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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 26.04.2024

Fesselndes Mosaik

Schattenzeit
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Florian Illies und Uwe Wittstock haben es getan, und auch von Oliver Hilmes gibt es mit „Berlin 1936“ bereits eine Veröffentlichung, die sich dieser Methode bedient, nämlich Ereignisse eines klar definierten ...

Florian Illies und Uwe Wittstock haben es getan, und auch von Oliver Hilmes gibt es mit „Berlin 1936“ bereits eine Veröffentlichung, die sich dieser Methode bedient, nämlich Ereignisse eines klar definierten Zeitraums nicht nur chronologisch zu erzählen, sondern auch durch zahlreiche Perspektivwechsel und Episoden Atmosphäre und Zeitgeist zu veranschaulichen. Doch im Unterschied zu den Vorgenannten richtet Hilmes seinen Blick auf ein individuelles Schicksal und stellt dieses ins Zentrum des erzählenden Sachbuchs „Schattenzeit. Deutschland 1943: Alltag und Abgründe“.

Er erzählt von Karlrobert Kreiten, einem herausragenden Pianisten seiner Generation, gerade einmal siebenundzwanzig Jahre alt, der sich im Gespräch mit einer Freundin der Familie zu unbedachten Äußerungen zur politischen Lage hinreißen lässt. Diese denunziert ihn, Kreiten wird verhaftet, angeklagt, verurteilt und sechs Monate später in Plötzensee gehängt.

Wer nun aber den Autor für die Konzentration auf diesen Fall kritisiert, sollte nicht vergessen, dass Kreiten kein Einzelfall ist, sondern stellvertretend für die namenlosen Gegner des Regimes steht, die ihre Überzeugung mit dem Leben bezahlen mussten.

Neben zahllosen tragischen Ereignissen wirken einige der Episoden (wie z.B. die Beschreibung der Eröffnung von E. Ardens Schönheitssalon) fast schon banal, und ja, sie sind es auch. Aber sie haben durchaus ihre Berechtigung und den Platz in diesem Buch verdient, denn sie vermitteln in ihrer Gesamtheit ein Gefühl für die Atmosphäre und das, was den Alltag 1943 ausmacht.

Ein fesselndes Mosaik, hervorragend recherchiert und aufbereitet, lebendig erzählt, berührend und passagenweise nur schwer zu ertragen. Ein wichtiges Zeitzeugnis, das ich allen Leserinnen und Lesern nachdrücklich empfehle.

Veröffentlicht am 23.04.2024

Gibt es den perfekten Mord?

Die Gabe der Lüge
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Einmal mehr ermittelt Karen Pirie (DCI der Cold Case Unit Edinburgh) samt Team. Und der aktuelle Fall hat es in sich, nicht zuletzt wegen der stark eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten aufgrund der erzwungenen ...

Einmal mehr ermittelt Karen Pirie (DCI der Cold Case Unit Edinburgh) samt Team. Und der aktuelle Fall hat es in sich, nicht zuletzt wegen der stark eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten aufgrund der erzwungenen Einschränkungen durch den Lockdown. Die Stadt steht still, die Straßen wie ausgestorben. Die Menschen ängstlich und verunsichert, was aber das kleine Team um Pirie nicht daran hindert, dem Hinweis einer Archivarin der hiesigen Bibliothek nachzugehen. Diese hat im Nachlass eines kürzlich verstorbenen Autors ein Manuskript mit brisantem Inhalt entdeckt, das Ähnlichkeiten mit dem Fall einer vermissten Studentin aufweist. Sie alarmiert Minzdrops (bitte nennt ihn Mint) alias Jason. Höchste Alarmstufe für Karen, Mint und Daisy.

Mit dem Konzept dieses Buch-im-Buch Kriminalfalls spielt Val McDermid einmal mehr ihre Fähigkeiten als routinierte Autorin aus und plottet aus einer eher unspektakuläre Ausgangssituation, die zudem nur mit einer Covid geschuldeten geringen Anzahl an Personen/Verdächtigen aufwarten kann, einen Kriminalroman mit Hitchcock’schem Touch. Und glücklicherweise vernachlässigt sie nicht den Blick auf die Protagonisten der Reihe, die zwar trotz aller Einschränkungen bemüht sind, ein Mindestmaß an Normalität aufrecht zu erhalten, aber dennoch höchst unterschiedlich mit der veränderten Realität umgehen.

Durch das wiederholte Einfügen recht langer Passagen des Manuskripts leidet bisweilen Tempo und Spannung, zumal sich die Vermutung der routinierten Krimileser(in) als Gewissheit entpuppt. Hier hätte der eine oder andere Twist auf eine falsche Spur führen und für Überraschung sorgen können.

Obwohl die Autorin wesentlich spannendere Krimis im Angebot hat, war „Die Gabe der Lüge“ für mich dennoch eine willkommene Fortsetzung der Reihe. Die ironischen Plaudereien aus dem Nähkästchen über Seelenzustände von Autoren, plus die Insiderstorys über Intrigen aus dem Literaturbetrieb, machen diesen Mangel allemal wett.

Veröffentlicht am 21.04.2024

Ein Blick hinter die Kulissen

Das Nord
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Ein Sterne-Restaurant als Setting ist mir bisher in einem Thriller noch nicht untergekommen, und genau dort ist „Das Nord“ verortet, die erste Gemeinschaftsproduktion des Autorinnenduos Anna Winberg Sääf ...

Ein Sterne-Restaurant als Setting ist mir bisher in einem Thriller noch nicht untergekommen, und genau dort ist „Das Nord“ verortet, die erste Gemeinschaftsproduktion des Autorinnenduos Anna Winberg Sääf und Katarina Ekstedt, beide keine Neulinge in der schwedischen Buchszene. Winberg Sääf kennt man als erfolgreiche Romanautorin und Ekstedt als Verlagsleiterin und Autorin von Kinder- und Jugendbüchern.

„Das Nord“ wird als Kulinarik-Thriller vermarktet, und hier wird es interessant, ist Katarina Ekstedt doch mit dem Sterne- und Ausnahmekoch Niklas Ekstedt verheiratet, kann also sowohl ihre eigene Kenntnisse als auch Informationen aus erster Hand in die Story einfließen lassen und Leserinnen/Lesern einen Blick hinter die Kulissen ermöglichen.

Zum Inhalt: Alex kämpft. Er hat zwar erfolgreich eine Kochausbildung abgeschlossen, aber dennoch findet er keine Arbeit. Niemand will ihn einstellen, denn da ist noch immer die Beteiligung an einem Unfall, die einen großen Schatten auf seine Vita wirft und ihm alle Chancen auf einen Neuanfang verbaut. Deshalb zögert er nicht, als ein alter Freund ihm seine freigewordene Stelle als Hilfskoch im Sterne-Restaurant Nord anbietet. Er sagt zu, ist das doch die Chance, auf die er gewartet hat. Aber die anfängliche Euphorie weicht bald einem unbehaglichen Gefühl, ausgelöst durch das unberechenbare Verhalten der Chefin…

Es dauert lange, sehr lange, bis sich die Story entwickelt. Lange Zeit passiert kaum etwas von Belang, so dass die Protagonisten und ihre Persönlichkeit eher unberücksichtigt bleiben, zur Nebensache degradiert werden. Das Äußere wird mit durchaus atmosphärisch gelungenen Beschreibungen des verschneiten Jämtlands aufgezeigt, das Innere ermöglicht einen detaillierten Blick in die Restaurantküche sowie auf die stupiden Aufgaben, die einen Jungkoch aufgetragen werden (ich sage nur Thymianblätter abzupfen). Was definitiv viel zu kurz kommt, ist die Charakterisierung der Personen und, was für einen Thriller unabdingbar ist, der kontinuierliche Spannungsaufbau.

Von daher wurden meine Erwartungen nur eingeschränkt erfüllt. Die Küchenszenen waren zumindest interessant, die Story leider ziemlich langatmig und vorhersehbar.

Die Fortsetzung „Das Syd“ (gleiche Personen, anderer Ort) erscheint am 23.07.24.

Veröffentlicht am 18.04.2024

Ausflug in die minoische Vergangenheit

Kretisches Rätsel
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In „Kretisches Rätsel“, Band 6 der Michalis Charisteas-Reihe, nimmt uns der Autor einmal mehr in die minoische Vergangenheit der größten griechischen Insel mit. Ausgangspunkt ist Knossos, ein touristischer ...

In „Kretisches Rätsel“, Band 6 der Michalis Charisteas-Reihe, nimmt uns der Autor einmal mehr in die minoische Vergangenheit der größten griechischen Insel mit. Ausgangspunkt ist Knossos, ein touristischer Hotspot mit Wiedererkennungswert, da diesen wahrscheinlich die meisten Urlauber, so sie denn nicht nur einen reinen Badeurlaub auf Kreta verbringen, schon einmal besucht haben.

Auf dem Palastgelände wird ein archäologischer Mitarbeiter und Kollege Hannahs (Michalis deutsche Verlobte) tot aufgefunden. Die Kopfwunde weckt Zweifel, weshalb Michalis und sein Partner Koronaios zum Fundort der Leiche beordert werden, obwohl Michalis auf Bitten seiner Mutter wegen seiner bevorstehenden Hochzeit nur noch mit Lappalien beschäftigt werden sollte. Es stellt sich heraus, dass der Tote kürzlich ein Kloster auf der Halbinsel Akrotiri besucht und dort Nachforschungen angestellt hat. Der Besuch der beiden Ermittler im Kloster bleibt allerdings weitgehend ergebnislos, da sich die Mönche auf ihr Schweigegebot berufen, aber es scheint, als ob der Tote einem sensationellen archäologischen Fund auf der Spur war. Ein Umstand, der ihn bedauerlicherweise das Leben kostete.

Um Informationen zu sammeln und den Täter dingfest zu machen, beginnt für Michalis und Pavlos die kleinteilige Ermittlungsarbeit, bei der sie neben zahllosen Gesprächen auch noch auf den Spuren der Minoer gefühlt sämtliche Ausgrabungsstätten und Siedlungen besuchen, die dieser Hochkultur zugeschrieben werden. Knossos, Gortys, Phaestos, die Messara-Ebene, Zominthos, Kato Zakros und Kalamaki, alles dabei, was Rang und Namen in der archäologischen Welt hat.

Zwei Punkte sind mir positiv aufgefallen. Weder nehmen in diesem Band die ausufernden und in den Vorgängern permanent wiederholten Schilderungen des familiären Alltags von Michalis und Hannah, noch die detaillierten Beschreibungen ihrer Hochzeitsvorbereitungen über Gebühr Raum ein. Und auch der Wechsel der Handlungsorte weg vom westlichen gelegenen Chania und Umgebung hin zum Süden und Osten hat das geografische Spektrum angenehm erweitert.

Allerdings hatte ich stellenweise das Gefühl, einen Führer für archäologische Rundreisen in Händen zu halten, denn zu jedem minoischen Ermittlungsort gab es von Seiten des Autors ausführliche Hintergrundinformationen, die man, wenn man daran interessiert ist, problemlos im Reiseführer oder Internet findet. Leider geht das auf Dauer zu Lasten von Tempo und Spannung und schafft in einem Kriminalroman unnötige Brüche, die es zu vermeiden gilt.

Alles in allem mit den erwähnten Einschränkungen als Urlaubslektüre empfohlen.

3,5 von 5, aufgerundet auf 4 Sterne

Veröffentlicht am 15.04.2024

Wie ein Bestseller gemacht wird

Vom Kochen und Leben auf dem Land
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Wie wird ein Bestseller gemacht? Eine Frage, die ich mir insbesondere im Fall von Julius Roberts‘ „Vom Kochen und Leben auf dem Land“ gestellt habe, weckt der Untertitel „Homefarming-Kochbuch mit über ...

Wie wird ein Bestseller gemacht? Eine Frage, die ich mir insbesondere im Fall von Julius Roberts‘ „Vom Kochen und Leben auf dem Land“ gestellt habe, weckt der Untertitel „Homefarming-Kochbuch mit über 100 leckeren, saisonalen und naturnahen Rezepten und Geschichten über das Landleben“ doch Erwartungen, die der Autor meiner Meinung lediglich hinsichtlich der Geschichten über das romantische Landleben erfüllt. Stellt sich nun natürlich die Frage, warum dieses Lese-/Kochbuch so erfolgreich ist.

Dazu muss man sich vor Augen halten, wie dieser Bestseller gemacht wurde. Roberts‘ kochtechnische Qualifikation kann dafür ja wohl nicht verantwortlich sein, hat er doch weder eine Ausbildung als Koch noch sonderlich lange als Angelernter in der Küche des Londoner Restaurants durchgehalten. Meiner Meinung nach liegt das in erster Linie an der ausgezeichneten Arbeit (dafür auch die drei Sterne der Gesamtwertung) der Fotografin Elena Heatherwick, zumindest was Coverfoto und die idyllische Darstellung des Landlebens betrifft.

Nicht vergessen sollte man außerdem, dass der charmant lächelnde Julius Roberts vom Coverfoto extrem gut vernetzt und über die Maßen präsent in den sozialen Medien (TikTok, Instagram) ist. Die 847.000 Follower bei Instagram sprechen für sich. Und sowohl in Interviews als auch in seiner Kochshow „Taste of the Country – Sommer auf dem Land“ präsentiert er sich sympathisch und gibt genau die Antworten und Statements, die die Leser und Zuschauer hören wollen und erwarten.

Die Rezepte an sich haben mit Landküche, speziell mit der, die ich aus England kenne, wenig bis nichts gemeinsam. Das fängt schon bei den Zutaten an: Sardellen und Chilischoten in gefühlt jedem zweiten Rezept, französischer Comté anstelle englischen Cheddars auf der Quiche (?), italienische Rohwürste statt Bangers im Wursteintopf. Pastinaken, Möhren etc. Mangelware. Meiner Meinung nach sind die vorgestellten Gerichte eher eine wilde Mischung aus verschiedenen Länderküchen, überwiegend Italien und Frankreich, die in englischen, bäuerlichen Haushalten auf dem Land so nicht zubereitet werden. Und das schon mangels der Zutaten, die der schmal sortierte Dorfladen üblicherweise nicht im Angebot hat. Des Weiteren ist mir auch absolut unverständlich, warum ein Kochbuch, das mit vegetarischen Rezepten wirbt, dermaßen fleischlastig sein muss.

Für mich ist das Buch die Mogelpackung eines Aussteigers mit monetärer Sicherheit im Hintergrund, der seine Nische gefunden hat. Mit der bäuerlichen Realität, auch der in Dorset/England, hat es allerdings überhaupt nichts zu tun. In erster Linie ist es ein Lesebuch für Stadtmenschen, die von einem Idyll auf dem Land fernab der Städte träumen.