen und Kleidern im Ikat-Muster führt. In den benachbarten Ladenbesitzerinnen hat Teresa schnell gute Freundinnen gefunden, die ihr das Einleben leicht gemacht haben. Eines Tages betritt der Landschaftsarchitekt Simon ihren Laden und bittet sie darum, für ein Geschäftsessen auf seiner Jacht als Blütenköchin zu arbeiten. Simons Mutter Gabriele hat Teresas Mutter in der Reha kennengelernt und ihm von Teresas Talent erzählt. Teresa ist erst einmal perplex, da sie ihre Fähigkeiten zuletzt bei ihrer Mutter eingesetzt hat, um deren schwere Krankheit ein wenig zu lindern. Doch sie nimmt die Herausforderung an und sagt Simon zu. Schon bald lernt sie nicht nur Gabriele kennen, die ihr mit Nachrichten ihrer verstorbenen Mutter einen großen Schatz überbringt, sondern öffnet ihr Herz auch Simon, der allerdings ein Geheimnis hat, was für beide zur Zerreißprobe wird…
Anja Saskia Beyer hat mit „Inselblüten und Meer“ den dritten Teil ihrer Mallorca-Sehnsucht-Reihe vorgelegt, der dem Leser nicht nur eine wunderschöne Auszeit auf der spanischen Insel garantiert, sondern auch mit einer emotionalen Geschichte das Herz des Lesers im Sturm erobert. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil nimmt den Leser gedanklich sofort mit auf Reisen und lässt ihn an Teresas Seite gleiten, die er bis zum finalen Schluss nicht mehr aus den Augen verliert, wobei ihm ihre Gedanken- und Gefühlswelt jederzeit offen steht. Teresa hat schon einige Schicksalsschläge erlebt und hofft trotz in die Brüche gegangener Beziehungen und einer Fehlgeburt immer noch auf die große Liebe und Familienglück, obwohl sie schon Mitte Dreißig ist. Die Begegnung mit Simon und vor allem auch mit seiner Mutter Gabriele bringen bei Teresa lang verschüttete Träume und Talente zum Vorschein. Ihre Begeisterung für Blüten, Kräuter sowie deren natürliche heilbringende Wirkung für das menschliche Wohlbefinden wird mit den wunderschönen Bucket List-Aufträgen ihrer Mutter wieder an die Oberfläche geholt und sofort selbst sowie bei ihren Freundinnen angewandt. Die Ratschläge ihrer verstorbenen Mutter sind für Teresa Balsam für ihre geschundene Seele, die sie auch bei ihren aktuellen Fehlschlägen auffangen und wie ein Anker wirken, an dem sie sich festhalten kann. Die Autorin hat nicht nur die Gefühlslage ihrer Protagonistin wunderbar eingefangen, sondern auch die zwischenmenschlichen Beziehungen der Freundinnen untereinander sowie der Nachbarn. Farbenprächtige Beschreibungen der Örtlichkeiten und Pflanzenwelt bezaubern ebenso wie die warmherzige Lebensart der Mallorquiner, so dass der Leser sich nahezu in einem Kurzurlaub wähnt.
Die Charaktere sind lebendig inszeniert und überzeugen mit glaubwürdigen Ecken und Kanten. Der Leser heftet sich gern an ihre Fersen, um alles hautnah mitzuerleben. Teresa ist eine freundliche und sensible Frau, die sich gut in andere hineinversetzen kann. Sie ist hilfsbereit, offen, warmherzig, aber im Inneren auch unsicher und verletzt. Gabriele hat das Herz am rechten Fleck und wird für Teresa fast schon ein mütterlicher Ersatz. Die beiden verstehen sich auch ohne Worte. Teresas Freundinnen Josy, Liz, Matilda, Amelie und Cecilia sind die Felsen in der Brandung, auf die Teresa immer bauen kann. Sie sind füreinander da und fangen sich gegenseitig auf. Simon ist ein sympathischer Mann, der Verantwortung trägt und dem Werte wichtig sind. Auch sein Sohn Max und Mauro spielen wichtige Rollen in dieser Geschichte.
„Inselblüten und Meer“ spendiert nicht nur einen schönen gedanklichen Kurzurlaub auf Mallorca, sondern unterhält mit einer gelungenen Mischung aus Freundschaft, Liebe, großen Gefühlen und einem farbenprächtigen Inselsetting. Verdiente Leseempfehlung für entspannte Stunden!

Veröffentlicht am 06.08.2022

Traue nur Dir selbst

Sharing – Willst du wirklich alles teilen?
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Markus und Bettina Kern leben mit Teenager-Tochter Leonie in gutsituierten Verhältnissen aufgrund eines vermieteten Wohnhauses und einem eigenen Carsharing-Unternehmens, das Thema Nachhaltigkeit ist ihnen ...

Markus und Bettina Kern leben mit Teenager-Tochter Leonie in gutsituierten Verhältnissen aufgrund eines vermieteten Wohnhauses und einem eigenen Carsharing-Unternehmens, das Thema Nachhaltigkeit ist ihnen sehr wichtig. Eines Abends wartet Markus auf seine Ehefrau, die sich nach dem Sport noch mit einer Freundin treffen wollte. Doch Bettina lässt die halbe Nacht auf sich warten. Dafür erhält Markus einen anonymen Anruf, der ihn über die Entführung von Bettina informiert und mit einem Link für das Darknet, der Markus‘ größte Ängste wahr werden lässt. Kaum hat er die Seite auf dem Computer geöffnet, muss er die Misshandlung seiner Frau mitansehen. Am Ende wird Bettina von Markus in einer Wohnung tot aufgefunden, die ihnen gehört. Aber die Entführer sind mit ihrem grausamen Spiel noch nicht am Ende: während Markus sich als vermeintlicher Mörder seiner eigenen Ehefrau nicht nur von der Polizei jagen lassen muss, wird seine Tochter Leonie ebenfalls entführt…
Arno Strobel hat mit „Sharing-Willst du wirklich alles teilen?“ einen rasanten Psychothriller vorgelegt, der den Leser von der ersten Seite an gefangen nimmt und bis zum Ende nicht mehr loslässt. Der flüssige und sehr bildhafte Schreibstil stellt den Leser sofort an Markus Seite, wo er alle Ereignisse hautnah mitverfolgt. Dabei hat man das Gefühl, der Autor schildert alles in Echtzeit, die Kapitel sind immer mit Uhrzeiten versehen. Über eingestreute Perspektivwechsel bekommt der Leser zudem Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt von Markus‘ Tochter Leonie während ihrer Entführung und kann ihre schreckliche Angst ebenso mitfühlen wie die von Markus. Schrecklich perfide gehen die Täter vor, so dass sich nicht nur der Leser manchmal fragt, ob Markus nicht doch der Täter ist. Auch das Umfeld von Markus lässt ihn sehr schnell fallen, kommt ihm nicht zur Hilfe, nicht mal sein eigener Schwiegervater steht auf seiner Seite. Dabei müsste dieser ihn doch am besten kennen. Markus ist schnell sehr allein und kann niemandem mehr über den Weg trauen, einzig Arbeitskollege Philliplässt ihn nicht im Stich. Aber auch dieser reagiert manchmal komisch, so dass der Leser selber nicht mehr weiß, ob nicht auch er zu den Übeltätern gehört. Strobel schraubt die Spannung immer weiter in die Höhe, zeitweilig liegen seine Beschreibungen sehr stark an der Grenze des Erträglichen, aber er beweist einmal mehr meisterlich, wie er den Leser mit gut gesetzten Worten manipulieren kann.
Die Charaktere sind einfach gehalten, jedoch spiegeln sie sehr glaubwürdig die ganze Spannbreite menschlicher Gefühle und Handlungsweisen wieder, was den Leser sofort mitreißt. Markus ist ein ganz normaler Geschäftsmann, sympathisch und offen. Für seine Familie kämpft er wie ein Löwe, doch wird er im Verlauf der Geschichte auch immer mehr zum Rätsel für den Leser. Tochter Leonie ist wohlerzogen, gerade deshalb bringt sie mit ihren Aussagen ihren Vater in Bedrängnis. Als Leser kann man sich nicht sicher sein, wer gut ist oder zu den Bösen gehört. Das gilt auch für Markus‘ Kollege Phillip, Zufallsbekanntschaft Juss, Bettinas Freundin Sarah oder die ermittelnden Polizeibeamten.
„Sharing-Willst du wirklich alles teilen?“ ist ein sehr fesselnder Psychothriller, der den Leser auf eine rasante Jagd einlädt und erst mit dem finalen Schluss wieder entlässt. Dabei muss er sich einem Verwirrspiel erster Klasse stellen und herausfinden, wer richtig und wer falsch spielt. Verdiente Leseempfehlung für Sogwirkung und Überraschungsmoment!