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Veröffentlicht am 07.05.2021

Magische Geschichten für sommerliche Abende am Lagerfeuer

Liber Thanatamor
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Meine Meinung

Der deutsche Journalist und Kulturwissenschaftler Dirk-Boris Rödel legt mit der Kurzgeschichtensammlung »Liber Thanatamor« sein Debütwerk vor und vermag sogleich mit siebzehn kurzweiligen ...

Meine Meinung

Der deutsche Journalist und Kulturwissenschaftler Dirk-Boris Rödel legt mit der Kurzgeschichtensammlung »Liber Thanatamor« sein Debütwerk vor und vermag sogleich mit siebzehn kurzweiligen Erzählungen in seinen magischen Bann zu ziehen.

Die Geschichten sind teilweise in der Gegenwart angesiedelt, entführen aber auch in die Zeit des Dreißigjährigen Kriegs oder sogar an vollkommen mystische Orte. Dirk-Boris Rödel berichtet über Menschen, Hexen, Geister, Vogelscheuchen, Waldmänner, Landsknechte den Fährmann und einiges mehr. Mysteriöse Ereignisse, Flüche und Legenden sind dabei ebenso essenziell wie Familie sowie die Werte Freundschaft und Liebe.

In den Erzählungen scheint auch immer wieder eine Verbundenheit zur Natur hindurch, so wird in »Der Waldmann und die Vogelscheuche« der immer kleiner werdende Lebensraum Wald für Tiere in Szene gesetzt und mit einer magischen Note versehen.

Hexerei, Okkultismus, Liebe und Tod sind die zentralen Themen der Geschichten, die durchweg fesselnd erzählt werden, zum Nachdenken anregen und auch subtile Gruselmomente bereithalten. Einige der Geschichten erinnerten mich an die TV-Serie »X-Factor: Das Unfassbare« aus den 90ern, da sie genau die gleiche realistisch-mystische Atmosphäre versprühen und in ihnen die Linie zwischen Fiktion und Realität verschwimmt. Kann es sich nicht wirklich so zugetragen haben, dass sich eine verstorbene Seele eines kleinen Jungen bemächtigt, um etwas abschließen zu können und dadurch Frieden zu finden?

Dirk-Boris Rödels Geschichten sind durch die verschiedensten Einflüsse geprägt, so kann man »Erlkönigs Tochter« als moderne Interpretation der Ballade von Johann Gottfried von Herder erkennen und »Gjöll« greift Fragmente aus dem Nibelungenlied auf. Durch diesen Abwechslungsreichtum entsteht ein magisches Potpourri, das unterhält und keine Langeweile aufkommen lässt.

In einigen Geschichten geht es recht lustig zu, so muss in »Moppelfee« ein dicklicher Kobold mit Berliner Dialekt als gute Fee Sozialstunden ableisten und gerät dabei mit dem glücklichen Wunschempfänger in einen weniger erfreulichen Dialog und in »Die Kekshexe« steht eine schusselige Hexe kurz vor dem Ausschluss aus ihrem Zirkel, da sie nicht nur unpünktlich ist, sondern auch schon so einige Zauber vergeigt hat. Doch mit ihren mitgebrachten und zugegebenermaßen recht improvisierten Weihnachtskeksen in Häschenform kann sie das Blatt doch noch zu ihren Gunsten wenden.

Zwei Geschichten sind unter dem Kapitel »Visionen« enthalten, auf mich wirkten diese sehr diffus und ich konnte nicht wirklich etwas damit anfangen. Somit waren das die einzigen Texte der Anthologie, die mich nicht überzeugen konnten.

Den Gesamteindruck konnte das jedoch nicht großartig beeinträchtigen, da man die Liebe zum Geschichten erzählen, für das Magische und Übernatürliche zwischen den Zeilen spürt aber auch die Bezüge zur Realität (ähnlich wie bei Fabeln) erkennbar sind. Meine absolute Lieblingsgeschichte ist »Das Einhorn von Magdeburg«, denn hier geht es um eine schicksalshafte Begegnung zwischen einem verletzten Mädchen und einem Landsknecht im Dreißigjährigen Krieg. Unschuld trifft auf Sünde und in dieser Kombination geht das Erzählte tief unter die Haut!

Fazit

Dirk-Boris Rödels magische Geschichten sind die perfekte Untermalung für sommerliche Abende am Lagerfeuer.

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© Bellas Wonderworld; Rezension vom 27.08.2020

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  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.05.2021

Eine unterhaltsame Fortsetzung

Die Krone der Dunkelheit
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Beschreibung

Prinzessin Freya hat ihren Bruder im Land der Fae gefunden und kehrt nun zurück nach Thobria, um sich dort dem Leben am Hof zu stellen. Als zukünftige Königin soll sie schon bald verheiratet ...

Beschreibung

Prinzessin Freya hat ihren Bruder im Land der Fae gefunden und kehrt nun zurück nach Thobria, um sich dort dem Leben am Hof zu stellen. Als zukünftige Königin soll sie schon bald verheiratet werden. Doch die strengen Regeln und Verbote am Hof engen sie schon jetzt ein. Larkin befindet sich auf der Flucht und zieht als helfende Hand durch die Lande, die Angst, erkannt zu werden, immer im Gepäck.

Nachdem die Krönung des Fae-Prinzen Kheeran durch ein gescheitertes Attentat nicht vollzogen werden konnte, breiten sich die Unruhen unter dem Volk der Unseelie weiter aus, während die Wächter-Novizin Ceylan und der Halbling Weylin als Verdächtige im Kerker einsitzen.

Meine Meinung

Laura Kneidl knüpft in »Magieflimmern« die Handlungsfäden der Tetralogie »Die Krone der Dunkelheit« weiter und hält sich nicht lange mit Rückblenden auf. Am besten ist es daher, wenn einem die Ereignisse aus dem ersten Band noch frisch im Kopf sind und keine allzu lange Zeit zwischen dem Lesen der Bücher liegt.

Das klassische High-Fantasy Setting und die weitere Entwicklung der einzelnen Charaktere hat mir regelrecht durch die Story getragen, sodass ich die Geschichte regelrecht verschlungen habe. Geschickt eingefädelte Cliffhanger tragen einen von Kapitel zu Kapitel und besonders gut gefallen hat mir, das die Autorin nun etwas mehr über den séakischen Piraten Elroy preisgibt.

Die Verquickung der Handlung mit den Intrigen der Seelie hätte in meinen Augen allerdings etwas mehr Raum vertragen können. Meine Hoffnung ist, dass dies in den nächsten Bänden noch vertieft werden wird und wir Leser*innen endlich etwas mehr über den Hintergrund und die Beweggründe der Seelie-Königin Valeska erfahren.

Im Ganzen betrachtet hat mich die Entwicklung der facettenreichen Fantasy-Geschichte gut unterhalten, und vor allen Dingen die Abschnitte über Ceylan und Kheeran konnten mich begeistern. Am Ende wurden allerdings mehr neue Fragen aufgeworfen, als alte beantwortet und so hoffe ich sehr, dass die Fortsetzung »Schicksalsklinge« nicht lange auf sich warten lässt.

Fazit

Eine unterhaltsame Fortsetzung, deren Entwicklung die Neugier auf den weiteren Verlauf befeuert.

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© Bellas Wonderworld; Rezension vom 15.08.2020

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Veröffentlicht am 18.03.2021

Poetisch und melancholischer Roadtrip zu Lost Places.

Zeit der Wildschweine
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Beschreibung

Leon ist Reisejournalist und ergreift auf der Suche nach sich selbst, jede Möglichkeit der einengenden Beständigkeit seiner Familie zu entgehen. Die Gelegenheit dem dörflichen Leben seiner ...

Beschreibung

Leon ist Reisejournalist und ergreift auf der Suche nach sich selbst, jede Möglichkeit der einengenden Beständigkeit seiner Familie zu entgehen. Die Gelegenheit dem dörflichen Leben seiner Heimat den Rücken zu kehren, bietet sich, als er den Auftrag erhält, über Lost Places zu schreiben. Zusammen mit dem interessanten Fotografen Janko, den er erst kürzlich beim Box-Training kennenlernte, reist er nach Frankreich, um dort der Faszination von Niemandsorten auf den Grund zu gehen.

Auf der Reise entwickelt sich ein Konkurrenzkampf und Janko begeht Verrat an dem gemeinsamen Projekt. Bleibt die Frage, welche Kunst das Rennen macht: Fotografie oder Journalismus? Oder liegt das Glück gar nicht im Bestreben nach Selbstverwirklichung, sondern im Zusammenhalt und der Liebe der Familie?

Meine Meinung

Mit »Zeit der Wildschweine« ist heute der zweite Roman aus der Schreibfeder von Kai Wieland im Klett-Cotta Verlag erschienen. In seiner Geschichte schreibt er über einen Millennial, der sich ganz und gar seine Generation, an vielen Orten und in vielen Rollen sieht, und dessen Selbstbild und Identität von popkulturellen Einflüssen aus Literatur und Film geprägt wird.

Verankert in dem ländlichen Idyll seiner schwäbischen Heimat, zieht es Wielands Protagonisten und Ich-Erzähler Leon immer wieder in die Welt hinaus. Als ihm sein Vater einen Wohnungstausch vorschlägt, wagt er dieses Experiment ebenso leichtfüßig und unüberlegt, wie er sich mit verschiedenen Rollen identifizieren kann und wenig später, mit dem ihm fast unbekannten Fotografen Janko, für ein neues Projekt über Lost Places nach Frankreich aufbricht.

»Saint-Rémy-sur-Mer war kein Lost Place im eigentlichen Sinne, sondern ein konventioneller Globalisierungsverlierer an der Küste des Ärmelkanals, angeschlagen, aber noch nicht zersetzt von Leerstand und Landflucht.«
Zeit der Wildschweine, Seite 102

Der Autor konfrontiert mit einer Geschichte, die durch poetische Sprache und den darin verschmolzenen Thematiken eine unglaubliche Sogwirkung auf mich ausübte. Die melancholische Grundstimmung im Einklang mit Wielands stimmungsvollem Erzählstil, machten es mir unmöglich, das Buch aus der Hand legen zu können. Die faszinierende Betrachtung von Urban Exploring und der Fokussierung auf einen Charakter, der sinnbildlich für eine ganze Generation aus Suchenden besteht, lässt die eigenen Gedanken ins kreiseln geraten und trägt zum hypnotischen Bannzauber der Geschichte bei.

In einer Zeit ohne Krieg und Entbehrungen herangewachsen, schickt sich diese Generation, zu der auch ich mich zähle, an, die »Leere« mit neuen Eindrücken aus Reisen, Geschichten, Film- und Literatur aufzufüllen und hat genügend Zeit die Gedanken in die Ferne schweifen zu lassen und den Horizont zu erweitern. Leon gibt sich ganz der Findung seines Selbst hin und füllt dieses immer wieder mit Neuem, jedoch geraten dabei spürbar die Wurzeln zu den Menschen, die ihm nahe stehen, und die Bezugspunkte zu seiner Identität bilden, aus dem Blickfeld.

Sein Interesse für das Neue und Unbekannte ist größer, als sich auf das Althergebrachte zu berufen, und so entgleitet er in einen Kosmos aus Kunst und Geschichten über verlassene Orte, und verliert sich dabei in einem Paradoxon aus Wahrheit und Fiktion. Die Wildschweine in den nahen Maisfeldern seiner provinziellen Heimat können sicherlich als Metapher verstanden werden, sie bleiben genauso unsichtbar, wie das Ziel seiner Suche und die Maisfelder sind ein undurchdringliches Dickicht, dass die Sicht raubt.

Für mich bot »Zeit der Wildschweine« eine unglaublich interessante Leseerfahrung und ich habe es sehr genossen, mich zwischen den Zeilen treiben zu lassen. Die Geschichte hallt definitiv noch etwas länger in meinem Gedächtnis nach und bekommt nur einen kleinen Abzug, da ich mir hinsichtlich der Beziehung zwischen den Charakteren einen stärkeren Rahmen gewünscht hätte.

Fazit

»Zeit der Wildschweine« ist eine besondere Art des Road-Trips, poetisch und melancholisch, in der Kunst genauso Thema ist, wie die Magie verlassener Orte und die Essenz von Identitätsprägung.

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© Bellas Wonderworld; Rezension vom 25.07.2020

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Veröffentlicht am 18.03.2021

Fesselnde Mischung aus Historie, Folklore und Märchen

Die Geschichtensammlerin
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Beschreibung

Die zehnjährige Ileana liebt Geschichten, Märchen und Gedichte, sie schreibt sie auf und sammelt diese Texte wie Schätze. Doch Ileana lebt im kommunistischen Rumänien des Jahres 1989, in ...

Beschreibung

Die zehnjährige Ileana liebt Geschichten, Märchen und Gedichte, sie schreibt sie auf und sammelt diese Texte wie Schätze. Doch Ileana lebt im kommunistischen Rumänien des Jahres 1989, in dem die Menschen in ständiger Angst leben, Lebensmittel immer knapp sind und zu jeder Zeit der Strom ausfallen kann. In dieser Zeit sind Geschichten ein gefährliches Gut, sodass Ileanas wertvolle Sammlung von ihrem Vater vernichtet wird und sie schließlich zu ihren Großeltern aufs Land geschickt wird, um dort in Sicherheit zu sein. Doch die Securiatate dringt nur wenig später bis in die Wäldern der Karparten vor, so dass Ileana genauso schlau und listig sein muss wie ihre Namensvetterin aus ihrem geliebten Märchen, um ihre Familie zu retten.

Meine Meinung

Die Bücher aus dem Wunderraum Verlag sind nicht nur von der speziellen Aufmachung, Hardcover mit Leinenrücken und Lesebändchen, immer etwas Besonderes, sondern auch die Geschichten zwischen den Buchdeckeln wissen ihre Leser*innen zu verzaubern.

Jessica Kasper Kramer verwebt in ihrem Debütroman »Die Geschichtensammlerin« Erzählfäden aus dem historischen Genre mit rumänischer Folklore und märchenhaften Passagen zu einem fesselnden zeitgenössischen Roman. Die Geschichte ist im Jahr 1989 in Rumänien angesiedelt und trägt sich somit im Jahr der blutigen Revolution gegen den neostalinistischen Diktator Ceaușescus und die kommunistische Politik des Regimes zu.

Als Erzählerin und Hauptprotagonistin fungiert die zehnjährige Ileana, die nach der jüngsten Prinzessin aus ihrem Lieblingsmärchen benannt wurde, tatsächlich gab es wirklich einmal eine rumänische Prinzessin mit diesem Namen (es gibt allerdings keinen Bezug zum Märchen im Roman). Als Tochter eines Literaturprofessors liegt ihr die Liebe zu Geschichten bereits in den Genen und so schreibt und sammelt Ileana Erzählungen und Märchen in einer glitzernden Mappe, die ihr alles bedeutet.

Die Kindheit der Geschichtensammlerin ist alles andere als unbeschwert, denn in dem kommunistisch geführten Rumänien herrscht eine raue Atmosphäre der Angst, welche Jessica Kasper Kramer eindrucksvoll in ihren Zeilen einfängt und damit für Gänsehaut sorgt. Auch die Lebensumstände, wie Missstände in der Versorgung mit Lebensmitteln, Stromengpässe, kaum warmes Wasser und die ständige Furcht vor Spitzeln der Securiatate belauscht zu werden, sind Bestandteil des beklemmenden Settings.

Tatsächlich entdeckt Ileanas Familie in ihrer Wohnung eines Tages Abhörwanzen. Die gefährliche Geschichtensammlung vom Vater verbrannt, mit dem Nötigsten im Gepäck, wird Ileana in den Zug gesetzt, der sie von Bukarest zu ihren Großeltern aufs Land bringt. Alleine in der unbekannten Umgebungen ist sie auf die Hilfe ihrer völlig unbekannten Verwandten angewiesen. Doch das Mädchen wird an diesem abgelegenen Ort mit seiner mystischen Aura, die Geschichten über Hexen und Wölfe glaubhaft werden lässt, herzlich aufgenommen und findt eine Freundin, auf die sie sich auch in schweren Zeiten verlassen kann.

Die bedrückenden Kapitel werden immer wieder von den Erzählungen, die Ileana sammelt und natürlich dem Märchen über die listige Prinzessin aufgelockert, welche perfekt mit der historischen Geschichte verschmelzen. Jessica Kasper Kramers Erzähl- und Schreibstil hat mir wirklich gut gefallen, doch an manchen Stellen bricht die Verwendung von zu moderner Sprache und Redewendungen die Buchmagie, denn Wörter wie beckackt, verzapft oder Schiss haben, wollen nicht so recht zum nostalgischen Bild dieser Zeit passen und verleihen dem Werk etwas Entrücktes.

Fazit

»Die Geschichtensammlerin« ist ein bemerkenswertes Romandebüt, das mit einer fesselnden Mischung aus Historie, Folklore und Märchen begeistert.

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© Bellas Wonderworld; Rezension vom 22.07.2020

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Veröffentlicht am 18.03.2021

Beeindruckend & Berührend

Shanghai Dream
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Meine Meinung:

Im Splitter Double wurden die zwei Bände des Comics »Shanghai Dream« des französischen Autors Philippe Thirault und des portugiesischen Illustrators Jorge Miguel zusammengefasst. In ihrer ...

Meine Meinung:

Im Splitter Double wurden die zwei Bände des Comics »Shanghai Dream« des französischen Autors Philippe Thirault und des portugiesischen Illustrators Jorge Miguel zusammengefasst. In ihrer Geschichte über die Auswüchse des Rassismus und Antisemitismus im Zweiten Weltkrieg wurde mir eine kaum bekannte Perspektive eröffnet – die Flucht der verfolgten Juden nach Shanghai.

Der ehemalige Regieassistent Bernhard Hersch und seine Frau Illo, die vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten Drehbücher schrieb, sind geschockt von den Ereignissen der Reichspogromnacht und den immer drastischeren Maßnahmen gegen ihr Volk. Bisher wähnten Sie sich in trügerischer Sicherheit, da ihr Vater ein hochdekorierter Held des Ersten Weltkrieges ist. Doch als sich die Lage zuspitzt, können Sie auch die militärischen Auszeichnungen und Verdienste nicht länger schützen.

Aufgrund der gesundheitlichen Verfassung von Illos Vater hatte die Familie bis zuletzt von einer Flucht abgesehen, doch nun beschließt die Familie sich dem Strom der Verfolgten, darunter zahlreiche Wissenschaftler und Künstler, anzuschließen und den Weg ins Exil einzuschlagen. Jedoch sind längst die üblichen Ziele aus dem Dritten Reich nicht mehr ohne gültiges Visum zu erreichen. Damals wurde die chinesische Stadt Shanghai zu einem, mir bisher weitgehend unbekannten, Fluchtpunkt für die jüdische Bevölkerung – diese letzte Chance nutzten Bernhard und Illo.

Ein letztes Mal lässt der alte Kriegsveteran seine Beziehungen spielen, erhält jedoch nur zwei Tickets für die Schiffspassage in den rettenden Hafen Shanghais. Mit dem Traum, Illos letztes vielversprechendes Drehbuch auf die Kinoleinwand zu bringen, im Gepäck, ahnt Bernhard noch nicht, dass er schon bald völlig auf sich alleine gestellt sein wird.

Die Hoffnung auf ein besseres Leben im Fernen Osten zerplatz jedoch direkt nach der Ankunft im Hafen Shanghais. Obwohl die Stadt von den mit dem Deutschen Reich verbündeten Japanern und anderen Besatzungsmächten regiert wurde, wurden die Juden auch auf Drängen der Nazis nicht verfolgt. Die Lebensumstände für die Flüchtlinge waren allerdings auch an diesem weit entfernten Ort äußerst hart. Bernhard hat jedoch einen starken Willen und kämpft mit allen Mitteln darum, ihren Traum zu verwirklichen und Illos Drehbuch zu verfilmen.

Das kreative Team Thirault und Miguel haben mit »Shanghai Dream« eine unglaublich intensive und mitreißende Geschichte vorgelegt, die die Gräueltaten des NS-Regimes lebendig werden lässt. Die detaillierten Zeichnungen von Jorge Miguel heben die bedrückende und angsterfüllte Stimmung, die die Eingrenzung und Verfolgung eines ganzen Volkes während des Zweiten Weltkrieges entfacht haben, besonders ergreifend hervor. Sehr schön finde ich, dass in der fiktiven Geschichte ein weniger bekannter Fluchtort in den Mittelpunkt gerückt wird und auch die Position der Filmszene aufgegriffen wird.

Mit »Shanghai Dream« tragen Thirault und Miguel einen wichtigen Beitrag »Gegen das Vergessen« bei und erinnern daran, wie zerbrechlich die Freiheit tatsächlich ist und welch hohes Gut die Menschenrechte sind. Um diese Aspekte zu unterstreichen hätte ich mir allerdings noch etwas Anhangmaterial oder zumindest ein Vor- oder Nachwort gewünscht, in dem die historischen Bezüge zu der fiktiven Geschichte und deren Hintergründe deutlich gemacht werden.

Fazit:

Ein beeindruckendes wie auch berührendes Werk über die Flucht vor der Verfolgung und dem Traum einen Film zu verwirklichen.

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© Bellas Wonderworld; Rezension vom 07.07.2020