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Veröffentlicht am 03.07.2019

Kurzweilige Unterhaltung für zwischendurch

Wilder Winter
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Hap und Leonard, die beiden Freunde, so verschieden wie Feuer und Wasser. Hap Collins ist der hemdsärmelige, grundehrliche Typ aus der Arbeiterklasse, der zwar Gewalt ablehnt, aber wenn es sein muss, für ...

Hap und Leonard, die beiden Freunde, so verschieden wie Feuer und Wasser. Hap Collins ist der hemdsärmelige, grundehrliche Typ aus der Arbeiterklasse, der zwar Gewalt ablehnt, aber wenn es sein muss, für seine Überzeugungen einsteht und schon mal zuschlägt. Anders hingegen der Afroamerikaner Leonard Pine, den seine Aggressivität immer wieder in Schwierigkeiten bringt, der nichts mehr hasst als Intoleranz und als republikanischer Texaner und Vietnam-Veteran kein Problem damit hat, Waffen bei Bedarf einzusetzen. Joe Lansdale hat diesen beiden eine Reihe gewidmet, mittlerweile zwölf Bände, wobei „Wilder Winter“ der Auftaktband und bereits 1990 erschienen ist.

Die Story klingt erstmal unspektakulär: Haps Ex-Frau Trudy bittet ihn um Hilfe. Ihr derzeitiger Lover, ein radikaler Umweltaktivist, hat im Gefängnis von einem Bankräuber erfahren, wo dieser seine Beute versteckt hat und will diese nun heben und das Geld für den revolutionären Kampf verwenden. Nur dumm, dass er mit den Örtlichkeiten in Ost-Texas nicht vertraut ist. Hier muss Hap in die Bresche springen, der die Gegend am Sabine River wie seine Westentasche kennt. Leonard warnt ihn, weiß er doch, dass nie etwas glatt läuft und es immer Ärger gibt, wenn Trudy auftaucht. Natürlich wird er rechtbehalten, und die beiden Freunde finden sich bald in einer Situation wieder, die sie in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet hätten.

Ich bin ein großer Fan von Lansdales Romanen, speziell „Das Dickicht“ hat es mir angetan. Mit der Hap & Leonard Reihe konnte er mich bisher aber nur bedingt überzeugen, da die Qualität der einzelnen Bände doch sehr unterschiedlich war. „Wilder Winter“ ist keine große Literatur, aber höchst unterhaltsam. Die Story ist einfach und stringent erzählt, die Sprache ist derb, geprägt von schwarzem Humor. Die beiden Protagonisten sympathisch, Gut und Böse klar definiert. Alles in allem kurzweilige Noir-Unterhaltung für zwischendurch.

Veröffentlicht am 30.06.2019

Zurück zu den Wurzeln

Löwenzahnkind
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Was für Camilla Läckberg Fjällbacka, ist für Lina Bengtsdotter Gullspång, die Kleinstadt im Westen Schwedens. Dort ist sie geboren und aufgewachsen, dort kennt sie sich aus. Und so ist es nicht verwunderlich, ...

Was für Camilla Läckberg Fjällbacka, ist für Lina Bengtsdotter Gullspång, die Kleinstadt im Westen Schwedens. Dort ist sie geboren und aufgewachsen, dort kennt sie sich aus. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sie dort auch ihr Debüt „Löwenzahnkind“ verortet, Auftakt der Reihe mit Charlie Lager, einer Ermittlerin bei der Polizei in Stockholm, die auch aus Gullspång stammt und mit ihrer Vergangenheit noch längst nicht abgeschlossen hat.

Wir kennen das ja zur Genüge aus vielen anderen schwedischen Krimis: traumatische Kindheit, Alkoholexzesse, Drogen, wechselnde Männer. Aber sie hat’s im Griff und funktioniert im Berufsalltag. Mehr noch, sie ist eine der besten Ermittlerinnen, die die Stockholmer haben. So verwundert es nicht, dass sie nach Gullspång geschickt wird, um das Verschwinden der siebzehnjährigen Annabelle aufzuklären. Charlie kratzt nicht nur an der Oberfläche, sie gräbt tief, es stellt sich heraus, dass sie offenbar mehr mit Annabelle gemein hat, als gedacht.

Die Atmosphäre in Gullspång kennen wir aus Rural Noir Romanen, das Städtchen könnte ebenso im amerikanischen Süden sein. Die Industrie ist abgewandert, die Häuser verfallen, alles wirkt ärmlich. Jobs gibt es nur noch in der im Ort ansässigen Pressspanfabrik, in der sich die Arbeiter mangels Sicherheitsvorkehrungen die Arme aufreißen. Zukunftsperspektiven? Keine. Dafür jede Menge Alkohol, der dieses Leben erträglich macht.

Bengtsdotter hat die Story gut geplottet. Sie lässt nicht gleich zu Beginn die Katze aus dem Sack, sondern füttert den Leser häppchenweise mit Informationen, nicht nur zu dem Fall sondern auch zu ihrer Protagonistin. So bleibt das Interesse konstant hoch, die Spannung lange erhalten. Unterstützt wird dies zusätzlich durch wechselnde Perspektiven und kurze Kapitel, wobei letztere zusätzlich für Tempo sorgen.

Ein gelungenes, vielschichtiges Debüt, das Interesse an den nächsten Bänden der Reihe weckt.

Veröffentlicht am 29.06.2019

Rosemary, Kate, Brixton und das Freibad

Im Freibad
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Eine unterhaltsame, mit wohldosierter Emotionalität geschriebene Geschichte über eine generationenübergreifende Frauenfreundschaft, die in der gemeinsamen Aktion gegen die Schließung eines alten Schwimmbades ...

Eine unterhaltsame, mit wohldosierter Emotionalität geschriebene Geschichte über eine generationenübergreifende Frauenfreundschaft, die in der gemeinsamen Aktion gegen die Schließung eines alten Schwimmbades zueinander finden. Wobei ich ja den Originaltitel „The Lido“ wesentlich passender finde, weckt er doch Assoziationen an eine längst vergangene Zeit, an Schwimmbäder, die mit den heutigen Wasserparks nichts mehr zu tun haben. Keine Rutschen, Massagepilze und Wasser speiende Comicfiguren, sondern Becken, in denen man seine Bahnen zieht. Vertraut mit dem Element und dem Ort. Wo man ein Schwätzchen mit Menschen aus der Nachbarschaft halten kann, die man sein Leben lang kennt? Was aber tun, wenn gierige Investoren die Finger danach ausstrecken? Resignieren und den Verlust betrauern?

Drei Hauptfiguren und ihr Verhältnis zueinander bestimmen die Geschichte: Rosemary, die 86jährige, die schon so viel in ihrem Leben verloren hat. Für die das Freibad eine der wenigen Konstanten geblieben ist? Kate, die junge Journalistin, schüchtern und ohne Selbstvertrauen, die über die anstehende Schließung einen Artikel schreiben soll. Und natürlich Brixton, der Londoner Stadtteil, bunt, quirlig und lebendig. Die Menschen offen und kontaktfreudig. Wer schon einmal dort war, wird dies bestätigen können.

Hier greift dann das Klischee, denn natürlich lernt Kate Rosemary kennen und freundet sich mit ihr an, überwindet ihre Schüchternheit, mobilisiert die Bewohner des Viertels und stellt eine Aktion auf die Beine, um das Freibad für Rosemary und Brixton zu retten.

Libby Page hat mit „Im Freibad“ das Rad nicht neu erfunden. Aber sie unterhält ihre Leser damit im besten Sinne. Ein typischer Wohlfühlroman, optimistisch und lebensbejahend, bestens geeignet für den Urlaub oder einen heißen Sommertag am See. Aber natürlich auch für den Balkon oder das Sofa zuhause. Die Filmrechte an diesem Roman sind übrigens bereits verkauft.

Veröffentlicht am 16.05.2019

Ein Roman, der mit den Erwartungen des Lesers spielt

Im Sog der Schuld
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Arden Arrowood kehrt heim. Nach Arrowood, dem verlassenen Anwesen der Familie in der Kleinstadt Keokuk, Iowa. Als alleinige Erbin. Historikerin, ohne Abschluss und berufliche Perspektive, noch immer geplagt ...

Arden Arrowood kehrt heim. Nach Arrowood, dem verlassenen Anwesen der Familie in der Kleinstadt Keokuk, Iowa. Als alleinige Erbin. Historikerin, ohne Abschluss und berufliche Perspektive, noch immer geplagt von einem traumatischen Erlebnis in der Vergangenheit. Ihre Zwillingsschwestern sind – unter ihrer Aufsicht – spurlos verschwunden. Entführt worden, glaubt sie. Oder etwa doch nicht? Sie ist gleichzeitig sicher und zweifelt doch auch an ihren Erinnerungen und dem Schluss, den sie vor vielen Jahren daraus gezogen hat. Damals war sie ein Kind, schockiert und verwirrt. In ihren Grundfesten erschüttert. Und noch heute nagt dieser Verlust an ihr, kämpft sie mit Schuldgefühlen und möchte nichts lieber, als den für die Entführung ihrer Schwestern Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Damit sie endlich abschließen und sich von ihren Schuldgefühlen befreien kann.

Vergangenheit und Gegenwart bekommen wir durch die Augen der Ich-Erzählerin Arden präsentiert, so dass wir uns nie ganz sicher sein können, ob das, was sie beschreibt, auch den Tatsachen entspricht. Deren Suche nach der Wahrheit präsentiert sich dem Leser äußerst vielschichtig. Und was anfangs eher behäbig und redundant daherkommt, entwickelt sich mit fortschreitender Handlung zu einer spannenden Familiengeschichte, einem faszinierenden Spagat zwischen Erinnerung und deren Interpretation, zwischen Wunschdenken und Realität, wobei die Autorin immer wieder die Erwartungen des Lesers ins Leere laufen lässt.

Ein gewisses Interesse an Mystery/Southern Gothic-Romanen sollte man für die Lektüre von Laura McHughs “Im Sog der Schuld” schon mitbringen. Obwohl die Geschichte in Iowa, Mittlerer Westen verortet ist, verströmt sie doch sehr viel Südstaaten-Flair. Die Schwere, die Trägheit des Mississippi River, der in seinem Flussbett langsam dahinströmt – dieses Empfinden zieht sich durch das gesamte Buch. Verstärkt durch die detaillierten und gelungenen Beschreibungen der Umgebung, den sich im Lauf der Story verändernden Blick zurück sowie die undurchsichtige Atmosphäre, die über allem liegt. Absolut entschleunigend!

Veröffentlicht am 22.04.2019

Ein ambitioniertes Vorhaben - weitgehend gelungen

Gott wohnt im Wedding
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Regina Scheer ist nicht nur Fachfrau für deutsch-jüdische Geschichte sondern hat sich auch intensiv mit der Historie Berlins beschäftigt. Und aus diesem Wissen speist sich ihr zweiter Roman „Gott wohnt ...

Regina Scheer ist nicht nur Fachfrau für deutsch-jüdische Geschichte sondern hat sich auch intensiv mit der Historie Berlins beschäftigt. Und aus diesem Wissen speist sich ihr zweiter Roman „Gott wohnt im Wedding“.

Der Wedding, schon immer ein Arbeiterbezirk, Heimat der kleinen Leute, multi-kulturell. Leben, Träume und Schicksale, die untrennbar miteinander über die Jahre verbunden sind.

Davon kann auch das Mietshaus in der Utrechter Straße ein Lied singen, dem Scheer in ihrem Roman eine Stimme gibt. Es ist aber nicht nur dessen wechselhafte Geschichte. Diese bildet lediglich den Rahmen. Es sind dessen Bewohner, gegenwärtige und ehemalige, die zu Wort kommen und den Leser an ihre Leben und ihren Erinnerungen teilhaben lassen. Und deren Wege sich immer wieder kreuzen.

Leo Lehmann, nach 70 Jahren mit seiner Enkelin aus Israel angereist. Gertrud Romberg, alt und krank, die schon immer dort gewohnt hat, Leo von früher kennt und auf die Hilfe von Laila Fiedler angewiesen ist, die nicht weiß, dass auch ihre Familie vor Jahrzehnten in diesem Haus gelebt hat. Individuelles Leben, dessen Gegenwart und Vergangenheit exemplarisch für Kapitel der deutschen Geschichte steht.

Scheers Roman zeichnet die gründliche Recherche aus (speziell zur Geschichte der Sinti und Roma) und hält sich nicht mit überflüssigen Sentimentalitäten auf. Aber sie widmet sich nicht nur historischen Fakten sondern möchte den Leser auch für aktuelle Themen wie Migration, Gentrifizierung und Verdrängung sensibilisieren.

Ein ambitioniertes Vorhaben, das weitgehend gelungen ist, aber durch die Themenvielfalt stellenweise etwas überfrachtet wirkt. Und auf die Zwischenkapitel aus der Sicht des Hauses hätte man auch verzichten können. Auch wenn durch diese Perspektive Distanz zu den individuellen Schicksalen geschaffen werden sollte, wirkten manche dieser „Kommentare“ doch sehr nichtssagend und schlussendlich damit überflüssig.