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Veröffentlicht am 09.08.2017

Ein überraschendes, tiefgründiges Debüt

Tinte in Wasser
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TINTE IN WASSER ist das Erstlingswerk der jungen Autorin BELLA BENDER aus Heidelberg. Das Buch umfasst fünf Erzählungen, die sich um diverse menschliche Belange der Gegenwart winden. Allen gemein ist unterschwellig ...

TINTE IN WASSER ist das Erstlingswerk der jungen Autorin BELLA BENDER aus Heidelberg. Das Buch umfasst fünf Erzählungen, die sich um diverse menschliche Belange der Gegenwart winden. Allen gemein ist unterschwellig die Frage nach dem Sein. Wie nimmt man sich selbst wahr, wie wirkt man auf andere und welche Bedeutung kommt einem im gesellschaftlichen Miteinander zu.

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„Nur ein Treffen“ ist die Liebes- und Leidensgeschichte von Iola und Bastian. Zwei Menschen, die zunächst nicht mit-, aber augenscheinlich auch nicht ohne einander auskommen. Es wird von eklatanten Unterschieden und elementaren Gemeinsamkeiten berichtet. Dabei bedarf es allein zweier Worte, um Stille und Einsamkeit ein Ende zu setzen.

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In der „Galerie“ sind verschiedene Charaktere anzutreffen, breit gefächert wie die Ausstellung selbst. Allen voran die rechte Hand des Galeristen, der unter seinem akademischen Niveau angestellt ist und obendrein weder Lob noch Anerkennung erfährt, der freischaffende Künstler und seine junge Freundin, der kaltherzige Galerist und seine unbeständige Frau. Man meint ihre Rollen im gesellschaftlichen und privaten Miteinander seien festgelegt, dennoch kommt es anders, als man denkt. Ein Spiel um Schein und Sein.

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Es ist ihr dreißigster „Hochzeitstag“. Eine lange Zeit haben sie Seite an Seite verbracht, glücklich sind sie miteinander jedoch nicht mehr. Während sie sich alle Mühe gibt, ihm zu gefallen, zeigt er ihr wissentlich die kalte Schulter. Die Wahrheit bleibt beiderseits unausgesprochen und Hoffnung schwindet. Chancen werden verpasst und die Mühlen des täglichen Einerleis setzen ihre Arbeit fort.

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Eine halbe Stunde von Stadtteil zu Stadtteil, von Tür zu Tür. Dreißig Minuten per Bahn bis zur „Endhaltestelle“. Eine lange Zeit im Angesicht fremder Menschen, wechselnder Lichter und Dunkelheit im Tunnel. Eine Menge Zeit, über Vergangenes nachzudenken, und lange Zeit, Ängste auszuleben. Schlussendlich ist es an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen.

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„Es geht mir gut“, sagt man leichthin. Vor allem, um weiteren Fragen und unliebsamen Themen aus dem Weg zu gehen oder gar Gespräche abzukürzen. Hinter der Fassade sieht es jedoch oft anders aus. So treiben auch Eric und Vera im Alltag dahin, ausweichend und sprachlos. Das Leben ist nicht mehr wie zuvor, wenn Verlust und Trauer jede Hoffnung trüben. Der eine findet eine Möglichkeit, damit umzugehen, der andere eben nicht.

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Die Erzählungen sind unterschiedlicher Länge, bergen allesamt eine dichte Atmosphäre, sind emotional, und sprechen den Leser unumwunden an. Die Grundgedanken sind allgegenwärtig, die ein oder andere Thematik ist einem selbst gegebenenfalls so oder in ähnlicher Form nicht unbekannt. Auf jeden Fall regen die Ereignisse der Protagonisten zum Nachdenken an. Manche Geschichte hallt längere Zeit nach.

Mir gefallen „Nur ein Treffen“ und „Es geht mir gut“ am besten. Nach melancholischer Auseinandersetzung mit Vergangenem, klingen sie ganz verschieden aus – jede für sich dennoch stimmig und stimmungsvoll.

TINTE IN WASSER erscheint bei Books on Demand und ist als Paperback oder eBook erhältlich. Das Coverdesign von Sofie Elisabeth Römer ist ein wunderbarer Eyecatcher. Minimalistisch, scheinbar dem Zufall überlassen und doch zielorientiert!

Fazit:

TINTE IN WASSER ist ein überraschendes, tiefgründiges Debüt. Der Schreibstil von BELLA BENDER hat mir ebenso zugesagt wie Atmosphäre und Emotionen.
Eine Autorin, die man sich merken sollte!

Veröffentlicht am 08.06.2017

Kennen wir die, die wir lieben?

Good as Gone
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Vor nunmehr acht Jahren wird die damals dreizehnjährige Julie aus ihrem Kinderzimmer entführt. Die zehnjährige Jane sieht den Fremden und das Messer, mit dem er ihre Schwester bedroht. Sie versteckt sich ...

Vor nunmehr acht Jahren wird die damals dreizehnjährige Julie aus ihrem Kinderzimmer entführt. Die zehnjährige Jane sieht den Fremden und das Messer, mit dem er ihre Schwester bedroht. Sie versteckt sich im Wandschrank und gibt erst geschätzte drei Stunden später durch panische Schreie Alarm. Zu spät für die Eltern Anna Davalos und Tom Whitaker, um einzugreifen. Die polizeiliche Ermittlung kann nichts beschicken. Julie bleibt vermisst und das Leben geht weiter. Jane studiert inzwischen an der University of Washington in Seattle und kommt nur selten heim. Bei einem ersten gemeinsamen Familienessen seit Ewigkeiten, steht auch sie wieder vor der Tür: Julie, einundzwanzig Jahre, zur Frau gereift! Die Freude über ihre Rückkehr ist riesig, währt allerdings nicht lang …

Der Klappentext von GOOD AS GONE erinnert zunächst einmal an FALSCHE SCHWESTERN von CAT CLARKE, welches mir ausnehmend gut gefallen hat. Umso gespannter war ich nun auf die Umsetzung des Themas durch AMY GENTRY. Entsprechend des Untertitels, EIN MÄDCHEN VERSCHWINDET. EINE FREMDE KEHRT ZURÜCK., taucht auch in ihrer Erzählung ein zuvor entführtes Mädchen nach Jahren wieder auf und auch hier begleiten Unstimmigkeiten das weitere Geschehen.

Die Autorin startet ihr Romandebüt recht stark. Der Prolog spiegelt die Nacht des Verbrechens wider und sorgt für Spannung. Die folgenden sechzehn Kapitel aus der Perspektive der Mutter in erster Person Singular wechseln sich mit Einschüben, mit unterschiedlichen Namen versehen, in dritter Person Singular ab. Der Blickwinkel von Anna Davalos ist von Erinnerungen geprägt. Gedanken an das Leben ohne Julie, an Alkohol, Verdrängung und Einsamkeit belegen, wie diese Zeit aus ihrer Sicht war. Gleichzeitig schreitet die Geschichte in der Gegenwart voran und schwenkt von Freude über Zweifel zu Fakten, die sich nicht leugnen lassen. Parallel hierzu läuft die Zeit in besagten Einschüben rückwärts. Erlebnisse und Erfahrungen der jungen Frau zeichnen einen rauen Lebensweg, bestimmt von dem täglichen Kampf ums Überleben. Zwei Handlungsstränge, die den Leser auf weiten Strecken ebenfalls zweifeln lassen, schlussendlich aber ein gemeinsames Bild ergeben und zur Auflösung der alles bestimmenden Frage führen: Ist es wirklich Julie?

Der Lösungsweg mit den verschiedenen Perspektiven hat mir sehr gut gefallen. Die Spannung ist über die Seiten vielmehr einer Familientragödie gewichen, was mich allerdings nicht gestört hat. Lediglich die Emotionalität hätte etwas lebendiger und damit authentischer erfasst werden können. Die Charaktere wirken doch etwas zu distanziert, unaufgeregt, teils nahezu unbeteiligt. Die Entwicklung rund um den Bösewicht ist etwas kurz gekommen und hat zudem recht skurril geendet. Damit bin ich nicht ganz so glücklich. Dennoch hat mich Julie als fragwürdige Figur schlussendlich mit ihrer wahren Identität überrascht.

GOOD AS GONE – EIN MÄDCHEN VERSCHWINDET. EINE FREMDE KEHRT ZURÜCK. erscheint als hochwertiges Paperback bei C. Bertelsmann. Das Covermotiv ist recht minimalistisch, setzt dafür umso wirkungsvoller auf Kontraste. Die Silhouette eines Mädchens im Schein des Lichts passt sogar zur Geschichte. Papier, Satz und Druck sind einwandfrei.

Fazit:

AMY GENTRY erzählt eine vertrackte Familientragödie, die zeitweise spannend ist und auf jeden Fall unterhält. An Emotionen und Auflösung ließe sich arbeiten, nichtsdestotrotz ist GOOD AS GONE als Romandebüt durchaus gelungen. Bleibt die Frage: Kennen wir die, die wir lieben?

Veröffentlicht am 11.03.2017

Er trat aus den Schatten – Er fand sie im Licht, Auftakt der Dilogie

Léon & Claire
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Wann immer ich zu einem Titel von ULRIKE SCHWEIKERT gegriffen habe, bin ich mühelos in einer anderen Welt versunken. Vor allem die Romane um Peter von Borgo alias András Petru Báthory sind mir in guter ...

Wann immer ich zu einem Titel von ULRIKE SCHWEIKERT gegriffen habe, bin ich mühelos in einer anderen Welt versunken. Vor allem die Romane um Peter von Borgo alias András Petru Báthory sind mir in guter Erinnerung geblieben. Umso mehr habe ich mich auf die neue Lektüre gefreut, die mich in die Stadt der Liebe, ins Licht aber eben auch in die Dunkelheit entführt. Ausgangspunkt ist die Geschichte von Claire, einem Mädchen, das gezwungen ist, fernab ihrer Heimat Amerika ein neues Leben in Frankreich zu beginnen. Erzählt werden einunddreißig Kapitel, eingebettet in Pro- und Epilog, in dritter Person Singular aus wechselnden Perspektiven. Das Szenario entspricht zunächst dem Üblichen: Ein Teenager, neu in der Schule, macht sich mit den hiesigen Gepflogenheiten vertraut und knüpft erste Kontakte. Ein zickiges Mädchen gibt den Ton an, ihr Hofstaat folgt ihr bedingungslos, andere wiederum werden zur Konkurrenz oder gleich zum Außenseiter abgestempelt. Natürlich ist auch der klassische Sonnyboy mit von der Partie, der die Aufmerksamkeit der holden Weiblichkeit auf sich zieht. Auch Claire riskiert einen Blick. Soweit alles schon mal dagewesen. Mädchenschwarm Adrien lädt die Neue selbstredend zu einer hippen Party ein und schon sind die Weichen für den besonderen Charme des Romans gestellt. Die Feier findet nämlich in den Katakomben statt, einem endlosen Labyrinth in undurchdringlicher Finsternis. Claire betritt die geheime Unterwelt von Paris! Damit nicht genug, erweist sich sogleich ein sanftmütiger Fremder als Retter in der Not. Léon – geheimnisvoll und dennoch vertraut. Ein junger Mann, der nicht nur Schattenseiten gesehen, sondern in manchen Abgrund geblickt haben mag. Claire ist fasziniert! Als sich ihre Wege hernach erneut kreuzen, zweifelt sie fast an ihrem Verstand. Was ist es nur, was die beiden verbindet und immer wieder zueinander führt?

ULRIKE SCHWEIKERT erzählt vom Paris der Gegenwart und der Vergangenheit. Die historischen Eckdaten sind fundiert und überzeugen im Detail. Claire, im Mittelpunkt des Geschehens, erweist sich als patenter Teenager. Sie hat keine Angst vor der Fremde, lebt sich schnell ein, findet sich in der Schule zurecht und knüpft alsbald Freundschaften. In romantischer Hinsicht verfällt auch sie zunächst dem Jungen aus gutem Elternhaus, der den Mädchen reihenweise den Kopf verdreht. Noch reizvoller ist allerdings der Ungreifbare aus der Dunkelheit. Umgeben von einer düsteren Aura und allerlei Geheimnissen, ist er auch dem Leser ein willkommenes Rätsel. Hier ist eindeutig Magie im Spiel! Die Autorin geizt nicht mit Hinweisen und Andeutungen. Insgesamt ist der Lesefluss recht ruhig, ich möchte sagen besonnen. Man merkt dem Buch LÉON & CLAIRE – ER TRAT AUS DEN SCHATTEN an, dass der große Knall erst in der Fortsetzung LÉON & CLAIRE – ER FAND SIE IM LICHT erfolgt. Nichtsdestotrotz arbeiten sich die Vorkommnisse im Auftakt gezielt auf den fantastischen Konflikt Licht gegen Finsternis zu. Es handelt sich dabei allerdings nicht um das herkömmliche Gut gegen Böse, denn diese Extreme sind zwei Seiten einer Medaille, aus einer Person entstanden. Dieser Punkt dürfte im zweiten Band der Dilogie genauso spannend werden wie die Auflösung des leichten Cliffhangers zum Abschluss des ersten Romans.

LÉON & CLAIRE – ER TRAT AUS DEN SCHATTEN erscheint in gebundener Form im cbt Verlag.
Der schwarze Einband mit goldener Schrift steckt in einem recht schlichten Schutzumschlag mit Pfiff. Auf ebenso schwarzem Hintergrund mit zahlreichen sternengleichen Tupfern sieht man einen güldenen Ring aus glänzendem Spotlack, der nicht nur die Silhouette von Paris widerspiegelt, sondern sich zudem wunderbar mit einem weiteren Ring des zweiten Bandes ergänzen wird. Die Fortsetzung ist übrigens sinngemäß mit weißem Hintergrund, passend zu den Untertiteln über Schatten und Licht. Auch im Innern des Buches finden sich Highlights: Goldenes Vor- und Nachsatzpapier sowie zu jedem Kapitelanfang eine kleine Illustration im Scherenschnitt, ebenfalls die Erkennungsmerkmale von Paris. Toll gemacht!

Fazit: ULRIKE SCHWEIKERT entführt ihre Leser im Zweiteiler LÉON & CLAIRE in ein düster-romantisches Paris voller Geheimnisse und Magie! ER TRAT AUS DEN SCHATTEN besticht mit ruhigem Erzählton, fundierter historischer Recherche und fantastischem Flair. Eine gelungene Vorbereitung auf den Kamp Licht gegen Finsternis im Finale ER FAND SIE IM LICHT.

Veröffentlicht am 11.03.2017

Wenn zweiunddreißig Stunden im Leben fehlen

Mädchentod
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MÄDCHENTOD ist ein Buch, das mir in erster Linie durch das leuchtende, hübsch gestaltete Hochglanz-Cover aufgefallen ist. Da ich unter anderem ein Faible für Psychothriller habe und mich zudem die Inhaltsbeschreibung ...

MÄDCHENTOD ist ein Buch, das mir in erster Linie durch das leuchtende, hübsch gestaltete Hochglanz-Cover aufgefallen ist. Da ich unter anderem ein Faible für Psychothriller habe und mich zudem die Inhaltsbeschreibung ansprach, kam ich nicht umhin, die Geschichte um Tessa Cartwright und ihre grauenvolle Entführung zu lesen. Der Titel umfasst einen kurzen Prolog, die Vorkommnisse in drei wesentliche Teile rund um Verhandlung, Verurteilung und Hinrichtungstermin, den Epilog und abschließende Worte: Das Ende. JULIA HEABERLIN erzählt im regelmäßigen Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit überwiegend in erster Person Singular aus Sicht der weiblichen Hauptfigur Tessa beziehungsweise Tessie. Weitere Personen kommen erst im letzten Drittel des Buches zu Wort. Einschübe aus dem Prozess runden das Bild insgesamt ab. Achtzehn Jahre nach der Tat kehrt Tessa in das Haus ihrer Großeltern zurück, um damalige Zeichnungen, angefertigt kurz nach der Tat, aus einem Versteck im Keller zu bergen. Diese sind allerdings nicht das einzige Geheimnis, das viele Jahre im Verborgenen liegt. Tessie, wie sie einst genannt wurde, hat sich nicht von ihren Psychiatern knacken, andererseits jedoch zu viele Eindrücke von außen an sich herankommen lassen. Die Verhandlung von Terrell Darcy Goodwin, dem zu Lasten gelegt wird, junge Mädchen ermordet und schließlich ihre Knochen und Körper auf ein Feld geworfen zu haben, war kein Paradestück. Indizien sprechen sogar gegen seine Schuld. Heute mehr denn je. Kurz vor Goodwins Hinrichtung wird der Fall neu aufgerollt. Es wird Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen. Tessa ist die einzig Überlebende, doch ihre Erinnerungen sind getrübt. Die Leserschaft weiß durch Inhaltsbeschreibung und Anspielungen in etwa, worum es geht. Doch was damals genau geschah, wird erst Schritt für Schritt, aus unterschiedlichen Zeitrahmen betrachtet, zusammengeführt. Die Herangehensweise der Autorin birgt großes Spekulationspotenzial. Die Spannungskurve ist entsprechend hoch, wenn auch eher latent vorhanden. Durch gemäßigtes Erzähltempo macht sich schnell ein gewisses Unwohlsein breit. Genau die richtige Atmosphäre für derlei Ereignisse. Allerlei Andeutungen und Hinweise lassen die Hirnzellen der Leser rotieren. Wichtige Einzelheiten und Zusammenhänge offenbaren sich trotz gewisser Vorahnungen allerdings erst zum Ende des Buches. Die finale Auflösung zeitweise unerklärlicher Begebenheiten ist nachvollziehbar, allerdings auch etwas zu gut terminiert und alles in allem zu sehr konstruiert. Als Psychothriller fehlt es der Geschichte hier und da an Pepp und Überraschung, als Psychogramm hingegen, zeigt MÄDCHENTOD durchaus Wirkung. Und eines muss man JULIA HEABERLIN lassen: Sie hat gut recherchiert und ihr Wissen zu gegebener Zeit in den Verlauf der Handlung einfließen lassen.

Fazit: MÄDCHENTOD betrachtet Geschworenenprozesse und Todesstrafe mit Argwohn. Das Geschehen um Tessa als traumatisiertes Opfer und Goodwin als fragwürdigen Täter führt zu Unbehagen und Denkprozessen beim Leser. JULIA HEABERLIN erzählt insgesamt eine unterschwellig spannende und vor allem interessante Geschichte.

Veröffentlicht am 19.01.2017

Massenkarambolage zwischen Dallas und Denver

Bourbon Kings
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Das Bradford Family Estate, kurz Easterly genannt, thront hoch oben auf dem größten Hügel Charlemonts, Kentucky, in den Vereinigten Staaten von Amerika. Bradford, eine Familie mit Tradition, steht für ...

Das Bradford Family Estate, kurz Easterly genannt, thront hoch oben auf dem größten Hügel Charlemonts, Kentucky, in den Vereinigten Staaten von Amerika. Bradford, eine Familie mit Tradition, steht für Macht und Erfolg, Reichtum und gesellschaftliches Ansehen. Seit 1778 hat sich die Bradford Bourbon Company hier einen Namen gemacht. Wie jedes Jahr zum Charlemont Derby, tummelt sich auch dieses Mal beim Brunch auf Easterly alles, was nur irgendwie Rang und Bedeutung hat. Die ausschweifenden Feierlichkeiten werden jedoch durch eine Kette unschöner Ereignisse torpediert. Vor allem Mitglieder der Familie, aber auch der ein oder andere Bedienstete wird involviert. Hauptfiguren sind William Baldwine, ein Mann ohne Skrupel, Little V. E., die Dame des Hauses, die nur noch vollgepumpt mit Medikamenten in ihrer Suite anzutreffen ist, die Kinder Edward Westfork, Maxwell, Virginia Elizabeth und Jonathan Tulane. Nachdem sich J. R. Ward im ersten Abschnitt des Buches vor allem ausgiebigen Beschreibungen des Anwesens und der Hierarchien Easterlys widmet, kristallisieren sich im Folgenden drei Schwerpunkte im ersten Band der Bradford-Dynastie heraus: Die ganz und gar nicht standesgemäße Liebelei zwischen Lizzie King, angestellte des Hauses Bradford Baldwine, und Lane. Sie führen eine Art on/off-Beziehung voller erdenklicher Dramen und leidenschaftlicher Höhepunkte. Im Grunde handelt es sich sogar um ein Dreieckskonstrukt, denn Lane ist offiziell mit Chantal Blair Stowe verheiratet. Edward, einst ein ernster und sehr aggressiver Geschäftsmann, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Seitdem er eine Entführung in Südamerika nur knapp überlebt hat, hat er sich von der Familie zurückgezogen und fristet sein Dasein unter ständigem Alkoholeinfluss auf dem Red & Black Gestüt, ein durchaus erfolgreicher Zucht- und Rennbetrieb. Sein Herz gehört Sutton Smythe, der Tochter des größten Konkurrenten, die Sutton Distillery Corporation. Auch in diese Richtung sind Komplikationen vorprogrammiert. Virginia, kurz Gin, ist kein Kind von Traurigkeit. Mit siebzehn Jahren bekam sie Ihre uneheliche Tochter Amelia, die allerdings nunmehr als sechzehnjähriger Teenager nichts von ihrer Mutter wissen will. Gin hat im Grunde nie gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen. Ohne den finanziellen Rückhalt der Familie ist sie aufgeschmissen. Es sei denn, sie findet eine lohnenswerte Alternative, um ihr Leben im Luxus zu sichern. Der Angebetete, zugleich Vater ihrer Tochter, hegt allerdings kein Interesse an ihrem Heiratsantrag. Plan B muss her! Über Max erfährt die Leserschaft nicht allzu viel. Hier und da werden vage Andeutungen über seine Person gemacht. Diese reichen von der Teilnahme im Kirchenchor zu düsteren Machenschaften. Ein konkretes Bild lässt sich daraufhin noch nicht formen. Das schlimmste Übel von allen ist allerdings William Baldwine. Seinetwegen gerät das gesamte Imperium gehörig ins Verderben … Viele Figuren und zahlreiche Vorkommnisse halten den Leser auf Trab. Dank der durchaus eingängigen Schreibweise der Autorin und immer neuen Hiobsbotschaften in parallelen Handlungssträngen, schreitet das Geschehen schnell voran. Im Nu sind fünfzig Kapitel vorüber und ein kleiner Ausblick wie die Bradford-Saga weitergeht, tröstet bedingt über die Wartezeit bis zum Erscheinen von BOURBON SINS im Sommer hinweg.

BOURBON KINGS erscheint als Paperback bei LYX. Das Cover ziert ein adretter, junger Mann. Die Farbgebung in knalligem Pink ist sicher Geschmackssache. Auffallend ist das Buch so allemal.

J. R. Ward zieht mit dem Auftakt ihrer BOURBON Reihe sämtliche Register: Liebe, Lust und Leidenschaft treffen auf Geheimnisse und Intrigen sowie Wirtschaftskriminalität und Tod. Ein Aufmarsch an Charakteren übertrumpft eine Welle diverser Handlungsstränge, torpediert von allerhand Dramen und Emotionen. Ein Buch wie eine Massenkarambolage zwischen Dallas und Denver – einige Menschen schauen genauer hin, andere wenden sich erschrocken ab. ;o)

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