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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 27.05.2019

Gute Grundidee, aber viel Potential verschenkt

Böses Geheimnis
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Die Psychiaterin Olivia Hofmann sowie Levi Kant, Dozent an der Polizeiakademie und ein früherer Leiter der Mordkommission in Wien, versuchen im gleichnamigen Thriller des Autorenduos B.C. Schiller ein ...

Die Psychiaterin Olivia Hofmann sowie Levi Kant, Dozent an der Polizeiakademie und ein früherer Leiter der Mordkommission in Wien, versuchen im gleichnamigen Thriller des Autorenduos B.C. Schiller ein „Böses Geheimnis“ aufzudecken. Es ist fünf Jahre her, dass der Teenager Lisa Manz ermordet wurde, Levi war in die Ermittlungen involviert. Immer wieder wurde Lisa aufgrund psychischer Probleme in einer Klinik behandelt. Einer der Patienten Olivias erzählt ihr vom Rucksack der Toten, den er zu Hause aufbewahrt und bietet ihr an, sich diesen anzusehen. Als sie sich dem Mehrfamilienhaus nähert, in der ihr Patient wohnt, sieht sie zu, wie er vom Fensterbrett seiner Wohnung im vierten Stock springt. Olivia glaubt, dass er gestoßen wurde. Gemeinsam mit Levi geht sie weiteren Hinweisen nach, mit der dringenden Frage, ob Lisa eventuell noch lebt.

Als Leser konnte ich einen Blick auf ein Stück problematischer Vergangenheit bei beiden Protagonisten werfen. Es ist, wie der angebliche Tod von Lisa, auch fünf Jahre her, dass Ehemann und Tochter von Olivia verschwunden sind. Hierzu gibt es aber enttäuschender Weise später nur kurze Erklärungen. Levi hat seit fünf Jahren Eheprobleme, denn seine Frau wünscht, dass er den Fall Lisa Manz endgültig ruhen lässt und fordert Konsequenzen. Die Kommunikation der Eheleute über das Thema ist nicht genug ausgeführt, so dass ich den Zorn der Ehefrau als nicht gerechtfertigt ansehe.

Leider wurde beim Ausbau des Thrillers viel Potential verschenkt. Es wirkte für mich seltsam, dass Levi Auskünfte erhält, die anderen verwehrt wurden, nur weil er angibt, dass er Polizist ist. Das Autorenduo flicht eine bewegende Geschichte rund um seine Großmutter ein, die allerdings zu den Ermittlungen in keiner Beziehung steht und auch zu keiner anderen Handlung hinführt. Ein Beweisstück wird versteckt und wird nach fünf Jahren jetzt doch plötzlich zur Verfügung gestellt, ein anderes wird vernichtet, obwohl der Besitzer sich über die Möglichkeit von Fingerabdrücken im Klaren sein sollte. Sicher, zur Steigerung der Spannung tragen Stilmittel bei, hier werden sie jedoch teils unpassend angewendet. Die Charaktere blieben für mich blass, ich konnte nicht mit ihnen fühlen, wahrscheinlich weil ich auch die Logik ihrer Handlungen nicht immer nachvollziehen konnte.

Die Geschichte fließt nicht aus dem Ablauf der Geschehnisse heraus, insgesamt wirkt der Thriller versatzstückartig. Die Grundidee der Geschichte ist gut und der tatsächliche Ablauf der Tat und der Täter bleiben lange verborgen. Doch leider hat mir der Thriller aufgrund der oben aufgeführten Punkte nicht gefallen.

Veröffentlicht am 05.09.2018

Romanhandlung rückwärts erzählt hemmt den Lesefluss

Archipel
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Der Roman „Archipel“ von Inger-Maria Mahlke spielt vor dem Hintergrund einer einhundertjährigen Geschichte, die mich als Leserin mit auf die Inselgruppe der Kanarischen Inseln nahm. Die Autorin siedelt ...

Der Roman „Archipel“ von Inger-Maria Mahlke spielt vor dem Hintergrund einer einhundertjährigen Geschichte, die mich als Leserin mit auf die Inselgruppe der Kanarischen Inseln nahm. Die Autorin siedelt die Ereignisse im Buch hauptsächlich auf Teneriffa an, einer Insel die ich selbst zweimal besucht habe, so dass ich mir das Umfeld sehr gut vorstellen konnte. Einen Eindruck dazu gibt das Cover. Im oberen Bereich sind die Inseln des Archipels Gran Canaria und Teneriffa als alte Kartenabbildung zu entdecken, im unteren Bereich steht ein Drachenbaum vor einem typischen kanarischen Landhaus.

Die Geschichte beginnt im Juli 2015. Zunächst lernte ich als Leser die Familie Bernadotte kennen. Sie wohnen in San Cristobal de La Laguna im Norden von Teneriffa. Ana ist Ende 50, studierte Verwaltungswissenschaftlerin und heute in der Politik auf der Seite der Konservativen aktiv. Sie ist aktuell in einen Abhörskandal verwickelt. Ihr kaum älterer Mann Felipe ist ein Spross einer früher auf der Insel hochangesehenen Familie. Früher war er Professor, jetzt ist er nur noch ein Schatten seiner selbst, im Clubhaus sitzend, dem Alkohol zusprechend und den Tag genießend. Rosa, die Tochter der beiden, hat gerade ihr Kunststudium in Madrid abgebrochen und ist auf die Insel zu ihren Eltern zurückgekehrt. Julio Baute, ihr Großvater mütterlicherseits versieht derweil mit Mitte 90 noch seinen Dienst als Pförtner im örtlichen Seniorenheim. Sein Leben umklammert die gesamte Erzählung.
Kaum hatte Inger-Maria Mahlke ihre Figuren und den entsprechenden Hintergrund aufgebaut, steuert sie ihre Geschichte rückwärts über die Jahre bis 1919. Das war sicher nicht nur für mich ungewohnt. Die handelnden Personen blieben in ihrer Zeit zurück, Andeutungen bezüglich des zukünftigen Geschehens blieben unausgeführt. Stattdessen begegneten mir die Charaktere in zunehmend jüngerer Form und ihre Vorfahren. Die Autorin zeigt auf diesem Weg ein Bild der Gesellschaft und der Historie des Archipels, die verknüpft sind mit der Geschichte ganz Europas. Ihre Liebe für die Heimat und seiner Bewohner finden Eingang in ihre Schilderung.

Die Familien von Ana und Felipe beeinflussen die Geschehnisse nicht, sind aber von den Auswirkungen betroffen. Inger-Maria Mahlkes Charaktere bilden alle Gesellschaftsschichten ab, denn neben den Familienzweigen der Bernadottes und der Bautes folgt sie auch dem der Haushälterin von Ana und Felipe. Ihre Themen sind vielschichtig und reichen von Altersarmut über Umgang mit Medien bis hin zu Faschismus und Spanischer Grippe. Während der Rückwärtsgang der Erzählung manches Mal notwendigerweise eine Erklärung des geschichtlichen Hintergrunds benötigt, bei denen die Autorin sich kurz fasst, liegen ihr ihre Figuren am Herzen. Ihr Ding sind die Alltagsbeobachtungen und dazu zoomt sie gerne die Situation nah ran und beschreibt mit ausschmückenden Worten und Sätzen. Dadurch erreicht sie eine große Nähe zu den Personen. Leider fühlte ich mich durch den besonderen Erzählstil nicht zu den Charakteren hingezogen. Mein Lesefluss wurde immer wieder unterbrochen. Kaum nahm das Geschehen vor meinen Augen Form an nahm musste ich es auch wieder gehenlassen und mich mit der Erzählung zurück bewegen.

Einerseits wirkt der Roman konstruiert, der Gedankengang strengt an weil es immer wieder zu Abbrüchen der stringenten Erzählführung kommt. Andererseits zolle ich der Idee und der Ausführung, die Romanhandlung rückwärts zu erzählen, große Anerkennung.

Veröffentlicht am 26.08.2017

Erschreckend

Und es schmilzt
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„Und es schmilzt“ ist der Debütroman der Belgierin Lize Spit. Das Cover des Buchs gaukelt dem Leser mit seiner blümchenhaften Gestaltung eine heile Welt vor. Doch so wie die Buchstaben auf dem Titel haptisch ...

„Und es schmilzt“ ist der Debütroman der Belgierin Lize Spit. Das Cover des Buchs gaukelt dem Leser mit seiner blümchenhaften Gestaltung eine heile Welt vor. Doch so wie die Buchstaben auf dem Titel haptisch spürbar sind, hat das Leben in einem kleinen Dorf in Flandern tiefe seelische Wunden bei der Protagonistin Eva hinterlassen. Auf dem weißen, nach außen unbefleckt wirkenden Umschlag sind bei näherem Hinsehen Schmelzschlieren und Tautropfen zu erkennen. In der Geschichte verhält es sich ähnlich, denn erst wer hinter die Fassade schaut, wird das Hässliche erkennen.

Der Roman wird auf drei zeitlichen Ebenen in der Ich-Form durch Eva erzählt. Es ist Silvester 2015 und die Protagonistin folgt der Einladung eines früheren Klassenkameraden. Zum Schuljahrgang gehörten außer ihr nur noch zwei Jungen. Inzwischen wohnt sie in Brüssel. Sie war seit neun Jahren nicht mehr in ihrem Geburtsort, der ungefähr eineinhalb Stunden entfernt liegt. Vor der Fahrt packt sie sich eine Curverkiste mit gefrorenem Eis in den Kofferraum. Die Erzählung in der Gegenwart erkennt man an den Uhrzeiten, die dem Text vorangestellt sind. Unterbrochen wird die Geschichte zum einen von Rückblicken auf den Sommer 2002, die jedes Mal durch das Datum des Tags betitelt werden, zum anderen von den Erinnerungen Evas an Ereignisse aus ihrem Umfeld in Familie, Schule und Dorf, die eine treffende Bezeichnung als Überschrift haben.

Zunächst ließ mich die Autorin einen Blick auf ihre Familie werfen. Schon nach wenigen Seiten wurde mir klar, dass in Evas Jungmädchenwelt, vielleicht auch heute noch, nicht alles in Ordnung ist, denn sie fühlt sich unvollständig. Es ist schwierig für sie, das Gefühl zu erklären. Anders gesagt, hat Lize Spit dazu nur eine fadenscheinige Erklärung gefunden. Herhalten muss der bei der Geburt verstorbene Zwilling ihres älteren Bruders, der wohl auch für die Alkoholsucht ihrer Eltern verantwortlich gemacht wird. Deutlich wird herausgestellt, dass Eva in dem kleinen Ort kaum Möglichkeiten hatte, Freunde zu finden und daher für ihre Freizeitgestaltung und zur Behebung ihrer Langeweile auf die beiden Klassenkameraden Pim und Laurens angewiesen war.

Die Autorin glänzt mit ihrem Schreibstil, auch den Zeitgeist hat sie gut eingefangen, ihre Fantasie ist grenzenlos, aber ihre Charaktere verharren im eignen Dreck. Eva erzählt als 27-Jährige das, was sie als gerade Vierzehnjährige im damaligen heißen Sommer mit den beiden Jungen erlebt hat. Was ist so faszinierend an der Geschichte? Um dem Buch nicht die Spannung zu nehmen, wird auch im Klappentext kaum etwas von der Handlung angedeutet. Es sind die zu Beginn in den Text gestreuten Hinweise, die beim Leser Fragen hinterlassen wie beispielsweise der Sinn des Eisblocks im Kofferraum, die Todesursache des Bruders von Pim, der Grund für das auffällige Verhalten von Evas Schwester oder auch wieso am Wegrand des Dorfs ein Slip von Eva liegt. Natürlich wollte auch ich hierzu eine Lösung finden, lesend konnte ich aus meiner gesicherten Position voyeuristisch die Gründe entdecken.

Um es hier einmal deutlich auf den Punkt zu bringen: hinter der Fassade verbirgt sich Gewalt an einer Minderjährigen, aber auch an Tieren, verursacht durch Minderjährige! Das ist erschreckend! Tragisch ist auch, dass die Taten scheinbar keine Konsequenzen für die Beteiligten haben. Reue, Bedauern oder Einsicht werden nicht geäußert. Eva, Laurens und Pim haben erfolgreich geschwiegen. Ich hoffe, dass die Darstellung der Gewalt keine Nachahmer finden wird. Neben der 14-jährigen Protagonistin, die einerseits als kreativ und autodidaktisch dargestellt wird und dennoch nur der Langeweile entfliehen will, werden durchgehend die jungen Frauen des Dorfs als lüstern und mit wenigen Hemmungen dargestellt. Die Eltern sind mit sich selbst genug beschäftigt oder stehen im Selbstverständnis hinter ihren Kindern.

Eigentlich mag ich es, wenn der Autor eines Textes ganz nah an das Geschehen ran zoomt. Aber in diesem Roman beugt Lize Spit sich so weit vor, dass mir der Blick vor Augen verschwimmt und mir davon übel wird. Die Autorin selbst äußert sich nicht dazu, inwieweit die Schilderungen autobiografisch sind. Sie selbst ist gleichaltrig mit Eva und ebenfalls im Dorf aufgewachsen. Auf mich wirkt der Roman so, als ob sie sich etwas von der Seele schreiben wollte. Man muss dieses Buch nicht lesen und daher gebe ich auch keine Leseempfehlung.

PS: Ich sehe den Roman als reine Fiktion an, die der Fantasie der Autorin entspricht und habe ihn als solchen bewertet. Sollten sich Personen aufgrund ihrer eigenen Erfahrung in der Geschichte wiedererkennen und Ähnliches erlebt haben, benötigen sie Hilfe. Eine Anlaufstelle dafür ist beispielsweise https://www.hilfeportal-missbrauch.de/startseite.html