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Veröffentlicht am 31.03.2019

Familienschicksale

Das namenlose Mädchen
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„Alles, was sie sagte, hörte sich irgendwie banal an und wurde dem emotionalen Moment nicht gerecht.“ (S. 378) – dieser im Roman geäußerte Satz könnte auch für diesen gesamten Spannungsroman gelten, der ...

„Alles, was sie sagte, hörte sich irgendwie banal an und wurde dem emotionalen Moment nicht gerecht.“ (S. 378) – dieser im Roman geäußerte Satz könnte auch für diesen gesamten Spannungsroman gelten, der im Januar 2019 als Aufbau-Taschenbuch erschienen ist und 412 Seiten umfasst.
Delia Lamont arbeitet in einer Einrichtung für Pflegekinder und hat ihren Job gekündigt, um gemeinsam mit ihrer Schwester ein Café zu eröffnen. Doch noch hat sie einen letzten Auftrag zu erfüllen: Auf einer Landstraße in Maine wird ein verwirrtes, mit Blut bespritztes fünfjähriges Mädchen gefunden. Fast zeitgleich werden in einem nahegelegenen Haus drei Leichen entdeckt. Nachdem sich herausstellt, dass das Blut am Mädchen von einer dieser Leichen stammt, machen die Ermittler sich auf die Suche nach Zusammenhängen – und Delia versucht, dem Mädchen seine Familie zurückzugeben.
Der Roman beginnt spannend mit dem Auffinden des Mädchens und der Leichen. Auch die Ermittlungsarbeiten der Polizei halten den Spannungsbogen auf einem angemessenen Level und lassen den „Fall Hayley“, wie das Mädchen heißt, als roten Faden das Geschehen durchziehen. Am Ende wird der Fall logisch nachvollziehbar aufgeklärt.
Einen zweiten Handlungsstrang stellt die Geschichte der Schwestern Delia und Juniper Lamont dar. Beide haben aufgrund der Krankheit ihres Vaters und des Verlustes ihrer Eltern ein mitleiderregendes Schicksal hinter sich. Wie nicht anders zu erwarten, begleitet der Schicksalsschlag die Frauen bis in die Gegenwart und sorgt auch in diesem Roman noch für einige Überraschungen. Insofern ist die Story an sich durchaus interessant und spannend zu lesen.
Allerdings ist es der Autorin leider nicht gelungen, das Potenzial des Plots vollends auszuschöpfen: Der Mittelteil des Romans ist stellenweise recht langatmig zu lesen, und – und das ist das wohl größte Manko des Buches – die Charaktere bleiben beim Lesen sehr distanziert, ja sogar fremd. Mir jedenfalls fiel es beim Lesen sehr schwer, mich mit den Handelnden zu identifizieren oder mich in sie hineinzuversetzen, was es wiederum erschwerte, mit ihnen mitzufühlen und mitzufiebern. Der Roman ist und war zweifelsohne interessant zu lesen, in seinen Bann ziehen konnte er mich indes nicht.
Sheehans Sprache ist leicht, gleichmäßig und schnörkellos zu lesen, allerdings versäumt es die Verfasserin, durch mehr Abwechslung im Sprachgebrauch den Spannungsbogen zu unterstützen und dem Lesen Tempo zu verleihen.
Integriert in die beiden Handlungsstränge sind noch Drogen- und Medikamentenmissbrauch bzw. –kriminalität sowie, anhand der Erkrankung des Vaters der Lamont-Schwestern, das Leben mit psychisch erkrankten Familienmitgliedern, was ebenfalls wichtige und ernste Themen sind.
Aufgefallen ist mir zudem, dass im Klappentext von „Dalia Lamont“ die Rede ist, im Inneren aber von Delia.
Alles in allem handelt es sich bei „Das namenlose Mädchen“ um einen Spannungsroman, der flüssig zu lesen ist, der es allerdings aufgrund der oben angeführten Minuspunkte nicht geschafft hat, seine guten Ansätze vollends zur Geltung zu bringen und beim Lesen wirklich mitzureißen: ein Vertreter aus der Kategorie „Spannungsroman“, dem es an Authentizität und Rasanz fehlt, den man gut lesen kann, aber nicht muss.

Veröffentlicht am 27.02.2019

Im Sumpf des Verbrechens

Nacht über dem Bayou
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Bei James Lee Burkes „Nacht über dem Bayou“ handelt es sich um den neunten Band aus der 21 Bände umfassenden Reihe rund um den Ermittler Dave Robicheaux. Erstmals 1996 erschienen, hat der Bielefelder Pendragon-Verlag ...

Bei James Lee Burkes „Nacht über dem Bayou“ handelt es sich um den neunten Band aus der 21 Bände umfassenden Reihe rund um den Ermittler Dave Robicheaux. Erstmals 1996 erschienen, hat der Bielefelder Pendragon-Verlag diesen 464-seitigen Kriminalroman im Januar 2019 neu übersetzt herausgegeben. Weitere Krimis dieser Reihe sollen in den kommenden Jahren folgen.
Es fällt mir schwer, diesen komplexen Roman in wenigen Worten zusammenzufassen. Aaron Crown wurde seinerzeit wegen des Mordes an dem schwarzen Bürgerrechtler Ely Dixon zu 40 Jahren Haft verurteilt. Immer wieder beteuert er seine Unschuld und bittet schließlich Dave Robicheaux um Hilfe, die ihm jedoch verweigert wird. Als dann auch noch ein Fernsehteam sich des Falles annimmt und Ungereimtheiten zutage treten, entwickelt sich eine Spirale an Gewalt, die auch vor Dave nicht haltmacht.
Ich muss gestehen, dass der Roman mich doch sehr zwiegespalten zurücklässt.
Faszinierend ist auf jeden Fall Burkes bildgewaltige Sprache, die Leserinnen und Leser unmittelbar in die Sumpflandschaft Louisianas entführt. Auch seine Dialoge spiegeln treffend das Milieu wider, in dem das Geschehen verortet ist. Man hat so während des Lesens immer das Gefühl, unmittelbar dabei zu sein und saugt die düstere Atmosphäre in sich auf. Ich habe selten einen Roman gelesen, der atmosphärisch so dich gestaltet war. Was sprachlich fasziniert, frustriert allerdings inhaltlich, denn die Welt, die Burke schildert, ist eine düstere: Gewalt, Verbrechen und Korruption scheinen alles zu dominieren. Gerade in der zweiten Romanhälfte häufen sich Verbrechen der brutalen Art, die zwar selten unmittelbar geschildert werden, die aber nichtsdestotrotz nicht weniger bedrückend sind. Zartbesaitete Leser/innen könnten hier mitunter an ihre Grenzen stoßen. Mich selber hat weniger die Brutalität, als vielmehr die absolute Trost- bzw. Hoffnungslosigkeit ein wenig abgestoßen.
Der hier geschilderte Fall ist sehr komplex, dazu kommen rasche Szenenwechsel, was ein hohes Maß an Konzentration beim Lesen erfordert. Für ein entspannendes Nebenbeilesen eignet sich das Buch deshalb wohl eher weniger, und ich muss gestehen, dass es doch ziemlich lange brauchte, bis ich die verschiedenen Erzählstränge und Charaktere erfasst hatte. Trotzdem (oder gerade deshalb) ist das Ende logisch und nachvollziehbar, jedoch sehr überraschend.
Dave selber kommt wie ein typischer Antiheld daher: Selbst Vietnamveteran und trockener Alkoholiker, macht er immer wieder einen ruppigen Eindruck. Nur hier und da zeigt er sich menschlich, vor allem im Kreise seiner ihm Nahestehenden, und mit den Buchstaben des Gesetzes nimmt er es auch nicht so genau – wobei sein letztes Ziel jedoch immer Gerechtigkeit ist. Insofern passt er sehr gut in das Milieu, in dem er ermittelt. Dennoch dauerte es auch hier ziemlich lange, bis es mir gelang, seine Person wirklich zu verstehen, da Informationen über ihn im Roman erst recht spät gegeben werden. Wahrscheinlich wäre es sinnvoll, ältere Bände gelesen zu haben, bevor man zu den jüngeren greift.
Die Zahl der Charaktere in diesem Roman ist recht groß, trotzdem lassen sich die Hauptakteure schnell erfassen.
Auch sie sind plastisch gezeichnet und fügen sich somit gut in das Gesamtwerk ein.
Insgesamt war es vor allem die sprachliche Seite dieses Krimis, die mich persönlich sehr angesprochen hat, mit Inhalt und vor allem Weltbild habe ich allerdings sehr gehadert. Burke legt mit seiner Robicheaux-Reihe Bücher vor, die bestimmt berechtigterweise ihre große Anhängerschaft haben, die aber meinem persönlichen Geschmack wenig entsprechen. Dennoch gibt es von mir eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 30.12.2018

Liebe, Macht und Gewalt

Blutwette
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Mit Julia Durant schuf Andreas Franz eine starke Kommissarin. Nach seinem Tod trat Daniel Holbe dessen Erbe an und führt die Reihe nun mehr fort, sodass die Frankfurter Polizistin hier schon in ihrem 18. ...

Mit Julia Durant schuf Andreas Franz eine starke Kommissarin. Nach seinem Tod trat Daniel Holbe dessen Erbe an und führt die Reihe nun mehr fort, sodass die Frankfurter Polizistin hier schon in ihrem 18. Fall ermittelt. Mit dabei wie immer: ihre bewährtes Team.
Unter dem Titel „Blutwette. Julia Durants neuer Fall“ erschien dieser Kriminalroman im August 2018 bei Knaur Taschenbuch und umfasst 416 Seiten.
Da ich Franz‘ Krimis sehr gern gelesen habe, freue ich mich immer wieder auf einen neuen Fall der Durant. Doch muss ich auch feststellen, dass Holbes Romane nicht an das Original heranreichen.
Worum geht’s in diesem neuen Fall? Der ehemalige Box-Profi Siggi Maurer wird eines Tages erhängt in seiner Wohnung aufgefunden; alles deutet auf Selbstmord hin. Doch da Julia Durant nicht 100%ig überzeugt ist und sich nach und nach Zweifel an einem Suizid auftun, nimmt das Frankfurter Team die Ermittlungen auf. Allmählich zeigt sich, dass Maurer nicht der Saubermann war, für den ihn alle hielten. Als dann auch noch Bezüge zu einem zwei Jahre zurückliegenden Mord an einer Frau aus dem Balkan zu Tage treten, laufen die Arbeiten auf Hochtouren. Doch scheint es Menschen zu geben, die an der Aufklärung dieses Verbrechens wenig Interesse haben.
Im Gegensatz zu den vorherigen Roman brauchte es dieses Mal einige Zeit, bis ich mich in den Fall hineingefunden hatte: Er beginnt zwar, wie gewohnt, mit einem Todesfall, dann werden aber erst einmal verschiedene Szenen und Vorkommnisse geschildert, die im Laufe des Romans nicht unbedingt eine tragende Rolle spielen. Die vielen losen Fäden verwirren beim Lesen eher, als dass sie Spannung erzeugen, und werden am Ende nicht alle befriedigend miteinander verknüpft. Erst ab etwa der Hälfte des Romans steigt der Spannungsbogen allmählich an, jedoch kam ich trotz allem beim Lesen nicht so richtig in den Flow. Einige Ungereimtheiten während der Ermittlungen, warum z.B. Kullmer so vehement auf seinen Undercover-Einsatz beharrt, oder was das Steine in den Weg-Legen von oberster Stelle jetzt wirklich zu bedeuten hat, blieben mir bis zuletzt unklar. Gerade bei Letzterem habe ich den Eindruck, als wollte Holbe einfach noch etwas Skandalträchtiges und Publikumswirksames in die Handlung einbauen. Verschwörungstheoretiker gibt es allerdings, meiner Meinung nach, schon genügend in diesem Land.
Wenn es um Julia Durants privates Schicksal geht, das sich durch alle Bände hindurchzieht, kommt es beim Lesen immer wieder zu Doppelungen, auch werden Details aus ihrem Umfeld geschildert, die für die Handlung an sich keine Rolle spielen, sodass das Lesen zwischendurch recht langatmig erscheint. Natürlich müssen Hintergründe offengelegt werden, damit auch Neueinsteiger/innen in eine Reihe befriedigt werden, doch ist es hier einfach des Guten zu viel. Da hilft es auch nicht, dass sich den Leser/innen immer wieder neue Spuren auftun, in Sackgassen enden und überraschende Wendungen angebracht werden.
Sprachlich lässt sich der Krimi, wie gewohnt, locker und leicht lesen.
Die Charaktere werden detailliert dargestellt und erweisen sich als wandlungs- sowie lernfähig. Besonders Dina hat mich am Ende doch überrascht und hinterlässt bei mir einen zwiespältigen Eindruck.
Der Grundtenor des Buches ist derselbe wie immer: Die Welt ist voller Grausamkeiten, doch gibt es Menschen, die diesen nach bestem Wissen und Gewissen entgegentreten und nicht aufgeben, auch wenn der Kampf endlos erscheint: Grund zur Hoffnung gibt es also allemal, ohne dass die Welt rosarot gemalt wird. Dieses ist eine Botschaft, die mir an diesen Büchern sehr gut gefällt.
Alles in allem handelt es sich auch bei diesem 18. Durant-Band wieder um einen zwar guten und durchaus auch lesenswerten Krimi, wenn man die Durant und ihr Team aber wirklich auskosten und liebgewinnen möchte, sollte man eher zu den älteren Bänden greifen. Von mir gibt es dennoch eine Leseempfehlung, doch sollte man die Erwartungen nicht zu hoch schrauben.

Veröffentlicht am 04.11.2018

Vorsicht Narrentreiben!

Narrentreiben
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Diese Rezension bezieht sich auf die im Romäusverlag erschienene dritte Auflage von 2006.
„En ermordete Villinger Narro, ausgerechnet abg’legt am Schwenninger Narre’brunne.“ – schlimmer geht es nicht. ...

Diese Rezension bezieht sich auf die im Romäusverlag erschienene dritte Auflage von 2006.
„En ermordete Villinger Narro, ausgerechnet abg’legt am Schwenninger Narre’brunne.“ – schlimmer geht es nicht. Das ruft nun schon zum vierten Mal Hubertus Hummel, Lehrer am örtlichen Romäus-Gymnasium, und den Lokaljournalisten Klaus Riesle auf den Plan. Der Fall führt die beiden Hobbyermittler mitten in die Fastnachtshochburgen Villingen, Rottweil und Elzach. Und wieder einmal empfinden sie Kommissar Müller von der Villinger Kripo als störendes Übel. Wer den Fall wohl als Erster lösen mag?
Wohl nur Ortskundige können die Brisanz dieses Falls wirklich erfassen: Zum einen ist die Fasnet den Villingern heilig, da darf niemand stören. Zum anderen besteht zwischen den beiden Teilen der Doppelstadt Villingen-Schwenningen eine alte Feindschaft, die auch durch das Zusammenlegen dieser beiden ehemals selbstständigen Städte nicht aus der Welt geschaffen wurde, zählt Villingen als alte Zähringerstadt doch zu Baden, während Schwenningen ehedem nur eine schwäbische Industriestadt war. Dass hier während der Ermittlungen immer wieder Animositäten zu Tage treten und falsche Spuren gelegt werden, ist nicht verwunderlich. Doch hier liegt auch der Knackpunkt der Geschichte: Der Fall an sich spielt zwar die ganze Zeit über eine latent wichtige Rolle und wird am Ende auch schlüssig aufgeklärt, jedoch tritt die Spannung zugunsten der traditionellen Bräuche, die insbesondere von Lehrer Hummel immer wieder auf dozierende Art und Weise erläutert werden, in den Hintergrund. Dieses ist zwar für interessierte Leser/innen durchaus aufschlussreich, aber eben wenig aufregend für Krimifreunde.
Die beiden Autoren kennen ihre Heimatstadt, das merkt man an den wirklich detaillierten Einblicken in die Stadt Villingen-Schwenningen und die schwäbisch-alemannische Fastnacht. Daneben enthält der Krimi auch viele humorvolle Elemente, wenn z.B. Hummel seiner Rheinländischen Kollegin erklärt: „Wir sind hier nicht in Köln, sondern in Villingen. Da gibt’s keine Weiberfastnacht, da feiern wir eine traditionelle, ernsthafte Fastnacht.“ oder das Ermittlerduo im Wasser landet, weil es den Hästrägern (Kostümträgern) ihre Schemen (Masken) vom Gesicht reißt; aber auch diese humorigen Einlagen versteht man oft vor allem dann, wenn man eben mit den Traditionen einigermaßen vertraut ist.
Die Sprache der beiden Autoren ist flüssig und leicht zu lesen. Speziellere Begriffe, um die ein Roman, der während der Fastnacht spielt, nicht herumkommt, werden in einem „Fasnet-Glossar“ am Ende des Buches erläutert. Dialoge sind von Zeit zu Zeit im (moderaten) Dialekt abgefasst, was hochdeutschsprechende Leser/innen vor Probleme stellen könnte, mir aber sehr gut gefällt. Zu Beginn des Buches werden die „handelnden Personen“ vorgestellt, was ebenfalls hilfreich beim Lesen ist.
Ich selber habe noch eine alte Auflage vom Romäus-Verlag gelesen, auf dessen Cover wunderbare Schemen und Larven, also Masken, abgebildet sind und im Kleingedruckten auch benannt werden. Der Piper-Verlag verzichtete bei seiner Buchauflage leider auf dieses schöne Detail.
Diesen Lokalkrimi habe ich in einem Rutsch durchgelesen, konnte als nicht mehr ganz unwissende Zugezogene eine Menge lernen, habe auch den hintergründigen Humor verstanden und fühlte mich gut unterhalten, aber ein echtes Krimi-Feeling kam einfach nicht auf.

Veröffentlicht am 04.11.2018

Wenn Wespen ausschwärmen, können sie dich töten.

Böse Seelen
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Bei „Böse Seelen“ von Linda Castillo handelt es sich um den achten Teil ihrer Amisch-Thrillerreihe rund um die Polizeichefin Kate Burkholder. Er ist 2017 bei FISCHER Taschenbuch erschienen und umfasst ...

Bei „Böse Seelen“ von Linda Castillo handelt es sich um den achten Teil ihrer Amisch-Thrillerreihe rund um die Polizeichefin Kate Burkholder. Er ist 2017 bei FISCHER Taschenbuch erschienen und umfasst 352 Seiten.
In einer abgelegenen Amisch-Gemeinde im Bundesstaat New York wird die 15-jährige Rachel Esh erfroren im Wald aufgefunden. Da sich zudem noch andere Ungereimtheiten ereignen, sich die Amisch-Anghörigen aber in Schweigen hüllen und die Kooperation mit den „englischen“ Behörden verweigern, wird Kate, selbst ehemalige Amische, um Mithilfe gebeten: Sie soll undercover ermitteln. Dabei sticht sie in ein Wespennest, was sie selbst in Lebensgefahr bringt.
Wer die Vorgängerbände schon kennt, trifft hier auf eine Reihe bekannter Gesichter. Für diejenigen, die neu in diese Reihe hineinschnuppern wollen, werden die Protagonisten, allen voran Kate und ihr Lebensgefährte, John Tomasetti, zu Beginn ausführlich vorgestellt. Überhaupt gilt für alle Charaktere, dass sie sehr lebensnah und menschlich gezeichnet sind – mit Schwächen und Stärken, was das Buch zugleich zu einem Einblick in die menschliche Psyche werden lässt.
Ich selbst habe beim Lesen jedoch Pickles, Glock, Skid, Mona und Kates restliches Team schmerzlich vermisst, da sie diese Thriller immer wieder mit einer Prise Humor würzen.
Castillos Thriller laufen im Grunde nach demselben Schema ab: In einem Prolog wird ein Verbrechen in der Welt der Amischen begangen, es wird in der Amisch-Gemeinde recherchiert, wobei der Leser wirklich eindrückliche Einblicke in die Welt dieser religiösen Gruppe erhält, und am Ende zeigt sich, dass auch bei diesen zurückgezogen und nach strengen religiösen und moralischen Maßstäben Lebenden nicht nur eitel Sonnenschein herrscht. Trotzdem gelingt es der Autorin immer wieder, und so auch hier, die Leser/innen durch unvorhergesehene Wendungen und, vor alllem, dramatische Szenen in ihren Bann zu ziehen. In diesem Roman hat es allerdings bis zur zweiten Hälfte des Buches gedauert, bis es ihr bei mir gelungen ist. Der Anfang dümpelt eher so allmählich vor sich hin, indem die Vorbereitungen für den Einsatz geschildert werden, und erscheint mir persönlich recht langatmig.
Bei der Auflösung des Falls greift Castillo auf ein populäres und in den letzten zwanzig Jahren höchst aktuelles Thema zurück (mehr sei hier nicht verraten), das sie allerdings in eine Welt verlegt, die diesem eigentlich zuwider laufen sollte. Auf der einen Seite ist dieses interessant, an manchen Stellen habe ich jedoch das Gefühl, dass sich in der amischen Gesellschaft alles Böse der Welt potenziert. Zu ihrer Verteidigung sei jedoch hinzugefügt, dass Castillo auch die positiven Seiten dieser kleinen Religionsgemeinschaft hervorhebt, wenn sie Kate z.B. am Ende sagen lässt, sie vermisse das Gefühl von Zugehörigkeit, Solidarität und Freundschaft, die in dieser Gesellschaft noch herrschten.
Die Sprache ist wie immer flüssig und flott zu lesen. Beiträge in „Pennsilfaanisch Deitsch“ sind, was für Deutschsprechende weniger nötig ist, ins Hochdeutsche übertragen und verleihen Authentizität. Die Ermittlungsarbeiten werden aus der Ich-Perspektive und in der Gegenwart geschildert, was dem Leser eine Identifikation und das Eintauchen ins Geschehen erleichtert. Auch die Beschreibungen von Landschaft und Menschen sind sehr atmosphärisch und dicht, die Leser/innen werden regelrecht in die fremde Welt hineingezogen.
Insgesamt handelt es sich bei „Böse Seelen“, auch wenn der Titel anderes verspricht, nicht um den stärksten Band aus dieser Reihe. Es dauerte recht lange, bis ich wirklich gefesselt war, und am Ende blieben noch einige offene Fragen. Trotz allem war auch dieser Thriller wieder eine informative Reise in die Welt der Amischen, wenngleich der Thrill ein bisschen auf der Strecke blieb.