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Veröffentlicht am 26.12.2016

Moderne Menschen

HELIX - Sie werden uns ersetzen
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"Was würden Sie tun, wenn Sie Ihrem Kind die Anlagen für den Olympiasieg mitgeben könnten? Oder, wo wir schon dabei sind, für höhere Intelligenz, bessere Gesundheit im Alter, längeres Leben?" Vor diese ...

"Was würden Sie tun, wenn Sie Ihrem Kind die Anlagen für den Olympiasieg mitgeben könnten? Oder, wo wir schon dabei sind, für höhere Intelligenz, bessere Gesundheit im Alter, längeres Leben?" Vor diese Entscheidung werden Helen und Greg gestellt, als sie sich für einen Besuch in "New Garden", einer geheimen Gen-Forschungseinrichtung entscheiden. Ihr Kinderwunsch ist so groß, dass all ihre Bedenken in den Hintergrund treten. Zur gleichen Zeit stirbt in München bei einem Staatsbesuch der amerikanische Außenminister und in Brasilien, Indien und Tansania werden Auffälligkeiten bei Tieren und Pflanzen entdeckt. Zufall?

Marc Elsberg hat einen Thriller geschrieben, der nicht nur beim Lesen Gänsehaut entstehen lässt, sondern auch Ur-Ängste des Menschen anspricht. Eingeteilt in 9 Abschnitte, die jeweils einem Tag entsprechen, wird über die Zukunft der Menschheit entschieden. Trotz des sehr wissenschaftlichen Themas kann man der Handlung durch den flüssigen Schreibstil gut folgen. Die Mischung aus Sachinformationen, Spannung und Fiktion macht den Reiz des Buches aus. Ein Personenverzeichnis wäre bei der Personenanzahl und den Handlungsorten hilfreich gewesen. Man findet sich aber nach einigen Seiten auch so zurecht.

Die Beschreibung der Charaktere ist glaubhaft und lebensnah. Die Arroganz der Wissenschaftler, die mit Leben spielen und die Hoffnungslosigkeit kinderloser Paare ausnutzen, ist deutlich spürbar. Die Hilflosigkeit der Politiker und des Staatsschutzes wird gut herausgearbeitet. Am Ende bleiben die Protagonisten aber Randfiguren mit wenig Tiefe.

Schwerpunkt des Romans ist die Gentechnik mit all seinen Facetten. Die Veränderung von Pflanzen hinsichtlich Resistenz und Wachstum haben wir alle wahrgenommen und mehr oder weniger hingenommen. Der große Aufschrei ist bisher ausgeblieben. Im Roman wird auch das Gute herausgearbeitet. Hungernde Menschen in Afrika, die plötzlich genug Mais zum Leben haben. Aber es geht hier auch um Kinder, die durch Genmanipulation mit zehn Jahren schon hochintelligente Wissenschaftler oder gefährliche menschliche Waffen werden. Uns wird der Spiegel vorgehalten: Wollen wir wirklich so eine Welt?

"In den Vereinigten Staaten erlaubt die Religion des Geldes ohnehin fast alles. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die kommunikative Herausforderung vielfältig ist, aber nicht so schwer, wie Sie vielleicht gedacht haben. Die wesentlichen Debatten werden sich früher oder später um die Themen Gleichheit und Gerechtigkeit drehen."

Der Thriller rüttelt auf und weckt die Neugier, auch wenn der Spannungsbogen nicht durchgängig gehalten werden konnte. Die CRISPR-Cas9-Methode ermöglicht der Wissenschaft neue Wege, die rechtlich und ethisch noch nicht berücksichtigt wurden. Wir sollten alle an diesen Entwicklungen beteiligt werden und uns nicht vor vollendete Tatsachen gestellt sehen.

Veröffentlicht am 25.12.2016

Melancholischer Thriller

Schattenkiller
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Im ungewöhnlich düsteren und regenreichen Rom treibt ein Serienkiller im Industrieviertel sein Unwesen. Fundorte und geheimnisvolle Details, wie Schweineherzen und Ventile, wollen nicht zueinanderpassen. ...

Im ungewöhnlich düsteren und regenreichen Rom treibt ein Serienkiller im Industrieviertel sein Unwesen. Fundorte und geheimnisvolle Details, wie Schweineherzen und Ventile, wollen nicht zueinanderpassen. Commissario Mancini wird der Fall förmlich aufgezwungen, denn er scheint der einzige zu sein, der diesem Fall gewachsen ist. Eigentlich möchte dieser aber nur das Verschwinden von Doktor Carnevali aufklären und weiter in seiner Melancholie versinken.

Mirko Zilahy hat für einen Thriller einen eher ruhigen und an manchen Stellen fast schon tiefgründigen Schreibstil gewählt. Die Szenen werden sehr detailliert und atmosphärische beschrieben, jeder Raum, jeder Fundort wird mit vielen Hinweisen angereichert. Man kann sich sehr gut an diese Orte versetzen und bekommt ein Gefühl für die Umgebung. Man merkt, wie wichtig dem Autor die Schilderungen Roms fernab der touristischen Traumziele sind.

"Unter dem rabenschwarzen Himmel, umhüllt vom Regen, wirkte das Kolosseum wie eine Falle aus Marmor und Ziegeln, ein schlummerndes Raubtier, jederzeit bereit für das nächste Blutbad. Der rote, blutdürstige Stein verlieh der elliptischen Kurve eine ebenso massive wie harmonische Form. Hier, vom Hügel aus, sah der mächtige Bau wie ein gigantisches gezahntes Maul aus, noch immer angetrieben von einstiger Wildheit."

Wechselnde Erzählperspektiven helfen dem Leser, Stimmungen der einzelnen Protagagonisten besser wahrzunehmen. Denn hier geht es vor allem um die Charaktere. Mancini ist ein besonderer Protagonist, den das Leben gezeichnet hat. Er ist schwierig und für seine Mitarbeiter nicht einfach zu ertragen. Durch den Tod seiner Frau hat er den Lebenssinn verloren und vermeidet jedwede Berührung. Es wird viel mit Symbolik gearbeitet, durch den der Schmerz verdeutlicht wird.

Nebendarsteller, die plötzlich zu besonderen Momenten führen und fast schon literarisch anmuten, machen den Reiz des Romans aus. Ob es die Angst der Tatortfotografin ist oder die überraschende Anziehungskraft der kühlen Staatsanwältin, man wird von diesen Szenen gefangen genommen.

Leider gibt es aber auch einige Passagen, die viel Raum für theoretische Profilerarbeit einräumen. Wiederholungen der Tathergänge, Zusammenfassungen, die den Spannungsbogen abflachen lassen und Abhandlungen über frühere Mordserien unterbrechen den Lesefluss.

Der Mörder ist keine Überraschung, denn ein anderer Mörder, der viel grausamer und leider auch viel zu oft zuschlägt, steht am Ende im Fokus.

Für mich ein ungewöhnlicher Thriller mit viel Tiefgang, der Rom als völlig neue Kulisse nutzt und durch das Nachwort des Autors zum Nachdenken anregt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
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  • Spannung
  • Handlung
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Veröffentlicht am 24.10.2016

Spuk in der Schule

Hilfe, mein Lehrer geht in die Luft!
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In der Schule passieren lauter böse Streiche und immer ist der 12-jährige Felix Vorndran in der Nähe: Wandschmierereien, verschwundene Mathearbeiten und eine verletzte Lehrerin. Alle sind sich sicher, ...

In der Schule passieren lauter böse Streiche und immer ist der 12-jährige Felix Vorndran in der Nähe: Wandschmierereien, verschwundene Mathearbeiten und eine verletzte Lehrerin. Alle sind sich sicher, das kann nur Felix gewesen sein. Als Ellas Haare völlig verklebt abgeschnitten werden müssen, verliert er auch noch seine beste Freundin. Wem soll er erzählen, dass der Geist von Hulda Stechbarth sein Unwesen in der Schule treibt. Der Bio-Vertretungslehrer Dr. Dr. Witzel scheint ihm zu glauben, aber ist er wirklich so nett wie es den Anschein hat.

"Hilfe, mein Lehrer geht in die Luft" ist die Fortsetzung von "Hilfe, ich hab meine Lehrerin geschrumpft". Man kann das Buch aber auch ohne Vorkenntnisse lesen, denn es gibt genug Hinweise auf den ersten Band. Sabine Ludwig hat einen flüssigen und humorvollen Schreibstil. Das empfohlene Lesealter liegt bei 10 bis 12 Jahren. Meine Söhne fanden besonders gut, dass sie die gleichen Unterrichtsthemen hatten (Destruenten). Die Zielgruppe wird also auch beim Schulstoff getroffen.

Die Charaktere kann man sich dank der guten Beschreibung bildlich vorstellen. Erzähler und Hauptprotagonist Felix kämpft in der Schule um gute Noten, um nicht sitzen zu bleiben und muss zu Hause allein zurecht kommen, weil seine Eltern wenig Zeit für ihn haben. Sympathisch meistert er auch schwierige Situationen und gibt auch dann nicht auf, als alle Mitschüler sich von ihm abwenden. Der Vertretungslehrer Dr. Dr. Witzel ist sehr lustig beschrieben.

"Er war klein. Und rund. Wie eine Kugel auf zwei Beinen. ...Witzel öffnete die Tafel, wobei er sich auf die Zehenspitzen stellen musste. Dabei rutschten seine eh schon kurzen Hosenbeine hoch und man sah seine Strümpfe. Blau-weiß geringelte Socken."

Doch dieser Lehrer ist voller Überraschungen, die Felix sogar in Gefahr bringen.

Witz und Spannung stehen im Vordergrund der Handlung. Nebenbei werden aber auch Schul- und Familienprobleme angesprochen. Die Vorverurteilung von Felix durch seine Mitschüler zeigt, wie schnell man jemanden fälschlich beschuldigen kann. Zum Glück gibt es noch Freundin Ella, die Felix beisteht.

"Hilfe, ich hab meine Lehrerin geschrumpft" hat meinen Kindern ein wenig besser gefallen. In diesem Band waren einige Szenen, in denen nicht viel passiert ist.

Eine schräge unterhaltsame Geschichte, die Kinder lieben.

Veröffentlicht am 21.10.2016

Authentisches Dorfleben

Unterleuten
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Fernab von aller Großstadt-Hektik liegt das Dorf "Unterleuten" in Brandenburg. Hier kennt noch jeder jeden und Zugezogene haben es nicht leicht, denn wer sich nicht an die dörflichen Regeln hält, wird ...

Fernab von aller Großstadt-Hektik liegt das Dorf "Unterleuten" in Brandenburg. Hier kennt noch jeder jeden und Zugezogene haben es nicht leicht, denn wer sich nicht an die dörflichen Regeln hält, wird zum Außenseiter. Ein geplanter Windpark und die damit verbundenen Flächennutzungen lassen das Geflecht aus ungeschriebenen Schuldverhältnissen und gegenseitigen Gefälligkeiten auseinanderfallen. Jeder will ein Stück des Kuchens ergattern und bringt damit das Dorfgefüge ins Wanken. Lange unterdrückte Missgunst, alte DDR-Seilschaften und falschen Ambitionen von Neubürgern ergeben eine explosive Mischung.

Juli Zeh beschreibt ein Dorf, das sicherlich viele schon so vor Augen hatten. Auf den ersten Blick eine ländliche unberührte Idylle, die man erst auf der Karte suchen muss. Die 250 Bewohner lieben es schlicht und ruhig. Die ehemalige LPG, jetzt ein Agrarbetrieb mit Bio-Siegel ist der einzige große Arbeitgeber weit und breit. Neu ist der Aufwand, der um das Buch herum betrieben wurde. Die Autorin sagt selbst über das Buch: "'Unterleuten' hatte von Anfang an die Tendenz, über die Buchdeckel hinaus zu wuchern." Im Internet findet man eine eigene Website http://www.unterleuten.de/, die nicht nur das Dorf mit Ortsplan und die Bewohner akribisch genau in Steckbriefen beschreibt, sondern auch Medien wie facebook und youtube nutzt, um Charaktere des Buches "lebendig" werden zu lassen. Zum Verständnis der Handlung sind diese zusätzlichen Angebote aber nicht erforderlich.

Nach Veränderung strebt in Unterleuten niemand. Die Charaktere sind nicht sympathisch, glatt und nett anzuschauen, sie polarisieren. Jeder hat sich sein eigenes kleines Weltbild geschaffen und lässt daran nicht rütteln.

"Am liebsten sprach er davon, dass das Drama der modernen Politik im fanatischen Streben der Menschen nach Veränderung liege. Die
Menschen von heute konnten nichts lassen, wie es war, auch das Gute nicht. Wenn etwas funktionierte, machten sie es mit ihrer Änderungswut kaputt, bis es wieder Probleme gab, mit deren Lösung sie sich profilieren konnten."


Die Handlung, die nicht mehr als zwei Monate (Juli und August 2010) einnimmt, überrascht durch immer neue Wendungen. Man bewegt sich von der Oberfläche in immer tiefere menschliche Abgründe. So wie man seinen Nachbarn vermeintlich kennt, hat man auch bei den Unterleutenern schnell Schubladen geöffnet und sich eine Meinung gebildet. Doch es kommt anders, dramatisch und unvorhersehbar.

Das Spiel um Missverständnisse und Schuldzuweisungen wird von der Autorin gekonnt inszeniert. Ein gesellschaftskritisches Lesevergnügen der besonderen Art.

Veröffentlicht am 17.10.2016

Die Sprache siegt über die Handlung

Der Hydrograf
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Das Jahr vor dem 1. Weltkrieg ist für den Hydrografen Graf Franz von Karsch-Kurwitz der Aufbruch in ein neues Leben. Auf der Flucht vor gesellschaftlichen Zwängen reist er per Schiff nach Valparaíso, um ...

Das Jahr vor dem 1. Weltkrieg ist für den Hydrografen Graf Franz von Karsch-Kurwitz der Aufbruch in ein neues Leben. Auf der Flucht vor gesellschaftlichen Zwängen reist er per Schiff nach Valparaíso, um das Meer zu erforschen. Eine geheimnisvolle Schönheit kommt in Lissabon an Bord und verdreht nicht nur Karsch den Kopf. Vorgezeichnete Wege und Pflichtgefühl scheinen fern der Heimat ihren Wert zu verlieren.

Gleich zu Beginn hat man das Gefühl, ein viel älteres Buch zu lesen. Der Schreibstil wirkt poetisch entrückt. Allard Schröder setzt auf die Sprache, die er spielerisch und gekonnt verwendet. Die Handlung und selbst die Charaktere werden zur Nebensächlichkeit. Eine Epoche, in der Zeit noch nicht so wertvoll war wie heute. An Karsch kann man erkennen, wie langsam er seine Tage vergehen lässt.
Mit der Emotionslosigkeit von ihm hatte ich anfangs so meine Probleme. Leidenschaft scheint für diesen Mann ein Fremdwort zu sein. Für ihn gibt es nur Pflicht. Er sieht die Sinnlosigkeit allen Tuns (seines Standes) und kapituliert. Die Doppelmoral der damaligen Zeit wird sehr deutlich herausgearbeitet.

"Sein Leben war ihm oft wie eine Flucht erschienen. Nicht
vor etwas, sondern zu etwas. Er suchte ein Refugium, ein Asyl,
einen stillen, weiblich duftenden Ort, an dem sich alles in sei-
ner regungslosen Herrlichkeit zeigte. "


Karsch wie seine Reisebegleiter, der Salpeterhändler Moser und der Lehrer Todtleben, stehen für die sozialen Stellungen. Kurz vor Ausbruch des 1. Weltkrieges befindet sich die Welt im Aufbruch. Adel, Unternehmer und Gelehrte müssen sich neu orientieren, dies wird erlebbar herausgearbeitet.

Die geheimnisvolle Asta Maris lässt Karsch all seine Vorsätze hinterfragen und ihn für eine kurze Zeit frei von Zwängen an die Zukunft denken.
Doch am Ende bleibt Karsch für mich eine tragische Figur, die zeitlebens keinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat.

Meine positive Bewertung liegt an der wundervoll eingesetzten Sprache, die über die Handlung gesiegt hat. Es ist schwer zu beschreiben, was den Reiz des Buches ausmacht, man muss es erleben.