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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 13.12.2022

Der Tote im Tank

Kant und der Schachspieler
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Eine stillgelegte Farbenfabrik, ein Toter mit einer Schachfigur in der Hand, ein verschwundenes Schachgenie, ein vorbestrafter Boxer, ein dubioser Grundstücksverkauf, ein zweiter Toter. Mehr Fragen als ...

Eine stillgelegte Farbenfabrik, ein Toter mit einer Schachfigur in der Hand, ein verschwundenes Schachgenie, ein vorbestrafter Boxer, ein dubioser Grundstücksverkauf, ein zweiter Toter. Mehr Fragen als Antworten in dem neuen Fall für KHK Kant und sein Team von der Münchner Mordkommission, wobei sich allerdings die Verortung glücklicherweise dezent im Hintergrund hält.

Beharrlich und fokussiert gehen Kant und seine Mitarbeiter den Fall an. Das wird aber nicht langatmig und trocken geschildert, sondern häppchenweise durch Informationen zum Leben der Teammitglieder ergänzt, die in die jeweiligen Ermittlungsschritte involviert sind: Kants Sorgen um seine halbwüchsige Tochter, die an spektakulären Aktionen von Fridays for Future teilnimmt. Rademacher, dem gesundheitliche Probleme eine Heidenangst einjagen. Dörfner, der aus prekären Verhältnissen stammt und froh ist, sich daraus befreit zu haben. Lammers, die Engagierte, die eher distanziert unterwegs ist. Und Hanna, die Neue, die Quereinsteigerin mit den diversen Zwangsneurosen. Allesamt angenehm unaufdringlich und feinfühlig porträtiert, so dass zu keinem Zeitpunkt der Fall durch das Privatleben der Ermittler überlagert wird.

Marcel Häußlers „Kant und der Schachspieler“ ist erfrischend anders, ein Polizeikrimi im klassischen Sinn, der weniger Wert auf die Beschreibung möglichst grausamer und abstruser Mordmethoden als vielmehr auf die präzise Beschreibung der Ermittlungsarbeit legt und daraus seine Spannung generiert. Eine Reihe, die ich definitiv im Blick behalten werde.

Veröffentlicht am 24.11.2022

Jäger und Gejagte

Die Stunde der Hyänen
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Wenn es Nacht wird, streifen in einem Berliner Kiez die Hyänen auf der Suche nach Beute durch die Nacht. Johannes Groschupf nimmt uns mit in die dunklen Ecken der Hauptstadt und gewährt einen ungeschönten ...

Wenn es Nacht wird, streifen in einem Berliner Kiez die Hyänen auf der Suche nach Beute durch die Nacht. Johannes Groschupf nimmt uns mit in die dunklen Ecken der Hauptstadt und gewährt einen ungeschönten Blick auf deren dunkle Ecken.

Autos brennen, Angst greift um sich, die Bewohner werden aktiv und gehen auf Streife, weil die Polizei nicht vorwärts kommt. Romina, die strafversetzte Romni beim Dezernat für Branddelikte, verbündet sich mit Jette, der Journalistin, um den Verantwortlichen dingfest zu machen. Der obdachlose Radek, ehemaliger Trucker, wird zum Opfer, aber steigt wie Phönix aus den Flammen auf. Ein Geläuterter, der nun seine Botschaft verkünden muss. Wie auch die Mitglieder einer dubiosen Jahwe-Sekte, unter ihnen auch Maurice, der Postbote, der die Gegend wie seine Westentasche kennt und sich jede Nacht aus der Wohnung schleicht. Aber es sind nicht nur die inneren Dämonen, die all diejenigen auf die nächtlichen Straßen treiben.

„Die Stunde der Hyänen“ ist nicht nur ein atmosphärischer Urban Noir Thriller sondern auch eine Milieustudie, genau beobachtet, packend und mit ansteigender Spannung erzählt. Die Sprache transportiert den Sound des Kiez, ist rau, direkt, nicht gefällig, realistisch und ohne Bling-Bling.

Neben der Suche nach dem Brandstifter gibt es allerdings noch jede Menge aktuelle Themen, die Groschupf anreißt und mit der Lebenswirklichkeit seiner Personen verknüpft. Obdachlosigkeit, Diskriminierung und Misogynie, Gewalt gegen Frauen, Missbrauch, Selbstjustiz angesichts der Untätigkeit der offiziellen Stellen, was angesichts der überschaubaren Länge dieses Thrillers etwas überladen ist. Und auch die eine oder andere Wendung zum Schluss hin ist leider nicht wirklich überzeugend und nachvollziehbar herausgearbeitet.

Aber dennoch, „Die Stunde der Hyänen“ ist ein tiefschwarzer, ein großartiger, schonungsloser Großstadtroman, den ich in einem Rutsch gelesen habe und gerne weiterempfehle.

Veröffentlicht am 20.11.2022

Edikt des Vergessens

Königsmörder
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1660. Der englische Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des absolutistischen König Charles I. und den „Roundheads“ um den frömmelnden Puritaner Oliver Cromwell ist Geschichte. Nach der Enthauptung seines ...

1660. Der englische Bürgerkrieg zwischen den Anhängern des absolutistischen König Charles I. und den „Roundheads“ um den frömmelnden Puritaner Oliver Cromwell ist Geschichte. Nach der Enthauptung seines Vaters 1649 sitzt mittlerweile „The Merry Monarch“ Charles II. auf dem Thron, der 1660 den „Act of Oblivion“ (so der Originaltitel des Romans) erlässt, und damit all jene begnadigt, die gegen den König gekämpft haben. Alle, mit Ausnahme der Unterzeichner des Urteils, aufgrund dessen Charles I. geköpft wurde. Diese werden gnadenlos verfolgt, gefangen genommen und mit äußerster Brutalität hingerichtet. Doch zwei „Königsmörder“ aus den Reihen Cromwells können sich diesem Schicksal entziehen, Edward Whalley, ein Cousin Cromwells und sein Schwiegersohn William Goffe, beide keine jungen Männer, verlassen ihre Heimat, gehen an Bord eines Schiffes, verlassen ihre Heimat, fliehen nach Amerika und finden in einer puritanischen Kolonie in Neuengland Unterschlupf. Ihnen auf den Fersen ist Richard Nayler, Sekretär des Geheimen Rats, übrigens die einzige fiktive Person dieses Romans, ein verbohrter, verbitterter und traumatisierter Mann, der geschworen hat, den Königsmord zu rächen. Die Jagd beginnt.

Robert Harris, der ehemalige politische Journalist, hat für diesen Roman gründlich recherchiert, man sehe sich nur die ausführliche Literaturliste im Anhang an. Dabei richtet er seinen Fokus aber nicht ausschließlich auf die Verfolgung der beiden Flüchtigen, sondern vermittelt durch Whalleys Aufzeichnungen auch einen überzeugenden Einblick in Leben und Denkweise dieser Epoche. Royalisten und Puritaner, auf der einen Seite das Festhalten an gottgegebenen Machtstrukturen, auf der anderen Seite die religiös geprägten Überzeugungen, die in Anklängen das revolutionäre Potenzial ahnen lassen, die ihnen innewohnt. Beide Gruppen überzeugt davon, dass nur ihr Leben und Handeln gottgefällig ist und seine Berechtigung hat.

Königsmörder ist zwar ein historischer Roman, aber er spielt in einer komplett anderen Liga als das, was man üblicherweise von diesem Genre kennt. Über weite Strecken ähnelt er zwar einem Sachbuch, was aber dennoch nicht zu Lasten des Lesevergnügens geht. Allerdings sollte man weniger an amourösen Verwicklungen als an historischen Fakten, insbesondere an denen, die Großbritannien nicht nur in der Vergangenheit sondern auch in der Brexit-Gegenwart betreffen, interessiert sein. All denen kann ich diesen beeindruckenden Roman wärmstens empfehlen.

Veröffentlicht am 17.11.2022

Entlarvende Einblicke

Die Heimkehr
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John Grishams aktuelles Buch „Die Heimkehr“ beinhaltet drei Kurzromane unterschiedlicher Thematik, die aber, wie bei diesem Autor erwartet, nicht nur die dunklen Seiten des Anwaltsberufes sondern auch ...

John Grishams aktuelles Buch „Die Heimkehr“ beinhaltet drei Kurzromane unterschiedlicher Thematik, die aber, wie bei diesem Autor erwartet, nicht nur die dunklen Seiten des Anwaltsberufes sondern auch das amerikanische Rechtssystem kritisch unter die Lupe nehmen.

In „Die Heimkehr“ (155 Seiten) gibt es ein Wiederlesen mit zwei alten Bekannten, Harry Rex und Jake Brigance. Letzterer wird von Mack Stafford kontaktiert, einem ehemaligen Anwaltskollegen, der vor drei Jahren ohne Spuren zu hinterlassen verschwunden ist. Aber nicht, ohne vorher seine Reisekasse üppig mit Geld aufzufüllen, das eigentlich seinen Mandanten aus einem Vergleich zugesprochen wurde. Nun meldet sich sein Gewissen. Er würde gerne wieder zurückkommen, und Jake soll das für ihn möglich machen. Leider gestaltet sich die Heimkehr nicht so problemlos wie gedacht, zu viele offene Rechnungen warten darauf, beglichen zu werden.

„Erdbeermond“ (63 Seiten) ist die beeindruckende Momentaufnahme der letzten drei Stunden im Leben des Cody Wallace, 29jähriger Insasse des Todestrakts, bevor er seinen letzten Gang antreten muss. Er hat seinen Frieden gemacht, wartet auf die bestellte TK-Pizza und führt letzte Gespräche mit dem Geistlichen, seinem Anwalt und einer unverhofften Besucherin. Bleibt nur noch die Erfüllung des letzten Wunsches, bevor sein Leben beendet wird. Grisham ist Vorstandsmitglied von Innocence Project, einer gemeinnützigen Organisation, die für die Entlassung und Rehabilitation von unrechtmäßig Verurteilten einsetzt, und er ist ein erklärter Gegner der Todesstrafe. So verwundert es nicht, dass er in dieser Geschichte einmal mehr kritisch auf das barbarische und zutiefst rassistische Strafrechtssystem der Vereinigten Staaten schaut. Wie kann es möglich sein, dass ein Vierzehnjähriger, der lediglich Schmiere stand und nicht geschossen hat, zum Tode verurteilt wird und jedes Anrecht auf Begnadigung verwirkt?

Aller guten Dinge sind drei, und „Sparringspartner“ (155 Seiten) hätte, wenn an den richtigen Stellen „aufgefüllt“, in der Tat das Zeug zu einem Roman, wie wir ihn von Grisham kennen. Die Kanzlei Malloy & Malloy wird von zwei Brüdern betrieben, die sich spinnefeind sind. Sie haben sie von ihrem Vater geerbt, der eine längere Haftstrafe absitzt, aber auf seine Begnadigung hofft. Eine höchst dysfunktionale Familie, in der keiner dem Gegenüber etwas gönnt. Einig sind sie sich nur dann, wenn es um das Geld geht, das der Buchhalter seines Vaters auf eine kreative Reise um die Welt geschickt hat. Hier fährt der Autor nochmal alles auf, was wir aus seinen Büchern kennen: Steuerhinterziehung, Betrug, Bestechung, politische Korruption und Verrat, alles vorhanden und schlüssig mit der Story verwoben. Aber wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte…

Trotz der Kürze sind die Geschichten realistisch, spannend, unterhaltsam und sehr geradlinig aufgebaut. Und glücklicherweise wird auf die ausufernden Beschreibungen von juristischen Verfahren verzichtet, die in den Romanen teilweise für Langatmigkeit sorgen. Somit ist „Die Heimkehr“ die ideale Lektüre für Grisham-Fans, um die Wartezeit bis zum Erscheinen seines neuesten Roman „Feinde“ (ET 29.03.2023) zu verkürzen.

Veröffentlicht am 14.11.2022

Eine melancholische Geschichte, vollgepackt mit persönlichen Tragödien

Feldpost
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Wer die Romane von Mechtild Borrmann kennt, weiß um die ganz besondere Fähigkeit dieser Autorin, Einzel- oder Familienschicksale mit zeitgeschichtlichen Themen zu verbinden, wobei ihr besonderes Interesse ...

Wer die Romane von Mechtild Borrmann kennt, weiß um die ganz besondere Fähigkeit dieser Autorin, Einzel- oder Familienschicksale mit zeitgeschichtlichen Themen zu verbinden, wobei ihr besonderes Interesse nicht nur der Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg sondern auch den Auswirkungen gilt, die Kriegseinsatz oder Flucht oder Alltag im Nationalsozialismus auf die junge Generation haben. Für ihren neuen Roman „Feldpost“ hat sie im Deutschen Tagebucharchiv in Emmendingen recherchiert, in dem seit 1998 private Lebenserinnerungen (aktuell ca. 25.000 Zeitzeugnisse von über 5.000 Menschen) aus der Zeitspanne 18. Jahrhundert bis hin zur Gegenwart aufbewahrt werden.

Alles beginnt mit einer alten Aktentasche, voll mit vergilbten Fotos, Briefen und einem unleserlichen Kaufvertrag, zurückgelassen von einer Unbekannten, die sich in einem Café an den Tisch der Anwältin Cara Russo setzt und kurz darauf spurlos verschwindet. Deren Bemühen, die Tasche samt Inhalt dem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben, lässt sie tief in die tragische Geschichte zweier Geschwisterpaare in den Kriegs- und Nachkriegsjahren des Zweiten Weltkriegs eintauchen. Eine Geschichte, die geprägt von einer großen Liebe ist, die nicht sein darf und im Verborgenen gelebt werden muss. Von einer Liebe, die zurückgewiesen wird und deshalb Schuld auf sich lädt. Von einem Freundschaftsdienst, der schmählich verraten und ausgenutzt wird, der letztendlich nur Mittel zum Zweck der eigenen Bereicherung ist. Eine Geschichte, die zeigt, welches Leid solche Erfahrungen den Menschen zufügen.

Borrmann erzählt wie immer sehr feinfühlig auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen, wobei die Gegenwart nur einen kleinen Raum einnimmt. Durch kurze Kapitel und wechselnde Erzählperspektiven taucht man tief in Leben und Fühlen der Protagonisten ein, ist an Cara Russos Seite und setzt wie diese Stück für Stück das Puzzle dieser melancholischen Geschichte voll persönlicher Tragödien zusammen. Aber es gibt auch einen Wermutstropfen, denn alles in allem entwickelt sich der Plot doch recht vorhersehbar in eine Richtung, die man so (oder so ähnlich) schon mehrfach gelesen hat. Schade.