Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.11.2018

So muss ein historischer Kriminalroman sein

Die rote Frau
0

Wien nach dem Ersten Weltkrieg, wir schreiben das Jahr 1920, zehn Tage im März. Der Mangel ist allgegenwärtig. Hunger und unzureichende medizinische Versorgung bestimmen den Alltag. Es gibt kaum Arbeit, ...

Wien nach dem Ersten Weltkrieg, wir schreiben das Jahr 1920, zehn Tage im März. Der Mangel ist allgegenwärtig. Hunger und unzureichende medizinische Versorgung bestimmen den Alltag. Es gibt kaum Arbeit, und wer welche hat, ist auch bestrebt, diese zu behalten. Speziell die Kriegsheimkehrer, die buchstäblich vor dem Nichts stehen. Die Lebensumstände der Kriegsgewinnler und des einfachen Volkes könnten nicht unterschiedlicher sein. Die einen leben im Luxus und dinieren unter Kronleuchtern von bestem Porzellan, die anderen sind froh um einen Schlafplatz im Männerwohnheim und stehen in den Schlangen der Armenspeisung für einen Teller Wassersuppe an. Golden Twenties? In keinster Weise. Nein, für die meisten geht es ums nackte Überleben, Moral wird klein geschrieben, Raub, Mord und Totschlag gehören zum Alltag, das Verbrechen blüht.

Der kriegsversehrte Rayonsinspektor August Emmerich ist mit seinem Assistenten Ferdinand Winter, beide dem Leser bereits aus dem Vorgängerband „Der zweite Reiter“ bekannt, endlich in die Abteilung „Leib und Leben“ versetzt worden. Doch vom Lösen spektakulärer Mordfälle sind die beiden meilenweit entfernt. „Krüppelbrigade“ werden sie despektierlich genannt und in eine Abstellkammer verbannt, wo sie ihre Tage mit dem Abtippen von Berichten verbringen.

Emmerich ist ein äußerst sympathischer Protagonist, der zwar manchmal mit seinem Schicksal hadert, aber doch immer bemüht ist, aus seiner Situation das Beste zu machen. Er gibt nicht auf sondern beißt sich durch, ganz gleich wie viele Steine man ihm in den Weg legt. Und davon hat das Leben für ihn mit Sicherheit noch jede Menge in petto.

Nur seinem Insistieren ist es zu verdanken, dass man ihn und seinen Assistenten mit einem kleinen Fall betraut. Eine Schauspielerin fürchtet um ihr Leben, da am Set ihres Films immer wieder unerklärliche Dinge geschehen. Die Erklärung dafür ist schnell gefunden, aber dann wird ein Stadtrat ermordet aufgefunden, der sich, wie sie auch, in einer karitativen Organisation engagiert hat, die sich um Kriegsheimkehrer kümmert. Emmerichs Schnüfflerinstinkt erwacht und begibt er sich mit seinem Assistenten auf die Suche nach dem Mörder. Wer hätte ahnen können, dass sie dabei in ein Wespennest stechen und ihr eigenes Leben in Gefahr bringen würden…

Einmal mehr gelingt es der Autorin Alex Beer das Nachkriegswien mit all seinen Facetten anschaulich zum Leben zu erwecken. „Die rote Frau“ ist ein höchst spannender historischer Kriminalroman, gespickt mit einer Unmenge Details, nicht nur zum Alltagsleben sondern auch zur politischen Situation der damaligen Zeit, was von einer eingehenden Recherche zeugt. Der Kriminalfall an sich ist kompliziert, verästelt, entwickelt sich aber ohne Längen logisch und nachvollziehbar.

Wenn ich einen historischen Kriminalroman lese, möchte ich nicht nur spannend unterhalten werden, sondern auch verbürgte Informationen zu der Zeit und dem Umfeld erhalten, in dem sich die Handlung abspielt. Das ist Alex Beer mit ihrem neuen Fall für Emmerich und Winter gelungen. Von daher – volle Punktzahl!

Veröffentlicht am 10.11.2018

Gut gemacht!

Im Schatten von San Marco
0

Venedig in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs. Die Menschen gehen ihren alltäglichen Beschäftigungen nach, denn anders als zahlreiche italienische Städte bleibt die „Serenissima“ bisher von den ...

Venedig in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs. Die Menschen gehen ihren alltäglichen Beschäftigungen nach, denn anders als zahlreiche italienische Städte bleibt die „Serenissima“ bisher von den Bombenangriffen der Alliierten verschont. Dennoch sind die Deutschen präsent, ganz besonders in der Nacht, in der der Fischer Innocenzo „Cenzo“ Vianello auf einen guten Fang hofft. Aber es ist kein großer Fisch, der ihm ins Netz geht, sondern eine junge Frau, die er aus dem Wasser der Lagune zieht. Giulia ist die einzige Überlebende einer Razzia auf San Clemente, bei der die SS alle Juden, die sich dort versteckt gehalten hatten, töteten. Jemand hatte sie verraten.

Cenzo beschließt ihr zu helfen und schmuggelt sie gemeinsam mit einem ehemaligen Kriegskameraden an den Gardasee nach Salò. Dort verliert sich jede Spur von Giulia. Danach überschlagen sich die Ereignisse, was mit Sicherheit der Tatsache geschuldet ist, das plötzlich jede Menge Personen im Spiel sind, die man auf den ersten Blick nicht einordnen kann: der deutsche Oberst, der das Ende des Krieges herbeisehnt, die Gattin des argentinischen Konsuls, die ihre Möglichkeiten nutzt, um Nazis die Flucht zu ermöglichen, ein Partisanenführer, ein hochrangiger Faschist und ein undurchsichtiger Schweizer, der seine eigenen Pläne verfolgt. Und dann ist da ja auch noch der legendäre Schatz des Duce. Dreh- und Angelpunkt in diesem Spiel ist Giulia, denn sollte über die notwendigen Informationen verfügen, die Licht ins Dunkel bringen könnten.

Martin Cruz Smith, Autor der Arkadi Renko-Reihe, hat mit „Im Schatten von San Marco“ vertrautes Terrain verlassen, wobei dies allerdings in erster Linie unter geographischem Aspekt zu sehen ist. Denn auch in seinem neuen Roman sind die Zutaten vorhanden, die seinen früheren Erfolge ausmachen: jede Menge Action, undurchsichtige Personen und Spionage im weitesten Sinne. Dazu kommt hier aber auch noch in Form der Lovestory zwischen Giulia und Cenzo eine Prise Romantik.

Hervorzuheben ist der historische Hintergrund, den Cruz Smith stimmig und ohne das bei amerikanischen Autoren so beliebte Pathos und die vorbelegten Gut-oder-Böse Charakterisierungen kreiert. Er vermag seine Leser zum einen gut zu unterhalten, zum anderen aber auch zu überraschen. Und das betrifft nicht nur die Entwicklung der Story sondern auch die handelnden Personen. Gut gemacht!

Veröffentlicht am 10.11.2018

Ungewöhnlich, und deshalb faszinierend!

Der Wille zum Bösen
0

Meine Highlight-Liste 2018 hat Zuwachs bekommen: „Der Wille zum Bösen“ des amerikanischen Autors Dan Chaon, ein ungewöhnlicher und faszinierender Thiller(Platz 2 und höchster Neueinsteiger der Krimibestenliste ...

Meine Highlight-Liste 2018 hat Zuwachs bekommen: „Der Wille zum Bösen“ des amerikanischen Autors Dan Chaon, ein ungewöhnlicher und faszinierender Thiller(Platz 2 und höchster Neueinsteiger der Krimibestenliste Juni 2018), bei dem die Frage „Wer war’s?“ allein durch die Form komplett in den Hintergrund gedrängt wird.

Worum geht es? Diese Frage ist schnell beantwortet: nach 27 Jahren Haft wird Russell, der Adoptivbruder des Psychologen Dustin Tillman, aus der Haft entlassen, nachdem DNA-Analysen seine Unschuld am gewaltsamen Tod der Eltern ergeben haben. Dustin war von dessen Schuld überzeugt und hatte im Prozess als Belastungszeuge ausgesagt. Annähernd gleichzeitig fordert Aqil, ehemalige Polizist und einer seiner Patienten, seine Mithilfe im Fall eines Serienmörders, der an bestimmten Daten junge Männer in abgelegenen Gewässern ertränkt. Wer hat die Tillman-Eltern getötet, und gibt es den Serienkiller wirklich? Das sind die beiden Fragen, die Dustin umtreiben und sein durchschnittliches Leben komplett aus den Fugen geraten lassen.

Die Story hört sich nun nicht wirklich spektakulär an. So oder so ähnlich hat man das schon zigmal gelesen. Was aber nun Chaon daraus macht ist außergewöhnlich. Nicht nur, dass er seine Leser auf eine Reise in die Vergangenheit schickt, kennt man ja auch zur Genüge, nein, da hat er wesentlich mehr auf Lager.

Dustin, seine beiden Söhne Aaron und Dennis, seine an Krebs gestorbene Frau, die beiden Cousinen Kate und Wave und natürlich Russell „Rusty“, jeder von ihnen hat seine eigene Stimme und seine individuelle Sicht auf die Ereignisse, wobei Chaon diese unterschiedlichen Reflexionen willkürlich zwischen den verschiedenen Personen und Zeiten, nämlich Herbst 1983 und Frühjahr 2014 hin und her springen lässt. Und dann gibt es noch bestimmte Situationen, in denen er parallel erzählt, die Sichtweisen verschiedener Personen auf das gleiche Ereignis in parallelen Spalten anordnet, die sich teilweise über mehrere Spalten und Seiten ziehen, was den Leser verunsichern und schlussendlich dazu zwingen mag, seine Annahmen zu hinterfragen.

Was alle Figuren eint, ist dieses Gefühl der Einsamkeit, des Verlorenseins. Und jeder von ihnen hat seine eigene Methode entwickelt, damit umzugehen. Die einen flüchten sich in Drogen, die anderen in die Spiritualität, die nächsten versuchen ihren Platz in der Normalität zu finden. Es gelingt, oder auch nicht. Und am Ende zeigt sich, dass auch die individuelle Realität nur eine verstörende Form der Fiktion ist. Lesen!

Veröffentlicht am 10.11.2018

Isaiah, der Sherlock aus der Hood, ist zurück

Stille Feinde
0

"Stille Feinde" ist nach "I.Q." der zweite Thriller des amerikanischen Autors Joe Ide, der in South Central L.A. aufgewachsen ist, einer Gegend, die derjenigen ähnelt, in der sein Protagonist „I.Q.“ Isaiah ...

"Stille Feinde" ist nach "I.Q." der zweite Thriller des amerikanischen Autors Joe Ide, der in South Central L.A. aufgewachsen ist, einer Gegend, die derjenigen ähnelt, in der sein Protagonist „I.Q.“ Isaiah Quintabe mit Deduktion und Intelligenz im Stil des Meisterdetektivs Sherlock Holmes Verbrechen aufklärt.

Isaiah, 26 Jahre alt, Afroamerikaner, hat noch immer mit dem Tod seines Bruder Marcus zu kämpfen - und hier setzt der Prolog ein. Marcus kam angeblich bei einem Hit-and-Run, einem Verkehrsunfall mit Fahrerflucht, vor sechs Jahren ums Leben, ein Ereignis, dessen Bilder sich unvergesslich in Isaiahs Gedächtnis eingebrannt haben. Als er zufällig auf einem Schrottplatz das Unfallfahrzeug entdeckt und näher untersucht, kommt er zu dem Ergebnis, dass es ein als Unfall getarnter Mord war.

Schnitt, und dann die Gegenwart: Isaiah verdient sich seinen Lebensunterhalt als Privatdetektiv, hat aber in der Regel nur Kleinscheiß-Fälle. Und doch gerät er ins Visier der Locos Surenos 13, einer üblen Gang, deren Mitglieder nur durch das unvermutete Eingreifen ihres Bosses davon abgehalten werden, ihn halb tot zu prügeln.

Und dann ist da noch Sarita, die ehemalige Freundin seines Bruders, die ihn um einen Gefallen bittet. Ihre Halbschwester Janice und deren Freund Benny sind in ernsten Schwierigkeiten. Die beiden sind spielsüchtig und haben sich bei Leo, einem Kredithai Geld geliehen, das sie nicht zurückzahlen können. Und dass dieser Leo sich nicht verarschen lässt, wird spätestens dann deutlich, als er sich Benny schnappt, mit diesem zu einer Müllkippe in die Wüste fährt und ihn dann in die Grube stößt. Zumindest Sarita gilt es zu retten, und so machen sich IQ und sein Kumpel Dodson (sic!) gemeinsam auf dem Weg gen Nevada…

Szenenwechsel, Nebenhandlungen, jede Menge Action und unterschiedliche Locations bringen von Beginn an Abwechslung und Tempo in die Story, sodass die Lektüre zu keinem Zeitpunkt Längen hat oder langweilt. Die Eckdaten des Plots werden schon am Anfang gesetzt und versprechen eine spannende Story. Ide (und seine geniale Übersetzerin Conny Lösch) verstehen es meisterhaft, die Szenerien anschaulich zu beschreiben und einen Film vor den Augen des Lesers anzustoßen. Klar, Ide kennt dieses Neighborhoods und auch die Typen, die dort rumhängen. Ob South Central LA oder Long Beach, das macht keinen großen Unterschied.

Großes Kino und tolle Reihe mit einem ungewöhnlichen Protagonisten, das ich mit Sicherheit weiterverfolgen werde!

Veröffentlicht am 10.11.2018

...und keinen Trost für niemand

Tiefenscharf
0

Das Grenzgebiet zwischen Oberfranken und Tschechien, ein Mekka für Zigarettenschmuggler und einer der Hauptumschlagplätze für Crystal Meth. Auf die Schnelle einen ordentlichen Batzen Geld verdienen und ...

Das Grenzgebiet zwischen Oberfranken und Tschechien, ein Mekka für Zigarettenschmuggler und einer der Hauptumschlagplätze für Crystal Meth. Auf die Schnelle einen ordentlichen Batzen Geld verdienen und gleichzeitig der Langeweile des Alltags entkommen, diese Aussicht verleitet dann doch den einen oder anderen dazu, scheinbar kalkulierte Risiken auf sich zu nehmen und im Geschäft mitzumischen.

So auch Max Thoss, dessen Karriere als Drogenkurier, oder wie er es nennt Sales Manager, ein jähes Ende findet, als er in einer Winternacht in eine Polizeikontrolle gerät und in Panik sein 20.000 Euro Päckchen aus dem Fenster wirft, nicht wissend, dass er sich damit in eine verhängnisvolle Gewaltspirale begibt, die mit einem erschlagenen Flaschensammler und zwei erschossenen Polizisten endet. So schnell wird es dann wohl doch nichts mit Neuseeland…

Geplatzte Träume, davon kann auch Sascha ein Lied singen. Studierter Geisteswissenschaftler, der sich früher mit „der systemkritischen Analyse von Texten zur alternativen Metaphysik“ beschäftigt hat und nun als schlechtbezahlter Video-Journalist Berichte über Wasserpistolen-Attentäter und zu Brei gefahrene Unfallopfer Primetime tauglich aufbereiten muss. Den täglichen Frust ersäuft er in Alkohol. Hilft aber auch nicht weiter sondern schafft nur noch mehr Probleme: Unfall, Auto kaputt, Führerschein weg, Job verloren. Und in der Klinik wartet seine Freundin mit dem Neugeborenen…

Diese Leben sind trostlos wie die Umgebung im Grenzgebiet mit den Billig-Bäckern, den Häuserruinen und zweckentfremdeten Turnhallen. Null Perspektive, kein Trost für niemand. Die männlichen Protagonisten sind allesamt gefangen in nicht existierenden Lebensentwürfen. Überschätzen sich, hangeln sich mit den falschen Entscheidungen von Tag zu Tag. Scheitern ist vorprogrammiert, und am Ende gibt es für niemanden Trost.

Und dennoch, einen kleinen Hoffnungsfunken gibt es. Vielleicht gelingt es Kira, Max‘ Freundin, am Ende doch, diesem Leben zu entkommen: „Sie steigt in den nächsten Fernbus. Die Richtung ist ihr egal. Hauptsache :weg.“

Nicht gezuckert, unbarmherzig ausgeleuchtet, schwärzer als schwarz –so geht „Deutscher Polar“.