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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.05.2019

Oma mit Biss

Der Zopf meiner Großmutter
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Max lebt bei seinen Großeltern, die mit ihm von Russland nach Deutschland auswandern. Dort landen sie zunächst in einem Wohnheim. Die Großmutter führt den Haushalt mit strenger Hand und wacht gluckenhaft ...

Max lebt bei seinen Großeltern, die mit ihm von Russland nach Deutschland auswandern. Dort landen sie zunächst in einem Wohnheim. Die Großmutter führt den Haushalt mit strenger Hand und wacht gluckenhaft über den Enkel. Er darf nicht allein in die Schule, bekommt ein Hausmittelchen nach dem anderen, zu essen gibt es nur leichtverdauliche Gemüsepampe. Sie beschützt ihn mit allen Mitteln vor jeglichem echtem oder auch eingebildetem Übel. Dabei verliert sie leider den eigenen Mann etwas aus den Augen.

Alina Bronsky hat mit „Baba Dunjas letzte Liebe“ schon gezeigt, dass ihr die älteren Damen als Protagonisten sehr gut gelingen. Auch in ihrem aktuellen Roman liegt der Fokus klar auf der Großmutter, selbst wenn Enkel Max als Erzähler dient. Die Großmutter ist wirklich eine anstrengende Figur; sie changiert zwischen leicht schräg, besorgt um den Enkel, rücksichtlos-verletzend und völlig überdreht. Langweilig wird es mit ihr nie, bis zum Schluss kann man noch neue Seiten an ihr entdecken und ich hatte viel Spaß mit ihren kleinen und großen Schrullen. Max und sein Opa fungieren als Gegenpole, zum Glück gehen die zwei unter der großmütterlichen Fuchtel nicht völlig unter. Bronsky erzählt ihre aberwitzige Story recht locker und mit einem gewissen Charme. Ein flottes Tempo wird passend zum Charakter der Großmutter vorgelegt, und so ziehen die Jahre (und damit die Seiten) quasi unbemerkt dahin. Die Handlung lebt nicht nur von ihren Charakteren, sondern es gilt auch das eine oder andere Geheimnis zu lüften, und so bleibt man als Leser dran an dieser außergewöhnlichen, tragisch-komischen Geschichte. Volle Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 13.04.2019

Der Vinyl-Detektiv

Murder Swing
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Vinyl ist sein Leben: den lieben langen Tag seltene LPs in staubigen Flohmarktkisten, Nachlässen, dem Internet aufstöbern, aufhübschen und die Musik genießen. Der namenlose Vinyl-Detektiv hat sein Hobby ...

Vinyl ist sein Leben: den lieben langen Tag seltene LPs in staubigen Flohmarktkisten, Nachlässen, dem Internet aufstöbern, aufhübschen und die Musik genießen. Der namenlose Vinyl-Detektiv hat sein Hobby zum Beruf gemacht und lebt eigentlich vom Verkauf seiner Schätze. Bis eine Kundin die Bezeichnung Detektiv ernst nimmt, und ihn auf die Suche nach einer besonders seltenen Platte schickt. Eine Suche, die über Leichen geht.

Andrew Cartmel hat etwas geschafft, was mir in den letzten Lesemonaten nicht mehr passiert ist: er hat mich so sehr mit seiner Story gefesselt, das ich sie einfach in einem Rutsch durchlesen musste. Das lag zum einen an seiner tollen Hauptfigur. Der namenlose Musikliebhaber war mir grundsympathisch in seiner Vernarrtheit (ein bisschen fühlte ich mich an Rob aus High Fidelity erinnert). Die Leidenschaft für sein Hobby springt auf den Leser über, ob der will oder nicht. Ich wollte. Wollte mit dem Detektiv in Kisten wühlen, mit ihm über Plattenspieler und Tonaufnahmen fachsimpeln, mit ihm durchs Wohnzimmer marschieren, auf der Suche nach dem perfekten Hörerlebnis. Die Begeisterung steckt einfach an. Doch nicht nur musikalisch kommt man als Leser auf seine Kosten, sondern auch der „Fall“ der verschollenen LP sorgt für Spannung und mehr als kurzweilige Lesestunden. Erzählt wird auf einer sehr unterhaltsame Art und Weise, Cartmel trifft mit seinem Humor bei mir ins Schwarze. Sein Witz ist nie platt sondern fein dosiert, manchmal slapstickhaft, manchmal sehr schwarzhumorig. Ich habe viel gelacht, viel gelernt und mich großartig unterhalten. Mit dem Vinyl-Detektiv würde ich jederzeit wieder meine Lesestunden verbringen wollen.

Veröffentlicht am 30.03.2019

Willkommen im Ormsumpf

Der Bücherdrache
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Wer die Buchlinge kennt, der weiß, dass es keine Abenteurer sind. Ihre Tage in der Ledernen Grotte sind mit lesen, memorieren und rezitieren voll ausgefüllt. Naja, und in die Schule müssen sie als junge ...

Wer die Buchlinge kennt, der weiß, dass es keine Abenteurer sind. Ihre Tage in der Ledernen Grotte sind mit lesen, memorieren und rezitieren voll ausgefüllt. Naja, und in die Schule müssen sie als junge Buchlinge natürlich auch gehen. Dort hört Hildegunst Zwei auch das erste Mal von dem Bücherdrachen, einer legendären Gestalt, die im Ormsumpf leben soll. Buchlingsuntypisch macht sich Hildegunst auf die Suche. Und wird fündig.
Die Zamonienromane von Walter Moers haben mich schon vor Jahren in ihren Bann gezogen, doch die letzten haben doch etwas von der früheren Qualität vermissen lassen. Somit war „Der Bücherdrache“ von mir nicht nur heiß ersehnt, sondern die Lektüre auch mit einem etwas mulmigem Gefühl begonnen, dass das Orm den Autor vielleicht doch noch nicht so richtig wiedergefunden hat. Doch zum Glück waren meine Bedenken schon nach wenigen Seiten völlig ausgeräumt. Die Geschichte des Buchlings Hildegunst Zwei, der sie Hildegunst von Mythenmetz erzählt, welcher sie aufschrieb, damit Herr Moers sie wiederum ins Deutsche übersetzen konnte (allein über diese Verschachtelung musste ich grinsen), hat mich auf fantasievolle Weise in den Ormsumpf entführt. Es war witzig, überraschend, einfallsreich, bunt, buchig… für mich rundum gelungen. Dass die Buchlinge, und Hildegunst Zwei im Speziellen, einen eigenen Roman bekommen, hat mich sehr gefreut, denn ich mochte die kleinen Kerlchen schon immer sehr gerne. Hier wachsen sie über ihre Wohlfühlzone hinaus, und zeigen sich von einer bis dato unbekannten Seite; in Kombination mit Nathaviel, dem wunderbar gelungenen Bücherdrachen ergeben sich die herrlichsten Dialoge. Der Bücherdrache ist eine tolle Fantasygestalt, über die ich zu gerne noch mehr lesen würde.
Besonders gefreut hat mich auch, dass der Autor die Illustrationen wieder selbst gezeichnet hat; in gewohnter Fülle, Detailverliebtheit und immer für einen versteckten Witz gut, werten sie die Geschichte zusätzlich auf und machen den Roman auch optisch zu einem Schmuckstück.
Fazit: wunderbarer Zamonienroman, der keine Wünsche offen lässt.

Veröffentlicht am 23.03.2019

Fünf honiggelbe Sterne

Der Honigbus
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Meredith ist gerade einmal 5 Jahre alt als die Ehe ihrer Eltern zerbricht. Zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Matthew zieht sie zu ihren Großeltern. Während die Mutter immer mehr in Trübsal und ...

Meredith ist gerade einmal 5 Jahre alt als die Ehe ihrer Eltern zerbricht. Zusammen mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Matthew zieht sie zu ihren Großeltern. Während die Mutter immer mehr in Trübsal und Depressionen verfällt, ist der Großvater zusehends der Halt der Kinder. Er und sein eigenwilliges Hobby: die Imkerei.

Man hat schon nach wenigen Seiten Lektüre zwei Schlagworte im Kopf: Rabenmutter und schlimme Kindheit. Meredith und Matthew haben es wahrlich nicht leicht, umso glücklicher ist man als Leser, dass der Stiefgroßvater so viel Verständnis für die beiden zeigt. Hilfe von Außen gibt es kaum, was natürlich auch der Zeit geschuldet ist, in die die Kinder geboren sind. Man kann die Mutter verstehen, trotzdem bleibt man oft wütend und genauso hilflos wie die Kinder zurück. Umso schlimmer, da man darum weiß, dass es sich beim „Honigbus“ um die wahren Erlebnisse der Autorin handelt. Es werden viele Emotionen geweckt, doch zum Glück versinkt der Roman dann doch nicht in bodenloser Traurigkeit, sondern strahlt trotzdem etwas Hoffnung aus. Das liegt am Großvater, aber auch an den Bienen. Wie nebenbei erfährt man unglaublich viel über diese faszinierenden Tiere; wie Stöcke organisiert sind, wie sie untereinander kommunizieren, wie eine Königin entsteht. Und natürlich auch darüber, dass sie immer mehr gefährdet sind und welche Auswirkungen das auf unsere Welt hat. Ich habe viel Neues gelernt, und fand die Thematik mehr als spannend. Die Autorin verknüpft Fakten und Kindheitserinnerungen auf sehr ansprechende Art und Weise. Der Schreibstil hat mich begeistert, wunderbar klar, sehr einfühlsam, aber nie gefühlsduselig. Für mich war der Honigbus rundum gelungen.

Veröffentlicht am 10.03.2019

Russisch Roulette auf dem OP-Tisch

Der Horror der frühen Medizin
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Noch im 19ten Jahrhundert kam die Einlieferung in ein Krankenhaus quasi einem Todesurteil gleich Der Begriff Hygiene war zwar erfunden, so wirklich interessiert hat das aber niemanden. Da trug man doch ...

Noch im 19ten Jahrhundert kam die Einlieferung in ein Krankenhaus quasi einem Todesurteil gleich Der Begriff Hygiene war zwar erfunden, so wirklich interessiert hat das aber niemanden. Da trug man doch lieber stolz jahrelang den versifften OP-Kittel seines großen Vorbildes, anstatt sich einmal die Hände zu waschen oder auch nur das Blut des vorherigen Patienten abzuwischen. Umso besser für uns, dass irgendwann ein unscheinbarer und oft von Zweifeln geplagter Quäker namens Joseph Lister das medizinische Parkett betrat. Lindsay Fitzharris bringt uns in ihrer sehr lesenswerten Biografie nicht nur dessen Leben und Wirken näher, sondern erläutert auch Vieles zu Bakterien und Septik. Das tut sie auf sehr ansprechende Art und Weise, auch ohne großes Vorwissen kann man ihr sehr gut folgen; ganz so zartbesaitet sollte man nicht sein, die Autorin beschreibt die ekelerregenden Zustände sehr realistisch. Tiefe Einblicke in die viktorianische Gesellschaft, die Ausbildung der Ärzte in jener Zeit (bzw. das Fehlen derer) und in die damals gängigen Lehrtheorien runden das Bild um Listers Forschungsarbeit ab. Trotz des sehr informativen Inhalts wird „Der Horror der frühen Medizin“ nie belehrend oder staubtrocken, ich fand das Buch sehr gut zu lesen. Ab und an verliert sich die Autorin leider in Wiederholungen, vielleicht nötig um den Leser ohne Vorbildung abzuholen, mir jedoch zu viel des Guten. Das ist aber auch wirklich mein einziger Kritikpunkt, ansonsten ist Fitzharris‘ Biografie sehr zu empfehlen.