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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 20.01.2022

Brillant!

Sarah Jane
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Sarah Jane erzählt ihre Geschichte: Aufgewachsen im amerikanischen Süden, die Eltern sind arm, ihre Beziehung problematisch. Die Kindheit schwierig, sie kommt mit dem Gesetz in Konflikt, hat die Wahl zwischen ...

Sarah Jane erzählt ihre Geschichte: Aufgewachsen im amerikanischen Süden, die Eltern sind arm, ihre Beziehung problematisch. Die Kindheit schwierig, sie kommt mit dem Gesetz in Konflikt, hat die Wahl zwischen Gefängnis oder Armee. Also ab in den Irak. Zurück in den Staaten heiratet sie den falschen Mann, ist wieder für sich, schlägt sich so durch, arbeitet mal hier, mal da, bis sie schließlich irgendwo im Nirgendwo in einer Kleinstadt landet und sich Cal, der dortige Sheriff, ihrer annimmt. Er bringt ihr bei, was sie in diesem Job wissen und können muss, bildet sie aus. Doch dann verschwindet er, lautlos und ohne Ankündigung. Sarah, inzwischen widerwillig auf dem Posten als seine Stellvertreterin, muss herausfinden, was mit ihm passiert ist. Sie lüftet seine Geheimnisse, aber ihre eigenen hält sie unter dem Deckel. Gibt es das einschneidende Ereignis aus ihrer Vergangenheit, mit dem sie unerwartet konfrontiert wird?

Es sind immer die Menschen, die bei James Sallis im Mittelpunkt seiner Romane stehen. Er verzichtet auf ausufernde Beschreibungen mit einer Vielzahl von Adjektiven, aber dennoch reicht ihm ein kurzer Satz, damit man eine Situation zur Gänze erfasst und ein Gefühl für den Menschen, die Situation oder die Umgebung bekommt. Bei ihm sitzt jedes Wort genau da, wo es hingehört. Kurz, knapp, präzise, kein Drumherumgerede, oft nur Andeutungen. Es ist wie es ist. Punkt. Und genau das verleiht dem Roman seine Intensität. Sallis reduziert, komprimiert, baut Momentaufnahmen, geht in der Zeit vor und zurück, Menschen tauchen auf, bleiben kurz, verschwinden wieder, kommen zurück. Bruchstücke, die aber den Lesefluss nicht hemmen, sondern sich nach und nach zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen. Brillant!

Veröffentlicht am 18.01.2022

There's a crack in everything...

Milch Blut Hitze
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„Milch Blut Hitze“ ist eine Sammlung von elf Kurzgeschichten der amerikanischen Autorin Dantiel W. Moniz, die sich auf das Innenleben und die zwischenmenschlichen Beziehungen von schwarzen Mädchen und ...

„Milch Blut Hitze“ ist eine Sammlung von elf Kurzgeschichten der amerikanischen Autorin Dantiel W. Moniz, die sich auf das Innenleben und die zwischenmenschlichen Beziehungen von schwarzen Mädchen und jungen Frau konzentrieren. Und obwohl alle Geschichten im Sunshine State Florida verortet sind, haftet ihnen etwas Düsteres an. Sei es das Mädchen, das wissen möchte, wie sich Fliegen anfühlt und sich vom Dach in den Tod stürzt, oder die Frau, die, noch immer von der Fehlgeburt traumatisiert, die Gliedmaßen ihres verlorenen Kindes in Alltagsgegenständen sieht, aber auch die Kellnerin, die den Teilnehmern des Supper-Clubs eine exklusive Spezialität serviert. Es sind die verschiedensten Charaktere, die sich alle mit herausfordernden Situationen konfrontiert sehen, die sowohl Licht als auch Schatten in sich tragen und deren Gemeinsamkeit in der Frage nach dem individuellen Platz in der Welt besteht. Vermutungen können wir anstellen, aber einfache Antworten darauf gibt es nicht.

Die Geschichten gehen dem/der Leser*in nahe, sind durch die auf das Wesentliche reduzierte Form sehr intensiv und setzen sich mit den verschiedensten Aspekten auseinander: Mutter/Tochter-Beziehung, Freundschaft, Hautfarbe, Frauenfeindlichkeit, Geschwisterbeziehung, Kinderwunsch, Missbrauch, Eheprobleme, Ängste, Emotionen, Tod. Ein lesenswertes Debüt vielschichtiger Geschichten rund um das Thema Weiblichkeit, die zwar komplexe Fragen stellt, aber vorhersehbare Schlussfolgerungen vermeidet. Nachdrücklich empfohlen!


Veröffentlicht am 16.01.2022

Nichts ist gut in Südafrika

Das Versprechen
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Romane, die sich mit den politischen Verhältnissen in Südafrika auseinandersetzen, gibt es viele, aber keiner ist so brillant wie „Das Versprechen“, der zurecht vergangenes Jahr mit dem Booker Prize ausgezeichnet ...

Romane, die sich mit den politischen Verhältnissen in Südafrika auseinandersetzen, gibt es viele, aber keiner ist so brillant wie „Das Versprechen“, der zurecht vergangenes Jahr mit dem Booker Prize ausgezeichnet wurde. Über einen Zeitraum von über drei Jahrzehnten nimmt uns der südafrikanische Autor Damon Galgut mit in eine wohlhabende Farmersfamilie und zeigt uns deren allmählichen Verfall, der ursächlich mit einem nicht eingelösten Versprechen einhergeht.

Ende der achtziger Jahre, die Apartheid neigt sich, zumindest auf dem Papier, dem Ende zu. Die Swarts, weiße Oberschicht, Vater, Mutter und drei Kinder. Rachel, die Mutter, liegt im Sterben und ringt ihrem Ehemann das Versprechen ab, der schwarzen Frau, die sie während ihrer Krankheit hingebungsvoll gepflegt hat, das Häuschen auf dem Land der Familie, in dem sie lebt, zu übereignen. Einzig Amor, die jüngste Tochter, ist Zeugin dieses letzten Wunsches und ein Leben lang von diesem Schuldgefühl des nicht eingehaltenen Versprechens geplagt, denn so schnell es gemacht wird, so schnell wird es auch schon vergessen. Und wie der Putz von den Wänden des einst herrschaftlichen Wohnsitzes bröckelt, so zerfällt auch die Familie in den kommenden Jahrzehnten und löst sich allmählich auf. Es dauert über dreißig Jahre, bis das Versprechen eingelöst und der Wunsch der Sterbenden erfüllt wird.

Die Beschreibung dieser dysfunktionalen Familie auf dem Weg zwischen Schuld und Vergebung steht stellvertretend für die südafrikanische Post-Apartheid Gesellschaft. Beide eint die Suche nach Erlösung, wissend, dass sie ihre Versprechen von Freiheit, Gerechtigkeit, Versöhnung und Gleichheit nicht eingelöst haben. Über dreißig Jahre sind seither vergangen, und dennoch sind die großen Veränderungen in der Regenbogennation bis heute ausgeblieben. Nichts ist gut in Südafrika.

Veröffentlicht am 12.01.2022

Fordernde Lektüre

Zum Paradies
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Drei Jahrhunderte, drei Geschichten, ein Roman. Alles miteinander verbunden durch ein Haus am Washington Square, aber auch durch die immer gleichen Namen, die für die Personen verwendet werden, die im ...

Drei Jahrhunderte, drei Geschichten, ein Roman. Alles miteinander verbunden durch ein Haus am Washington Square, aber auch durch die immer gleichen Namen, die für die Personen verwendet werden, die im Zentrum des jeweiligen Abschnitts stehen. Das lässt zwar auf den ersten Blick eine Kontinuität vermuten, aber weder ähneln sich ihre Lebensumstände noch die Art und Weise, wie sie die Schwierigkeiten und Herausforderungen des Lebens anpacken. Dreimal „Was wäre, wenn“, dreimal die Vereinigten Staaten als Rahmen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer Gesellschaft.

Der Roman hat mich gefordert, und das lag weniger an dem Umfang als vielmehr an der Vielfalt der Themen, die die Autorin verarbeitet. Über allem steht das Sehnen nach Liebe, nach dem persönlichen Paradies. Der Weg dahin, oftmals beschwerlich und mit Hindernissen gespickt.

Hoffnung, Realität, Vision. Scheint im ersten Teil noch alles möglich, werden die Freiheiten in Teil 2 durch das Auftreten und die Verbreitung der stigmatisierenden „Krankheit“ schon merklich eingeschränkt, zumindest für Teile der Bevölkerung. Im dritten Teil, angesiedelt in einer Zukunft, die keine/r von uns so je erleben möchte, hat ein totalitaristisches System die Kontrolle übernommen. Überwachung und engmaschige Vorschriften bestimmen den Alltag, der freie Wille gehört der Vergangenheit an, die Menschen scheinen die Fähigkeit zu lieben verloren zu haben.

„Zum Paradies“ konfrontiert uns nicht nur mit utopischen Aussagen, sondern greift gesellschaftliche Strömungen und Veränderungen auf, die wir in ihren Ansätzen bereits jetzt beobachten können. Yanagihara gibt uns jede Menge Denkanstöße mit auf den Weg. Sie appelliert an uns, die Verhältnisse zu hinterfragen, Privilegien und Ausgrenzung nicht zu akzeptieren, und schlussendlich dafür Sorge zu tragen, dass jedem Menschen der Zutritt zum Paradies gewährt wird.

Veröffentlicht am 09.01.2022

Jede Tote zählt

Totstück
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Bei Margo läuft es momentan nicht rund. Ihre Adoptivmutter ist gestorben und ihre Beziehung steht vor dem Aus. Sie ist schwanger, möchte wissen, wo sie herkommt und sucht deshalb nach ihrer leiblichen ...

Bei Margo läuft es momentan nicht rund. Ihre Adoptivmutter ist gestorben und ihre Beziehung steht vor dem Aus. Sie ist schwanger, möchte wissen, wo sie herkommt und sucht deshalb nach ihrer leiblichen Mutter. Die Adoptionsagentur vermittelt ihr den Kontakt zu deren Schwester Nikki, und was diese ihr erzählt, ist für sie mehr als schockierend. Susan war eine drogenabhängige Prostituierte und wurde wenige Monate nach Margos Geburt brutal ermordet. Die Ermittlungen der Polizei? Oberflächlich und ergebnislos. Kein Wunder, ist Susan doch ein „Totstück“, deren Tod niemand kümmert. Ausgegrenzt nicht nur während ihres Lebens, sondern auch noch im Tod.

Nikki bringt es auf den Punkt: „Früher in New York, wenn da Obdachlose umgebracht wurden, haben die Cops die Akte mit dem Vermerk NHI abgelegt: No Humans Involved. Nicht mal menschlich. Wenn unsereins umgebracht wird, nennen sie uns „Totstücke“, als ob wir von vornherein nie wirklich lebendig gewesen wären“. (S. 143).

Margo hingegen, so Nikkis Überlegung, sei schon aufgrund ihres Berufs als Ärztin ein respektiertes Mitglied der Gesellschaft und könnte so dafür sorgen, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden und der Mörder seiner gerechten Strafe zugeführt wird. Aber sie zwingt sie auch dazu, ihre Weltsicht zu hinterfragen: „.. wahrscheinlich macht man so einen Job doch nur, wenn man irgendwie traumatisiert ist.“ Nikki schließt die Augen. „ARM“ sagt sie entnervt. „Sie war arm...Deshalb haben wir es gemacht.“ (S.142)

Es ist nicht die Suche nach dem Täter, die im Zentrum dieses Romans steht, es ist vielmehr die Frage, wie eine Gesellschaft mit Menschen umgeht, die weder Prestige noch Macht und vor allem keine Lobby haben. Basierend auf einer realen Mordserie unter Glasgows Prostituierten in den Achtzigern stellt Mina die Frage, ob wir es zulassen sollten, dass Status und Privilegien den Wert eines Todesopfers bestimmen, denn „jede/r Tote zählt“. Nachdrücklich empfohlen.