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Veröffentlicht am 19.01.2023

Ginsterhöhe

Ginsterhöhe
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Obwohl ich schon viele Bücher gelesen habe, die in der Zeit nach dem ersten oder um den zweiten Weltkrieg herum angesiedelt sind, bietet mir "Ginsterhöhe" viel Neues. Wissen über einen Ort in der Eifel, ...

Obwohl ich schon viele Bücher gelesen habe, die in der Zeit nach dem ersten oder um den zweiten Weltkrieg herum angesiedelt sind, bietet mir "Ginsterhöhe" viel Neues. Wissen über einen Ort in der Eifel, der Heimatlos wurde. Wissen über die Strukturen des Nationalsozialismus, der Menschen systematisch vernichtet. Wissen über das ländliche Leben in den 20er /30er/40er Jahren. Verpackt in eine Geschichte über Menschen, die durch ihre Heimat verbunden sind, aber unterschiedliche Gefühle hegen gegenüber dem Leben, der Vergangenheit, der Zukunft, dem was Erfolg ausmacht, der Heimat und den Menschen, die ihnen nahe sind.

Albert Lintermann ist einer der Protagonisten. Ein sympathischer Kriegsveteran, der viel zu jung in den Krieg zog und dort schwer verletzt wurde. Sein Gesicht wurde zersprengt oder zerschossen, der einst begehrte junge Mann trägt keine Schönheit mehr nach außen. Die Oberflächlichkeit seiner Mitmenschen wertet ihn ab, man reduziert ihn mehr denn je auf sein Äußeres, vergisst, dass er ein tüchtiger Bursche war, hilfsbereit und beliebt. Das alles scheint an Albert abzuprallen bis sich die Gemüter beruhigen, doch die Ablehnung der eigenen Ehefrau ist kaum zu ertragen und so geschieht ein Unglück, das er noch Jahre später bereut.

Kaum ist Albert wieder auf den Beinen, sieht er sich neuen Gefahren gegenüber. Einem Großgrundbesitzer, der mit seiner Gier perfekt in das Beuteschema der Nationalsozialisten passt. Wer nach materiellem strebt, verlernt Menschlichkeit. Betrügt, um zu gewinnen, verrät, intrigiert.

Anna Maria Caspari hat einen spannenden Roman geschrieben, in dem sie sich nur selten dem klassischen Spannungsbogen bedient, sondern vielmehr die Charaktere arbeiten lässt. Um dem Lebensweg Alberst zu folgen, möchte ich Seite um Seite lesen und das Buch möglichst selten aus der Hand legen. Er ist ein interessanter Protagonist, geht seinen Weg, hat seine Werte nach denen er leben und arbeiten möchte und bedient verschiedene Rollen vom Bauer über den Vater bis hin zum Kriegsveteran.

Eingebettet ist seine fiktive Geschichte in die realen Begebenheiten des 20ten Jahrhunderts. Der Ort Wollseifen, in dem Albert lebt, liegt nahe der NS-Ordensburg Vogelsang, die als Schulungsstätte für den NSDAP Nachwuchs diente. Vogelsang dient heute als Dokumentationsstätte. Wollseifen steht unter Denkmalschutz.

Caspari entwirft einige Figuren, deren Verfolgung durch die Nationalsozialisten von vorneherein klar ist. Sie spielt mit dem, was wir heute über diese Zeit wissen und baut so schon Spannung auf, bevor wir Lesenden überhaupt chronologisch dort landen, wo die Charaktere in Lebensgefahr geraten. Mit "Ginsterhöhe" entwirft sie nicht nur eine spannende Spiegelung der damaligen Zeit und der ländlichen Lebensweise, sondern auch eins der Bücher, die aufklären #gegendasvergessen

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Veröffentlicht am 26.01.2022

Überwintern

Überwintern. Wenn das Leben innehält
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In meiner Instagram Bücherbubble wurde "Überwintern" als DAS Buch empfohlen, das zwischen Ende alten und Anfang neuen Jahres, zwischen Coronakrisen und Mentalload, zwischen Zweifeln und Düsternis unbedingt ...

In meiner Instagram Bücherbubble wurde "Überwintern" als DAS Buch empfohlen, das zwischen Ende alten und Anfang neuen Jahres, zwischen Coronakrisen und Mentalload, zwischen Zweifeln und Düsternis unbedingt gelesen werden sollte. Und es stimmt, Katherine Mays scheint genau diese Gefühle zu verstehen. Sie ernst zu nehmen.

Voller Poesie schreibt sie davon wie es ist in der Dunkelheit zu versinken, zu sehen wie sie sich annähert und sie annehmen zu können, zu müssen. Wie schwer es ist und wie normal. Weil es einigen von uns so geht, wie ihr.

Ich möchte mir ganz viele Sätze markieren, so schön ist Mays Sprache. Ich möchte ihren Text inhalieren und gleichzeitig weiß ich, dass es notwendig ist ihn ganz langsam, Stück für Stück zu lesen. Ich habe so viele ihrer Worte gefühlt und trotzdem sind mir etliche davon wieder abhanden gekommen.

"Überwintern" ist kein Buch, das nur im astrologischen Winter gelesen kann. Es hilft durch jede Art von Winter.

Ich glaube, wenn Ende des Jahres die Kälte heraufzieht, wenn ich merke, dass es mich bedrückt, dass ich all die Aktivitäten, denen ich im Sommer nachgehe, nicht mehr durchführen kann, dann suche ich mir Katherine May als Begleitung und wärme mich an ihren Worten.

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Veröffentlicht am 31.05.2021

Kat und Easy

Die Geschichte von Kat und Easy
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Beim Lesen von Susann Pásztors Roman "Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster" wusste ich, dass ich mehr von der Autorin lesen möchte. Es ist, als ob sie in eine Menschenmenge hinein geht, zwei ...

Beim Lesen von Susann Pásztors Roman "Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster" wusste ich, dass ich mehr von der Autorin lesen möchte. Es ist, als ob sie in eine Menschenmenge hinein geht, zwei oder mehrere Personen herausgreift und beginnt deren Lebensgeschichte aufzuschreiben. Es ist ihr Blick fürs Detail, für die kleinen Sehnsüchte, für die feinen Nuancen, die mich so begeistern. So, als könne sie den Menschen in die Seele schauen.

In ihrem Erzählstil kommt sie ganz ohne Action aus und weiß die kleinen Dinge des Alltags, die scheinbar banalen Abläufe des Lebens in Szene zu setzen. Clever, humorvoll, authentisch.

"Die Geschichte von Kat und Easy" ist die Geschichte zweier Sommer. Schnittpunkte vieler Lebensgeschichten, die voneinander beeinflusst werden. In ihrer Jugend verbringen Kat und Easy, die bis dato noch Isi war, viel Zeit miteinander. Easy bewundert Kat. Ihre erwachsene Haltung, ihr Wissen darüber, wie das Leben so läuft. Kat bewundert Frippe. Möchte dazugehören und doch nicht. Individuell sein ist das non plus ultra. Gefallen wollen das, was tief drinnen der Antreiber ist.

50 Jahre später treffen Kat und Easy wieder aufeinander. Easy hat ihre alte Freundin gesucht, hat sie nie vergessen, während Kat ihr Leben lebte, ohne einen Gedanken an Easy zu verschwenden. Doch jetzt sind sie beide da, auf dieser Insel in Griechenland, wo Easy scheinbar die Heimat gefunden hat, die sie jahrelang in Beziehungen suchte. Es ist ein Treffen zur Aufarbeitung dessen, was damals geschah. 1973, als viel zu viel gekifft wurde, Easy sich darin verlor erwachsen sein zu wollen und Kat in der Eloquenz Fripps. Dem jungen Mann, der ihrer beider Leben durcheinander wirbelte.

Es hat etwas von Coming of Age, denn in meinem Bauch ist sofort dieses Gefühl des Erwachsen seins, das auch ich mit 15/16 hatte. Heute kann ich darüber lachen, früher wollte ich vor allem ernst genommen werden. Dazugehören, gefallen wollen. Den Freundinnen, denen, an denen wir unser Herz verloren, denen, von denen wir glaubten, dass wir ohne sie nicht leben könnten. In einer Zeit, in der wir von Theatralik und Sehnsüchten geleitet werden, gerieten Kat und Easy in eine Spirale, die sie fünfzig Jahre später noch begleitet.

Susann Pasztór springt zwischen den Zeiten. Erzählt mal aus den 70ern (in denen eindeutig zu viel gekifft wurde) und mal aus der Gegenwart. Ich weiß gar nicht, welche Ebene ich mehr mag. Beide faszinieren mich. Das Zusammenspiel beider Lebenszeiten ist es, was diese Geschichte so besonders, so fesselnd machen. Welche Abzweigungen im Leben sorgen dafür, dass wir dort landen, wo wir heute sind? Wie viel davon haben wir selbst in der Hand? Wo lassen wir uns mitreissen? Wo treiben? Belastet uns irgendwann ein "was wäre wenn?" oder gelingt es uns loszulassen? Abzuschließen? Zu verarbeiten?

Susann Pasztór hat mal wieder einen sehr klugen Roman geschrieben über eine Geschichte, die so tatsächlich hätte passiert sein können. Meiner Nachbarin, meiner Oma, der Mutter meiner besten Freundin. Eine Geschichte, die mich begeistert, mitnimmt, die mir Stoff zum Nachdenken bietet. Es lohnt sich sehr Kat und Easy kennenzulernen.

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Veröffentlicht am 08.04.2021

Pferde, Drama, Emotionen

Das Gestüt am See. Stürmische Jahre
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War das ein schöner, aber auch sehr emotionaler Ausflug in die Vergangenheit.

Charlotte von Edzards ist eine junge Frau, die sich den Konventionen ihrer Zeit widersetzt. Statt wie in den 20er Jahren ...

War das ein schöner, aber auch sehr emotionaler Ausflug in die Vergangenheit.

Charlotte von Edzards ist eine junge Frau, die sich den Konventionen ihrer Zeit widersetzt. Statt wie in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts erwünscht, Tischmanieren, Sticken und Musizieren einzuüben, verbringt sie ihre Zeit lieber in den Ställen des Gestüts ihres Vaters Carl von Edzards. Pferde sind ihre große Leidenschaft und das Reiten ihr liebster Zeitvertreib. Insbesondere die Mutter sieht das gar nicht gern und ermahnt Charlotte immer wieder dazu einen angemessenen (gut situierten) Mann zu heiraten.
Als das Gestüt in finanzielle Engpässe gerät, scheint die Heirat mit dem Reederssohn Richard die einzige Lösung. Eine Zweckehe, ohne Liebe.

Einzig Hans, Charlottes Bruder, hat Verständnis für die Pferdeliebe seiner Schwester. Obwohl er selbst zu ängstlich ist, um Rennen zu reiten, erkennt er doch Charlottes Talent im Umgang mit den sensiblen Vollblütern und nimmt ihre Wünsche ernst. Doch gegen den Vater kann auch er sich nicht durchsetzen. Charlotte und Hans werden dazu gedrängt entgegen ihrer Vorstellungen zu handeln, ihre Bedürfnisse und Ängste werden ignoriert und so folgt ein Unglück dem anderen.

Paula Mattis (Pseudonym) hat mich mit ihrer Geschichte genau da abgeholt, wo ich am liebsten bin: in der Gesellschaft von Pferden. Die Autorin ist selbst erfahrene Pferdefrau und bringt ihr fachliches Wissen in den Roman mit ein, was die Darstellung der Gestütsszenen so authentisch und realistisch werden lässt, dass ich das Gefühl habe, tatsächlich in der Zeit gereist zu sein. Da man dort mein reiterliches Vermögen ebenso wenig geschätzt hätte, wie Charlottes, bleibe ich lieber in der Gegenwart. Trotz allem Wissens über das beginnende letzte Jahrhundert, trifft es mich immer wieder wie wenig Rechte Frauen in dieser Zeit hatten. Wie wenig sie wert waren. Auch Charlotte ist Mittel zum Zweck, um das zu retten, was der Vater in den Sand gesetzt hat. Teilweise fahrlässig mit der Überheblichkeit, die ihm als Patriarch der Familie zugeteilt wurde.

Der Auftakt der "Das Gestüt am See" Trilogie ist für mich beste Unterhaltung. Dramatik, Liebe, Emotionen - eingebettet in das Setting eines interessanten und sehr aufrührenden Zeitalters, das immer wieder viele Gedanken in mir aufrüttelt. Gerade was die Rechte von Frauen betrifft.

Paula Mattis hat mich mit "Stürmische Jahre" in einen emotionalen Orkan gezogen. Die letzten Seiten des Romans habe ich fast ausschließlich mit Tränen in den Augen verbracht. Zuerst vor Kummer, um all jene, denen sehr übel zugesetzt wird (Mattis ist nicht gerade zimperlich mit ihren Figuren), und dann vor Rührung. Ich freue mich so sehr auf die Fortsetzung "Zeit der Hoffnung", die nach Angaben der Autorin mein Herz wohl wieder zerreißen wird.

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Veröffentlicht am 23.01.2021

Vom Mut im Leben zu stehen, wen der Tod naht

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
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Ausgerechnet in der Woche, in der meine an Krebs verstorbene Mama Geburtstag hätte, greife ich nach einem Buch, in dem es um eine Frau geht, die an Krebs erkrankt ist und daran sterben wird. Es ist die ...

Ausgerechnet in der Woche, in der meine an Krebs verstorbene Mama Geburtstag hätte, greife ich nach einem Buch, in dem es um eine Frau geht, die an Krebs erkrankt ist und daran sterben wird. Es ist die Zeit, in der ich emotional nicht sehr stabil bin und doch lese ich dieses Buch, in dem Sterbebegleitung eine Rolle spielt. Sterbebegleitung kenne ich. Es ist die Zeit, in der ich dabei zusehen musste, wie meine Mama immer weniger wurde. Wie der Krebs sich ihrer bemächtigte und sie von innen heraus auffraß. So wie er es mit Karla macht. Obwohl beide Frauen sehr unterschiedlich sind, habe ich das Gefühl den Weg bis hin zum Tod noch einmal zu gehen. Das schafft Nähe zur Protagonistin, zur Geschichte, und gleichzeitig sorgt es dafür, dass ich mich distanziere. Dass ich den Roman nicht so sehr an mich ranlasse, wie er es verdient hätte.

Es ist eine gute Geschichte. Hoffnungsvoll, ehrlich, direkt, ohne Schmu. Ich mag vor allem die Protagonisten. Karla, die so sehr im Leben steht, obwohl sie weiß, dass sie dieses bald verlassen wird. Die im Reinen ist mit sich selbst und keine verschnörkelte Romantik benötigt, um alte Wunden zu heilen. Fred, der eckig und kantig und rund zugleich ist. Der so gutherzig ist, dass ich ihn immer wieder umarmen möchte. Und sein Sohn Phil, der verkannte Poet, der von der eigenen Mutter keinerlei positive Bestärkung kommt. Sie alle sind so wunderbar individuell. Von solch einer lebendigen Tiefe und Authentizität. Ebenso stark sind die Nebenfiguren, die alle ihre kleinen Macken haben und dadurch so realistisch wirken.

Am meisten mochte ich den Humor der Autorin, der sich so oft in den Situationen zeigt, in denen andere sich nicht einmal trauen würden aufzuschauen. Sie kann eine gewisse Ironie in den Text schreiben, ohne dabei bitter oder bös zu wirken. Gefühle werden sehr echt, sehr greifbar. Pásztors Figuren dürfen alles. Lachen, wann immer sie wollen, weinen, aus sich herauskommen, verzeihen, hassen. Ihr Tonfall ist immer passend. Leise, fast flüsternd, wenn die der unsichere Fred spricht. Klar, direkt, im Fall von Klara.

"Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster" bekommt eine klare Leseempfehlung. Ich glaube es ist eins der Bücher, die einem breiten Publikum gefallen, weil es so echt, so aus dem Leben ist. Die schwierige Vater-Sohn-Geschichte, die auf Unsicherheiten beruht, und Karlas Geschichte vom Sterben und ihrer Kraft im Reinen zu sein.

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