Profilbild von Girdin

Girdin

Lesejury Star
offline

Girdin ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Girdin über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.02.2018

Ein Ende, das erst der Anfang ist

Der Abfall der Herzen
0

Das Buch „Der Abfall der Herzen“ ist das erste, das Thorsten Nagelschmidt, der auch kurz „Nagel“ genannt wird, unter seinem realen Namen veröffentlicht. Es handelt auf zwei Ebenen, nämlich zum einen in ...

Das Buch „Der Abfall der Herzen“ ist das erste, das Thorsten Nagelschmidt, der auch kurz „Nagel“ genannt wird, unter seinem realen Namen veröffentlicht. Es handelt auf zwei Ebenen, nämlich zum einen in der Gegenwart und zum anderen im Rückblick auf den Sommer des Jahres 1999. Während der Autor zu Beginn des Romans autobiographisch beschreibt, wie es zu dem Buch gekommen ist, verschwimmen seine Erinnerungen an die Vergangenheit immer mehr. Daher hat er nicht nur neue Charaktere als seine damaligen Freunde erfunden, sondern auch die Ereignisse fiktionalisiert.

Versteht sich „Abfall“ im geläufigen Sinne als Rest der da bleibt, so ist der Titel passend zu den Versatzstücken zu sehen, die wir mit dem Blick auf frühere Jahre in unserem Gedächtnis gespeichert haben. Die tief in unseren Herzen vergrabenen Gefühle spielen uns dabei manches Mal einen Streich und lassen Szenen ganz anders erinnern als sie sich tatsächlich ereignet haben. Das Cover ist haptisch sehr schön gestaltet. Der sepiafarbene Hintergrund ist fühlbar längs gestreift und spiegelt mit dieser klaren Linie die Regeln und Gesetze der Erwachsenenwelt wieder. Um sich genau davon bewusst abzuheben und den Trotz widerzuspiegeln erscheinen die Jugendlichen im unteren Drittel in den kräftigen Farben türkisblau und orange bei ihrem wagemutigen, aber verbotenen Sprung in den Baggersee.

Der Roman beginnt mit dem Ende, nicht nur weil es vor Beginn des ersten Kapitels so geschrieben steht, sondern weil Thorsten Nagelschmidt zunächst erzählt, wie es dazu kam, dass er sich auf Spurensuche in seine Vergangenheit begibt. Er wohnt heute in Berlin und trifft sich dort eines Tages mit einem guten Freund, mit dem er Jahre vorher im Clinch lag, an der Bar eines Möbelgeschäfts. Plötzlich ist die Rede von einem Brief den er ihm 16 Jahre vorhergeschrieben hat nachdem der Streit angeblich beendet wurde und an den er sich partout nicht erinnern kann. Aber bereits damals hat der Autor Tagebuch geführt.

Das Lesen in den alten Kladden wirft jedoch immer neue Fragen auf, die ihn nicht mehr loslassen. Darum geht er einer Reihe von Anhaltspunkten nach und vereinbart Termine mit seinen Freunden und Bekannten aus Rheine, der Stadt, in der er 1999 gewohnt hat. Hier ist er aufgewachsen und wurde zum Sänger und Songschreiber der Band Muff Potter. Jeder erzählt ihm auf Nachfrage bestimmte Ereignisse aus seiner eigenen Perspektive. Die inzwischen verwaschenen Gedanken bieten ein breites Spektrum dessen, was sich abgespielt haben könnte anstelle von realen Begebenheiten. Erst langsam nähert Thorsten Nagelschmidt sich einer Wahrheit, die ihn gleichzeitig sich selbst ein wenig besser kennen und verstehen lässt. Der Sommer 1999 mit all seinen guten und schlechten Seiten, vor allem aber einer gehörigen Portion Liebeskummer lebt wieder auf für ihn.

Der Autor hat mir reichliche Denkanstöße gegeben, die auch mich in meine eigene Jugend entführt haben. Meine Familiengeschichte ist eng verknüpft mit der Stadt Rheine, so dass ich nicht nur rein gefühlsmäßig in die Vergangenheit gereist bin, sondern auch einige Örtlichkeiten des Romans kenne. Und wenn Thorsten Nagelschmidt mit der Bahn von Rheine nach Aachen fährt und „in einem Kaff namens Lindern“ (S. 167) aussteigt dann ist er nur drei Stationen vorher an meinem Wohnort vorbei gekommen.

Der Autor ist in den vorigen 16 Jahren auch immer wieder zu Besuch in seiner Heimat gewesen, aber eher aus Gewohnheit an den immer gleichen Stätten. Erst der nicht mehr erinnerte Brief führt ihn an Orte zurück, deren Veränderung er sich jetzt erst bewusst wird. Wie viele andere in seinem Alter hat er sich gegen das Erwachsen werden aufgelehnt mit der vollen Absicht, bloß nicht in ausgetretenen Pfaden zu laufen. Sein Studium ruht, die Karriere der Band letztlich ebenfalls, er hält sich mit gelegentlichen Jobs über Wasser. Dennoch ist da nie der Gedanke darüber, ob der eingeschlagene Weg der richtige ist. Viel Alkohol, sogar Drogen und unflätige Manieren sind angesagt, aber schließlich halten seine Freunde und Freundinnen es genauso. Ihr Verhalten ist provozierend, Raufereien unter Gleichaltrigen die anderer Meinung sind nichts Ungewöhnliches. Durch Songs, Filme, Bücher und Ereignissen mit deutschlandweiter Bedeutung wie beispielsweise der Sonnenfinsternis im August, an die ich mich sehr gut erinnere, konnte ich mich im Jahr 1999 verorten.

Thorsten Nagelschmidt nutzt eine schlichte Sprache und erzählt eine alltägliche Geschichte und dennoch machen das Sammelsurium der fiktiven Freunde, darunter Gedankenspinner und Lebenskünstler, die unterschiedlicher kaum sein könnten, die Geschichte abwechslungsreich und zu etwas Besonderem. Es war für mich interessant und spannend zu sehen, was ein Treffen mit einem alten Freund auslösen und wozu eine Suche in der Vergangenheit führen kann. Die Erzählung wirkt nicht nur echt, sondern ist es auch. Aus einer gewöhnlichen Erzählung über seine Jugend verbunden mit Freundschaft, Hass, Liebe und Ängsten gestaltet der Autor auf eine ganz eigene Weise eine mitreißende Reise in die Vergangenheit, die auf ihren Ausgang in der Gegenwart ungeduldig warten lässt. Lassen Sie sich davon mitnehmen!

Veröffentlicht am 28.01.2018

Zwei Perspektiven und entsprechende Cliffhanger entwickeln Lesesog

Die Oleanderfrauen
0

Die junge Frau auf dem Cover des Romans „Die Oleanderfrauen“ von Teresa Simon blickt über eine grüne ausschweifende Parkfläche auf ein stattliches Herrenhaus. Hier könnte Mitte der 1930er Jahre Sophie ...

Die junge Frau auf dem Cover des Romans „Die Oleanderfrauen“ von Teresa Simon blickt über eine grüne ausschweifende Parkfläche auf ein stattliches Herrenhaus. Hier könnte Mitte der 1930er Jahre Sophie gewohnt haben, eine der Protagonistinnen der Geschichte, denn sie gehört zur Familie eines einflussreichen Kaffeehändlers in Hamburg. Von ihr wird erwartet, dass sie sich eines Tages standesgemäß verheiratet. Auf dem Anwesen befindet sich ein Glashaus, in dem die Oleanderpflanzen von Sophies Mutter überwintern. Der Ort eignet sich perfekt für heimliche Stelldicheins mit dem Geliebten. Liebe jedoch kann Gebote und Standesdünkel überwinden und noch viel mehr wie sich später zeigen wird. Doch das ist nur eine der beiden Handlungsfolgen des Buchs, das auf zwei Zeitebenen spielt.

Im Erzählstrang, der in der Gegenwart spielt, besitzt Jule Weisbach seit zwei Jahren in Hamburg-Ottensen ein Café, das sie nach ihrem abgebrochenen Studium eröffnet hat. Eines Tages informiert ihr Vermieter sie über eine drastische Mietpreiserhöhung. Die engagierte junge Frau sucht verzweifelt nach weiteren Verdienstmöglichkeiten. Über eine gute Freundin erhält sie den Auftrag, eine ungewöhnliche Hochzeitstorte zu gestalten. Doch sie selbst ist mit ihrer Arbeit nicht zufrieden. Die über 70-jährige Johanna erfährt als Kundin des Cafés von Jules Dilemma und bietet ihre Hilfe an. Während ihrer Zusammenarbeit erzählt Johanna Jule vom Tagebuch Sophies, das sie auf dem Dachboden ihrer Mutter gefunden hat. Sophie hat das Buch als 16-jährige im Jahr 1938 begonnen, zu einer Zeit, als ihre Gefühle sich für Hannes, den Sohn der Köchin, veränderten. Früher waren sie Spielgefährten, doch nach einer langen Reise von Hannes, fühlt Sophie sich immer stärker zu ihm hingezogen. Johanna und Sophie sind gespannt, ob die beiden eine gemeinsame Zukunft haben werden.

Der Autorin ist hier eine gelungene Verknüpfung der zwei Handlungsebenen gelungen. Als Historikerin versteht sie es, die vorliegenden realen Fakten der Vergangenheit ansprechend einzukleiden und zum Lesen so aufzubereiten, dass die Fiktion als tatsächlich stattgefunden wahrgenommen wird. Den geschichtlichen Hintergrund des Romans bildet zu Beginn die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Schon bald machen sich die Auswirkungen der Politik auf den Kaffeehandel bemerkbar. Obwohl Sophie behütet aufwächst, bleibt auch ihr nicht die zunehmende Macht der Nationalsozialisten verborgen und ihre Besorgnis wächst. Nahezu ohnmächtig nimmt sie die Verfolgung der Juden, von kranken und behinderten Menschen sowie Homosexuellen wahr.

Teresa Simon lässt Sophie weite Teile ihrer Geschichte in Tagebuchform selbst erzählen, so dass ich ihr Gefühlschaos gut nachvollziehen konnte. Mit Ausbruch des zweiten Weltkriegs verändern sich noch einmal Sophies Lebensumstände. Neben dem Bangen um ihre große Liebe, hoffte ich nun darauf, dass sie den Krieg unbeschadet überstehen wird. In einem Nachwort hat die Autorin die wichtigsten historischen Daten kurz in Erzählweise zusammengefasst.

Sowohl Sophie wie Jule sind Frauen mit einem starken Willen, die sich für ihre Ideale einsetzen und dabei auch Rückschläge erleben. Dennoch lassen sie sich nicht so schnell unterkriegen. Gerade die Ecken und Kanten der beiden Frauen machen sie sympathisch und glaubhaft. Die Beschreibung des angebotenen Gebäcks in Jule Kaffee weckte an manchen Stellen bei mir das Verlangen nach einem Stück Kuchen mit authentischem Kaffee. Glücklicherweise hat die Autorin im Anschluss an den Roman einige Rezepte angefügt.

Durch den Wechsel der beiden Perspektiven und entsprechenden Cliffhangern entsteht mit der Zeit ein zunehmender Lesesog, dem ich mich nicht entziehen konnte um zu erfahren, wie beide Geschichten zusammenhängen und enden. Ich kann den Roman jedem empfehlen der nach einer unterhaltsamen mitreißenden Familiengeschichte sucht, die eingebettet in zwei Zeitebenen ist und eine bewegende historische Zeitepoche beinhaltet.

Veröffentlicht am 18.01.2018

Ein Roman voller Musik, zart und doch voller Kraft

Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie
0

„Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie“ von Rachel Joyce ist ein Buch voller Musik. Ein Notenstreifen zieht sich in Wellen über das Cover des Romans. Weiter zu sehen sind eine junge Frau, ein junger ...

„Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie“ von Rachel Joyce ist ein Buch voller Musik. Ein Notenstreifen zieht sich in Wellen über das Cover des Romans. Weiter zu sehen sind eine junge Frau, ein junger Mann und zwei Stühle an einem kleinen Bistrotisch an dem die beiden sitzen werden und damit ist man schon mitten in der Erzählung. Die Autorin nahm mich zeitlich mit den Januar 1988 als die CD gegenüber der Vinylschallplatte an Bedeutung gewann. Der Roman erzählt nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern schaut auch auf die Auswirkungen der strikten Weigerung des Protagonisten Frank, CD’s in sein Sortiment aufzunehmen.

Frank besitzt seit 14 Jahren einen Plattenladen in einem langsam verfallenden Gebäude in einer Gegend mit Häusern ähnlichen Alters und Zustands. Es gibt nur noch wenige weitere Geschäfte in der Straße. In der Stadt ist Frank förmlich eine Institution, denn er verkauft Musik auf Vinyl aller Stilrichtungen und jeglichen Alters. Was ihn aber so einzigartig macht, ist sein Gespür dafür, welches Musikstück sein Kunde gerade benötigt, um wieder in eine gute Stimmung zu kommen. Eines Tages fällt eine junge Frau in einem auffallend grünen Mantel direkt vor seinem Laden in Ohnmacht kurz nachdem sie Frank durch die Schaufensterscheibe in die Augen geblickt hat. Sofort eilen er und einige andere ihr zu Hilfe. Frank vergisst, sie nach ihrem Namen zu fragen, bevor sie spurlos verschwindet. Er ist verwirrt, denn ihm ist aufgefallen, dass er ihr keine passende Musik zuordnen kann. Allerdings hat sie ihre Handtasche zurück gelassen und daher hofft er auf ein Wiedersehen.

Aus der Inhaltsangabe wusste ich, dass Schallplatten im Roman eine große Rolle spielen würden. Zunächst war ich skeptisch, ob ich die Songs kennen würde, die die Autorin für ihre Erzählung ausgewählt hat. Meine Bedenken wurden schnell zerstreut, denn Rachel Joyce schaffte es allein durch die Beschreibung der Komposition, egal ob ernst oder Unterhaltung, mir dessen Aussage zu vermitteln. Daher ist eine Kenntnis der einzelnen Stücke nicht unbedingt notwendig. Man spürt zwischen den Zeilen die Begeisterung der Autorin für die Musik. Sehr schön fand ich auch die kleinen Geschichten zu den Komponisten, die die Autorin ganz nebenbei einstreut.

Bereits bevor der Roman beginnt habe ich Frank und seine besondere Fähigkeit im Prolog kennen gelernt. Er ist ein Bär von einem Mann und ein Gemütsmensch der es versteht, anderen zuzuhören. Den Antrieb, seine Kunden glücklich zu machen und trotz Schwierigkeiten an seinem Plattenladen festzuhalten, konnte ich erst durch die Rückblicke auf seine Kindheit und Jugend besser verstehen. Diese Kenntnis zeigte leider auch eine unerfreuliche Seite des Protagonisten, wodurch er mir aber nicht weniger sympathisch wurde. Von Beginn an hätte ich gerne Ilse, die junge Deutsche, die ihre Tasche in seinem Laden zurück gelassen hat, an seiner Seite gesehen. Neben den beiden liebenswerten Hauptfiguren finden sich in der Geschichte noch eine ganze Reihe weiterer unverwechselbarer Charaktere, die zum besonderen Charme des Romans beitragen wie beispielsweise ein tollpatschiger Verkäufer, eine eifersüchtige Tattoo-Künstler und ein Devotionalien verkaufender Pater.

„Mister Franks fabelhaftes Talent für Harmonie“ hat mir noch besser als erwartet gefallen. Es ist eine emotional berührende Erzählung durch mancherlei Hochs und Tiefs des Lebens. Rachel Joyce versteht es, eine gewisse Spannung zunächst durch die Suche nach Ilse aufzubauen und mich als Leser anschließend darum Bangen zu lassen, ob Frank seinen Laden schließen muss. Und natürlich habe ich auf ein Happy End für Frank und Ilse gehofft. Der Roman ist ein Plädoyer für den Zusammenhalt einer Gemeinschaft. Man spürt das Herzblut der Autorin, das ihn ihm steckt. Zart und doch voller Kraft spielt er mit den Gefühlen der Leser und überrascht mit unerwarteten Wendungen Gerne vergebe ich hierzu eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 11.01.2018

Schwieriges Thema leichtgängig aufbereitet

Rattatatam, mein Herz
0

Im Buch „Rattatatam, mein Herz“ von Franziska Seyboldt schildert die Autorin ihr Leben mit der Angst, wie es denn auch genauso im Untertitel heißt. Bereits als 12-Jährige hatte sie ein prägendes Erlebnis, ...

Im Buch „Rattatatam, mein Herz“ von Franziska Seyboldt schildert die Autorin ihr Leben mit der Angst, wie es denn auch genauso im Untertitel heißt. Bereits als 12-Jährige hatte sie ein prägendes Erlebnis, das ihre Angst hervorrief, in Ohnmacht zu fallen. Dass sie erst als Erwachsene den Mut gefunden hat, darüber zu reden, wird verstärkt durch die Reaktion auf ihr damals ehrliches Bekenntnis einer Lehrperson gegenüber, die sich darauf eher abfällig äußerte. Das Buch hat einen Pappeinband, der gut in der Hand liegt und ein angenehmes Empfinden hervorruft. Die gelben Zacken auf dem Cover ließen mich an ein Elektro-Enzephalogramm denken, sind aber der kreative Ausdruck der Autorin einer Wiese.

Rattatatam, bumm, bumm, poch, poch – wer kennt es nicht, wenn der Herzschlag sich beschleunigt weil man sich in einer Situation befindet, die Angst hervorruft. Im Gegensatz zur Furcht als Reaktion auf eine konkrete oder erahnte Bedrohung bleibt bei der Angst unklar auf welche genaue Gefahr sie sich bezieht. Als Angststörung gilt eine krankhaft überhöhte Angst. Neben vielen verschiedenen Situationen in denen die Autorin Angst empfunden hat, schildert sie ihren Weg in die Therapie. Für sie bedeutete dieser Schritt, das Eingestehen eines Problems. Therapie kann unterschiedliche Formen haben und die nächste Schwierigkeit ist es, eine geeignete auszusuchen. Seit April 2017 hat jeder gesetzlich Versicherte die Möglichkeit bis zu drei Sprechstunden bei einem Psychotherapeuten in Anspruch zu nehmen, ohne Überweisung durch einen Arzt, zur Abklärung weiterer Schritte und zur Ermittlung der passenden Methode, auch verbunden mit einem Wechsel des Therapeuten.

Neben dem Besuch einer Therapie und der Schilderung ihrer Erfahrungen damit, hat die Autorin sich mit Literatur zum Thema beschäftigt und nennt beispielhaft Lektüre dazu. Obwohl ihre Erzählung ein schwieriges Thema behandelt, findet sie einen Schreibstil, der amüsant und locker-leicht zu lesen ist. Das liegt vor allem daran, dass sie auf ungewöhnliche Weise die Angst personalisiert.

Franziska Seyboldt hat den Mut gefunden, mit „Rattatatam, mein Herz“ ein wichtiges Thema, das vielfach verschwiegen wird, öffentlich zu machen auf eine Weise, die zur Diskussion anregt. Ich hoffe, dass das Buch viele Leser finden wird und vergebe gerne eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 02.01.2018

Tragisches Flüchtlingsschicksal in den 1940ern, eingebunden in einen Familienroman

Marlenes Geheimnis
0

Christiane Auberlin, genannt Nane, ist 34 Jahre alt und die Nichte von Marlene, der Titelfigur des Romans „Marlenes Geheimnis“ von Brigitte Riebe. Das, was Marlene im und nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt ...

Christiane Auberlin, genannt Nane, ist 34 Jahre alt und die Nichte von Marlene, der Titelfigur des Romans „Marlenes Geheimnis“ von Brigitte Riebe. Das, was Marlene im und nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, ist in Vergessenheit geraten. Erst Nane bringt die Ereignisse in Bewegung, die dazu beitragen, die Vergangenheit wieder ans Licht zu holen. Nicht nur die Erzählung sondern schon das Cover nahm mich mit an den Bodensee, einer Gegend mit hohem Bestand an Obstwiesen. Auch Familie Auberlin profitiert davon, denn sie verarbeiten Äpfel, Birnen, Kirschen und ähnliches hauptsächlich zu wohlschmeckendem Obstbrand.

Nach einem Pharmaziestudium ohne Abschluss verdingt sich Nane seit mehreren Jahren als Vertreterin für Diätprodukte. Seit geraumer Zeit hat sie gesundheitliche Probleme. Der Tod ihrer Großmutter Eva führt sie zur Beerdigung in die Heimat an den Bodensee ins Haus ihrer unverheirateten Tante Marlene, die die Schnapsbrennerei der Familie weiter fortführt. Auch ihre Mutter Vicky reist an und sofort brechen die alten Streitigkeiten der Geschwister untereinander wieder auf. Verwundert ist Nane über die große Ablehnung ihrer Tante gegenüber den Nachbarn mit deren mit ihr in etwa gleichaltrigen Kindern Lukas und Simon sie früher immer gern gespielt hat. Bei einem Treffen bittet Simon sie, ihm zu helfen, den Nachlass seines Großvaters zu ordnen. Einige Papiere sind in Sütterlin geschrieben und Nane soll den Text entziffern. Kurze Zeit vorher hat Marlene ihrer Nichte ein Notizbuch mit den Lebenserinnerungen von Eva übergeben, die diese für ihre Enkelin aufgezeichnet hat. Während ihre Mutter schon bald wieder abreist, beschließt Nane zu bleiben und in die Vergangenheit der Familie einzutauchen.

Brigitte Riebe hat ein bewegendes Stück deutscher Geschichte in ihrem Roman verarbeitet, das mir bisher nicht präsent war. Ihr Blick in die Vergangenheit führte mich zurück in das Protektorat Böhmen und Mähren nach Reichenberg, dem heutigen Liberec. Stadt und Stadtkreis waren 1939 dem Deutschen Reich eingegliedert worden, doch im Mai 1945 wurden sie der wiedererrichteten Tschechoslowakei zugeordnet. Die ansässigen Deutschen wurden enteignet und vertrieben. Die Wurzeln der Autorin selbst liegen in dieser Gegend. Als promovierte Historikerin hat sie selbstverständlich die damaligen Ereignisse exakt wieder gegeben. Sie wertet dabei nicht über die beteiligten Seiten. Zudem hat sie rund um die historischen Daten eine glaubhafte Geschichte gesponnen, die mich berührt hat.

Im Roman wechseln sich Gegenwart und Vergangenheit ab. Von Beginn an baut die Autorin eine gewisse Spannung auf, denn bereits durch den Titel habe ich ein Familiengeheimnis erwartet und war neugierig darauf, dass dieses aufgedeckt wird. Geschickt setzt Brigitte Riebe einige Cliffhanger sowohl im Heute wie im Damals. Sie begründet die Handlungen ihrer Charaktere und versieht sie mit jeweils eigenen Befindlichkeiten.

Insgesamt hat mich die Art der Darstellung gefesselt. Das tragische Flüchtlingsschicksal hat mich emotional sehr berührt. Die Heimatverbundenheit der Menschen ungeachtet ihrer Nationalität in den verschiedenen beschriebenen Gegenden war deutlich zu spüren. Ich fühlte mich bestens unterhalten und vergebe gerne dazu eine Leseempfehlung.