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Veröffentlicht am 30.10.2021

"Aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man Schönes bauen." (Goethe)

Das Buch der verschollenen Namen
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1942 Paris. Über einen Studienkollege erfährt die Jüdin Eva Abrams, dass Verhaftungen durch die SS bevorstehen. Leider hilft das ihrem Vater nicht weiter, der gefangen genommen und nach Auschwitz deportiert ...

1942 Paris. Über einen Studienkollege erfährt die Jüdin Eva Abrams, dass Verhaftungen durch die SS bevorstehen. Leider hilft das ihrem Vater nicht weiter, der gefangen genommen und nach Auschwitz deportiert wird. Doch gemeinsam mit ihrer Mutter Gelingt es Eva, aus Paris in den Süden Frankreichs zu flüchten, wo sie im kleinen Bergdorf Aurignon unterkommen. Schon bald besteht Interesse an Evas gut gefälschten Dokumenten, die ihr Einlass in eine Gruppe von Widerstandskämpfern verschafft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, jüdischen Kindern mit Hilfe gefälschter Ausweispapiere zur Flucht in die Schweiz zu verhelfen. Dort lernt Eva auch Rémy kennen, mit dem sie gemeinsam ein Buch mit chiffrierten Aufzeichnungen über die wahren Identitäten der Kinder anfertigt und in der Kirchenbibliothek versteckt. Doch dann wird die Widerstandsgruppe verraten, Evas Mutter stirbt, und Rémy ist plötzlich wie vom Erdboden verschluckt…
Kristin Harmel hat mit „Das Buch der verschollenen Namen“ einen Roman vorgelegt, der sich an wahren Begebenheiten orientiert und mit seiner Geschichte zu berühren weiß. Der flüssige, bildhafte und einfühlsame Erzählstil lädt den Leser ein, Eva und einen wichtigen Teil ihres Lebens kennenzulernen, wobei er sich auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen bewegt. Während der Leser in der Vergangenheit die junge Studentin Eva in Zeiten des Zweiten Weltkrieges begleitet, die Flucht aus Paris in den französischen Süden sowie ihre Arbeit als Fälscherin und Fluchthelferin hautnah miterlebt, trifft er in der Gegenwart auf die inzwischen 80-jährige Eva, die durch einen Zeitungsartikel in der New York Times mit ihrer Vergangenheit und dem in Kriegszeiten angefertigten Buch konfrontiert wird. Spannend verwebt die Autorin den historischen Hintergrund mit ihrer Geschichte, wobei vor allem die Fluchthilfe der mit neuer Identität versehenen Kinder fasziniert. Die Dokumentation ihrer alten Identität ist nicht neu, wurde schon in Polen praktiziert, worüber es ebenfalls einige Geschichten gibt. Dennoch ist es immer wieder faszinierend und vor allem bewunderungswürdig, wie einfallsreich und vor allem wie selbstlos doch viele Menschen zur damaligen Zeit gewesen sind, ihr eigenes Leben für andere in Gefahr zu bringen. Das zeugt von Mut und Nächstenliebe, aber auch von Weitblick. Jeder Widerstand gegen die damalige Naziherrschaft gab den Verfolgten Hoffnung. Dass die Widerstandsgruppe von den eigenen Mitmenschen verraten wurde, ist eine bittere Erfahrung, die viele zur damaligen Zeit machen mussten. Harmels Mix aus Tatsachen und Fiktion ist ihr sehr gut gelungen und macht die vergangene Zeit wieder sehr lebendig, so dass der Leser während der Lektüre durch ein wahres Gefühlsbarometer jagt. Das Ende kann allerdings nicht ganz überzeugen.
Die Charaktere sind liebevoll in Szene gesetzt, bestechen durch glaubhafte menschliche Ecken und Kanten. Sie können den Leser schnell für sich gewinnen, der ihnen auf Schritt und Tritt folgt. Eva ist eine starke und mutige junge Frau, die trotz ihres eigenen Schicksalsschlages mit ihrem Talent alles dafür tut, um andere zu retten. Ihre Mutter ist geradezu ein Klotz an ihrem Bein, denn sie verschließt die Augen vor der Realität und lädt all ihre Wut und Resignation bei ihrer Tochter ab. Rémy ist ein warmherziger Mann, der mit allen Mitteln gegen das Unrecht ankämpft und sich vor die Verfolgten stellt.
„Das Buch der verschollenen Namen“ ist ein spannender und emotionaler Roman, der dem Leser die schrecklichen Erlebnisse der damaligen Zeit noch einmal sehr lebendig präsentiert und dabei die Botschaft vermittelt, dass sich so etwas hoffentlich nie wiederholen wird. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 03.10.2021

„Die Pracht der Gärten aber hat stets die Liebe zur Natur zur Voraussetzung.“ (Germaine de Staël)

Die Gärten von Heligan - Spuren des Aufbruchs
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Die Londonerin Lexi hat unter falschen Namen einen Job zur Planung der Jubiläumsfeier der „Lost Gardens of Heligans” angenommen, der sie vor ihrem Ex-Freund nach Cornwall flüchten lässt, um dort zur Ruhe ...

Die Londonerin Lexi hat unter falschen Namen einen Job zur Planung der Jubiläumsfeier der „Lost Gardens of Heligans” angenommen, der sie vor ihrem Ex-Freund nach Cornwall flüchten lässt, um dort zur Ruhe zu kommen. Die neue Umgebung, die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten sowie eine intensive historische Recherche lenken sie von ihren Problemen ab. Während Lexi in alten Unterlagen stöbert, stößt sie auf die Geschichte der verwaisten Schwestern Damaris und Allie, die im 18. Jahrhundert auf dem Landgut bei ihrem Cousin gelebt haben, dessen Grund nun die „Lost Gardens of Heligans“ beherbergt…
Inez Corbi hat mit „Spuren des Aufbruchs“ den ersten Band ihrer „Gärten von Heligan“-Reihe vorgelegt, der nicht nur durch die farbenprächtigen Beschreibungen der sagenhaften Gartenanlagen besticht, sondern vor allem mit einer Geschichte über zwei Zeitebenen gut zu unterhalten weiß. Wer die Geschichte der Gründerfamilie Tremayne kennt und auch den wunderschönen Gärten einmal einen Besuch abgestattet hat, wird auf diese Geschichte gespannt sein. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil der Autorin lässt den Leser schnell in dem Plot versinken, der sich über zwei Zeitzonen spannt und aus drei Perspektiven erzählt wird. So steht man abwechselnd mal an der Seite von Lexi in der Gegenwart und dann wieder mal an der von Allie oder Damaris in der Vergangenheit. Lexis Schicksal wird fast nur zwischen den Zeilen deutlich, dennoch ist es dramatisch und mutet fast an wie eine Flucht. Durch sie erfährt der Leser alles über die Planung der Festivitäten rund um das Jubiläum der Gärten. Mit Damaris und Allie taucht der Leser ab ins 18. Jahrhundert, wo die beiden Vollwaisen bei ihrem Cousin Henry Tremayne aufwachsen. Damaris wacht über ihre kleine Schwester, die unter Rachitis leidet. Henry Tremayne erkennt schnell Damaris Zeichentalent und nimmt sie mit auf eine Reise zu den schönsten Gärten Englands, um dort Inspiration für die Erschaffung eines eigenen Gartens zu bekommen und Damaris Entwürfe fertigen zu lassen. Neben Geschichte über die Entstehung der Gärten gibt es zudem noch eine dramatische Liebesgeschichte. Die Autorin hat historisch belegte Fakten wunderbar mit ihrer Fiktion kombiniert und eine fesselnde Geschichte daraus gezaubert, die den Leser durchweg zu fesseln weiß.
Die Charaktere sind lebendig und glaubwürdig in Szene gesetzt, so dass der Leser sich ihnen gern anschließt, um ihre einzelnen Schicksale genauer zu erkunden. Lexi wird getrieben von ihrer Angst, so dass sie allem und jedem gegenüber misstrauisch auftritt. Sie bleibt eher für sich und lässt deshalb auch den Leser nicht sehr nahe an sich heran. Damaris ist ein herzensguter Mensch und vor allem mit künstlerischem Talent gesegnet. Sie gibt so schnell nicht auf und hält an ihren Zielen fest. Allie ist eine Kämpfernatur, dabei offen und lebensfroh, obwohl das Schicksal nicht gerade gut mit ihr gemeint hat. Henry Tremayne ist ein liebenswerter und warmherziger Mann mit einer Vision. Aber auch Julian und einige andere haben wichtige Auftritte innerhalb der Geschichte.
„Spuren des Aufbruchs“ ist ein unterhaltsamer historischer Roman, der einen gelungenen Mix aus Fiktion und wahren Begebenheiten in sich vereint. Neben Familiengeschichte, Liebe und Drama erfährt der Leser einiges über die fantastischen „Lost Gardens of Heligan“, die ihn wünschen lassen, diese baldmöglichst noch einmal zu besuchen. Verdiente Leseempfehlung für eine packende Geschichte!

Veröffentlicht am 02.10.2021

Ein unmoralisches Angebot

Die Rebellinnen von Oxford - Unerschrocken
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Lady Lucinda Tedbury, genannt Lucie, sieht ihr Lebensziel darin, die Frauenbewegung nicht nur in Oxford voranzutreiben. Sie hofft darauf, baldmöglichst einen Verlag ihr Eigen zu nennen, um die Botschaft ...

Lady Lucinda Tedbury, genannt Lucie, sieht ihr Lebensziel darin, die Frauenbewegung nicht nur in Oxford voranzutreiben. Sie hofft darauf, baldmöglichst einen Verlag ihr Eigen zu nennen, um die Botschaft der Bewegung in die Welt hinauszutragen und möglichst viele neue Anhänger zu gewinnen. Dummerweise ist es ausgerechnet Tristan Ballentine, der ihr dabei in die Quere kommt. Lucie kann den Kerl nicht ausstehen und sieht sich nun in direkter Konkurrenz zu ihm, denn auch er ist an dem Verlag interessiert. Tristan will auf eigenen Beinen stehen und sich vor allem von seinem Vater abnabeln. Da sowohl Lucie als auch Tristan gleichgroße Anteilspakete des Verlags erwerben, müssen sie sich notgedrungen arrangieren. Als Lucie versucht, für ihre Ambitionen in der Frauenrechtsbewegung doch noch die tragende Rolle im Verlag zu bekommen, kann sie an Tristan leider nicht vorbei. Dieser steht ihrem Anliegen durchaus offen gegenüber, doch für sein Entgegenkommen hat er eine Bedingung, die Lucie vor ein Dilemma stellt….
Evie Dunmore hat mit „Unerschrocken“ den zweiten Band ihrer historischen „Rebellinnen von Oxford“-Reihe vorgelegt, der neben mutigen Frauen der englischen Frauenrechtsbewegung im 19. Jahrhundert auch immer eine Liebesromanze in sich vereint. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil gewährt dem Leser Eintritt in die damalige Zeit, wo er auf Lucinda stößt, die seit 10 Jahren als schwarzes Schaf ihrer Familie gilt, die sie verstoßen hat und seitdem ihren Lebensunterhalt selbst verdient. Zudem ist sie eine große Verfechterin der Frauenrechtsbewegung und hat sich zur Anführerin hochgearbeitet, so dass ihr ein gewisser Ruf vorauseilt. Um der Bewegung noch mehr Öffentlichkeit zu bieten, ringt sie um Anteile an einem Verlag, wobei sie auf den größten Alptraum ihrer Jugend trifft: Tristan. Er steht für alles, was Lucie verabscheut und noch mehr irritiert sie, dass er in ihr gewisse Gefühle weckt, die sie völlig abgeschottet hat. Genau wie Lucie will auch Tristan etwas beweisen, vor allem seinem Vater, mit dem er ständig im Clinch liegt. Als Mitglied des Hochadels und einzig verbliebener Erbe hegt sein Vater Ansprüche, die Tristan nicht erfüllen will. Dunmore gibt erneut Einblicke in die damals feine Gesellschaft und zeichnet den Kampf der Frauenrechtsbewegung auf. Vor diesem Hintergrund lässt sie ihre prickelnde Liebesromanze stattfinden, wobei sie sich spritziger Dialoge sowie durchaus ansprechender Protagonisten bedient, die den Leser schnell mit ihrem Beziehungskarussell in den Bann ziehen.
Die Charaktere sind lebendig in Szene gesetzt und nehmen den Leser schnell für sich ein, der ihren unterhaltsamen Konkurrenzkampf gerne verfolgt. Lucinda steht seit 10 Jahren auf eigenen Beinen, hat sich ihre Selbständigkeit bewahrt und verschwendet keinen Gedanken an eine eventuelle Ehe. Sie ist eine Frau mit Kämpferherz, energisch und mutig, aber auch jederzeit hilfsbereit für diejenigen, die ihre Unterstützung brauchen. Sie gibt sich nach außen hart, hat aber einen weichen Kern, den sie niemandem zeigen will. Tristan ist ein Mann, der weiß, wie er auf Frauen wirkt. Er besitzt jede Menge Charme, ist intelligent und belesen, langweilt sich aber schnell und ist immer auf der Suche nach dem nächsten Abenteuer. Insgeheim ist er seit seiner Jugend in Lucinda verliebt, doch hat er bisher nicht den Einlassknopf gefunden, der ihn in ihr Herz lässt. Auch mit Catriona, Annabelle und Hattie aus dem ersten Band gibt es ein Wiederlesen.
Mit „Unerschrocken“ knüpft Dunmore an den erfolgreichen ersten Band ihrer Serie an. Auch hier knistert und kribbelt es zwischen den Seiten, während der historische Hintergrund am Leser vorbeizieht und einmal mehr verdeutlicht, dass es nur den starken Frauen von damals zu verdanken ist, dass wir heute mehr Rechte haben. Verdiente Empfehlung!

Veröffentlicht am 28.09.2021

Männer sind wie Tee: vorübergehend muß man sie ziehen lassen. (aus Frankreich)

Die Teehändlerin
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1838 Frankfurt. Tobias Ronnefeldt steht kurz vor einer Forschungsreise nach China, denn das war schon sein Kindheitstraum, wollte er doch immer schon als Naturforscher arbeiten. Sein eigenes mäßig laufendes ...

1838 Frankfurt. Tobias Ronnefeldt steht kurz vor einer Forschungsreise nach China, denn das war schon sein Kindheitstraum, wollte er doch immer schon als Naturforscher arbeiten. Sein eigenes mäßig laufendes Teehandelshaus in der Innenstadt übergibt er für die Reise einem neuen Prokuristen und lässt auch seine Frau Friederike mit schwanger und mit vier Kindern allein zurück. Schon bald stellt sich heraus, dass der eingestellte Prokurist nicht vertrauenswürdig ist und Friederike sich um das familieneigene Geschäft kümmern muss. Schnell übernimmt sie in Abwesenheit ihres Mannes die Verantwortung für das Geschäft, entledigt sich des Prokuristen und führt das Teegeschäft in Eigenregie, bis ihr Ehemann endlich von seiner langen Reise zurückkehrt. Dieser staunt erst einmal nicht schlecht über Friederikes Geschäftstüchtigkeit, doch Tobias Ronnefeldt ist ein Mann seiner Zeit und gar nicht begeistert über Friederikes Eigenmächtigkeiten…
Susanne Popp hat mit „Die Teehändlerin“ den Auftaktband ihrer historischen „Ronnefeldt-Saga“ vorgelegt, in der sie sich sehr nah an der wahren Geschichte des noch heute bestehenden Teehandelsunternehmen Ronnefeldt orientiert und den Leser auf eine spannende Zeitreise zurück ins 19. Jahrhundert einlädt, um diese Familie und ihr Umfeld näher kennenzulernen. Der flüssige, bildhafte und einnehmende Erzählstil verschafft dem Leser schnell einen Platz im Haus der Ronnefeldts, wo er hautnah die Familienverhältnisse, die zwischenmenschlichen Beziehungen sowie das tägliche Geschäft im Kontor mitverfolgen kann. Die akribische Recherche der Autorin lässt nicht nur den historischen Hintergrund wunderbar mit der Handlung verwachsen, sondern gibt auch einen guten Einblick in die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der damaligen Zeit. Tobias Ronnefeldt steht der Familie vor und führt das Geschäft, lebt aber auch seine ganz eigenen Wünsche aus, für die die Familie, allen voran seine Ehefrau zurückstecken muss. Doch Friederike Ronnefeldt ist nicht aus dem Holz gestrickt, die Dinge so zu belassen, wie sie sind. Während der Abwesenheit ihres Gatten muss sie schon bald die Geschicke des Teeladens übernehmen, damit dieses überhaupt überlebt. Frauen wurde in der damaligen Zeit nur die untergeordnete Rolle der Ehefrau und Mutter angetragen, für das Führen eines Geschäfts hielt man sie für ungeeignet. Popp hat diesen Standpunkt sehr gut herausgearbeitet und zeigt auf, wie sehr Frauen in ihrem Wirken und Denken reduziert wurden. Gerade deshalb wirkt Friederike als Protagonistin besonders erfrischend, denn was aus der Not geboren wurde, möchte sie bald nicht mehr missen. Als Leser hofft man einfach, dass sie sich gegen ihren Ehemann am Ende durchzusetzen weiß. Die farbenfrohen Beschreibungen von Tobias‘ Chinareise nebst Schilderungen über Teeanbau und dessen Verarbeitung, aber auch von dem Geschäft in Frankfurt lassen während der Lektüre schnell Bilder vor dem inneren Auge erscheinen.
Liebevoll ausgestaltete Charaktere sind lebendig inszeniert und wissen mit glaubwürdigen Ecken und Kanten zu überzeugen. Friederike ist eine sympathische Frau, die nicht nur über einen langen Zeitraum die Familie allein führen muss, sondern plötzlich auch die Verantwortung für das Teegeschäft tragen muss. Aus der Not geboren, wächst sie schnell über sich hinaus, was sich auch an ihrem Selbstbewusstsein und ihrem Auftreten widerspiegelt. Friederike gewinnt immer mehr an Mut und Stärke, die sie sich so schnell nicht mehr nehmen lassen wird. Tobias ist ein dickköpfiger und egoistischer Mann, der sich selbst verwirklichen will und dafür seine Familie allein zurücklässt. Julius Mertens ist ein undurchsichtiger, mieser Kerl, der mit allen Wassern gewaschen ist, um sich einen Vorteil zu sichern. Paul Birkholz ist ein feiner, talentierter und sensibler Mann, der sich leider unglücklich verliebt. Protagonisten wie Nikolaus, Käthe, Amalie und einige mehr bringen unterschiedlichste Schattierungen in die Handlung und machen sie durchweg kurzweilig.
Mit „Die Teehändlerin“ hat Susanne Popp einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, der mit seiner Handlung aus Fiktion und Realität besticht. Familiengeschichte basierend auf wahren Begebenheiten, Liebe, Intrigen sowie Reisen in die Ferne – dieser bunte Mix überzeugt und lässt auf eine spannende Fortsetzung hoffen. Verdiente Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 26.09.2021

Ein Sittengemälde Frankreichs zu Zeiten Ludwig XV.

Die letzte Tochter von Versailles
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1755 Versailles. Die 13-jährige Véronique Roux, die in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ist, erweckt aufgrund ihrer vielgerühmten Schönheit schon bald das Interesse eines Angestellten König Ludwigs ...

1755 Versailles. Die 13-jährige Véronique Roux, die in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ist, erweckt aufgrund ihrer vielgerühmten Schönheit schon bald das Interesse eines Angestellten König Ludwigs XV., der sich schnell mit Véroniques Mutter über den Preis einig ist. Ludwig, der eigentlich mit Madame de Pompadour eine adäquate Geliebte hat, trifft sich inkognito mit Véronique und macht sie zu seiner Mätresse. Die junge Frau hat keine Ahnung, dass sie dem König von Frankreich zu Willen ist. Doch ihr Schicksal nimmt abrupt einen bösen Verlauf, als sie ein Kind erwartet, denn sie wird gnadenlos durch eine neue junge Geliebte ersetzt.
Viele Jahre später macht Marie-Louise, die erst bei Bediensteten am königlichen Hof aufwuchs, in Paris eine Ausbildung zur Hebamme. Ihre leibliche Mutter hat sie nie kennengelernt und hat auch keinerlei Informationen. Als sie mit dem Anwalt und Königsgegner Pierre die Ehe eingeht, ahnt sie nicht, dass dieser schon bald wegen ihrer unbekannten Mutter nicht nur seine Karriere, sondern auch sein Leben verlieren könnte…
Eva Stachniak hat mit „Die letzte Tochter von Versailles“ neben einer unterhaltsamen Geschichte ein opulentes Sittengemälde Frankreichs im 18. Jahrhundert gezeichnet, dass sich über einen Zeitraum von 40 Jahren zieht. Der flüssige und bildhafte Erzählstil lässt den Leser in die Geschichte eintauchen, wobei er im ersten Abschnitt das Leben der jungen Véronique sowie ihre Zeit bei Hofe kennenlernt. Im zweiten begegnet der Leser Marie-Louise und deren Lebensumständen, um im dritten dann den Sturz des Königs und das Ende der Monarchie sowie die Große Revolution mitzuerleben. Véronique ist eine unschuldige junge Frau, die von ihrer eigenen Mutter aufgrund der großen Armut an einen Bediensteten des Königs verkauft wird. Schon diese Prozedur geht ans Herz, weil damit das Schicksal von Véronique praktisch besiegelt ist. Deren Gefühls- und Gedankenwelt werden dem Leser auf berührende Art offenbart, so dass ihn der Verlauf ihrer Geschichte kaum kalt lässt, als sie in Schwierigkeiten gerät. Ihre Tochter Marie-Louise hat ihre Eltern nie kennengelernt, denkt aber oft über sie nach. Die Ungewissheit führt sie eines Tages dazu, eigene Nachforschungen anzustellen. Die Autorin hat ihre recherchierten historischen Fakten sehr gut mit ihrer Handlung verknüpft und gibt einen guten, wenngleich auch sehr widerlichen, Einblick in die Praktiken am königlichen Hof sowie den ungeschönten Blick auf die Bevölkerung, die sich in jeder Hinsicht der Monarchie zu beugen hatte. Stachniak ruft mit ihren Beschreibungen geradezu eine brutale Ernüchterung beim Leser hervor, der statt königlichem Pomp eher eine unterdrückende, gezwungene und grausame Atmosphäre erlebt, die manchmal nur schwer zu verdauen ist.
Die Charaktere sind detailliert ausgestaltet und wissen den Leser mit ihren individuellen Attributen zu überzeugen. Dieser lässt vor allem Véronique und Marie-Louise nahe an sich heran, denn ihr Schicksal bewegt. Fast noch ein Kind, muss Véronique sehr schnell erwachsen werden, wird in eine Rolle hineingezwungen, hat gefügig zu sein und bei der geringsten Schwierigkeit wird sie entsorgt, ist auf sich allein gestellt. Marie-Louise ist stärker und härter als ihre Mutter, schon als Kind wie ein Wanderpokal herumgereicht, doch mit genug Neugier ausgestattet, den Dingen auf den Grund zu gehen. Ludwig XV. ist ein Mann seiner Zeit, was ihn trotzdem widerlich erscheinen lässt. Monsieur Durand spiegelt die Arroganz des Königshauses wieder. Aber auch Marie-Louises Sohn Jean-Louis sowie ihr Ehemann Pierre haben wichtige Rollen in diesem Stück.
„Die letzte Tochter von Versailles“ lässt den Leser nicht nur die Zeit der französischen Revolution miterleben, sondern vor allem an dem traurigen Schicksal von Véronique und Marie-Louise teilhaben. Opulent, atmosphärisch-dicht und farbenfroh erzählt, ist dieser Roman eine verdiente Leseempfehlung für alle Histofans!