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Veröffentlicht am 21.11.2019

Viktorianische Schauergeschichte und klassischer Spannungsroman

Die Frau in der Themse
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William Pinkerton, Detektiv in der Tradition seines Vaters, ist zu spät. Die Hoffnung gestorben, an Informationen zum Verbleib des ominösen Tresorknackers Edward Shade zu gelangen, den sein Vater Allan, ...

William Pinkerton, Detektiv in der Tradition seines Vaters, ist zu spät. Die Hoffnung gestorben, an Informationen zum Verbleib des ominösen Tresorknackers Edward Shade zu gelangen, den sein Vater Allan, Gründer der weltberühmten der Pinkerton's National Detective Agency, zeit seines Lebens gesucht hat. Und auch Adam Foole, der geniale Dieb, konnte Charlotte Reckitt nicht retten, die nicht immer gesetzestreue Femme fatale, obwohl er nach ihrem Ruf um Hilfe bei einem großen Coup umgehend nach London gereist ist. Denn seine große Liebe ist tot, ertrunken in der Themse und zerstückelt.

Die beiden Männer begegnen sich im viktorianischen London, in dessen düsteren Gassen, unzureichend von den Gaslaternen ausgeleuchtet, allerhand zwielichtige Gestalten ihr Unwesen treiben. Detektiv und Dieb eint die Suche nach demjenigen, der für den mysteriösen Tod Charlottes verantwortlich zeichnet, nicht wissend, dass Edward Shade der eigentliche Dreh- und Angelpunkt und der Schlüssel zu des Rätsels Lösung ist.

„Die Frau in der Themse“ erinnert an die viktorianischen Schauergeschichten der großen Autoren dieser Zeit, allen voran Wilkie Collins, wobei Steven Price wesentlich ausladender erzählt, dabei aber immer seine Protagonisten im engen Blick behält, obwohl an den verschiedenen Handlungssträngen eine Vielzahl von Personen beteiligt sind. Tiefe Blicke in die Vergangenheit (er)klären Gegenwärtiges, ebenso die verschiedenen Schauplätze auf unterschiedlichen Kontinenten. Jeder hat Geheimnisse, verbirgt etwas, ist unzuverlässig im Erinnern und in dem, was er preisgibt. Die Handlung ist zwar komplex und reich an Details, aber jederzeit räumlich und zeitlich durch die entsprechenden Vermerke in den Kopfzeilen einzuordnen.

Ein faszinierendes Katz-und-Maus Spiel von Jägern und Gejagten, an dem sowohl Fans viktorianischer Schauergeschichten als auch Freunde des klassischen Spannungsromans ihre Freude haben werden.

Veröffentlicht am 16.11.2019

Scharfsinnig wie eh und je

Ein Haus voller Lügen
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Es hat sich viel verändert, seit John Rebus‘ ersten Tagen bei Police Scotland in den Achtzigern. Deals mit Informanten aus der Unterwelt passé, Mauscheleien mit der Presse oder anderen Dienststellen werden ...

Es hat sich viel verändert, seit John Rebus‘ ersten Tagen bei Police Scotland in den Achtzigern. Deals mit Informanten aus der Unterwelt passé, Mauscheleien mit der Presse oder anderen Dienststellen werden von der Antikorruptionseinheit verfolgt.

Jetzt ist er seit einigen Jahren im Ruhestand, hat gesundheitliche Probleme, kämpft mit einem Lungenemphysem. Zu viel Whisky und zu viele Zigaretten im Lauf der Jahre. Keine Kippen mehr, Schluss mit dem Famous Grouse in der Oxford-Bar, dafür lange Spaziergänge mit seinem Hund in den Meadows.

Seine Fähigkeiten sind nicht mehr gefragt. Nachwuchspolizisten verwehren ihm den Zutritt zur Polizeistation und er wird nur noch in Ausnahmefällen von seinem ehemaligen Zögling Siobhan Clarke um Mithilfe gebeten, meist unter der Hand und ohne Kenntnis ihrer Vorgesetzten. Aber der alte Mann hat’s noch immer drauf, was spätestens dann klar ist, als eine Leiche in einem Autowrack auftaucht, die Knöchel mit Polizeihandschellen gefesselt. Ein verschwundener Privatdetektiv, verbandelt mit dem Sohn eines Polizisten. Zehn Jahre sind seither vergangen gibt es keine Ergebnisse. Der Fall, in dem damals auch Rebus ermittelte, wird neu aufgerollt. Sehr zum Missfallen der damals Beteiligten. Und es stellt sich die Frage, ob nicht auch Rebus etwas zu verbergen hat.

Es ist ein Wiedersehen mit alten Bekannten, die über die Jahre zu festen Bestandteilen dieser Reihe geworden sind. Ganz klar Siobhan Clarke, Malcom Fox, der Interne, der immer ein bisschen außen vor bleibt, und natürlich Big Ger Cafferty, der Drahtzieher in der Unterwelt, Rebus‘ Nemesis und dunkler Zwilling. Und natürlich Edinburgh, die schottische Schöne mit ihren dunklen Ecken.

„Ein Haus voller Lügen“ ist ein lupenreiner Polizeikrimi ohne Längen und von Beginn an fesselnd. Die Story ist vielschichtig, die Charaktere komplex, die Dynamik der Beziehungen facettenreich, die Dialoge brillant. Bleibt zu hoffen, dass uns Rebus noch möglichst lange erhalten bleibt.

Veröffentlicht am 13.11.2019

Besser geht es nicht!

Herbst
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Ein Quartett der Jahreszeiten soll es werden. Und mit „Herbst“ macht Ali Smith den Anfang („Winter“ und „Spring“ liegen bereits im Original vor). Der Roman ist eine aktuelle Zustandsbeschreibung nach dem ...

Ein Quartett der Jahreszeiten soll es werden. Und mit „Herbst“ macht Ali Smith den Anfang („Winter“ und „Spring“ liegen bereits im Original vor). Der Roman ist eine aktuelle Zustandsbeschreibung nach dem Brexit-Votum. Aber nicht nur. Es ist auch eine Geschichte über die Vergänglichkeit.

Im Pflegeheim begleitet Elisabeth ihren ehemaligen Nachbarn Daniel, mittlerweile 101 Jahre alt, in seinen letzten Tagen. Vertrauter, Vaterersatz und Mentor, ein wichtiger Mensch für die junge Aushilfsdozentin, der ihr die Magie der Bücher offenbarte und sie zu eigenständigem Denken anleitete. Doch nun ist seine Lebenszeit abgelaufen, er liegt im Sterben. Die Sonne schickt ihre letzten Strahlen, Vergangenes mäandert durch seine Gedanken.

Rückblenden in die Kriegszeit (Daniel ist Jude), aber auch die Faszination Elisabeths für die feministischen Pop-Art Künstlerin Pauline Boty (und ihren Bezug zu Christine Keeler) schaffen eine Einheit, verbinden Daniels und Elisabeths driftende Gedanken.

Elisabeths Erinnerungen an ihre Kindheit werden unterbrochen von Reflexionen über die Veränderungen in ihrem Heimatland nach dem Referendum. Die Spaltung der Gesellschaft, das Oben und Unten, Arm und Reich, der Hass, der offen zur Schau gestellte Rassismus. Und das ist es auch, was uns Ali Smith zu sagen hat, hier liegt ihr Schwerpunkt.

Sie schreibt direkt, aber auch anrührend und poetisch, spielt mit Worten, schildert aber auch Situationen wie z.B. die Pass-Beantragung im Postamt mittels Check & Send, die in ihrer Absurdität an einen Sketch von Monty Python erinnern.

Ali Smith ist eine der großen britischen Gegenwartsautorinnen und schafft es in „Herbst“ auf brillante Weise, die gesellschaftspolitischen Veränderungen nach dem Referendum literarisch zu verarbeiten. Und wenn Sie bei der Fülle von Neuerscheinungen, die Großbritannien nach den Post Brexit beschreiben, nur einen Roman zu diesem Thema lesen wollen, greifen Sie zu „Herbst“. Besser geht es nicht!

Veröffentlicht am 11.11.2019

Wunderbar unspektakulär

Von Oma mit Liebe
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„Kuchentratsch“ ist ein nachahmenswertes Senioren-Projekt, ins Leben gerufen von Katharina Mayer. Hier können Omas und Opas ihre im Lauf des Lebens gesammelten Backkenntnisse einbringen, Gleichgesinnte ...

„Kuchentratsch“ ist ein nachahmenswertes Senioren-Projekt, ins Leben gerufen von Katharina Mayer. Hier können Omas und Opas ihre im Lauf des Lebens gesammelten Backkenntnisse einbringen, Gleichgesinnte treffen und sich mit ihnen austauschen. Nach einem Leben voller Arbeit nicht zur Untätigkeit verdammt und isoliert, sondern eine Aufgabe haben, produktiv sein, etwas schaffen und Anerkennung erhalten. Und aus diesem Projekt ist „Von Oma mit Liebe“ entstanden, ein Backbuch, das weniger Wert auf schnelllebige Kuchenkreationen legt, sondern sich dem Erhalt und der Weitergabe traditioneller, langjährig erprobter Rezepte verschreibt, die die Jahre überdauert haben und auch zukünftig noch gerne gegessen werden.

In vier Rubriken – Kleine Leckerbissen, Lieblingskuchen für jeden Tag, Torten für jeden Anlass, Trendig und aus aller Welt - bietet es einen Querschnitt durch Altbekanntes, wie natürlich den Marmorkuchen oder die Linzer Torte, aber auch raffinierte Kleinigkeiten wie schokolierte Baumkuchenspitzen oder Cantuccini. Ergänzt werden die ausführlich beschriebenen Rezepte durch Tipps und Tricks der erfahrenen Kuchenbäcker/innen sowie ansprechende und appetitanregende Fotos der „Endprodukte“.

Alles in allem ein wunderbar unspektakuläres Backbuch ohne Chi-Chi, das nicht jedem Trend hinterher läuft, sondern sich auf bewährte Rezepte konzentriert und genau deshalb für jede/n Hobbybäcker/in geeignet ist, die/der nicht nur seine Enkel mit Selbstgebackenem verwöhnen möchte.

Veröffentlicht am 04.11.2019

Schottische Hochspannung

Tod im Februar
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Februar 1973, willkommen zurück in Glasgow, der dunklen, heruntergekommenen, gewalttätigen Schwester von Edinburgh. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Nicht nur die Armut wächst ...

Februar 1973, willkommen zurück in Glasgow, der dunklen, heruntergekommenen, gewalttätigen Schwester von Edinburgh. Die Wirtschaft liegt am Boden, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Nicht nur die Armut wächst sondern auch die Kriminalitätsrate. Das organisierte Verbrechen hat die Stadt fest in seiner Hand. „Crime Capital of Europe“, weit und breit noch nichts zu sehen von der Auszeichnung als „European Capital of Culture“.

Harry McCoy ist nach seinem dreiwöchigen Genesungsurlaub und drei Terminen beim Therapeuten zurück im Dienst (wir erinnern uns an die Schlussszene auf dem Dach in „Blutiger Januar“). Und wieder gilt es einen neuen Mordfall zu lösen. Auf dem Dach eines Rohbaus liegt ein entsetzlich zugerichteter Toter, Fussballer bei den Celtics und zukünftiger Schwiegersohn einer der großen Gangsterbosse, die nicht nur die Unterwelt der Stadt fest im Griff haben. Und er wird nicht der einzige Tote bleiben.

Wie bereits im ersten Band der Reihe begleiten wir McCoy, Wattie und Murray, Chief Inspector und väterlicher Freund Harrys, an zehn Tagen während ihrer Ermittlungen. Ermittlungen, die McCoy alles abverlangen. Den Spagat zwischen Pflichtbewusstsein im Job und Verbundenheit zu alten Freunden. Es ist weniger die Brutalität der Morde, die ihm zu schaffen machen, es sind vielmehr die Gespenster seiner Vergangenheit. Erinnerungen an die Heime, in denen er seine Kindheit verbrachte, die Einsamkeit, die Hilflosigkeit, das Leiden. Beschützt von Stevie Cooper, der mittlerweile auch eine feste Größe in der Glasgower Unterwelt ist und seinen Teil vom Kuchen beansprucht. Cooper, der seinen Freund noch immer schützt und sich, im wahrsten Sinn des Wortes, deshalb für ihn auch in das sprichwörtliche Schwert stürzt (siehe Band 1).

Der Protagonist ist kein Vorzeigepolizist, er trinkt mehr als für ihn gut ist, nimmt Drogen und schlägt schonmal härter als nötig zu. Aber er ist loyal, hat einen moralischen Kompass und Mitgefühl für diejenigen, die ganz unten angekommen sind. Klingt ein bisschen nach Klischee, aber passt für mich absolut.

Schottische Hochspannung vom Feinsten, die den Vergleich nicht scheuen muss. Alan Parks geht es nicht in erster Linie nicht um das Wer, es ist das Warum, das ihn interessiert. Für mich liegt die Qualität dieses Kriminalromans in der besonderen Dynamik, die sich aus der Freundschaft zwischen McCoy und Cooper ergibt. Und in der atmosphärischen Beschreibung der schottischen Metropole in den Siebzigern. Den Gegensätzen zwischen Oben und Unten, zwischen Katholiken und Protestanten, zwischen Celtic und Rangers Fans.

Band 3 der Glasgow-Chronik ist im Original für März 2020 angekündigt. Ein Titel steht bereits fest: „ Bobby March will live forever“ und wird natürlich gelesen.