Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 09.08.2020

Auftakt einer neuen Reihe

Old Bones - Tote lügen nie
0

„Old Bones“ ist der Auftakt einer neuen Reihe des Autorenduos Preston/Child. Und es ist gleichzeitig so etwas wie ein Spin Off, denn die beiden Protagonistinnen kennen wir bereits aus den Agent Pendergast-Büchern. ...

„Old Bones“ ist der Auftakt einer neuen Reihe des Autorenduos Preston/Child. Und es ist gleichzeitig so etwas wie ein Spin Off, denn die beiden Protagonistinnen kennen wir bereits aus den Agent Pendergast-Büchern. Nora Kelly, die Archäologin und Kuratorin in Santa Fe, und Corrie Swanson, das etwas schräge, ehemalige Mündel von Pendergast, mittlerweile FBI-Agentin.

Ausgangspunkt ist eine durch Tagebücher verbriefte tragische Geschichte: 1846 machen sich 87 Siedler, bekannt als die Donner Party, auf den Weg nach Westen, aber nur ein Teil von ihnen wird dort ankommen. Starke Schneefälle in der Sierra Nevada überraschen den Treck und verhindern das Weiterziehen, die Vorräte gehen zur Neige, 34 sterben. Die Übrigen überleben nur, weil sie sich ihre toten Reisegefährten einverleiben. Soweit die Fakten.

Nun zur Fiktion: Der kalifornische Historiker Clive Benton ist im Besitz eines solchen Tagebuch und glaubt, dass er anhand dessen den ehemaligen Lagerplatz der Gruppe bestimmen kann. Aber für den Feldeinsatz benötigt er Noras Hilfe, da es ihm an den nötigen Fähigkeiten für die Ausgrabung mangelt. Sie willigt ein, rechnet aber nicht mit den schrecklichen Ereignissen, die ihren Lauf nehmen, als das Gerücht auftaucht, dass in der Nähe des Lagers ein sagenhafter Goldschatz vergraben sei. Hier kommt dann Corrie ins Spiel, die die Mordermittlungen vor Ort leitet.

Ein interessanter Plot, leider stellenweise mit archäologischem Fachwissen überfrachtet und deshalb nicht unbedingt von Tempo geprägt. Aber die Überschneidungen, Verschränkungen zwischen damals und heute, haben für historisch interessierte Leser durchaus ihren Reiz. Obwohl die Geschichte der Donner-Party, ihres Überlebenskampfes, ihres Kannibalismus, bereits vielfach anhand verschiedenster Prämissen analysiert wurde, liefern Preston/Child mit diesem unterhaltsamen Roman einen verblüffenden Ansatz und eine neue Interpretation der damaligen Ereignisse. Vielleicht war es ja wirklich so, wer weiß?

Veröffentlicht am 05.08.2020

Terror der Hoffnungslosigkeit

Zeiten der Heuchelei
0

Die griechische Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die normalen Bürger sind seit 2011 ein wiederkehrendes Thema der Kostas Charitos-Krimis von Petros Markaris. So auch in „Zeiten der Heuchelei“, dem ...

Die griechische Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die normalen Bürger sind seit 2011 ein wiederkehrendes Thema der Kostas Charitos-Krimis von Petros Markaris. So auch in „Zeiten der Heuchelei“, dem zwölften Band der Reihe, in dem der frischgebackene Großvater sich um besonders vertrackte Morde kümmern muss. Auf den ersten Blick erschließt sich die Wahl der Opfer nicht, handelt es sich doch um unbescholtene Bürger, um hochangesehene Stützen der Gesellschaft. Ein sozial engagierter Hotelier, der Stipendien an notleidende Studenten vergibt, ein Abteilungsleiter im Griechischen Statistikamt sowie zwei EU-Beamte plus ein Grieche, die bei einem Autounfall ums Leben kommen.

Die Gutmenschen-Profile von Opfer 1 und 2 bekommen Risse, als den Medien Bekennerschreiben zugespielt werden. Das „Heer der Nationalen Idioten“ übernimmt die Verantwortung für die Anschläge und bezichtigt die Opfer der Heuchelei. Die Ermittlungen ergeben, dass der Hotelier seinen Firmensitz auf die Kaiman-Inseln ausgelagert hat und so seine Gewinne am griechischen Fiskus vorbei schleust, der Beamte hingegen frisiert Statistiken für die EU. Offenbar wesentlich besser entlohnt, als das Einkommen, dass die „normalen“ Griechen, so sie denn überhaupt eine feste Arbeit haben, als Monatslohn erwarten können. Im Durchschnitt ca. 300 Euro, zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Rentenzahlungen, die die Bezeichnung nicht verdienen und die Bezugsberechtigten in die Obdachlosigkeit treiben. Und der Staat? Schaut zu.

Wie viel Frust und Ungerechtigkeit muss erduldet werden, bis sich die Opfer dieses Systems formieren? Bis sie die Öffentlichkeit suchen, die Missstände benennen wollen und dabei in der Wahl der Mittel nicht zimperlich sind?

Wieder einmal brisante Themen des griechischen Alltags, auf die Markaris unseren Blick richtet. Allerdings ist die Umsetzung nur in Teilen gelungen. Viel zu viel Baby-Eia, viel zu viel Großfamilien-Idyll, viel zu viel Bürokraten-Blabla. Dafür viel zu wenig zielgerichtete Ermittlungsarbeit, eher ein kollektives Stochern im Nebel von Kommissar Charitos samt Team und hinzugezogenen Experten. Und der Verzicht auf die gebetsmühlenhaften Wiederholungen der Ermittlungsergebnisse hätte dem Roman sicher nicht zum Nachteil gereicht.

Veröffentlicht am 04.08.2020

Über die Funktion von Sprache als Werkzeug und Waffe

Die Topeka Schule
0

Ben Lerners „Topeka-Schule“ habe ich seit Ende des vergangenen Jahres auf dem Radar, denn damals ist es auf Barack Obamas Highlight-Liste 2019 aufgetaucht, die für mich immer wertvolle Anregungen bietet.

Adam ...

Ben Lerners „Topeka-Schule“ habe ich seit Ende des vergangenen Jahres auf dem Radar, denn damals ist es auf Barack Obamas Highlight-Liste 2019 aufgetaucht, die für mich immer wertvolle Anregungen bietet.

Adam und Darren, das sind die beiden Pole, um die herum sich diese Geschichte des Erwachsenwerdens entfaltet. Der eine bei allen beliebt, Klassenbester des Debattierteams. Der andere ein Außenseiter mit eingeschränkten Fähigkeiten, Patient bei Adams Vater Jonathan, Therapeut in einer psychiatrischen Einrichtung. Und da ist dann noch Adams Mutter Jane, eine berühmte Feministin, die immer wieder Anfeindungen aus der männlichen Ecke ausgesetzt ist. Adam nimmt Darren unter seine Fittiche, führt ihn in seine Kreise ein…mit fatalen Folgen.

Der Roman ist eine äußerst herausfordernde Lektüre, anstrengend zu lesen. Ein Handlungsfaden ist kaum zu erkennen, was an daran liegen mag, dass Lerner die Erzähltechnik des „stream of consciousness“ einsetzt, ungeordnet zwischen Zeiten, Personen und Ereignissen hin und her springt.

„Die Topeka Schule“ ist zum einen ein Buch über Sprache, deren Funktion als Werkzeug und Waffe, zum anderen ein Buch über toxische Männlichkeit. Beides verwoben zu einer kritischen Bestandsaufnahme der amerikanischen Gegenwart im Mittleren Westen, die aufzeigt, was Sprache anrichten und welche Auswirkungen sie auf eine Gesellschaft haben kann.

Sie glauben nicht an einen Zusammenhang? Oh doch, den gibt es. Bestes Beispiel der letzten Zeit sind die Tiraden des amtierenden amerikanischen Präsidenten.

Veröffentlicht am 27.07.2020

Es menschelt in Fjällbacka

Der Leuchtturmwärter (Ein Falck-Hedström-Krimi 7)
0

„Der Leuchtturmwärter“ ist mittlerweile der 7. Band der Krimireihe um Erica Falck und Patrik Heckström, die ich alle mit großem Vergnügen gelesen habe, denn die schwedische Autorin Camilla Läckberg schreibt ...

„Der Leuchtturmwärter“ ist mittlerweile der 7. Band der Krimireihe um Erica Falck und Patrik Heckström, die ich alle mit großem Vergnügen gelesen habe, denn die schwedische Autorin Camilla Läckberg schreibt nicht nur spannende Kriminalgeschichten, sondern erzählt ihren Lesern auch noch von den kleinen und großen Katastrophen, die in der Familie, dem Freundeskreis und in Ericas und Patriks Wohnort Fjällbacka geschehen. Im Vergleich zu den anderen skandinavischen Schriftstellern schreibt Frau Läckberg mit leichter Hand und ergeht sich nicht in der endlosen Beschreibung depressiver Seelenzuständen, denn ihrer Protagonisten haben, wie auch ihre Leser, mit den ganz normalen Widrigkeiten des alltäglichen Lebens zu kämpfen. Und genau das macht die Reihe lesenswert – denn es menschelt in Fjällbacka.

Läckberg macht bereits in den ersten Seiten ihres Krimis verschiedenen Handlungsstränge auf, die den Leser dazu anregen, sich Fragen zu stellen: Wer hat Fredrik, Annies Mann, getötet? Was ist mit Mats geschehen, der offenbar misshandelt wurde? Wer hat das getan und warum? Was geschieht mit der Beziehung zwischen Anna und Dan? Können sie den Tod ihres Kindes überwinden? Was hat es mit dem Leuchtturm auf sich, in dem es angeblich spukt? Und welche Rolle spielen Erica und Patrik in diesen Zusammenhängen?

Leicht zu lesende, spannende Unterhaltung mit liebenswerten Protagonisten, das ist es, was diese Reihe auszeichnet. Genau die richtige Lektüre für Sommertage im Liegestuhl.

Veröffentlicht am 03.07.2020

Vom Gehen und Bleiben

Aus und davon
0

Elisabeth, die „Eli-Oma“, hat Enkel-Dienst. Ihre Tochter gönnt sich eine Verschnaufpause in den Vereinigten Staaten und sie managt derweil den Familienalltag in der Stuttgarter Ostendstraße mit den beiden ...

Elisabeth, die „Eli-Oma“, hat Enkel-Dienst. Ihre Tochter gönnt sich eine Verschnaufpause in den Vereinigten Staaten und sie managt derweil den Familienalltag in der Stuttgarter Ostendstraße mit den beiden Kindern. Raus aus dem vertrauten Habitat in Hedelfingen in eine Umgebung, die ihr äußerst suspekt ist, die so gar nichts mit der gewohnten Aufgeräumtheit zu tun hat, die ihr bisheriges Leben bestimmt hat, sie mit Herausforderungen konfrontiert, denen sie sich anfangs nicht gewachsen fühlt, schlussendlich aber doch bewältigt. Auch – und vor allem – durch den Blick zurück.

„Aus und davon“ ist aber mehr als ein bloßer Familienroman. Hahn richtet ihren Blick entlarvend, aber nie wertend, auf die kleinen und großen Fluchten aus brüchigen Beziehungen, auf das Weggehen und das Dableiben, auf das sich Davonstehlen aus Lebensumständen, die die Freude am Leben im Keim ersticken. Elisabeth hat es schon einmal geschafft, konnte sich aber dennoch nicht völlig von ihrer pietistischen Sozialisation lösen, auch wenn sie glaubte, ihr durch die Heirat mit Hinz entkommen zu sein. Jetzt hat er sie nach seinem Schlaganfall verlassen, ist weg mit einer Reha-Bekanntschaft. Auch ihre Tochter Cornelia braucht wieder Luft zum Atmen, nachdem ihr Mann sie verlassen hat und zurück in seine griechische Heimat gegangen ist. Ob ihr die USA-Reise auf den Spuren ihrer ausgewanderten Großmutter dabei helfen kann?

Drei Ebenen aus Vergangenheit und Gegenwart, die Hahn gekonnt verbindet. Natürlich der Stuttgarter Alltag mit Elisabeth und den beiden Enkeln, Cornelias Erlebnisse während ihrer Reise und dazu dann noch der Rückblick auf die Geschichte der Großmutter. Vergangenheit und Gegenwart fließen ineinander, bedingen und beeinflussen sich gegenseitig, zeigen Zusammenhänge auf und heilen am Ende. Jeden einzelnen. Zumindest ein bisschen.