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Veröffentlicht am 27.07.2019

Dystopie oder Utopie?

Der europäische Frühling
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"Der europäische Frühling" startete für mich beschwerlich. Die ausufernden Rückblicke, ohne dass sich absehen ließ, worauf das alles hinaus läuft. Die Altmännerphantasiewelt von Christian. Die seltsamen ...

"Der europäische Frühling" startete für mich beschwerlich. Die ausufernden Rückblicke, ohne dass sich absehen ließ, worauf das alles hinaus läuft. Die Altmännerphantasiewelt von Christian. Die seltsamen Blicke in die Zukunft.
Aber keine Angst: nach und nach nimmt das alles Form an, die Zusammenhänge werden klar und Emma bildet endlich einen Gegenpart zur Weltsicht der Elterngeneration. Mit den gegensätzlichen Kolonien Lolland und Frederiksstad, gesellschaftlichen Konflikten und der Entwicklung intelligenter technischer Systeme wird eine Zukunftsvision gezeichnet, die durchaus möglich scheint, Anlehnungen an unsere Realität hat und die dabei auch ziemlich zynisch ist. Das ganze wird aus der Perspektive einer privilegierten weißen Oberschicht beschrieben, die sich abgrenzt und wenig bis keine Verantwortung für die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen übernimmt - ob man sich als Leser davon nun persönlich angesprochen fühlt (oder genau das Gegenteil) hängt wohl von einem selbst ab.
"Der europäische Frühling" ist für mich keine übliche Dystopie - die positiven (zumindest für den Teil der Bevölkerung, die hier im Mittelpunkt steht), utopischen Elemente nehmen dafür zu viel Raum ein.

Nicht alle Erzählstränge werden zu Ende erzählt und die Geschichte um die künstliche Intelligenz fand ich nicht ganz überzeugend, teilweise fast schon slapstickartig. Allerdings ist das mal etwas neues - so eine Zukunftsvision habe ich noch nie gelesen.

Insgesamt betrachtet hat Kaspar Colling Nielsen ein Buch geschrieben, das eine bitterböse Zukunftsvision zeichnet, das überaus kontroverse Charaktere hat und das zum Nachdenken anregt.

Veröffentlicht am 02.07.2019

Zeitreise

Siebzehnter Sommer
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Maureen Daly hat ein Buch über die erste Liebe geschrieben. Ein Teenagermädchen berichtet von ihrer ersten Freund. Hier würde ich normalerweise schon dankend abwinken, aber "Siebzehnter Sommer" ist anders ...

Maureen Daly hat ein Buch über die erste Liebe geschrieben. Ein Teenagermädchen berichtet von ihrer ersten Freund. Hier würde ich normalerweise schon dankend abwinken, aber "Siebzehnter Sommer" ist anders als man erwarten könnte. Die 17-jährige Angie hat trotz aller Verliebtheit keine rosa-rote Brille auf, sieht realistisch in die Zukunft – manchmal wirkt sie schon fast zu abgeklärt. In jedem Fall ist sie aber eine sympathische Protagonistin.

Den Reiz dieses Buches machte für mich auch die Zeitreise in die späten 1930'er Jahre aus, in denen die Handlung spielt. Das Alltagsleben und auch das Dating, das hier unmittelbar aus der Zeit beschrieben wird, war für mich oft anders als erwartet und manchmal erstaunlich nah an unserem Alltag.
Zudem ist das Buch eine schöne, stimmungsvolle Beschreibung eines Sommers.

Eine ruhige, schöne Sommerlektüre, wenn man sich darauf einlässt!

Veröffentlicht am 27.05.2019

Dystopisch und aktuell

Die Mauer
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John Lanchester hat ein ruhiges, aber auch packendes Buch geschrieben. Anfangs ging es mir etwas zu langsam voran, aber das änderte sich, als ich mich an das Erzähltempo gewohnt hatte. Irgendwann haben ...

John Lanchester hat ein ruhiges, aber auch packendes Buch geschrieben. Anfangs ging es mir etwas zu langsam voran, aber das änderte sich, als ich mich an das Erzähltempo gewohnt hatte. Irgendwann haben mich Joseph, seine Persönlichkeit und das Leben in dieser dystopischen Welt gepackt und ich wollte nicht mehr mit dem Lesen aufhören. Viel Raum nimmt in der Erzählung der Wachdienst auf der Mauer ein, der sehr eindrücklich geschildert wird.
Als ich schon nicht mehr daran glaubte, erfuhr man doch noch etwas über den "Wandel", ohne dass der Autor sich hier im Detail verliert. John Lanchester greift hier die aktuellen Themen Klimawandel und Flucht auf. Natürlich kann man das Buch auch als Kommentar zum Brexit lesen - oder ganz unabhängig davon.
Für mich ein sehr aktuelles, spannendes Buch.

Veröffentlicht am 08.04.2019

Schöne französische Unterhaltungsliteratur

Ein Tropfen vom Glück
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Antoine Laurains "Ein Tropfen vom Glück" ist eine schöne Geschichte mit fantastischen Elementen. Eine bunt gemischte Gruppe von vier Personen reist unvermittelt aus dem Jahr 2017 ins Jahr 1954, nachdem ...

Antoine Laurains "Ein Tropfen vom Glück" ist eine schöne Geschichte mit fantastischen Elementen. Eine bunt gemischte Gruppe von vier Personen reist unvermittelt aus dem Jahr 2017 ins Jahr 1954, nachdem sie gemeinsam eine Flasche Wein getrunken haben. Das Paris des Jahres 1954 wird vom Autor liebevoll und gut beschrieben, ohne dass er sich dabei in Details verliert. Die vier Zeitreisenden und ihre persönlichen Geschichten werden nach und nach aufbereitet. Dabei treffen sie auf einige Schauspieler, Schriftsteller und andere Künstler – hier war die Geschichte in meinen Augen etwas zu dick aufgetragen, aber ich sehe großzügig darüber hinweg.

Sehr gute Unterhaltungsliteratur – nicht belanglos oder kitschig, sondern intelligent und kurzweilig.

Veröffentlicht am 24.03.2019

Abgefahrene, am Ende nicht ganz abgeschlossene Geschichte

Scharnow
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Das Romandebüt des umtriebigen Bela B habe ich mit Spannung erwartet und wurde nicht enttäuscht. Die Handlung ist schwer zusammen zu fassen und ich möchte nicht spoilern, deshalb nur so viel: es gibt eine ...

Das Romandebüt des umtriebigen Bela B habe ich mit Spannung erwartet und wurde nicht enttäuscht. Die Handlung ist schwer zusammen zu fassen und ich möchte nicht spoilern, deshalb nur so viel: es gibt eine Vielzahl von Protagonisten (mit einem vorangestellten Personenverzeichnis zum Nachlesen) und eine Reihe ungewöhnlicher Ereignisse im fiktiven brandenburgischen Örtchen Scharnow, von denen hier berichtet wird. Irgendwie ist alles miteinander verbunden. Eigentlich auch voraussehbar, dass am Ende nicht alles aufgelöst wird und nicht alle Geschichten zuende erzählt werden. Das finde ich etwas schade, obwohl es andererseits natürlich zum eigenen Spekulieren und Fabulieren einlädt.
Sprachlich solide und gut lesbar.

Wer abgefahrene, schräge Geschichten mag, wird hier gut unterhalten.