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Veröffentlicht am 16.02.2021

Psychogramm einer zerstörten Kindheit

Wut
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„Komm raus, Drecksau, verkriech dich nicht, du Stück Scheiße“, das waren die Worte der Mutter zu ihrem zwölfjährigen Jungen, der sich aus Angst vor ihr unter dem Bett verkrochen hatte. An diese Worte in ...

„Komm raus, Drecksau, verkriech dich nicht, du Stück Scheiße“, das waren die Worte der Mutter zu ihrem zwölfjährigen Jungen, der sich aus Angst vor ihr unter dem Bett verkrochen hatte. An diese Worte in seiner Kindheit erinnert sich Frank, während er die Wohnung seiner Mutter ausräumt. Maria lebt jetzt im Pflegeheim, ist dement und versteht nicht mehr, was um sie herum geschieht. Sie war eine kluge starke Frau, konnte aber nie zeigen was in ihr steckte, was sie gegen alles was ihr im Wege stand wütend machte. Und diese Wut richtete sich sehr oft gegen den Schwächsten, ihren kleinen Sohn. Ihn konnte sie prügeln, ‚bis ihr die Arme müde wurden‘. In ihrem Tun spiegelt sich auch ihre eigene Kindheit und Jugend wieder: von der Mutter früh verlassen, von einer Tante im Bordell aufgezogen, den Krieg erlebt, in einer Klosterschule Zucht und Ordnung kennen gelernt und aus Verzweiflung früh geheiratet. Auch Frank hat mit der Wut und den Folgen der Schläge sein Leben lang zu kämpfen. Als er siebzehn Jahre alt ist eskaliert ein Streit, er springt aus dem Fenster und kehrt nie wieder zurück – und als Erwachsener wird er nie richtig beziehungsfähig sein …

Der Autor Harald Martenstein ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller, der 1953 in Mainz geboren wurde. Nach dem Abitur studierte er Geschichte und Romanistik an der Universität in Freiburg. Danach war er Redakteur bei einigen namhaften Tageszeitungen, bevor er 2002 begann, Kolumnen und Essays für verschiedene Magazine zu schreiben. Seither erscheint in jeder Sonntagsausgabe des Tagesspiegels eine Kolumne von ihm. Seinen ersten Roman „Heimweg“ schrieb Martenstein 2007, der, wie auch „Wut“, in der Nachkriegszeit spielt. Für seine Arbeiten wurde er mit dem Egon-Erwin-Kisch, dem Henri-Nannen und dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Der Autor lebt in Gerswalde (Uckermark) und in Berlin. Er ist in zweiter Ehe mit der Kulturmanagerin Petra Martenstein verheiratet. Gemeinsam haben sie einen Sohn, außerdem hat er noch einen erwachsenen Sohn aus erster Ehe.

In seinem Vorwort bemerkt der Autor ausdrücklich, dass es sich bei „Wut“ um einen Roman und nicht um eine Biografie handelt. Dieser Eindruck könnte entstehen, da die Geschichte in Ich-Form geschrieben ist. Der Name des Erzählers ist Frank, der Junge der Anfang der 1950er Jahre von seiner psychisch labilen Mutter sowohl körperlich, als auch seelisch gepeinigt wird. Dabei drängen sich die Fragen auf, wie die Mutter zu einem solchen Menschen werden konnte und wie sich diese Misshandlungen auf das spätere Leben des Jungen auswirken. Dabei fällt auf, dass Frank als Erwachsener vieles in anderem Licht sieht und er sich zeitweise sogar liebevoll an die Mutter erinnert.

Der Erzählstil ist mitreißend und, trotz schonungsloser Schilderung von Schmerz und seelischem Leid, packend und in gewisser Weise sogar unterhaltend. Das Buch berührt, wühlt auf und stimmt dennoch versöhnlich, denn die psychische Verfassung der beiden Protagonisten wird hier einleuchtend geschildert. Man kann Marias Wut verstehen, aber nicht, dass sie diese an ihrem hilflosen Kind auslässt und man hat Mitleid mit Frank, auf den sich diese Wut allmählich überträgt und der als Erwachsener noch mit seiner Vergangenheit kämpfen muss. Dies zeigt sich besonders gegen Ende, als er offenbar wirr im Kopf ist und sich bei ihm Realität und Illusion vermischen. Auch als Leser ist man verwirrt und kann nicht mehr zwischen Wahrheit und Phantasie unterscheiden. Hier hätte es wohl einer besseren Erklärung bedurft!

Fazit: Meine Empfehlung, lesen!

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Veröffentlicht am 26.01.2021

Schöne neue Technik?

Die App – Sie kennen dich. Sie wissen, wo du wohnst.
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Um ihnen mehr Sicherheit zu geben und sich das Leben angenehmer zu machen, haben der Arzt Hendrik Zemmer und seine zukünftige Frau Linda in ihr neues Haus Adam, ein Smart-Home-System das über Handy-App, ...

Um ihnen mehr Sicherheit zu geben und sich das Leben angenehmer zu machen, haben der Arzt Hendrik Zemmer und seine zukünftige Frau Linda in ihr neues Haus Adam, ein Smart-Home-System das über Handy-App, Augenscan oder Spracheingabe bedient wird, installieren lassen. Absolut sicher, wie die Firma versprach, bis eines Nachts, als Hendrik von einer Notfall-Operation nach Hause kommt, Linda spurlos verschwunden ist. Die Polizei geht davon aus, dass Linda freiwillig gegangen ist, und unternimmt zunächst nichts. Doch Hendrik ist davon überzeugt, dass Linda ihn niemals freiwillig verlassen hätte und beginnt selbst mit Nachforschungen. Durch Zufall erfährt er, dass auch Jonas, der Mann von Julia Krollmann, verschwunden ist, in deren Haus ebenfalls das angeblich sichere System Adam installiert ist. Dann geschehen plötzlich seltsame Dinge, Adam reagiert anders, als er eigentlich sollte, und auch Julia verschwindet. Jetzt endlich schaltet sich die Polizei ein …

Arno Strobel, der Autor des Buches, wurde 1962 in Saarlouis geboren. Mit dem Schreiben begann er erst im Alter von beinahe vierzig Jahren. Seine ersten Schritte erschienen unter einem Pseudonym beim DTV und beim Eichborn-Verlag. 2010 wechselte er zum Fischer Taschenbuchverlag und erreichte seither mit seinen Büchern hohe Platzierungen in der Spiegel-Bestsellerliste. Seit Februar 2014 ist Strobel nur noch als freiberuflicher Autor tätig. Heute lebt er in der Nähe von Trier.

Bisher war ich von den Möglichkeiten die ein solches Smart-Home-System bietet (Heizung, Rollladen, Licht etc. von unterwegs mittels Handy-App zu steuern) fasziniert, doch seit der Lektüre dieses Buches hat sich meine Meinung gründlich geändert. Der Autor führt uns vor Augen, dass selbst ein als 100% sicher gepriesenes System nicht funktionieren kann, wenn arglistige Betrüger am Werk sind.

In seinem gewohnt fesselnden und mitreißenden Schreibstil entführt uns Arno Strobel in die moderne Welt der digitalen Möglichkeiten und zeigt uns deren Schwachstellen auf. Seine exakten Schilderungen sorgen bereits nach den ersten Seiten für Gänsehautfeeling und wecken die Ängste in uns, beobachtet und ausspioniert zu werden. Die Geschichte wirkt sehr real, man kann sich als Leser gut in die eine oder andere Person hinein versetzen und sich in ihre Empfindungen einfühlen. Dem Autor ist es großartig gelungen, die Spannung durchweg zu halten und beinahe jeden verdächtig erscheinen zu lassen. Das Ende ist zwar schlüssig und einleuchtend, war für mich aber dennoch ziemlich überraschend und nicht vorhersehbar.

Fazit: Ein extrem packender Thriller mit überraschendem Ende, dessen Thematik, und ganz besonders auch Arno Strobels Nachwort, zum Nachdenken anregen.

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Veröffentlicht am 20.01.2021

Erinnerung an den Vater

Vati
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Nach dem Erfolg ihre Buches „Die Bagage“ schrieb Monika Helfer nun ein weiteres Erinnerungsbuch, diesmal über ihren Vater, Josef. „Vati“ sollten ihn seine Kinder nennen, dies würde modern klingen, meinte ...

Nach dem Erfolg ihre Buches „Die Bagage“ schrieb Monika Helfer nun ein weiteres Erinnerungsbuch, diesmal über ihren Vater, Josef. „Vati“ sollten ihn seine Kinder nennen, dies würde modern klingen, meinte er, und dies ist auch der Titel des Buches. In einem angenehmen plaudernden Erzählstil, so als würde man bei einer Tasse Kaffee zusammen sitzen, berichtet die Autorin über ihr Leben, ihre Kindheit und natürlich über den Vater, diesen ganz besonderen Mann, der im Krieg ein Bein verlor und im Lazarett Grete, eines der vielen Kinder der „Bagage“, kennen lernte. Sie war seine große Liebe, wurde seine Frau und die Mutter von vier seiner sechs Kinder. Seit seiner Kindheit liebte er Bücher, wollte sie besitzen und träumte von einer eigenen Bibliothek. Sein Traum erfüllte sich, als er Verwalter des Kriegsopfer-Erholungsheimes in den Bergen wurde. Dort, inmitten der herrlichen Natur, wuchsen Monika Helfer und ihre drei Geschwister auf. Doch dieses Glück währte nicht ewig, irgendwann schlug das Schicksal erbarmungslos zu. Hier weiter zu erzählen würde m.E. zu viel der Geschichte vorweg nehmen. Nur so viel sei gesagt, dass das Leben des Vaters und der ganzen Familie in völlig anderer Richtung weiter verlief …

So schweigsam wie ihr Vater war, so verhalten berichtet die Autorin von dessen Leben. Sie geht dabei nicht chronologisch vor, sondern erzählt einzelne Episoden, wie sie gerade aus der Erinnerung auftauchen. Auch die ganze Verwandtschaft, Brüder und Schwestern der Großeltern, Onkel und Tanten der Autorin und ihrer Geschwister, sind in die Geschichte involviert und steuern mit teils kuriosen Ereignissen und Begebenheiten zum guten Gelingen des Buches bei. Dabei entsteht eine Stimmung, die tief berührt und beeindruckt und gelegentlich an die eigene Kindheit erinnert, an Erlebnisse, die man längst vergessen glaubte. Monika Helfer erzählt viel von sich selbst, von ihrem teils zwiespältigen, teils innigen Verhältnis zum Vater, was diese Biografie sehr persönlich macht. Das Buch gibt dem Leser einen tiefen Einblick in die Verhältnisse der Nachkriegszeit und ist gleichzeitig die Würdigung eines Mannes, dessen Leben und dessen Psyche vom Krieg geprägt wurden.

Fazit: Schonungslos ehrlich und sehr persönlich, ein wunderbares Buch, das ich gerne weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 28.12.2020

Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum!

Miss Bensons Reise
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Seit ihr Vater als Kind ihr davon erzählte träumte Margery Benson davon, den bisher unentdeckten „Goldenen Käfer von Neukaledonien“ zu finden. Doch stattdessen ging sie Tag für Tag dem ungeliebten Beruf ...

Seit ihr Vater als Kind ihr davon erzählte träumte Margery Benson davon, den bisher unentdeckten „Goldenen Käfer von Neukaledonien“ zu finden. Doch stattdessen ging sie Tag für Tag dem ungeliebten Beruf als Lehrerin nach, bis sie nach einem Vorfall in der Schule alles hinschmiss und kündigte. Nun, als bereits 46Jährige, trifft sie Vorbereitungen für eine Expedition ans andere Ende der Welt. Margery heuert die junge Enid Pretty als Begleiterin an, was sich jedoch bald als Reinfall erweisen sollte. Die beiden Frauen hatten zunächst so gar nichts gemeinsam, ja waren sich sogar unsympathisch, hielten aber in Notlagen zusammen. Ein einschneidendes Ereignis sollte dann die Wende bringen, aus der sich eine tiefe Freundschaft entwickeln wird …

Die 1962 in London geborene Autorin Rachel Joyce ist eine britische Schauspielerin und Schriftstellerin, die bereits 2012 mit „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ einen Bestseller schrieb, der für den Booker Prize nominiert war und den „New Writer oft he Year Award“ gewann. Sie studierte Englisch an der Bristol University in London und arbeitete zunächst als Schauspielerin und dann als Hörspielautorin für die BBC. Rachel Joyce ist mit dem Schauspieler Paul Venables verheiratet und hat vier Kinder.

„Miss Bensons Reise“ ist eine mitreißende Geschichte, tragisch und traurig, aufregend und spannend, auch lustig und vergnüglich – jedoch immer bewegend und faszinierend. Ein schön komponierter Schreibstil, großartige Landschaftsbeschreibungen und viele interessante Themen erwarten den Leser in dieser reizvollen Geschichte. Man ist hautnah am Geschehen beteiligt und begibt sich mit den Protagonistinnen auf eine gefahrvolle Reise ans andere Ende der Welt. Man erlebt mit ihnen spannende Abenteuer, bangt und leidet so manches Mal mit ihnen, kann aber auch mit ihnen über mannigfache Missgeschicke lachen. Dramatische Naturphänomene und gefahrvolle Bergtouren sind so eindringlich geschildert, dass man beim Lesen den Atem anhält. Tragische menschliche Schicksale lassen mitleiden und Erfolgserlebnisse mitfreuen. Dass einige Passagen etwas klischeehaft und leicht überzogen sind und manches gar etwas unrealistisch anmutet, übersieht man gerne, da es nur das Lesevergnügen steigert. Eingefügte Erlebnisse aus der Vergangenheit der Protagonisten wecken das Verständnis für manch unmotivierte Handlung und tragen so zum intensiveren Erleben bei.

Fazit: Ein wunderschönes Buch, das zahlreiche Themen des menschlichen Lebens anspricht und Mut macht, lange gehegte Träume zu verwirklichen.

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Veröffentlicht am 15.11.2020

Wenn in den Rauhnächten die Zeit stillsteht …

Dort, wo die Zeit entsteht
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Um sich vom Ärger und Stress in der Klinik zu erholen, beschließt die junge Ärztin Katharina ihre Weihnachtsferien in der Berghütte der Familie zu verbringen. Sie fährt hin, ohne jemanden davon in Kenntnis ...

Um sich vom Ärger und Stress in der Klinik zu erholen, beschließt die junge Ärztin Katharina ihre Weihnachtsferien in der Berghütte der Familie zu verbringen. Sie fährt hin, ohne jemanden davon in Kenntnis zu setzen – sie will ihre Ruhe, will alleine sein. Kaum angekommen erscheint auch schon Irmelin, die alte Bäuerin die nach dem Rechten sieht wenn die Hütte leer steht. Irmelin ärgert sich, ausgerechnet die Rauhnächte, die zwölf Tage von Weihnachten bis Dreikönig, in denen sich Geister eine wilde Jagd liefern und die in den Bergen schon immer als besonders gefährlich galten, hat sich die Städterin ausgesucht. Sie macht einige Andeutungen und gibt Katharina den Rat, auf ihre Träume zu achten. Die junge Frau ist plötzlich verunsichert …

Claudia Wengenroth, die Autorin der Geschichte, wurde 1971 in Leipzig geboren und wuchs auch dort auf. Bevor sie Medizin studierte machte sie eine Ausbildung als Physiotherapeutin. Heute lebt und arbeitet sie als Ärztin im Weserbergland.

Eine mystische Geschichte, auf die man sich ganz einlassen muss. Ich bin froh, sie nicht während der Rauhnächte, der unwirtlichen Zeit zwischen den Jahren, der Zeit der langen Nächte und der Stürme mit Schneetreiben in den Bergen, gelesen zu haben. Denn kaum ist Katharina alleine, beginnen sich bei ihr Traum und Wirklichkeit zu vermischen. Angst macht sich in ihr breit, sie befindet sich in einem magischen Zustand und kann plötzlich Tiere sprechen hören. Jetzt sind nur noch die Kräfte der Natur bedeutsam, Stress, Hektik und Zeit sind unwichtig. Jetzt gilt es, Ängste zu überwinden und zu sich selbst zu finden.

Der Schreibstil der Autorin ist nicht einfach zu lesen, man muss sich darauf einlassen und sich in den Bann der Geschichte ziehen lassen. Dann ist alles ist sehr poetisch, mystisch, magisch und geheimnisvoll spannend. Ist man am Ende wieder zurück in der realen Welt muss man sich erst einmal besinnen und über das Erlebte nachdenken. Man kann viel hinein interpretieren, doch jeder Leser wird es wohl anders empfinden und anders erleben.

Fazit: Eine märchenhafte Geschichte voller Magie, auf die man sich ganz einlassen sollte – nur dann wird das Gelesene wirklich zum Erlebnis.

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