Der zweite Verfassungszusatz
UnschuldCaspar Rosendale war 16 Jahre alt, als er erschossen wurde. Der Täter, Florentin Carver, soll in 35 Tagen hingerichtet werden. Seine Tochter Molly hat nie an die Schuld ihres Vaters geglaubt und erhält ...
Caspar Rosendale war 16 Jahre alt, als er erschossen wurde. Der Täter, Florentin Carver, soll in 35 Tagen hingerichtet werden. Seine Tochter Molly hat nie an die Schuld ihres Vaters geglaubt und erhält über eine Redakteurin, bei der sie putzt, eine ungeahnte Chance, diese Unschuld zu beweisen. Molly kann als Haushaltshilfe unter falschem Namen bei den Rosendails arbeiten. Natürlich soll für die Redakteurin ein reißerischer Artikel dabei herausspringen. Molly läßt sich darauf ein und hofft auf entlastende Beweise.
Die Handlung klingt ebenfalls sehr reißerisch, aber Takes Würger hat gerade keinen klassischen Gerichtsthriller geschrieben. Hier wird eine Gesellschaftsstudie betrieben. Alle Charaktere werden ausgeleuchtet, die Carvers, die am unteren Ende der sozialen Leiter stehen und die unfassbar reichen und privilegierten Rosendales. Vor allem im Verhältnis zwischen den Vätern und Kindern sind die Unterschiede in den beiden Familien eklatant. Beide Mütter kommen nicht besonders gut weg und glänzen durch physische oder psychische Abwesenheit. Da Molly bei ihrem Onkel aufwächst, nachdem ihr Vater ins Gefängnis kommt, ist sie umringt von männlichen Bezugspersonen. Mir hat die Schilderung von Mollys Kindheit bei aller Traurigkeit sehr gut gefallen, ebenso wie ihr aktuelles Leben als 23-Jährige in der Kellerwohnung ihres Onkels. Geprägt auch von ihrem Stottern, ist sie nicht nur bei Wörtern gezwungen, sich Umwege zu suchen. Sie kann nicht sie selbst sein, sie versteckt sich nicht nur im Keller und als nächtliche Putzkraft, sie versteckt sich z.B. auch hinter ihrer Kleidung und möglicherweise auch hinter ihren Tatoos.
Es geht neben den verflochtenen Familiengeschichten auch um das Waffenrecht in den USA. Bei den Rosendales wird dies auf die Spitze getrieben, sicherlich kein Einzelfall, aber für Nicht-US-Amerikaner*innen schon sehr bizarr in den Ausmaßen. Dies führt nochmal bildlich vor Augen, was man sonst nur als immer wiederkehrende Debatte bei Präsidentschaftswahlkämpfen hört.
Die Geschichte beginnt mit einer nur kleinen Einleitung in die Handlung und schreitet dann rasch in eher sachlichem Ton und mit kurzen Sätzen voran. Wir schauen nicht nur Molly über die Schulter, sondern in Rückblenden auch Caspar. So findet ein zweifacher Countdown statt, einmal bis zur Hinrichtung und einmal bis zum Tod von Caspar. Das Buch hat 293 Seiten mit einem üppigen Zeilenabstand, was für ein zügiges Lesen sorgt. Auf einmal ist die Geschichte zu Ende und ich habe überlegt, ob ich sie nicht lieber etwas ausführlicher gehabt hätte, an der einen oder anderen Stelle. Aber der Autor hat alles gesagt und das geht manchmal auch etwas verkürzt. Mir hat der Roman (bei einiger Vorhersehbarkeit) sehr gut gefallen und ich habe noch lange über die Charaktere und ihre Geschichte nachgedacht.