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Veröffentlicht am 13.04.2022

Mumien, Mörder, Mummenschanz

Das Mädchen und der Totengräber (Die Totengräber-Serie 2)
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Ein mumifizierter Ägyptologe, eine Mordserie an jungen Männern und ein menschenfressender Löwe. Wien an der Schwelle zum 20. Jahrhundert hat so einiges zu bieten und stellt nicht nur Inspektor Leopold ...

Ein mumifizierter Ägyptologe, eine Mordserie an jungen Männern und ein menschenfressender Löwe. Wien an der Schwelle zum 20. Jahrhundert hat so einiges zu bieten und stellt nicht nur Inspektor Leopold von Herzfeldt in Oliver Pötzschs historischem Roman „Das Mädchen und der Totengräber“ vor große Herausforderungen.

Aber der Reihe nach: In den anrüchigen Vierteln der Donaumetropole geht offenbar ein Serienmörder um, der es auf junge Männer abgesehen hat. Julia, Leos Freundin und inzwischen zur Polizeifotografin aufgestiegen, ist erschüttert von der Grausamkeit, die sie an den jeweiligen Tatorten vorfindet, und überlegt sich ernsthaft, ob sie die psychische Belastung auf längere Sicht ertragen kann oder nicht doch lieber kündigen soll. Leo hingegen ermittelt in einem bizarren Todesfall, in dem ein renommierter Ägyptologe als mumifiziertes Mordopfer in einem Sarkophag aufgefunden wird. Und dann ist da noch der Tierpfleger, der von einem Löwen zerfleischt wurde, wobei in diesem Fall der Schuldige schnell ausgemacht werden kann. Er gehört zur Gruppe der Schwarzafrikaner, die sich ebendort dem Publikum in Völkerschauen präsentieren müssen und wie wilde Tiere begafft werden. Aber ist er wirklich für dessen Tod verantwortlich?

Es ist schon eine mehr als dekadente Gesellschaft, die sich hier präsentiert. Die Oberschicht feiert Mumienpartys, bei denen sich die Teilnehmer zum gemeinschaftlichen Gruppengruseln treffen. Zusammenkünfte, gespeist von der Erwartung, beim Entfernen der Binden antike Schmuckstücke zu finden, die dem Toten auf seiner Reise ins Jenseits mitgegeben wurden. Das einfache Volk hingegen sucht sein Vergnügen nicht nur in Tierschauen, sondern möchte aus sicherer Entfernung Blicke auf die „Wilden“ werfen, die man mit falschen Versprechen aus ihrer Heimat ins ferne Europa gelockt hat. Dort müssen sie unter unmenschlichen Bedingungen hausen, ihre Lebensumstände dem exotischer Tiere vergleichbar.

Wieder einmal ist es Oliver Pötzsch gelungen, die Atmosphäre in Wien Ende des 19. Jahrhunderts lebendig zu beschreiben und wiederauferstehen zu lassen. Dank seiner umfassenden Recherchearbeit bleibt er in den Beschreibungen eng an den historischen Tatsachen, nachprüfbar sowohl in dem ausführlichen Nachwort als auch auf diversen Webseiten, die sich mit den angesprochenen Themen, aber auch mit dem latenten Antisemitismus der österreichischen Gesellschaft beschäftigen. Allerdings waren mir manche Textpassagen zu detailverliebt, zu ausführlich und stellenweise auch einfach nur redundant. Außerdem weckt der Titel eindeutig falsche Erwartungen, denn dem titelgebenden Totengräber Augustin Rothmayer und dessen Ziehtochter wird nur am Rand Aufmerksamkeit geschenkt. Allerdings lassen die Zitate aus Rothmayers neuester Schrift über die „Totenkulte der Völker“ vermuten, dass deren Kenntnis bzw. der intensive Austausch mit dem Totengräber die Ermittlungen schneller zum Erfolg geführt und keine knapp 500 Seiten bis zur Auflösung gebraucht hätte.

Veröffentlicht am 03.04.2022

Familiäre Verstrickungen und ein gut gehütetes Geheimnis

Kretische Ehre
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Gemeinsam mit seiner Freundin Hannah unternimmt Michalis Charisteas einen Ausflug ins Psiloritis-Gebirge. Eine dünnbesiedelte Gegend, die ihren ganz besonderen Reiz hat und nicht vergleichbar mit den Großstädten ...

Gemeinsam mit seiner Freundin Hannah unternimmt Michalis Charisteas einen Ausflug ins Psiloritis-Gebirge. Eine dünnbesiedelte Gegend, die ihren ganz besonderen Reiz hat und nicht vergleichbar mit den Großstädten Heraklion, Chania oder Rethymno ist. Hier findet man noch das ursprüngliche Kreta, das mit den touristischen Ballungszentren im Norden und Süden nichts gemein hat. Die Gastfreundschaft der Kreter ist legendär, und so verwundert es nicht, dass die beiden spontan zu einer Tauffeier eingeladen werden, die auf dem Dorfplatz von Anogia stattfindet. Kulinarische Köstlichkeiten werden aufgetischt, angeregte Unterhaltungen geführt, die Stimmung wird immer ausgelassener, vor allem, als Manolis zur Lyra greift und mit seinen Musikern die Lieder der Heimat spielt. Und natürlich fehlen auch die Balothies nicht, die Freudenschüsse, die traditionell am Ende jeder Feier abgefeuert werden. Doch die Feier findet ein jähes Ende, als Manolis die Lyra entgleitet, er von einer Kugel tödlich getroffen zusammenbricht. Ein Unglück, unbeabsichtigter Querschläger oder vorsätzlicher Mord? Diese Frage gilt es zu klären. Und obwohl für die Untersuchung des Todesfalls die örtliche Polizei der Behörde in Rethymno (nicht Chania) unterstellt ist, findet sich Michalis schneller als ihm lieb ist im Zentrum der Ermittlungen wieder, natürlich tatkräftig unterstützt von seinem Kollegen Koronaios. Und so suchen die beiden Kollegen schon bald in einem Gewirr aus familiären Verpflichtungen, falschen Loyalitäten, Rachefantasien und einem geheimen Diebstahl nach der Wahrheit.

Es gibt mehrere Punkte, in denen sich „Kretische Ehre“ positiv von den Vorgängern unterscheidet, wobei zwei davon besonders hervorzuheben sind. Zum einen ist das die Erweiterung des geografischen Radius, denn immer nur Chania und die westliche Umgebung wird der Vielfalt Kretas einfach nicht gerecht. Zumal es insbesondere die Dörfer in den Bergen sind, in denen sich die landestypische Atmosphäre bis heute erhalten hat. Zum anderen schätze ich es, dass der Autor den Blick auf die unrühmliche Geschichte und das Leid richtet, das die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg auf Kreta verursacht hat, aber auch den erbitterten Widerstand der Kreter gegen die Besatzer nicht unter den Tisch fallen lässt. Ganz gleich, welche Opfer dafür gebracht werden mussten (Randnotiz: Anogia, ein Zentrum des Widerstandes, wurde im August 1944 von den Deutschen dem Erdboden gleich gemacht und alle männlichen Bewohner exekutiert). Aber auch der Blick auf aktuelle politische Strömungen und den aufkommenden Nationalismus fehlt nicht, und so kann man die Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart in diesem Krimi durchaus als gelungen bezeichnen.

An den Vorgängerbänden habe ich bemängelt, dass das Familien- und Liebesleben der Hauptfiguren einen zu großen Raum einnimmt, dass der permanente Konsum von Frappé sowie das Herunterbeten ganzer Speisekarten den Fortgang der Handlung eher ausbremst als beschleunigt und nur dazu dient, den Leser*innen bekannte Klischees zu bieten, die man aus dem Urlaub kennt. Dies ist in Ansätzen zwar noch vorhanden, aber im Vergleich zu den früheren Bänden glücklicherweise spürbar in den Hintergrund gerückt. Gut so!

Veröffentlicht am 30.03.2022

Tod am Ufer der Seine

Lacroix und der blinde Buchhändler von Notre-Dame
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Zwar hat es der Verlag jetzt offiziell gemacht, aber zumindest unter Krimileser*innen war/ist es schon länger ein offenes Geheimnis, dass sich hinter dem Pseudonym Alex Lépic der äußerst produktive deutsche ...

Zwar hat es der Verlag jetzt offiziell gemacht, aber zumindest unter Krimileser*innen war/ist es schon länger ein offenes Geheimnis, dass sich hinter dem Pseudonym Alex Lépic der äußerst produktive deutsche Journalist und Frankreich-Experte Alexander Oetker verbirgt. Im Bereich „Urlaubskrimis“ bedient er gleich vier Destinationen: Aquitanien mit Luc Verlain, Marseille mit den Zwillingsschwestern Zara und Zoë“, Zypern mit Sofia Perikles und in und um Paris begleiten wir Commissaire Lacroix bei seinen Ermittlungen. Und Commissaire Lacroix ähnelt nicht von ungefähr George Simenons Maigret, auch wenn er selbst diesen Vergleich nicht mag. Wie dieser ist er ein angenehmer, in sich ruhender Zeitgenosse, der besonnen sein sympathisches Team vom Quai des Orfèvres führt und sich bei seinen Ermittlungen von seiner Beobachtungsgabe und Intuition leiten lässt.

So auch in seinem aktuellen Fall. Wer schon einmal in Paris war und am Ufer der Seine Richtung Notre-Dame entlang geschlendert ist, dem sind bestimmt auch die Bouquinisten auf gefallen, die dort ihre Stände haben und mittlerweile nicht nur Bücher sondern auch jede Menge Kruscht, vom Handystick bis zum Ansichtskarten, verkaufen, um damit ihr Überleben zu sichern. Eine Entwicklung, die die Alteingesessenen nicht immer mit Wohlwollen betrachten, zumal dieser Berufsstand auf eine lange Tradition zurückblicken kann. Aber es gibt sie noch, auch in der jüngeren Generation, für die diese Tätigkeit mehr als ein Job, ja eine Berufung ist. Deshalb schockiert es sie umso mehr, als Gabin, einer der engagierten jungen Bouquinisten, tot aus der Seine geborgen wird. Unfall oder Mord, diese Frage gilt es zu beantworten. Und wer würde sich dafür besser eignen als Commissaire Lacroix? Aber was hat es mit Hugo, dem blinden Buchhändler, auf sich? Das gilt es herauszufinden.

Es sind verschiedene Charakteristika, die diese Reihe auszeichnen. Zum einen ist es natürlich das Flair der französischen Metropole, auch wenn man den Radius und das Milieu, in dem Monsieur sich bewegt, durchaus etwas erweitern könnte. Zum anderen ist es die Beschreibung der klassischen Polizeiarbeit, die unaufgeregten Ermittlungen mit ihrem (fast) völligen Verzicht auf die explizite Beschreibung brachialer Gewalt. Manchmal etwas langatmig, aber dennoch äußerst wohltuend, wenn man sich so anschaut, was manche Autoren ihren Lesern an Perversionen präsentieren. Das Stammpersonal ist ausnahmslos sympathisch, ganz gleich, ob es Lacroixs Team oder dessen Freundeskreis ist. Und die Fälle? Diese orientieren sich an dem, was man klassischerweise mit dem touristischen Paris verbindet. An sich nicht sonderlich spektakulär, aber immer schlüssig in der Auflösung. Wer also Lust auf einen kriminellen Kurztrip in die Hauptstadt an der Seine und genug von abartigen Serienkillern hat, kann hier ohne Bedenken zugreifen.

Veröffentlicht am 15.03.2022

Ein vergessenes Kapitel der deutschen Geschichte

Ein Präsident verschwindet
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Seit dem Erfolg von „Babylon Berlin“, der filmischen Adaption von Volker Kutschers Gereon Rath-Reihe, sind zahlreiche deutschsprachige Kriminalromane erschienen, die sich mit der jüngeren Vergangenheit ...

Seit dem Erfolg von „Babylon Berlin“, der filmischen Adaption von Volker Kutschers Gereon Rath-Reihe, sind zahlreiche deutschsprachige Kriminalromane erschienen, die sich mit der jüngeren Vergangenheit Deutschlands beschäftigen. Allerdings nutzen diese die historischen Verweise meist nur als Zeitkolorit und stellen selten reale Begebenheiten in den Mittelpunkt der Handlung.

Ganz anders Langroth, der sich in „Ein Präsident verschwindet“ einem Ereignis zuwendet, das nicht nur Kanzler Adenauer sondern auch seiner Regierungsmannschaft einige schlaflose Nächte bereitet. 1954 verschwindet Otto John, ehemals im Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktiv und mittlerweile Präsident des Verfassungsschutzes, spurlos. Übergelaufen oder entführt, das ist die Frage, die Philipp Gerber vom BKA klären soll. Als John kurze Zeit später in Ost-Berlin auftaucht, klingen alle Alarmglocken, denn er verfügt kraft seines Amtes über jede Menge Insiderwissen, das nicht in falsche Hände geraten sollte. Aber Gerber hat auch ein persönliches Interesse an dem Fall, denn auch seine Freundin Eva, Reporterin für ein kommunistisches Magazin, ist abgetaucht. Kann es sein, dass sie in Otto Johns Verschwinden involviert ist?

Die politischen Verhältnisse zwischen Ost und West sind angespannt, es ist die Zeit des Kalten Krieges. Und mittlerweile kommen auch die alten Nazis wieder aus ihren Löchern gekrochen und machen sich in staatlichen Behörden breit. Wie Reinhard Gehlen (ehemaliger Generalmajor der Wehrmacht und Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost), der mit dem Einverständnis der Amerikaner als Gründer des Auslandsgeheimdienstes Organisation Gehlen (später BND) schon wieder fest im Sattel sitzt und Gerbers Nachforschungen immer wieder torpediert.

Es ist ein vergessenes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte, das sich Ralf Langroth für seinen zweiten Thriller mit Philipp Gerber vorgenommen hat. Natürlich mit der einen oder andere künstlerische Freiheit, aber in den wesentlichen Punkten an den historisch verbürgten Fakten orientiert. Lohnt sich!

Veröffentlicht am 08.03.2022

Gut Ding will Weile haben

Ein unverschämt gutes Kochbuch
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Joshua Weissman ist überzeugt von dem, was er mit Leidenschaft tut und was er am besten kann. Kochen. Hierzulande kaum bekannt, ist er in den Vereinigten Staaten ein Star am Herd, vertreten auf sämtlichen ...

Joshua Weissman ist überzeugt von dem, was er mit Leidenschaft tut und was er am besten kann. Kochen. Hierzulande kaum bekannt, ist er in den Vereinigten Staaten ein Star am Herd, vertreten auf sämtlichen Social Media Plattformen. 5,8 Millionen Follower auf TikTok und 5,3 Millionen Abonnenten auf YouTube, Zahlen, die für sich sprechen. Und wer wollte nicht schon immer einmal „Ein unverschämt gutes Kochbuch“ im Regal stehen haben? So der Titel, der nicht nur Interesse weckt, sondern auch suggeriert, dass hier ein Koch am Werk ist, dem es nicht an Selbstvertrauen mangelt. Stellt sich nur noch die Frage, ob die Rezepte diese Erwartungen einlösen.

Gut Ding will Weile haben, so könnte man die Gerichte überschreiben, für die sich Weissman stark macht. Das liegt in erster Linie daran, dass er es vermeidet auf fertige Zutaten zurückzugreifen. Und damit meint er nicht Convenience Food, sondern auch so simple Dinge wie Butter aus der Packung, was ich reichlich übertrieben finde.

Ungefähr ein Drittel des Kochbuchs bietet Anleitungen für selbstgemachte Basics: diverse Brühen, Butter, Käse, Soßen, Dips, Pickles, Marmelade, Backwaren und Pasta. Das ist alles recht zeitintensiv und somit im Alltag kaum zu realisieren. Kann man machen, muss man aber nicht. Manche dieser Rezepte sind interessant, andere wiederum, und hier schreibe ich aus Erfahrung, wohl in erster Linie für amerikanische Ernährungsgewohnheiten gedacht. Deutlich wird das an Weissmans Ketchup: Tomatenmark, Wasser, Essig und jede Menge Maissirup. Das geht auch anders, nämlich mit frischen Tomaten und sparsam dosiertem Rohrohrzucker. Das Ergebnis spricht für sich und ist mit Sicherheit gesünder.

Diese Grundzutaten sind ein elementarer Bestandteil seiner durchaus kreativen Rezepte (knapp 170 Seiten), die von amerikanischen und europäischen Einflüssen sowie von der asiatischen Küche inspiriert sind. Kein Wunder, hat er doch lange in einem japanischen Restaurant gekocht.

Die Einteilung ist nicht weiter überraschend: Frühstück (btw. wer braucht ein Rezept für „Perfekt gekochte weiche Eier“?), Appetizer/Snacks, Fisch, Fleisch, Pasta, Sandwiches & Co., Gemüse und Salate, Suppen, Desserts. Die Rezepte sind detailliert, die Angaben zum zeitlichen Aufwand passen, die Zutaten (fast alle in jedem Supermarkt erhältlich) aufgelistet, die Zubereitung in Einzelschritten ausführlich beschrieben, jedes einzelne Rezept mit qualitativ hochwertigen Fotos garniert. Was ich allerdings vermisse, sind die Nährwertangaben.

Für passionierte Hobbyköche, die weder Zeit noch Mühe scheuen und Spaß am stundenlangen Werkeln am Herd haben, kann ich dieses Kochbuch absolut empfehlen, für die Alltagsküche hingegen ist es allerdings aus genannten Gründen nur bedingt tauglich.