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Veröffentlicht am 17.03.2020

Die individuellen Versionen der Wahrheit

Miracle Creek
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Der Traum von einem besseren Leben endet für die koreanische Einwandererfamilie Yoo in einer Katastrophe. Ihr „Miracle Submarine“, die Druckkammer für die Sauerstofftherapie, die eigentlich den Geldregen ...

Der Traum von einem besseren Leben endet für die koreanische Einwandererfamilie Yoo in einer Katastrophe. Ihr „Miracle Submarine“, die Druckkammer für die Sauerstofftherapie, die eigentlich den Geldregen bringen sollte, explodiert und ihre Zukunft geht buchstäblich in Flammen und Rauch auf.

Wer trägt die Schuld an dem Unglück, bei dem zwei Menschen ihr Leben verlieren und vier weitere schwer verletzt werden? War die Ursache technisches Versagen oder doch Brandstiftung? Konnte eine Mutter den psychischen Belastungen nicht mehr Stand halten? Ist sie eine Mörderin? Polizei und Justiz gehen jedenfalls davon aus und klagen sie des Mordes an. Das Gerichtsverfahren soll Klärung bringen, aber die Suche nach der Wahrheit gestaltet sich schwieriger als erwartet, denn nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint.

Die alleinerziehende Mutter, deren autistisches Kind rund um die Uhr Betreuung benötigt, bietet sich förmlich als Schuldige an. Permanent überfordert, an der Grenze der Belastbarkeit, nach jedem Strohhalm greifend, der sich bietet.

Natürlich ist die Suche nach dem/der Verantwortlichen ein Punkt, der die Handlung bestimmt und vorantreibt, aber den Roman lediglich auf die Suche nach dem Täter, der Klärung der Schuldfrage zu reduzieren, wäre zu einfach. Es sind vielmehr die Beziehungsgeflechte, das aus der Welt fallen, das Verhaltensänderungen bewirkt. Neurosen sprießen lässt und letztlich dazu führt, dass sich die Wahrnehmung der Realität verändert, verschwimmt und sich individuelle Version von Wahrheit entwickeln, für deren Schutz man alles riskieren würde.

Veröffentlicht am 11.03.2020

Gegen das Vergessen

Der Wassertänzer
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Ta-Nehisi Coates ist einer der scharfsinnigsten Denker Amerikas in der Tradition eines James Baldwin, wenn es darum geht, die rassistischen Strukturen der Vereinigten Staaten zu analysieren. Das hat er ...

Ta-Nehisi Coates ist einer der scharfsinnigsten Denker Amerikas in der Tradition eines James Baldwin, wenn es darum geht, die rassistischen Strukturen der Vereinigten Staaten zu analysieren. Das hat er eindrucksvoll in „Zwischen mir und der Welt“, einem Manifest gegen Rassismus in Form eines 240-seitigen Briefes an seinen Sohn bewiesen. Und auch in seinem ersten Roman „Der Wassertänzer“ bleibt er bei den Themen, die ihn umtreiben.

Virginia, die Südstaaten in der Zeit vor dem Bürgerkrieg. Die weißen Sklavenhalter führen ihre Plantagen mit harter Hand, auch wenn ihre Tage gezählt scheinen. Allmählich schwindet nicht nur ihr durch Ausbeutung und gnadenloses Schinden erworbenes Vermögen sondern auch ihr Einfluss. Doch noch ist es nicht so weit.

Hiram ist ein Haussklave, lebt auf Lockless und hat besondere Talente. Nicht nur, dass er ein fotografisches Gedächtnis hat, er verfügt auch über die Fähigkeit der Teleportation. Kann nicht nur sich auf magische Weise durch Raum und Zeit bewegen, sondern dabei auch noch Begleiter mitnehmen. Eine Fähigkeit, die für das Netzwerk der Abolitionisten von unschätzbarem Wert ist und dazu führt dass er rekrutiert wird, um sich und seinen Leidensgenossen mit Hilfe der Underground Railroad zu helfen, der Knechtschaft zu entkommen.

Ein Mythos, der in das Reich von Magie und Fantasie gehört, und Coates als Grundlage dient, um über die noch immer schwärende Wunde der Sklaverei zu schreiben, sie ins Gedächtnis zu rufen, um das Vergessen zu verhindern. Die kollektive Erinnerung wachzuhalten. Indem er die Lebensbedingungen der Sklaven auf den Plantagen in den Südstaaten aufzeigt, schlägt er den Bogen zur Gegenwart, in der sich nur dann etwas ändern wird, wenn die Unterdrückten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Veröffentlicht am 07.03.2020

In stürmischen Zeiten

Die brennenden Kammern
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„Die brennenden Kammern“ ist der Auftakt einer mehrbändigen Reihe, in deren Zentrum die französischen Religionskriege stehen. Ihr Augenmerk richtet sich hierbei auf die Hugenotten, jene protestantische ...

„Die brennenden Kammern“ ist der Auftakt einer mehrbändigen Reihe, in deren Zentrum die französischen Religionskriege stehen. Ihr Augenmerk richtet sich hierbei auf die Hugenotten, jene protestantische Glaubensgemeinschaft, die ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts insbesondere in Frankreichs Süden blutigen Verfolgungen ausgesetzt waren und ihren Höhepunkt in der Bartholomäusnacht fanden. Ein Teil der Anhänger trat danach zwangsweise zum katholischen Glauben über, die anderen praktizierten ihre Religion im Verborgenen. Hotspot waren damals die Cevennen, wo die Camisarden erbittert Widerstand leisteten. Vergebens. Im 17. Jahrhundert folgte daraufhin eine Fluchtwelle sondergleichen, bei der die Hugenotten nicht nur in den Nachbarländern sondern auch auf der britischen Insel Zuflucht fanden. Soweit also die historischen Rahmenbedingungen.

Alles beginnt im Winter 1526 in der okzitanischen Festungsstadt Carcassonne, in der die katholische Minou und der Hugenotte Piet zufällig aufeinandertreffen. Natürlich verlieben sich die beiden, wenn man Mosses Romane kennt, ist das zu erwarten. Aber hat ihre Liebe in diesen stürmischen Zeiten überhaupt eine Zukunft?

Eine dynamische Geschichte voller Geheimnisse, Verschwörungen, Gewalt, Verrat und Liebe inmitten einer turbulenten Zeit nimmt ihren Anfang, immer wieder durch Auszüge aus dem Tagebuch einer Unbekannten unterbrochen, die offenbar von dem Gedanken an Rache beherrscht wird und deren Identität sich erst allmählich offenbart, was zusätzliche Spannung in die Handlung bringt.

Die ersten Kapitel überhäufen den Leser mit unzähligen Charakteren und Informationen, aber keine Angst, das Dunkel lichtet sich relativ schnell. Danach taucht man in einen feinen, gut ausbalancierten historischen Roman ein. Seht anschaulich wechselt die Autorin zwischen persönlicher Alltagsebene und dem komplexen politischen Hintergrund, ohne dabei an Tempo zu verlieren und Längen zu generieren. Dabei vermeidet sie Generalisierungen, ergreift nicht Partei, steht doch über allem der Wunsch nach Toleranz, Würde und Freiheit.

Kriege und Terror im Namen der Religion, die Verfolgung Andersgläubiger und Flucht. Wir kennen das leider auch aus unserer Gegenwart, von daher hat dieser Roman durchaus auch einen aktuellen Bezug.

Veröffentlicht am 05.03.2020

Dunkle Wolken über der Serenissima

Der freie Hund
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Venedig und der Massentourismus, verursacht durch die Kreuzfahrt-Industrie, ein Thema, das seit geraumer Zeit medial beackert wird. Seien es die Berichte in den Print-Medien, Reportagen im TV oder aber ...

Venedig und der Massentourismus, verursacht durch die Kreuzfahrt-Industrie, ein Thema, das seit geraumer Zeit medial beackert wird. Seien es die Berichte in den Print-Medien, Reportagen im TV oder aber auch die Brunetti-Romane von Donna Leon, in denen die Autorin immer wieder auf die daraus entstehenden Probleme hinweist.

Das italienische Disneyland, Mose, Venedig 2.0, die Zerstörung der Lagune, die Einfuhr und der Handel mit gestohlenen Artefakten, die Verbindungen von altem Geld, Mafia und Politik, all das wird in „Der freie Hund“ thematisiert, dem ersten Band der Commissario-Morello-Reihe des deutsch-italienischen Autorenduos Wolfgang Schorlau und Claudio Caiolo. Dazu jede Menge Flüche, Doppio, Cornetti und Lokalkolorit (dem Gondelbauer in Dorsoduro habe ich bereits vor 15 Jahren bei der Arbeit zugesehen). Das Ganze gepaart mit einer sympathischen Hauptfigur samt einem interessanten Team – für mich eine gelungene Mischung.

Dazu die sich aus den Beschreibungen darüber hinausgehende Frage, inwieweit dies alles Auswirkungen auf den Alltag der Venezianer hat. Bezahlbarer Wohnraum verschwindet zugunsten von Touristenquartieren, die Versorgung mit Artikeln des täglichen Bedarfs wird zunehmend schwieriger, weil Geschäfte zu Andenkenläden umgewandelt werden. Die „Serenissima“ wird sterben, bevor sie endgültig in der Lagune versinkt.

Während Schorlaus Dengler-Krimis oft mit jeder Menge Fakten überfrachtet sind und dadurch eher sperrig, aber dennoch nicht weniger lesenswert daherkommen, transportiert dieser Roman, ohne dass er an Brisanz verliert, seine wichtigen Themen wesentlich leichter, gefälliger, was dem italienischen Co-Autor Caiolo geschuldet sein mag. Gut so.

Ein lesenswerter Kriminalroman sollte die Realität abbilden und diese in die Handlung einbauen. Dieses Kriterium erfüllt „Der freie Hund“ auf höchst unterhaltsame Weise, sodass ich die Reihe mit Sicherheit weiterverfolgen werde und mich schon jetzt auf den nächsten Fall von Commissario Morello samt Team freue.

Veröffentlicht am 22.02.2020

Spannender Thriller mit brisanter Thematik

Feuerland
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„Feuerland“ ist nach „Der Patriot“ der zweite Thriller aus der Feder des schwedischen Autors Pascal Engman, und keine Frage, er toppt den Vorgänger durch seine vielschichtig aufgebaute Story. Verantwortlich ...

„Feuerland“ ist nach „Der Patriot“ der zweite Thriller aus der Feder des schwedischen Autors Pascal Engman, und keine Frage, er toppt den Vorgänger durch seine vielschichtig aufgebaute Story. Verantwortlich dafür sind diverse Ereignisse, deren Verbindung auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist, auch nicht für die ermittelnden Beamten der Sonderkommission Nova. Lediglich Vanessa Frank, deren wegen Trunkenheit suspendierte Leiterin, hat so eine Ahnung und lässt nicht locker. Zumal sie, als ein Flüchtlingsmädchen spurlos verschwindet, alle Hebel in Bewegung setzt, um dieses zu finden. Ihr zur Seite steht Nicolas Paredes, ehemals Elitesoldat der SOG. Kein blinder Befehlsempfänger sondern ein Mann mit Grundsätzen, der wegen seines eigenmächtigen Handelns unehrenhaft aus der Truppe entfernt wurde.

Alles beginnt mit dem Überfall eines exklusiven Uhrengeschäfts, bei dem eine Liste entwendet wird. Zwei wohlhabende Männer werden entführt und gegen Zahlung eines geringen Lösegeldes wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Bei Schießereien in der Stadt gibt es Tote, die mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung gebracht werden. Und dann verschwinden auch noch zehn Flüchtlingskinder. Die Spur führt nach Chile, in die Colonia Rhein und deren angeschlossene Klinik, die mit illegal durchgeführten Organtransplantationen einen fetten Reibach macht.

Die Handlung ist sowohl in Schweden als auch im Süden Chiles verortet, und es überrascht nicht, dass bei den Beschreibungen der Kolonie und deren skrupellosen Betreibern ganz offensichtlich die Colonia Dignidad Pate gestanden hat. Mit eindrucksvollen Beschreibungen zeigt der Autor seinen Lesern dieses System, in dem alles Handeln dem Profitinteresse untergeordnet ist und ein Menschenleben nichts gilt. Es sei denn, man hat ein gut gefülltes Konto und benötigt eine Organ“spende“.

Der Aufbau des Thrillers ist sehr gut gelungen. Die verschiedenen Handlungsstränge, in denen unterschiedliche Personen im Mittelpunkt stehen, die übrigens allesamt sehr gut charakterisiert sind, werden ausführlich und eher langsam entwickelt. Es braucht allerdings seine Zeit, bis die Zusammenhänge sichtbar und die einzelnen Fäden verknüpft werden. Und das macht Engman sehr gut. Das Erzähltempo steigert sich allmählich, und im letzten Drittel nimmt die Geschichte rasant Fahrt auf, um den gelungenen Showdown in Feuerland vorzubereiten.

Ein spannender Thriller mit brisanter Thematik, der keine Fragen offen lässt. Und der Auftakt einer Reihe, die ich mit Sicherheit weiterverfolgen werde. Lesen!